Читать книгу Die Euro-Kicker (Bd. 1) - Fabian Lenk - Страница 6
IMMER VOLLGAS!
Оглавление»Du bist die faulste Socke, die ich kenne!«, brüllte Trainer Bob Müller. Er deutete quer über den Trainingsplatz auf seinen Sohn Pascal, den alle Welt nur Paco nannte.
Paco war ein sehr talentierter Stürmer, aber er trainierte nicht gern. Und er sah auch nicht ein, warum er bei dieser Hitze einem Pass hinterherhecheln sollte, den er vermutlich nie erreichen würde. Es ging ja noch nicht mal um etwas. Es war ein Trainingsspielchen, sechs gegen sechs. Mehr nicht. Also hatte Paco den Sprint abgebrochen.
»Den Ball hätte noch nicht mal Gareth Bale erlaufen«, erwiderte er.
Sein Dad bekam einen leicht roten Kopf. Kein gutes Zeichen, wusste Paco. Wenn Dad auflud, konnte es Ärger geben. Zum Beispiel in Form von zwanzig Liegestützen. Oder fünfzig. Vor versammelter Mannschaft, versteht sich.
Bob war der beste Dad der Welt und ein cooler Trainer, jedenfalls meistens. Doch er flippte auch schnell aus. Dann glich er einem Vulkan, der völlig unerwartet ausbrach. Vor allem dann, wenn der Schiri eine Pfeife war und seltsame Entscheidungen fällte. Aber auch manchmal dann, wenn es einer seiner Spieler beim Training zu locker angehen ließ. Und weil Paco nicht nur eine zugebenermaßen superfaule Socke war, sondern außerdem der Sohn des Trainers, hatte er mintunter schlechte Karten. Bob hatte immer Angst, dass die anderen Jugendkicker, die wie Paco zwischen elf und zwölf Jahre alt waren, glauben könnten, dass er seinen Sohn bevorzugte. In den Augen von Paco war aber genau das Gegenteil der Fall.
»Du hättest es wenigstens versuchen müssen!«, schimpfte Bob.
»Das nächste Mal!«, rief Paco fröhlich und fügte in Gedanken ein »vielleicht« hinzu.
Bob verdrehte die Augen und klatschte in die Hände. »Hopp, hopp, weiter geht’s!« Auf die Liegestützen-Nummer verzichtete er. Seine Gesichtsfarbe war schon wieder ziemlich normal.
Eine Minute später wurde Paco von einem Mittelfeldspieler steil geschickt. Elegant nahm er die Kugel an, ließ einen Gegenspieler aussteigen und hatte freie Bahn.
Jetzt hatte er nur noch seinen besten Kumpel Alex vor sich, der im Tor stand. Alex hatte Nerven wie Drahtseile. Der war wirklich cool. Cooler als ’ne Tiefkühlpizza.
Alex machte sich breit, ganz breit, aber das nützte ihm nichts. Paco entschied sich für die rechte Ecke und nagelte die Murmel in den Winkel. Alex war noch mit den Fingerspitzen dran, konnte den Einschlag aber nicht verhindern.
»Nicht schlecht«, seufzte Alex, während Paco einfach nur grinste.
Zwei Minuten später beendete Bob die erste Halbzeit und trommelte die Truppe zusammen. Trinkpause.
Ausgepumpt hockten die Kicker zusammen und nuckelten an ihren Flaschen wie eine Gruppe durstiger Säuglinge.
Trainer Bob redete auf sie ein, er kritisierte und lobte. Paco war nie einer von diesen Taktikfüchsen gewesen. Keiner, der Fußballbücher wälzte oder YouTube-Videos mit Tricks von Neymar guckte und versuchte, sie nachzumachen. Paco war eher ein Instinktfußballer, der nicht lange nachdachte. Während sein Dad redete, schweiften seine Gedanken ab. Er blickte zum Nachbarplatz, wo ein anderes Jugendteam kickte. Waren das die Schweizer?
Paco, Alex und ihre Freunde aus der Mannschaft nahmen am Eurokicker-Turnier teil, bei dem junge, sehr talentierte Fußballer aus ganz Europa gegeneinander antraten – und zwar parallel zum EM-Turnier der großen Stars.
Es war schwer gewesen, in diese Mannschaft zu kommen. Eine absolute Auszeichnung. Der Deutsche Fußballbund hatte vor einem halben Jahr ein großes Sichtungsturnier in Hamburg veranstaltet. Paco war mit seinem Dad angereist, der bereits über eine Menge Erfahrung als Trainer verfügte. Bob hatte die Trainer-A-Lizenz und auch schon mal einen Drittligisten gecoacht.
Über 500 junge Fußballer, darunter 200 Mädchen, hatten an der Sichtung in Hamburg teilgenommen. Sie alle waren heiß darauf gewesen, in die deutsche Mannschaft aufgenommen zu werden, die gegen andere Teams aus ganz Europa antreten sollte. Doch nur je 22 Jungen und Mädchen war das schließlich auch gelungen. Paco, Alex und die anderen waren entsprechend stolz.
Und auch Bob war am Ende glücklich – denn er war es gewesen, den der DFB mit dem Coaching der deutschen Talente während des Eurokicker-Turniers betraut hatte.
Organisiert wurde der Event von der UEFA. Es gab neben der deutschen Mannschaft auch Nachwuchsteams aus England, Spanien, Frankreich, Ungarn, Österreich oder Italien. Das Turnier, das für Jungen und für Mädchen ausgerichtet wurde, fand an unterschiedlichen Orten statt, wo auch EM-Spiele angepfiffen wurden: wie zum Beispiel in München. Wer hier weiterkam, qualifizierte sich für die Finalrunde in London. Untergebracht waren die Mannschaften in Zeltstädten.
Paco fand das Turnier richtig klasse. Er hatte schon viele Jugendliche aus anderen Ländern kennengelernt. Die meisten Kicker waren echt okay. Klar war aber auch, dass das hier kein Kindergeburtstag war, sondern ein echtes Turnier. Es ging ums Gewinnen, ums Weiterkommen, um den Sieg. Und dafür brannten nicht nur Paco und seine Freunde, dafür brannten alle.
»Hast du gehört, Paco?«, drang Dads Stimme an seine Ohren.
»Äh ja, klar«, stammelte Paco. Natürlich hatte er rein gar nichts gehört.
Alex, der neben ihm saß, kicherte. Bob kniff ein Auge zu. Er schien zu überlegen, ob sein Sohn ihn mal wieder auf den Arm nahm. Aber hier war nicht der richtige Ort für Erziehungsmaßnahmen.
Er grunzte etwas, bevor er seinen Blick über die Köpfe der Spieler gleiten ließ und fortfuhr: »Jungs, wenn ihr das nicht ernst nehmt«, er schaute jetzt seinen Sohn direkt an, »dann haben wir übermorgen keine Chance.«
Jetzt war Paco wieder voll da. Richtig, in zwei Tagen stand das schwere Spiel gegen das französische Jugendteam an. Die Franzosen galten als Favoriten für den Titel. Ein richtig harter Brocken also – und ein K.-o.-Spiel. Wenn Paco und seine Freunde morgen verloren, waren sie raus aus dem Turnier. Dann konnten sie sich die Fahrt nach London zur Finalrunde abschminken, wo auch das EM-Endspiel der großen Stars angepfiffen wurde.
»Also, Jungs – Vollgas!«, rief Bob. »Auch im Training.«
Er scheuchte sie zurück auf den Platz und die zweite Halbzeit begann. Pacos Team in den gelben Leibchen führte mit 2:1. Nach fünf Minuten hatte Paco eine Mega-Chance, auf 3:1 zu erhöhen, doch diesmal scheiterte er an seinem Kumpel Alex.
»Hehe, das war nichts«, rief der Torwart.
»Das nächste Mal ist er wieder drin«, grummelte Paco. Mann, irgendwie hatte dieser Krake namens Alex wieder einen seiner Tentakel an die Kugel bekommen. Nicht zu fassen!
»Hopp, hopp, hopp, weiter – schlaf nicht ein, Paco!«, schimpfte Bob. »Zurück, du musst auch Defensivarbeit leisten.«
Paco deutete ein Gähnen an. Da platzte seinem Dad der Kragen.
»Wenn du nicht gleich die Hufe schwingst, sitzt du morgen auf der Bank!«, schrie er mit hochrotem Klopf.
»Yes, mach uns den Vulkan, Dad«, erwiderte Paco, jedoch so leise, dass sein Vater ihn nicht hören konnte. Folgsam trabte er in Richtung eigene Hälfte und half mit, den Vorsprung zu verteidigen. Dabei bemerkte er, dass sich einige Zuschauer eingefunden hatten – darunter zwei Mädchen, die etwa in seinem Alter sein mussten. Die eine war eine zierliche Rothaarige mit Sommersprossen und Stupsnase, die andere war groß und dunkelhaarig.
Kurz vor dem Ende, es stand immer noch 2:1, hatte Paco wieder eine fette Chance. Diesmal umkurvte er den Keeper und brauchte den Ball eigentlich nur noch über die Linie zu schubsen. Doch er traf nur den Pfosten!
Alex setzte sein allerbreitestes Grinsen auf, während der Trainerdaddy einen ziemlichen Anfall bekam. Vom Spielfeldrand kam zudem helles Gelächter: Mädchengelächter.
»Wie kann man nur so blind sein?«, lästerte die Rothaarige, während ihre Freundin einfach nur den Kopf schüttelte.
Was wollen die denn?, dachte Paco, während er nach einer passenden Antwort suchte. Schlimm genug, dass er die Chance versiebt hatte und der Schädel seines Dads an eine überreife Tomate erinnerte. Da brauchte er nicht auch noch dieses blöde Geschnatter.
Paco kam nicht dazu, etwas zu erwidern, weil ihre Gegner jetzt einen Angriff zündeten und er hinten gefordert war.
Sekunden vor dem Abpfiff versuchte er, den Ball abzugrätschen, was ihm auch gelang. Dabei rutschte er jedoch ein Stück über den Rasen, riss die Grasnarbe mit den Stollen auf und landete quasi vor den beiden Mädchen an der Außenlinie.
»Bist du hier der Gärtner?«, fragte die Rothaarige, während Bob den Schlusspfiff ertönen ließ. Es war beim 2:1 zu geblieben.
»Bestimmt«, meinte die andere. »Der sucht Maulwürfe.«
Paco stand auf und musterte die beiden feindselig. »Was?«, zischte er. »Das war eine Eins-a-Grätsche.«
»Na ja, ging so«, meinte die Dunkelhaarige lässig. »Und übrigens: Den Rasen hast du ziemlich ruiniert.«
Paco sah, dass sein Kumpel Alex zu ihm kam. Gut so, es schien, als könne er hier an der Mädchenfront ein wenig Unterstützung gebrauchen.
Als Alex neben ihm stand und die Girls neugierig musterte, blaffte Paco: »Ihr habt einfach keine Ahnung. Geht lieber häkeln, als hier herumzustehen und Jungs zu nerven.«
Alex nickte bekräftigend.
Die Mädchen kringelten sich vor Lachen. »Wow, was für eine Ansage!«, höhnte die Rothaarige.
Ihre Freundin sagte: »Passt auf, ihr Blindfische: Was haltet ihr von einem Spiel? Ihr zwei gegen uns zwei. Dann sehen wir ja, wer besser ist.«
Erstaunt sah Paco seinen Freund an. Der hob nur die Schultern.
»Okay, machen wir. Wann?«, fragte Paco.
»Jetzt gleich«, lautete die Antwort. »Oder könnt ihr schon nicht mehr?«
»Von wegen«, erwiderte Paco. »Wir sind bereit. Zwei Hühner wie euch ballern wir auch nach zehn Stunden Training vom Platz.«
»Richtig, und zwar mit geschlossenen Augen«, bestätigte Alex.
»Wir werden sehen«, bemerkte die Rothaarige. »Wir ziehen uns nur kurz um. Bis gleich.«