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2. Was ist ein Gedicht?

Was ist eigentlich ein Gedicht? Diese schlichte Frage steht erfahrungsgemäß am Anfang beinahe jedes Einführungsbandes und Proseminars zur Gedichtanalyse. Und obwohl die meisten Menschen gemeinhin einen als Gedicht intendierten Text ohne Schwierigkeiten auch als solches erkennen und überdies sicher leicht selbst ein Beispielgedicht benennen und womöglich gar rezitieren könnten, fällt es doch erstaunlich schwer, Alleinstellungsmerkmale anzugeben und das Wesen eines Gedichts zu definieren.1 Entsprechend kursieren in Literatur wie Seminardiskurs erstaunlich vielfältige Hypothesen zu den potentiellen Kennzeichen von Gedichten, von denen ich die gängigsten im Folgenden kurz und überblicksweise vorstellen und an einem Beispiel auf ihre Tauglichkeit hin prüfen möchte.

Mein Beispiel stammt aus Loriots berühmtem Fernseh-Sketch WEIHNACHTEN BEI HOPPENSTEDTS aus dem Jahr 1978. Der propere Familienspross Dicki wird von Mutter Hoppenstedt aufgefordert, unterm Tannenbaum ein Gedicht aufzusagen und Dicki skandiert unaufgeregt die drei Worte:

Zicke, Zacke – Hühnerkacke.

Ist das nun ein Gedicht? Aus Mutter Hoppenstedts Reaktion („Nein, das nicht.“), lässt sich ableiten, dass sie Dickis Aussage zwar als unpassendes, aber eben doch als Gedicht anerkennt. Und aus literaturwissenschaftlicher Perspektive?

Lyrik als Gattung

Die Frage, ob ein Text ein Gedicht sei oder nicht, erscheint hier als eine Frage nach der Gattung. Klassischerweise werden mit Epik, Dramatik und Lyrik drei Großgattungen unterschieden, wobei Gedichte mehrheitlich oder sogar vollständig letztgenannter zugehören sollen.2 Abgegrenzt wird diese Gattung dabei häufig durch Negativbefunde. Im Gegensatz zu den Texten der Epik wären Gedichte etwa konstitutiv „fabellos“,3 d. h. sie erzählten grundsätzlich keine Geschichten. Im Gegensatz zu den Texten der Dramatik, die stets dialogisch seien, handle es sich bei Gedichten konstitutiv um „Einzelreden“4, die zudem nicht „auf szenische Aufführung hin angelegt“5 wären. Für Dickis Text ließe sich all dies nun durchaus bestätigen (wobei der Vortrag wohl auch etwas von einer „Aufführung“ hat), aber dass dies ausreicht, um einen beliebigen Text als Gedicht zu erkennen, scheint fragwürdig.

Formale Kennzeichen

Im REALLEXIKON DER DEUTSCHEN LITERATURWISSENSCHAFT findet sich eine sehr knappe, rein formale und anscheinend recht verbindliche Minimaldefinition von Gedicht, die da lautet: „Text in Versen“6. Obgleich sich auch die offenkundige Anschlussfrage, was denn nun eigentlich ein Vers sei, trefflich diskutieren ließe (siehe Kap. 9), erfüllt Dickis Aussage dieses Kriterium geradezu bravourös: Acht trochäisch geordnete Silben (betont/unbetont) formen zwei Verse mit deutlicher Zäsur dazwischen. Darüber hinaus erfüllt der Text mit seinen markanten Endreimen („Zacke“ auf „-kacke“), wie auch mit dem konsonantischen Binnenreim („Zicke“ auf „Zacke“),7 das landläufig wohl verbreitetste Klassifizierungs-Kriterium des „Gereimtseins“ (siehe Kap. 10). Und auch das ebenfalls formale Kriterium der „relativen“ Kürze8 lässt sich attestieren.

Landläufig wird die Gattung zuweilen auch inhaltlich oder thematisch bestimmt. So wird sie etwa häufig als „Affektgattung“ aufgefasst, die konstitutiv von einem „lyrischen Ich“ handle, das durch das Gedicht seine Emotionen zum Ausdruck brächte.9 Entsprechende Liebes- oder Sehnsuchtsgedichte zählen sicher zu den populärsten Texten der Gattung, doch in Dickis Fall ist davon zunächst nichts zu entdecken (auch wenn man durchaus Rückschlüsse auf dessen Gefühlslage ziehen könnte [s. u.]). Ebenfalls schwierig erscheinen inhaltliche Bestimmungsversuche, nach denen Gedichte stets bestimmte Augenblicke oder Situationen einfangen.10 Davon ist bei Dickis Text nichts auszumachen. Eher fängt der Sketch eine Situation ein (Weihnachtsabend) und Dickis Verse bilden eine grundsätzlich situationsunabhängige, beliebig rekontextualisierbare Einheit. Auch die Einschätzung, Gedichte lieferten „prägnant[e] Zeitdiagnosen“11 ihrer jeweiligen Epoche, überzeugt in diesem Fall nicht. Der Sketch mag das deutsche Spießertum der späten 70er portraitieren oder persiflieren, doch Dickis Worte wirken als typische Kinderverse merkwürdig ahistorisch.

Inhaltliche Kriterien

Insgesamt passender erscheinen da Bestimmungsversuche, nach denen der Inhalt bei einem Gedicht eben keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt, weshalb es als „semantisch entlasteter“ Text besonders „ästhetisch“ wirken könne (s. u.). Oder geht es womöglich wirklich um Hühnerkacke? Vielleicht solche, die im „Zickzack“, also kreuz und quer im Hühnerstahl verteilt wurde? Und wie verhält es sich mit der These, Gedichte hätten als „autoreferentielle Texte“12 stets sich selbst zum Inhalt? Trifft dies auf ein „Zicke, Zacke – Hühnerkacke.“ auch zu?

das „lyrische Ich“

Nicht einmal ein explizites „lyrisches Ich“ taucht im Gedicht auf, das ebenfalls gelegentlich als bestimmendes Merkmal der Gattung angegeben wird.13 Aber gibt es nicht immer ein Äußerungssubjekt, also jemanden, der das „Zicke, Zacke – Hühnerkacke.“ notwendigerweise spricht oder gesprochen haben muss (siehe Kap. 2)? Kaspar Spinner definiert das „lyrische Ich“ als „Leerdeixis“14, d. h. als unbesetzte Sprecherrolle, die weder vom Autor noch von einer näher bestimmbaren Figur eingenommen wird.15 Tatsächlich erscheint auch unser Gedicht weder als die unmittelbare Aussage der Figur Dicki (die eher zu rezitieren scheint), noch als die des Sketch-Autors Loriot. Vermutlich ist Loriot auch nicht der Autor des Gedichts, sondern es handelt sich um jahrzehntelang bekannte Verse eines längst vergessenen Urheber-Kindes, die – ganz im Sinne einer Leerdeixis – bereits von zahllosen Sprecherkindern zitiert und adaptiert wurden. Aber wäre ein Verstext, bei dem das Äußerungssubjekt eindeutig einem Autor oder einer Rolle zuzuschreiben ist, demnach kein Gedicht?

poetische Sprache?

Häufig liest man auch, Gedichte seien durch eine eigene, eben „poetische Sprache“ gekennzeichnet, die von der „Normalsprache“ zu unterscheiden sei.16 Aber wodurch? Etwa durch ein eigenes Vokabular? Die Worte „Zicke“ und „Zacke“ – insbesondere im Zusammenspiel – erscheinen mir tatsächlich nicht dem alltagssprachlichen Lexikon zuzugehören; „Hühnerkacke“ indes schon. Es ist offensichtlich nicht Teil jener gedichtexklusiven „gesteigerten Sprache“, die, dem Literaturdidaktiker Winfried Pielow zufolge, „auch noch das ‚Zarteste‘ sagen kann“,17 und auch nicht jenes konventionellen Registers „poetischer Sprache“, das Begriffe wie Ach! und Weh!, Herzeleid, Nymphe oder Windeshauch enthält.18 Reicht das aus, um Dickis Versen den Status „Gedicht“ abzuerkennen? Dass Gedichte gemeinhin einen entsprechend erhabenen Stil oder „hohen Ton“ erwarten lassen, zeigt sich daran, dass dessen Nichtentsprechung letztlich die Komik des Sketches generiert. Von einer gedichttypischen „verdichteten Bildsprache“,19 die sich wohl etwa im metaphorischen bzw. symbolhaften Gebrauch von Begriffen wie Rose, Schiff oder Sonne niederschlägt, ist bei Dicki ebenfalls nichts zu erkennen. Zumindest fiele mir nichts ein, wofür die Hühnerkacke hier Symbol oder Metapher sein könnte. Die poetische Sprache von Gedichten – so liest man – sei dazu imstande, im „synästhetischen Vollzug“20 mehrere Sinneswahrnehmungen zu verschränken, doch Dickis Zeilen erwecken in mir (zum Glück) weder bildliche, noch haptische oder gar olfaktorische Vorstellungen. Mal liest man, die Sprache im Gedicht zeichne sich durch ihre Mehrdeutigkeit aus21 und mal durch ihre Prägnanz und darstellerische Genauigkeit.22 Mal gilt sie als besonders hermetisch (also verschlossen) und mal als genuin assoziativ; ein anderes Mal als besonders klangvoll, harmonisch oder gar musikalisch.23 Letzteres mag auf Dickis Verse, die tatsächlich den Charakter eines Spottliedes haben, durchaus zutreffen, aber der Rest? Mir fällt es schwer, in den Zeilen einen klaren Sinn zu erkennen, aber ist es deswegen schon hermetisch oder mehrdeutig? Ich finde sie (vor allem im Weihnachtsabendkontext) auch durchaus drastisch; aber besonders prägnant oder genau?

Für unser Vorhaben, im Gespräch mit Gedichten die Wirkungsweise von Sprache zu reflektieren, erscheint mir die Vorannahme, Gedichte würden eine genuin „andere“ Sprache verwenden als andere Texte, nicht zielführend. Eher nutzen sie dieselbe Sprache wie alle auf gedichtspezifische Weisen, um die oben genannten Effekte (oder auch andere) zu generieren. Ihre AutorInnen wenden womöglich bestimmte Verfahren bei der Erstellung eines Gedichtes an, d. h. sie folgen (bewusst oder unbewusst) bestimmten Regeln und Grundsätzen (Poetiken) bei der Konzeption ihrer Texte und produzieren so den Eindruck von Poetizität, d. h. eines ungewöhnlich kunstvollen Sprachgebrauchs. Aber was genau macht diese Verfahren aus?

Normen im Gedicht

Gelegentlich wird die Position vertreten, dass in Gedichten Sprachnormen überschritten24 und die basalen Anordnungs- und Flexionsregeln sprachlicher Äußerungen (Syntax und Grammatik) nicht länger gelten würden. Für Dickis Verse ließe sich etwa feststellen, dass sie keinen vernünftigen deutschen Satz bilden, weil ihnen das Prädikat fehlt. Andererseits liest man auch, dass Gedichte dadurch gekennzeichnet wären, dass sie vielmehr zusätzlichen Anordnungsregeln folgten, die im alltäglichen Sprachgebrauch missachtet würden. Typischerweise sind dies (wie bei Dicki) Vers- oder Reimmuster, die eingehalten werden (müssen?), möglicherweise aber auch Prinzipien wie eine festgelegte Wortanzahl, bestimmte Lautmuster (z. B. nur „dunkle“ Vokale) oder auch ein bestimmtes Vokabular (z. B. viele „Farbwörter“). Muster entstehen dabei vor allem durch Wiederholungsstrukturen und Rückbezüge (Rekurrenzen) im Text, zumeist in Form von Variationen.

Überstrukturiertheit

Besonders beliebt ist die Vorstellung, der Sprachgebrauch im Gedicht sei dadurch gekennzeichnet, dass er Form und Inhalt in Einklang brächte, also eine „Gestalt-Gehalt-Korrespondenz“25 generiere. Das Wie der Darstellung entspräche folglich dem Was des Inhalts, etwa indem ein wilder Galopp in einem entsprechend „galoppierenden“ Sprechrhythmus umgesetzt oder eine traurige Stimmung mit vielen dunklen Vokalen „orchestriert“ würde. Gerade in diesem Zusammenhang taucht im theoretischen Diskurs gelegentlich der Begriff der Überstrukturiertheit von Gedichten auf. Überstrukturiertheit bedeutet, dass die Sprache in Gedichten auf unterschiedlichen Ebenen bedeutungstragend eingesetzt wird.26 Während in der Alltagssprache die Sätze und Wörter vorwiegend semantisch eindeutig in ihrer lexikalischen Grundbedeutung (Denotation) benutzt würden, seien im Gedicht auch assoziative Nebenbedeutungen (Konnotationen) relevant und auch der Klang der Wörter und der Rhythmus der Verse würden bedeutungstragend eingesetzt. Demnach kommuniziert ein Gedicht also „mehrkanalig“ und die dadurch gleichzeitig vermittelten Botschaften können zueinander in Beziehung gesetzt werden. Klappt das auch bei Dicki? Nun ja, man könnte etwa sagen: das Wort „Hühnerkacke“ hat neben seiner denotativen Bedeutung als Bezeichnung für Unrat, diverse konnotative Nebenbedeutungen durch seine Assoziationen mit Unwerten, Unnützem, Schmutzigem, Lächerlichem, aber auch Ländlichem, Bäuerlichem etc. „Zicke, Zacke“ hat anscheinend keine unmittelbare denotative Bedeutung (s. o.). Oder ist mit Zicke doch eine weibliche Ziege gemeint (die ja thematisch gut zum Huhn passen würde)? Immerhin wird dieses Wort vielfach auch figurativ und abwertend für „launische Frauen“ verwendet. Für mich klingt die Wortfolge aber eher nach Tempo und Bewegung; ähnlich wie zackig oder Ruckizucki oder auch nach Hin und Her. Reim und Rhythmus verhelfen den Worten dann zudem zu einer liedhaften Komponente, die ihnen den Charakter eines Spottliedes verleihen, vergleichbar mit dem trotzigen Näh-NähNäh-Näh-Näh eines entwischten Kindes beim Fangenspiel. Lassen sich die vermeintlichen „Bedeutungen“ der unterschiedlichen Ebenen denn nun sinnvoll zu einer einzigen Bedeutung zusammenführen? Womöglich gar zu einer Botschaft oder „Lehre“27 für die Leser? Ist das überhaupt nötig? Und welche könnte das sein? Und wer hat sie dort „versteckt“?

Funktionen eines Gedichtes

Man könnte die Bedeutung von Dickis Versen an ihrer Funktion festmachen. Etwa indem man sagt, sie dienten als Provokation der Mutter. Eine solche Funktion hängt dabei gar nicht notwendigerweise von den expressis verbis behandelten Inhalten oder vom Sprachgebrauch ab, sondern wohl eher an der kommunikativen Absicht des Äußerungssubjektes. Tatsächlich sind auch einige der gängigen Bestimmungsversuche von Gedichten in dieser Art und Weise funktionsorientiert. Die Selbstaussprache gilt dabei als besonders typische Funktion eines Gedichtes,28 selbst wenn der Text die Emotionen und Gefühle nicht explizit erwähnt. Dickis stoische Coolness ließe sich daher vielleicht als bewusst ausgestellter Anti-Affekt interpretieren bzw. als Beleg von Affektkontrolle, als Ausdruck von Langeweile oder als rebellischer Akt gegenüber der biederen, aufoktroyierten Weihnachtsidylle. Dass Sprechakte – also durch sprachliche Äußerungen vollzogene Handlungen – das Wesen von Gedichten bestimmen, ist seit Heinz Schlaffers einflussreichem Aufsatz SPRECHAKTE DER LYRIK eine verbreitete Annahme der Lyriktheorie (siehe Kap. 5). Gedichte dienten etwa dem Loben, Klagen, Mahnen, Danken, usw. Allerdings liest man auch, dass sie als „Performativitätsfiktionen“29 lediglich der Ausstellung oder literarischen Fingierung von Sprechakten dienten. Aber welchen Sprechakt stellt Dicki hier eigentlich aus? Eine genaue Bestimmung scheint schwierig.

Exponierung der Sprache

Mancher erkennt das Wesen des Gedichts denn auch in dessen Absichts- und Funktionslosigkeit.30 Es sei „entpragmatisiert“ und diene folglich – anders als ein Sach- oder Alltagstext – nicht der unmittelbaren Vermittlung von Informationen oder der Referenz eines lebenswirklichen Sachbestandes und auch nicht dem Vollzug eines lebenspraktischen Sprechaktes. Auf Dickis Nonsense-Verse könnte dies durchaus zutreffen. Allerdings erweist sich die Funktionslosigkeit von Gedichten bei näherer Betrachtung zumeist gar nicht als funktionslos. So dient sie dem Literaturwissenschaftler Jonathan Culler zufolge dem foregrounding der Sprache, also ihrer Exponierung als Medium (siehe Kap. 2).31 Damit schließt Culler seinerseits an Überlegungen des Strukturalisten Roman Jakobson an, der verschiedene Funktionen sprachlicher Äußerungen unterschieden und untersucht hat. Als poetische Funktion der Sprache bestimmt er dabei diejenige, bei der die „Einstellung auf die Nachricht als solche, die Zentrierung auf die Nachricht um ihrer selbst willen“32 dominiert. Bezogen auf unser Beispiel hieße das, Dickis Verse sind vor allem ästhetischer Selbstzweck. Sie werden gesprochen weil sie „gut“ klingen. Durch Rhythmus und Reim werde das Wortmaterial selbst in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, also seine Lauteigenschaften und spezifische Anordnung.

rituelle Texte

In vielerlei Hinsicht entsprechen Dickis Verse somit auch einem Ideal, nach dem ein Gedicht stets für den mündlichen Vortrag33 oder gar für den Gesang bestimmt ist. Schließlich wird der „Zicke, Zacke!“-Schlachtruf auch in Fußballstadien skandiert. Allerdings kursiert auch ein anderes Gedichtideal, nach dem Gedichte dezidiert Schriftprodukte sein sollten, die geschrieben und gelesen werden müssten.34 Ursprünglich wurden Gedichte wohl vor allem als Bestandteil von Ritualen realisiert, d. h. dass die frühesten Gedichte womöglich zeremonielle Texte wie Gebete, Zaubersprüche oder Beschwörungsformeln waren. Dickis Verse könnten als typische Auszähl- oder Spottverse betrachtet werden, wie sie vielfach Kinderspiele begleiten. Die Komik des Sketches erklärt sich dann daraus, dass das Weihnachtsfest einen ganz anderen Typ von zeremoniellem Begleitgedicht erwarten lässt.

Mit Blick auf modernere Ausprägungen der Lyrik wird inzwischen auch die Meinung vertreten, dass es letztlich nur der Kontext und die Rahmung sei, die aus einem Text (oder womöglich auch jeder anderen Daseinsform) ein Gedicht machten.35 Ein Text, der in einer Lyrik-Anthologie erscheint, auf einer als Dichterlesung deklarierten Veranstaltung deklamiert oder in einem Lyrikseminar präsentiert wird, würde demnach als Gedicht rezipiert, auch wenn er kein einziges der bisher erwähnten Kriterien erfüllt. In Dickis Fall hieße das, dass die Ankündigung der Mutter alleine jede Äußerung Dickis als Gedicht erscheinen lassen würde. Wenn Dicki allerdings erwidert hätte: „Nee, kein Bock!“, hätte das wohl niemand als Gedicht interpretiert, oder?

Kontext und Rahmung

Wäre der Satz in Peter Handkes Gedichtband DIE INNENWELT DER AUSSENWELT DER INNENWELT erschienen, vermutlich schon. Diesem entstammt nämlich das beliebteste Beispiel für ein einzig durch den Kontext erkennbares „ready-made“-Gedicht DIE AUFSTELLUNG DES 1. FC NÜRNBERG VOM 27.1.1968:

Wabra

LeupoldPopp

Ludwig MüllerWenauerBlankenburg

StarekStrehlBrungsHeinz MüllerVolkert

Spielbeginn:

15 Uhr

Anscheinend handelt es sich hierbei um einen ursprünglich literaturfernen Gebrauchstext, womöglich aus einer Sportzeitschrift, die lediglich über die Aufstellung einer Fußballmannschaft informieren will und dabei keine poetischen Absichten verfolgt. Aber erfüllt er nicht doch wesentliche Kriterien eines Gedichtes? Zumindest ließen sich die einzelnen Zeilen durchaus als Verse auffassen. Auch das Kriterium der Kürze ist erfüllt. Und die Worte „Starek“ und „Strehl“ sind doch alliterierend, oder nicht?

Hypothesenbildung

Allerdings muss ich mir eingestehen, dass mir diese Kennzeichen ohne die Klassifizierung als Gedicht gar nicht aufgefallen wären. Offensichtlich verändert der Status Gedicht meinen Umgang mit dem Text. In jedem Detail wittere ich nun potentielle Bedeutung36 und ich versuche, aus meinen Teilbeobachtungen Hypothesen für eine übergeordnete „Gesamtbedeutung“ oder eine mögliche kommunikative Absicht zu erstellen. Solche Zweitbedeutungen, die über das basale Verständnis des Textes als Mannschaftsaufstellung hinausgehen, lassen sich mit Klaus Weimar als ein Verstehen zweiten Grades bestimmen, d. h. als „Antwort auf die Frage, als was etwas sehr wohl Verstandenes sonst noch zu verstehen sei“37. Dabei kann es durchaus unterschiedliche plausible Zweitbedeutungen für diese exponierte Aufstellung geben.38 Ist es womöglich eine Hommage des Fußballenthusiasten Handke an die legendäre Mannschaft? Oder im Gegenteil eher eine kritische Thematisierung der allgegenwärtigen Fußballmanie, die womöglich die Kunst und Literatur zu verdrängen sucht? Oder aber die bewusste Unterwanderung der Unterscheidung von Kunst und Alltagsdiskurs? Spielt Handke womöglich auf irgendein historisches Ereignis an? Will er die Entindividualisierung des Menschen durch eine Listenrhetorik vor Augen führen? Geht es womöglich in irgendeiner Art sogar um die Nürnberger Prozesse? Gerade das symbolische Ausdeuten des Textes gilt schließlich als typischer „Modus der Interpretation“39 bei Gedichten. Oder geht es hier gerade um die Dokumentation unmittelbarer Gegenwart, also jenen Moment im Jahr 1968, an dem das große Spiel begann?

Plötzlich ergeben sich Fragen zur genauen Anordnung der Spielernamen: Hat die Pyramidenform irgendeine Bedeutung? Oder vielleicht die Wortanzahl in den jeweiligen Zeilen (1/2/4/6)? Warum wurde die gegnerische Mannschaft nicht aufgeführt? Wer sich eingehender mit der Referenz-Partie befasst (etwa indem er – wie auch ich – den entsprechenden Wikipedia-Artikel liest), lernt dann auch, dass das Spiel eigentlich bereits um 14 Uhr begann, und zwar mit Helmut Hilpert statt Horst Leupold in der Innenverteidigung. Wozu dienen diese Änderungen? Oder waren das einfach Transkriptionsfehler Handkes?

Die Literaturwissenschaftler Alwin Binder und Heinrich Richartz gehen in ihrer Einführung in die Gedichtanalyse davon aus, dass eben jene Analyse zwingend voraussetzt, dem Text zu unterstellen, dass er „künstlerisch vollendet“ sei und somit „nichts Zufälliges, sondern nur ‚Bedeutendes‘“40 enthalte. Alle Beobachtungen werden folglich „semantisiert“ und „funktionalisiert“41. Bemerkenswerterweise hatte ich bei Dickis Versen – die ja viel eher die gängigen Kriterien eines Gedichtes erfüllen als Handkes Text – ursprünglich keinen starken Impuls, ihn auf mögliche Bedeutungsdimensionen hin abzuklopfen. Vermutlich weil er mir bei aller Merkwürdigkeit in seiner Funktion bzw. Funktionslosigkeit relativ eindeutig erschien. Durch die genaue Beobachtung habe ich aber auch hier ein durchaus tieferes Verständnis gewonnen. Wie bei vielen Kindergedichten wird ein semantisch vager, aber unstrittig derber Inhalt in ein durch Reim und Rhythmus streng geordnetes Versgewand gekleidet, durch das der „anarchische Quatsch“ wie lautlich legitimiert wirkt.42 Dickis Gedicht wirkt dabei tatsächlich invariant, d. h. formvollendet. Würde man auch nur eine Silbe verändern, verlöre es wohl seine freche Ausdrucksstärke.

totale Bedeutsamkeit

Für die tiefergehende Analyse scheint es daher ratsam, „dem allzu schnellen Verstehen einen Widerstand entgegensetzen“43. Die Unterstellung einer „totalen Bedeutsamkeit“ erweist sich für ein Gespräch mit dem Text in der Regel nämlich als sehr produktiv, weil sie dazu auffordert, den eigenen Beobachtungsaufwand zu intensivieren, vielfältige Fragen an den Text zu stellen und Hypothesen aufzuwerfen und gegebenenfalls auch wieder zu verwerfen, falls sie nicht zu anderen Befunden passen. Da es aber auch Gedichte gibt, die auf Träumen basieren, die im Rausch oder Zufallsexperiment entstanden oder die von ihren Autoren schlichtweg nicht bis in letzte Details durchdacht worden sind, kann die Unterstellung einer totalen Bedeutsamkeit auch zu Überinterpretationen führen.

Rezeptionsmodi und Anschlusshandlungen

Ist es womöglich dieser Umgang oder „Rezeptionsmodus“, der ein Gedicht ausmacht? Gelegentlich liest man tatsächlich, dass Gedichte konstitutiv einer mehrfachen, intensiven, analysierenden Lektüre bedürften.44 Andernorts heißt es wiederum, Gedichte müssten gerade affektiv gehört, sinnlich erfahren und eben nicht „krampfhaft“ (über-)interpretiert werden.45 Man kann sogar beide Rezeptionsmodi kombinieren, indem man den Text zunächst unbefangen und affektiv auf sich wirken lässt und danach reflektiert, wodurch der entstandene Eindruck wohl erweckt wurde und somit dem berühmten Diktum des Schweizer Germanisten Emil Staiger folgen, „daß wir begreifen, was uns ergreift.“46 Grundsätzlich sind wohl auch andere Rezeptionsmodi denkbar, vor allem aber auch vielfältige Anschlusshandlungen vom Auswendiglernen bis hin zum Konsultieren von Sekundärliteratur zu Autor, Werk, Epoche, usw. Die Lyrikdidaktik schlägt vor allem diverse „produktionsorientierte“ Anschlusshandlungen vor, sei es den Text mit Musik zu untermalen, ihn pantomimisch umzugestalten47 oder mehrere Texte zu einem eigenen Gedichtbuch zusammenzustellen, usw.48 Inwieweit man sich einem Text dadurch annähert oder doch eher von ihm entfernt, wird sich wohl von Fall zu Fall ent- und unterscheiden. Mir selbst leuchten am ehesten solche produktionsorientierten Anschlusshandlungen ein, die die poetologischen Verfahren der Gedichte kopieren oder variieren (etwa ein selbstgereimtes „Schnöttel! Döttel! Schweineköttel!“).49

Jeder Text ein Gedicht?

Aber braucht man für diesen Rezeptionsmodus überhaupt einen eindeutig als Gedicht bestimmbaren Text? Aus meiner Sicht ließe sich tatsächlich jeder Text als Gedicht behandeln. Vor allem lässt sich stets sinnvoll seine sprachliche Ausgestaltung reflektieren, selbst wenn der eigentliche Urheber diese womöglich gar nicht bewusst gestaltet hat. Interessante Textgespräche gäbe es vermutlich überall zu führen, eben auch mit Mannschaftsaufstellungen, Kassenbons50 oder Gebrauchsanweisungen. Sie alle haben auch eine Ästhetik, im Sinne einer wahrnehmbaren und mitwirkenden Sinnlichkeit; ob man sich dieser nun bewusst wird oder nicht. Aber sind deshalb nun alle Texte Gedichte? Sicherlich nicht, wenn der Status „Gedicht“ im Sinne einer Qualitäts-Auszeichnung und Würdigung ästhetischer Brillanz „verliehen“ bzw. „verdient“ werden muss, aber das scheint mir für ein unbefangenes Textgespräch ohnehin eine schlechte Prämisse zu sein.

Proto-Gedichte

Offensichtlich gibt es recht unterschiedliche Vorstellungen davon, was ein Gedicht kennzeichnet und wie es zu sein hat. Sicher hängt das jeweilige Verständnis maßgeblich von eben jenem „Proto-“ oder „Ideal-“ Gedicht im eigenen Kopf ab, das unsere Erwartungen an ein Gedicht determiniert. Welcher Epoche oder welcher Untergattung gehört es an? Denkt man eher an Celans TODESFUGE, an ein Frühlingsgedicht von Hoffmann von Fallersleben oder eben an Dickis kleine Weihnachtsverse? Die bisher aufgeführten Kriterien wären demnach allesamt nur als Tendenzen51 zu verstehen, die zudem auch historisch und kontextuell differieren.

Manche Texte sind aber für jedermann als Gedicht zu erkennen, wie eben jener von Conrad Ferdinand Meyer, der in diesem Buch als ständig befragter Gesprächspartner dient.

Zwei Segel

Zwei Segel erhellend

Die tiefblaue Bucht!

Zwei Segel sich schwellend

Zu ruhiger Flucht!

Wie eins in den Winden

Sich wölbt und bewegt,

Wird auch das Empfinden

Des andern erregt.

Begehrt eins zu hasten,

Das andre geht schnell,

Verlangt eins zu rasten,

Ruht auch sein Gesell.

Zwei Segel

Hier wird augenscheinlich beinahe jedes genannte und erdenkliche Kriterium eines Gedichtes erfüllt: Von der deutlichen Versstruktur, zu den Reimen, zum irgendwie „gefühligen“ Inhalt, zur konventionell „poetischen“ Sprache mit ihren bedeutungsschwangeren Segeln und Winden, usw. Der Text erscheint mir als solches Ideal-Gedicht, dass er selbst den bis hierhin so deutlich erscheinenden Widerspruch aufzulösen vermag, zwischen der angeblich notwendig suggestiven, unvermittelt wirksamen „Musikalität“ von Gedichten und ihrer angeblich ebenfalls notwendigen Hermetik und Widerständigkeit. Er wirkt nämlich irgendwie sangbar, melodisch und subtil und zugleich auch etwas kryptisch, anspruchsvoll und bedeutungsoffen.

Daraus ergibt sich auch, dass die Beantwortung der eingangs gestellten Frage, woran man denn ein Gedicht nun eindeutig als solches erkennen kann, für ein Gespräch mit dem Text von ernüchternd nachrangiger Dringlichkeit zu sein scheint. Die Frage „Ist das ein Gedicht?“ beantwortet sich mit einem unaufgeregten „ja“. Glücklicherweise sind uns beim Versuch einer Beantwortung etliche spannendere Fragen begegnet, die sich durchaus zu stellen lohnen, z. B.:

–Wovon handelt der Text?

–Wie ist er formal gestaltet?

–Wer äußert ihn?

–Welche Situation referiert er?

–Wann ereignet er sich?

–Welche Vokabeln und Sprachregister werden benutzt?

–Wie gebraucht er die Sprache?

–Mit welchen poetischen Verfahren und nach welchen Anordnungsregeln wurde er verfasst?

–Welche Assoziationen weckt er?

–Wie verhalten sich seine unterschiedlichen „Kanäle“ zueinander?

–Hat er eine Zweitbedeutung? Und wenn ja, welche?

–Welche Funktionen erfüllt er?

–Welche Sprechakte stellt er aus?

–Wird er gehört oder gelesen?

–In welchen Kontext gehört er und in welchem wird er geäußert?

–Wie wirkt er auf mich?

–Wie gehe ich mit ihm um?

–usw.

Fragen dieser Art erweisen sich im Umgang mit Texten erfahrungsgemäß als durchaus anregend. Natürlich ist nicht jede für jedes Gespräch gleich produktiv und je nachdem, welche man stellt, entwickelt sich eine unterschiedliche Gesprächsdynamik. Häufig ist es sinnvoll, sich vom eigenen Erkenntnisinteresse leiten zu lassen, manchmal allerdings auch, ein paar Fragen „ins Blaue hinein“ zu stellen.

Erstverständnis

Zu Beginn empfehle ich stets, sich seines Erstverständnisses des Textes bewusst zu werden, grundsätzliche Verständnisprobleme mit einzelnen Wörtern auszuräumen (etwa mittels Lexikon und Wörterbuch) und erste Beobachtungen und Auffälligkeiten festzuhalten. Offensichtlich handelt es sich um einen Text über zwei Segelboote in einer Bucht, die sich vom Wind getrieben stets gleichartig bewegen. Bereits beim ersten Lesen wittere ich zudem eine „heimliche“ Metaphorik, nach der die Segel wohl stellvertretend für zwei Menschen stehen; womöglich um zwei in enger Beziehung zueinander. Um das Gespräch mit dem Text nicht enden zu lassen, bevor es überhaupt begonnen hat, notiere ich mir ein paar Fragen, die sich für mich aus meinem Erstverständnis ergeben, z. B.: Wieso handelt der Text von zwei Segelbooten, wenn es doch anscheinend um Menschen geht? Wie kommt der Eindruck einer zweiten Bedeutungsebene zustande? Um was für eine Art von Beziehung handelt es sich? etc. Diese möchte ich im Laufe des Gesprächs mit dem Gedicht nach Möglichkeit klären. Dabei muss ich allerdings aufpassen, mein Erstverständnis nicht allzu selbstbewusst als einzig mögliche Verständnismöglichkeit anzunehmen und dabei Unverständlichkeiten und Ambiguitäten zu übersehen. Oft ist es sehr hilfreich und ergiebig, auch andere nach ihrem Ersteindruck zu befragen und den Kreis der Gesprächsteilnehmer zu erweitern. Vielleicht haben diese einen wesentlich anderen Ersteindruck, der sich produktiv abgleichen ließe.

In einem zweiten Schritt versuche ich in der Regel, den Text inhaltlich zusammenzufassen. Mein Angebot für die erste Strophe lautet knapp: Zwei Segelboote fahren in eine Bucht. Bei näherem Hinsehen muss ich mich (und den Text) allerdings fragen, wieso ich so selbstverständlich davon ausgehe, dass es sich um zwei Boote handelt. Könnte mit den zwei Segeln nicht auch ein Boot mit zwei Masten bezeichnet sein? Denkbar wäre auch, dass es sich nur um ein Boot mit einem Segel handelt, das sich im Wasser spiegelt und dadurch die zuvor dunkle Wasseroberfläche erhellt. Wenn ich Studierende nach ihren Vorstellungen befrage, geben in Regel etwa genauso viele ein wie zwei Boote an. Gegenüber meiner Inhaltsangabe ließe sich auch einwenden, dass das (die) Boot(e) nicht einführe(n), sondern sich bereits in der Bucht befände(n) oder gar unmittelbar davor stünde(n) aufzubrechen. Für die „Einfahrtshypothese“ spricht der Vorgang des Erhellens (Z. 1): die zuvor dunkle Bucht wird demnach durch die eben auftauchenden (womöglich weißen) Segel erhellt und damit der Ankunftsmoment markiert. Auf der anderen Seite scheint mir der Vorgang des „sich zur Flucht Schwellens“ (Z. 3) als Marker des unmittelbar bevorstehenden Aufbruchs. Warum dieses merkwürdige Changieren zwischen Ankunft und Abfahrt?, notiere ich mir als offene Frage an den Text.

Inhaltsangabe

Die Inhaltsangabe der beiden Folgestrophen birgt für mich indes weniger Diskussionsstoff und lautet in etwa: Beide Segel verhalten sich jeweils synchron, d. h. sie wölben sich im Wind jeweils genauso stark oder schwach bzw. bewegen sich genauso schnell oder langsam wie das andere. Mit diesen Erstbefunden auf dem Zettel widme ich mich meinem ersten Beobachtungsaspekt: der sprachlichen Medialität.

1Vgl. etwa die derzeitigen Definitionsbemühungen des DFG geförderten NETZWERKS LYRIKOLOGIE. KONTUREN EINES FORSCHUNGSFELDES.

2Vgl. etwa Dieter Burdorf: „Lyrik ist die literarische Gattung, die alle Gedichte umfaßt“ (Burdorf 2015, S. 20).

3Klotz 2011, S. 32.

4Lamping 1989, S. 63.

5Burdorf 2015, S. 21.

6Lamping 2007, S. 669.

7Beim konsonantischen Reim unterscheiden sich die Reimwörter nicht wie beim Endreim im Anlaut, sondern im Vokal der Stammsilbe (siehe Kap. 10).

8Vgl. etwa Strobel 2015, S. 23.

9Vgl. etwa Pfeiffer 2010, S. 54.

10Vgl. etwa den Begriff der lyrischen Präsenz bei Petra Anders (Anders 2013, S. 46).

11Schläbitz 2007, S. 10. Schlaffer zufolge sind Gedichte weniger stark von ihrem historischen Kontext beeinflusst als alle anderen Textsorten: „Alle Werke sind geschichtlich lokalisiert, aber sie gehen nicht in dieser Umgebung auf. Bereits durch ihre immanenten Formstrukturen (z. B. Metrum und Reim) heben sie sich bewußt als imaginative Synthesen inselhaft aus dem Fluß der Geschichte heraus.“ (Schlaffer 1985, S. 394).

12Bode 2001, S. 14.

13Volker Klotz spricht in diesem Zusammenhang etwa von der „All- und Alleinperspektive“ des lyrischen Ichs wie auch von dessen „All- und Alleinstimme“ (Klotz 2011, S. 35).

14Spinner 1975, S. 17.

15Vgl. etwa Waldmann 2003, S. 111 oder Schlaffer 1995, S. 40.

16Vgl. etwa Müller 2011, S. 19.

17Pielow 1978, S. 47.

18Vgl. etwa Crystal 1993, S. 73.

19Werner 2010, S. 5.

20Klotz 2011, S. 47.

21Vgl. etwa Kliewer und Kliewer 2002, S. 177.

22Vgl. etwa Kaspar Spinner: „In der Prägnanz lyrischer Sprache liegt begründet, daß Verse häufig zu einem Aha-Erlebnis führen: Der Leser findet plötzlich treffend in Sprache gefaßt, was er erlebnismäßig diffus erfahren hat.“ (Spinner 2008, S. 6).

23Vgl. etwa Anders 2013, S. 49. Hartmut Vollmer spricht sich zu Beginn seiner Verstheorie generell für eine deutlichere Bewusstmachung des liedhaften Wesens von Versen aus. Schließlich würden Verse „normalerweise gesungen“ (Vollmar 2008, S. 5) und auch der literarische Sprechvers habe sich „überall aus dem gesungenen Vers entwickelt“ (ebd.).

24Vgl. vor allem Fricke 1981.

25Anders 2013, S. 76.

26Vgl. etwa Link 1976, S. 37.

27Kliewer und Kliewer 2002, S. 105.

28Vgl. etwa Kammler 2009, S. 5.

29Hempfer 2014, S. 30.

30Vgl. etwa Pielows Rede vom „non plus ultra der Absichtslosigkeit“ bei Gedichten (Pielow 1978, S. 47).

31Culler 2008 [1997], S. 116.

32Jakobson 1972, S. 108.

33Vgl. etwa Wolf 2005.

34Vgl. etwa Pielow 1978.

35Vgl. etwa Bode 2001, S. 14.

36Christoph Bode führt hierzu aus: „Nicht-trivial ist dagegen der Nachweis, daß man Leser allein durch die Suggestion, es handle sich bei einem beliebigen Text um einen poetischen, dazu bringen kann, ihn auf bestimmte Weise recht produktiv und erhellend zu entschlüsseln – auf eine Weise, die gerade seine ‚poetischen‘ Qualitäten würdigt“ (ebd., S. 13).

37Weimar 2002, S. 110.

38Vgl. Zabka 2005, S. 79 f.

39Kammler und Noack 2012, S. 6.

40Binder und Richartz 1984, S. 14. Ähnliche Überlegungen finden sich bereits bei Juri M. Lotman: „Wir brauchen den Text jedoch nur als poetischen zu identifizieren, und sofort tritt die Präsumption in Kraft, daß alle in ihm vorkommenden Geordnetheiten einen Sinn haben“ (Lotman 1972, S. 161).

41Binder und Richartz 1984, S. 14.

42Rühmkorf kommentiert diesen vermeintlichen Widerspruch zwischen der strengen Form und dem derben Inhalt des Kindergedichts wie folgt: „Noch das plumpste Bemühen um Reim und rhythmische Gliederung verweist auf die Schranken, die die Ungezogenheit sich setzt. Noch der rüdeste Anstandsverstoß respektiert im Versmaß ein höheres Ordnungsprinzip“ (Rühmkorf 1967, S. 61).

43Spinner 2008, S. 12.

44Pielow 1978, S. 39.

45Vgl. hierzu die berühmten Kritiken an Gedichtinterpretationen von Susan Sontag (Sontag 1966) oder Hans Magnus Enzensberger (Enzensberger 1982). Vgl. auch das spöttische Gedicht GEDICHTBEHANDLUNG von Bernd Lunghard.

46Staiger 1953, S. 11.

47Petra Anders schlägt dieses Vorgehen etwa für unser Beispielgedicht ZWEI SEGEL vor (Anders 2013, S. 9).

48Vgl. etwa Kliewer und Kliewer 2002, S. 27. Vgl. auch die sinnvolle Unterscheidung von „Analyse und Mimese“ des Literaturdidaktikers Ulf Abraham (Abraham 1996, S. 173 ff.).

49Reiner Werner schreibt diesbezüglich enthusiastisch: „Es ist immer wieder verblüffend zu sehen, wie bei Schülern die Fähigkeit im Verständnis von Gedichten zunimmt, wenn sie anfangen, selber Gedichte zu schreiben. Der Einblick in die ‚Werkstatt‘ des Dichtens setzt bei Schülern nicht nur kreative Kräfte frei, sie macht sie auch sensibler für die Techniken, die andere Dichter, die großen zumal, bei ihren Gedichten angewendet haben“ (Werner 2010, S. 67).

50In diesem Zusammenhang sind Susann Körners Kassenzettel-Gedichte sehr zu empfehlen (Körner 2001).

51Vgl. hierzu auch Müller-Zettelmann 2000, 67 f.

Sprachbewusste Gedichtanalyse

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