Читать книгу Parlamentsfraktionen - Fedor Ruhose - Страница 8
Einleitung
ОглавлениеDieses Buch beschreibt den Maschinenraum der deutschen Politik. Denn dort arbeiten – abseits vom öffentlichen Interesse – die Abgeordneten an der Gestaltung der deutschen Politik. Oppositions- und Regierungsfraktionen tragen große Verantwortung für unser Zusammenleben. Ihr Wirkungskreis ist das Parlament, in dem es einem weitverbreiteten Mythos zum Trotz eben nicht nur um den öffentlichen Streit geht. Vielmehr sind Parlamente zusätzlich »Gesetzeswerkstatt und Kontrollinstanz« (Schäfer 2020: 2). Diese beiden wichtigen Funktionen übernehmen in unserem Parlamentarismus die sich freiwillig zu Fraktionen zusammenschließenden Abgeordneten. Doch wie kommt es zu den Ergebnissen oder der Kritik an der Regierung, über die Deutschland dann diskutiert und die in Wahlen als »gut« oder »schlecht« bewertet werden können?
Gebe es keine Zusammenschlüsse von Abgeordneten, man müsste sie wohl erfinden, um unserer parlamentarischen Demokratie eine funktionierende Arbeitsweise zu geben. Denn Fraktionen geben Abläufe, Struktur, sortieren politische Debatten vor und tragen zur politischen Meinungsbildung bei. Ein Blick in die Geschichte des deutschen Parlamentarismus weist der Möglichkeit der Bildung von Fraktionen ein klar emanzipatorisches Moment unserer Demokratisierung zu. Dennoch sind die Fraktionen »sowohl in der Parteien- als auch in der Parlamentsforschung vielfach zu kurz gekommen« (von Beyme 2000: 167).
In seinen Erinnerungen gibt Wolfgang Schäuble seine Abschiedsrede als Fraktionsvorsitzender am 22. Februar 2000 wieder. Für ihn sei die Fraktion immer »eine besonders schöne politische Führungsaufgabe« (Schäuble 2000: 278) gewesen. Gleichzeitig beschreibt er die Fraktion im Allgemeinen als »das schwierigste aller Gremien, dass ich jemals zu leiten gehabt hatte« (ebd.). Einig sind sich auch die Beobachter der Berliner Politik, »daß es kompliziertere psychologische Gruppenbildungen kaum gibt« (Hofmann 1994: 325). Auch wenn Fraktionen oftmals ein »Schattendasein« (ebd.) führen, gilt, dass sie einer der zentralsten Akteure unseres politischen Systems sind.
Sind die »Parteien im Parlament« normalerweise »Stiefkinder« (Schüttemeyer 1997) der Politikwissenschaften, so haben in jüngster Zeit insbesondere Vorgänge in den Landesparlamenten, wie beispielsweise um die Wahl des FDP-Politikers Kemmerich zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten von Thüringen, die Diskussionen um die Parlamentskontrolle im Verlauf der Corona-Pandemie und die Weigerung der CDU-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt, den Rundfunkbeitrag zu erhöhen, den Scheinwerfer wieder auf die Rolle der Parlamentsfraktionen in unserem politischen System gelegt. Das Zustandekommen der Ampel-Koalition auf Bundesebene hat den Blick ebenfalls auf »die wahren Machtzentren« dieser Konstellation gerichtet (Doll et al. 2021b). Fraktionen sind einer der wichtigsten und gleichzeitig unbekanntesten »Machtfaktoren« (Schwarz 2009) der Politik. Wichtige Politikerinnen und Politiker bekleideten Ämter in der Fraktionsführung – Kohl, Schmidt und Merkel waren vor ihrer Kanzlerschaft auch Fraktionsvorsitzende ihrer Bundestagsfraktionen und viele Ministerpräsidenten waren vor ihrer Amtszeit ebenfalls Vorsitzende ihrer Landtagsfraktionen.
Der ehemalige Bundestagsfraktionschef der SPD, Peter Struck, formulierte den Anspruch seiner regierungstragenden Fraktion im »Struckschen Gesetz«: Kein Gesetz verlasse das Parlament in der Form, in der es zum ersten Mal beraten wurde (Bicher 2018). Meinel (2019: 169) weist darauf hin, dass man eines Tages erfahren werde, »[w]ie weit zum Beispiel Angela Merkels Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik im Verlauf des Jahres 2016 auch aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion heraus erzwungen wurde«. Die Fraktionen wissen um ihre besondere Position als wichtige Machtzentralen in unserer parlamentarischen Demokratie.
»Als die Grünen sich 1998 in Bonn von einer Oppositions- in eine Regierungsfraktion wandelten, nahm Peter Struck, damals Fraktionschef der SPD, seinen grünen Amtskollegen Rezzo Schlauch zur Seite: ›Du weißt schon, dass du jetzt der zweitwichtigste Mann in Bonn bist?‹, so Struck. Für den wichtigsten Mann hielt Struck sich selbst.« (Doll et al. 2021 b: 5).
Fraktionen verrichten ihre Arbeit im Maschinenraum der Politik. Zwar geht es im Parlament natürlich um die große Rede und die großen Linien in der Politik. Es wird aber sehr schnell konkret und fassbar, wie Politik »wirklich« funktioniert, wenn man sich mit dem Alltag der Fraktionen befasst: Wie sind sie aufgebaut? Durch welche Arbeitsweise zeichnen sie sich aus?
In diesem Buch soll die Rolle von Fraktionen im parlamentarischen System vorgestellt werden. Das geschieht in zwei Teilen, die sich an den genannten Fragen orientieren: Im ersten Teil werden die juristischen und formalen Grundlagen für die Bildung und die Arbeit einer Fraktion dargestellt. Dabei wird auch das Spannungsfeld zwischen den Rechten der freigewählten Abgeordneten und ihrem Zusammenschluss zu einer schlagkräftigen Einheit, der Fraktion, beleuchtet. Der zweite Teil wirft einen Blick auf die vielfältigen konkreten Arbeitsfelder der Fraktionen im parlamentarischen Alltag und stellt dar, wie politische Meinungsbildung und Entscheidungsprozesse in der Praxis ablaufen.
Die Intention dieses Buches folgt der Einschätzung von Raschke zur Rolle der Fraktionen:
»Was heute wie ein bloßes technisches Hilfsmittel aussieht, ohne das man ein Parlament nicht betreiben kann, ist eine höchst voraussetzungsvolle Institution, die sich historisch gesehen keineswegs von selbst verstand und zu der es Alternativen gab.« (Raschke 2020: 437)
Historisch hat sich die Fraktion als die entscheidende Form der Koordination der Abgeordneten durchgesetzt. Dieses Buch ist aber keine historische Ausarbeitung zum Parlamentarismus. Es ist auch keine rein juristische Darstellung über Recht und Rechtsstellung der Fraktionen, sondern bezieht die politische Dimension mit ein. Dabei geht es um Fragen, wie Fraktionen politisch wirken, wie sie »ticken« und warum sie einen großen Einfluss auf die Politikgestaltung haben, obwohl ihre Vorsitzenden oder die Abgeordneten nur selten große mediale Wirkung entfalten. In diesem kurzen Lehrbuch sollen Fraktionen als besondere Machtfaktoren deutscher Politik dargestellt werden.
Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Fraktionen. Gerade, wie sie ihre Arbeit organisieren, unterscheidet sich oftmals sehr deutlich und es gibt keinen »verbindliche(n) Bauplan« (Schäfer 2020: 2) für Fraktionsarbeit. Aber es gibt eine Reihe von allgemeinen Entwicklungen, die, schematisch dargestellt, helfen können, die Arbeit innerhalb des politischen Systems und innerhalb der so zentralen 1. Gewalt, der Legislativen, zu verstehen. Dabei werden politikwissenschaftliche Überlegungen mit Beobachtungen aus dem parlamentarischen Alltag verbunden. Dieser Blick erscheint angebracht, da sich in der »komplexen Republik« (Höreth 2016) aufgrund des Wandels des Parteiensystems immer mehr lagerübergreifende Regierungskoalitionen herausbilden und diese der Koordination der Fraktionen eine noch größere Bedeutung verleihen. Gleichzeitig verändern sich dadurch auch die Anforderungen an die Oppositionsfraktionen.
In der politikwissenschaftlichen Literatur ist das letzte einführende Werk über die Parlamentsfraktionen von 1992 (Kretschmer 1992). Seitdem hat sich einiges getan. Zwar gibt es grundlegende wissenschaftliche Werke über die Arbeitsweise der Fraktionen (Schüttemeyer 1997, Krahnenpohl 1999) und kurze Darstellungen im Rahmen der Einführungen in das politische System. Auch gibt es umfassende Dissertationen zu dem Thema, die zeitlich im Umfeld der Konkretisierungen des Abgeordnetengesetzes Mitte der Neunziger Jahre entstanden sind. Allerdings stellt keine Monografie auf eine kurze und allgemeinverständliche Darstellung von Bedeutung, Arbeitsweise und Wandel der Aufgaben von Parlamentsfraktionen ab. Zu erwähnen sind aber die lesenswerten Blog-Beiträge von Jan-Philipp Roth (2013 a, 2013 b, 2013 c) auf dem Spreepublik-Blog, die sich sehr anschaulich mit dem Maschinenraum Fraktion befassen. Kurz gesagt: Nahezu jedes juristische Problem mit Blick auf die Fraktionen ist umfassend analysiert worden, die politische Bedeutung von Fraktionen ist jedoch selten Gegenstand der Analyse und wissenschaftlichen Darstellung. Dieses Buch soll helfen, diese Lücke etwas kleiner zu machen.
Der Autor war selbst viele Jahre als Fraktionsgeschäftsführer tätig. Er war und ist somit auch in den hier skizzierten Kontroversen eine beteiligte Partei und vertritt Interessen. Versucht wurde dennoch (und es gelang hoffentlich), neutral die Konfliktlinien darzustellen. Denn sie sind wichtig und es ist richtig, dass es darüber den öffentlichen Streit gibt. Wie sich die Mittelverwendung der Landtagsfraktion darstellt, für die der Autor Mitverantwortung getragen hat, kann transparent in den entsprechenden Drucksachen des Landtags nachgelesen werden. Der aktuelle Prüfbericht des Rechnungshofs für die Zeit seiner Arbeit in der Fraktion ist mit allem Lob und Tadel unter der Drucksache 17/13403 des Landtags Rheinland-Pfalz abrufbar.
Dieses Buch lebt von den vielen gemeinsamen Fraktionserlebnissen mit Alexander Schweitzer und Martin Haller, der großartigen SPD-Landtagsfraktion Rheinland-Pfalz und »meinem« Team in der Geschäftsstelle. Es lebt von dem Wissen und dem freundschaftlichen Austausch mit erfahrenen Akteuren im Parlamentsbetrieb wie Volker Perne, Uschi Molka, Lars Brocker und meinem »parlamentarischen Lehrmeister«, Carsten Pörksen. Dazu gehören ebenso der Dialog mit den Koalitions- und Oppositionsfraktionen sowie meinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen im Bundestag und den Landtagen. Alle Fehler und Ungenauigkeiten in diesem Buch liegen selbstverständlich ausschließlich in meiner Verantwortung.