Читать книгу Anja und das Reitinternat - Auf gut Glück - Feli Fritsch - Страница 6

Déjà-Vu

Оглавление

Bevor Phil am Freitagnachmittag am Reitinternat ankommen sollte, erlebte ich jedoch noch mal einen Höhepunkt in meiner Reitkarriere. In den letzten beiden Schulstunden am Freitag hatten Amelie, Celina, Olli und ich Theorieunterricht und am Ende hatte Mama noch eine kleine Überraschung für mich und Amelie.

„Da die Turniere beim Willkommensturnier von FN-Richtern abgenommen werden und Amelie und Anja in ihren M-Prüfungen beide platziert wurden, bekommen sie von der Reiterlichen Vereinigung beide die Leistungsklasse 4 überreicht. Amelie in der Dressur und Anja im Springen. Herzlichen Glückwunsch“, Mama lächelte, als sie uns die neuen Reitausweise überreichte.

„Was bringt das denn für die beiden?“, rief Konstantin in die Klasse.

„Das erzählen wir euch übernächste Woche in unserem Vortrag“, grinste Oliver und kippelte mit seinem Stuhl, so wie er es immer tat … bis er mal auf den Kopf fallen würde.

„Wir dürfen jetzt ganz offiziell L und M reiten, jedenfalls in unseren Disziplinen. Außerdem sind wir teilweise auch schon S-Prüfungen zugelassen“, erklärte ich dennoch, weil ich mir sicher war, dass die Klasse es sonst dann nicht mehr verstehen würde.

„Ah. Danke, Anja“, lächelte mir Konstantin zu und Olli verzog das Gesicht.

„Das hätte ich auch gewusst“, murmelte er und ich musste ein Kichern unterdrücken. „Das ist nicht lustig“, fand Olli und ließ sich zurück auf die Ausgangsposition seines Stuhls sinken.

„Doch, finde ich schon“, erwiderte ich zwinkernd und schlug mein Theorieheft zu, weil Mama uns bereits entlassen hatte. Nach ein paar Sekunden ertönte der Gong, der und lockend rief: Mittagessen!

Da Phil Mathe-Ausfall gehabt hatte, konnte er bereits am späten Nachmittag am Reitinternat sein. Papa holte ihn mit mir gemeinsam vom Bahnhof ab, nachdem ich Sky bereits ablongiert hatte. Was ich heute mit Boreo noch anstellen wollte, war klar: Springtraining!

„Hey, meine Süße!“ Phil ließ seine Tasche sinken und nahm mich fest in den Arm. „Schön, dich wiederzusehen“, sagte er grinsend und als ich ihn ansah, küsste er mich.

„Ich bin froh, dass das dieses Wochenende geklappt hat“, erwiderte ich und nahm seine Hand.

„Lasst uns fahren, damit wir nicht in den Stau kommen“, meinte Papa hinter uns und wir nickten nur stumm.

„Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt“, flüsterte ich Phil zu und er lachte.

„Herzlichen Glückwunsch übrigens zu deinem Sieg in der Prüfung mit Sky“, sagte er dann zu mir.

„Vielen Dank. Ich fand es ganz gut als Saisonabschluss. Jetzt habe ich genug Zeit, um Sky auf L hin zu trainieren und Boreo fit für die Meisterschaften zu machen“, erklärte ich ihm freudestrahlend, obwohl sich die Sonne schon seit zwei Tagen nicht mehr blicken gelassen hatte.

„Meisterschaften?“ Phil runzelte die Stirn. Upps, jaa, ich hatte ihm noch gar nichts davon erzählt.

„Ich will mich mit Boreo für die Ponyjugendmeisterschaften der Springreiter qualifizieren. Dieses Jahr darf ich noch als U16 starten und ab Sommer ist Boreos Rente eingeläutet, was die großen Prüfungen angeht. Ich will mit ihm dann nur noch bei leichteren Turnieren starten“, berichtete ich ihm schließlich und Phil nickte verständnisvoll.

„Das verstehe ich. Ein letztes Mal richtig durchzustarten, bevor du dich mit einem richtigen Pferd neu hochkämpfen musst, ist sinnvoll“, lächelte Phil. „Du weißt, dass ich dich immer unterstütze“, er küsste mich.

„Ja“, ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter. „Und das finde ich wirklich toll an dir!“

„Mmm“, Phil vergrub kurz seinen Kopf in meinen Haaren, die ich heute offen trug, dann sah er mich unternehmungslustig an. „Und was hast du heute noch vor?“

„Ich wollte mit Boreo trainieren, wenn es für dich okay ist. Ich habe das neben Sky heute echt nicht mehr geschafft“, ich sah ihn vorsichtig an.

„Klar, gar kein Thema“, lachte Phil und schloss die Autotür.

Papa ließ uns am Hof alleine und wir brachten zunächst Phils Taschen in mein Zimmer. Auf dem Weg in den Stall begegneten wir Cedric, der mit Spirit von den Koppeln kam. Ich wusste, dass er jetzt mit Papa trainieren würde, denn der erste Kaderlehrgang war kurz nach den Kölner Weihnachtsturniertagen vor Weihnachten, bei dem sich unser Internat auch qualifizieren konnte. Bei den Turniertagen starteten Reitschulteams in den drei Sparten Dressur, Springen und Gelände. Alle drei Internatsmannschaften wurden von drei unserer Reitlehrer trainiert. Die Turniertage gehörten definitiv zu den spannendsten Highlights in der Turniersaison.

„Hi, Cedric. Herzlichen Glückwunsch zur Aufnahme in den Kader. Du hast es wirklich verdient“, Phil war stehengeblieben, als er meinen Bruder erreicht hatte.

Ein Strahlen breitete sich auf Cedrics Gesicht aus. „Vielen Dank, Philipp“, sagte er und begrüßte ihn wie immer mit Handschlag. Da Cedric Vielseitigkeitsreiter war und sich nicht für eine Sparte für die Internatsmannschaft entscheiden wollte, war er lediglich als Ersatzspieler gemeldet und bemühte sich seit einem Jahr, eine Vielseitigkeitsmannschaft auf die Beine zu stellen, die auch an internationalen Turnieren wie der Europameisterschaft starten könnte. Allerdings war Cedric der einzige Vielseitigkeitsreiter, der in den Kader aufgenommen wurde und somit die Chance auf eine Startberechtigung bei der EM hatte. Außerdem forderte solch eine Internatsmannschaft sehr viel Arbeit und Training und die meisten Schüler, die gut genug wären, mussten sich langsam aufs Abitur konzentrieren.

„Ich wünsche dir viel Erfolg im Kader und bei den Meisterschaften. Du startest doch bestimmt wieder, oder?“, fragte Phil weiter nach.

„Aber klar. Als Titelverteidiger muss ich wieder an den Start“, er zwinkerte meinem Freund zu, dann sagte er noch: „Ich hoffe, dass ich dich auch irgendwann auf so ein Event mitnehmen kann. Unser Internat täte gut an einem solchen Dressurreiter wie dich.“ Cedric wartete kurz seine Reaktion ab.

„Ja, wäre auch für mich ganz cool“, war Phils Antwort und ich musste feststellen, dass ihm Cedrics Einschätzung doch näherging, als ich angenommen hatte.

„Wir werden sehen“, mischte ich mich ein, um mit Phil zu Boreo zu kommen und um ihn aus der schmerzlichen Situation zu befreien. Außerdem wollte ich Cedric garantiert nicht vom Training fernhalten.

Cedric verabschiedete sich von uns und ich fing Boreo ein. Als wir mit ihm in den Stall kamen, war Cedric mit Spirit bereits in der Reithalle, sodass wir den Privatstall für uns alleine hatten.

„Du hast vorhin auf Cedrics Aussage hin so seltsam reagiert“, fing ich an, weil mir nicht mehr aus dem Kopf ging, wie traurig mein Freund geguckt hatte.

„Ja, das stimmt“, erwiderte er und senkte den Arm, an dessen Hand er Boreos Mähnenkamm hielt. „Weißt du, Anja … ich … ich habe viel nachgedacht und … ich kann das mit dieser Fernbeziehung nicht mehr“, sagte er und wandte den Blick von mir ab.

„W-was? Willst du … etwa Schluss machen?“ Mir war urplötzlich wirklich schlecht und vor meinen Augen drehte sich auf einmal alles.

„Nein, nein, um Gottes Willen!“ Als Phil meine Reaktion bemerkte, drang wieder Bewegung in seinen Körper. Er ließ den Mähnenkamm fallen und kam um Boreo herum auf mich zu. Er nahm mich ganz fest in den Arm. „So meinte ich das doch gar nicht“, er strich mir liebevoll mit der Hand über den Kopf. „Meinst du, ich sage zu dir am Bahnhof Ich liebe dich und dann will ich mit dir ein paar Stunden später Schluss machen?“

„Deshalb wundert es mich“, erwiderte ich leise.

„Ich meinte mit meinem etwas unsensiblen Satz, dass ich keine Lust mehr auf die Entfernung zwischen uns habe. Wir haben eine super Grundlage, das Internat, auf dem wir beide wohnen könnten. Ich würde es tun. Wieso machen wir es denn dann nicht?“ Philipp lächelte mir zu.

„Weil deine Eltern es nicht wollen“, meinte ich seufzend.

„Und weil ich das nicht nachvollziehen kann, werden wir jetzt zusehen, dass ich zu dir ziehe“, Phil küsste mich demonstrativ und ich fühlte mich auf einmal wie in einem Déjà-Vu. Zunächst dachte ich, dass sei, weil er das schon mal zu mir gesagt hat, dann dachte ich an einen Traum. Erst dann fiel mir blitzartig wieder ein, woher ich diesen Satz kannte: ich hatte ihn selbst zu Amelie gesagt!

„Anja, alles okay? Du wirkst so abwesend“, riss mich Phil plötzlich aus meinen Gedanken.

„Äh ja, alles gut. Ich finde es gut, dass du das sagst. Ich hatte keine Lust mehr, dir damit hinterherzurennen“, gab ich zu.

„Na, was ein Glück, dass ich gemerkt habe, dass es nun an mir liegt“, er zwinkerte mir zu, dann küsste er mich und wir drehten uns kurz um seine Achse.

„Ich liebe dich, Phil. Bitte mach nicht wegen dieser Fernbeziehungssache Schluss.“ Ich wurde wieder ernst.

„Keine Sorge. Dafür liebe ich dich zu sehr.“ Ein letzter Kuss, dann griff er sich wieder eine Bürste und wir machten Boreo fürs Springtraining fertig.

Es war zwar eiskalt draußen, aber das hielt Phil und mich nicht auf, uns kurz vor Mitternacht auf meinen kleinen Balkon zu stellen und den Sternen zuzusehen.

„Zum Glück ist heute eine klare Nacht“, flüsterte mein Freund mir zu und drehte sich kurz um zur Tür, die zurück ins Zimmer führte und die wir angelehnt hatten.

„Da hast du recht. Sonst hätten wir uns hier den Hintern abgefroren“, erwiderte ich und folgte seinem Blick. „Was ist?“

„Wollen wir die Stühle zur Seite räumen und uns eine Decke auf die Erde legen? Dann können wir uns dort hinlegen. Das Stehen wird mir nämlich ein bisschen zu anstrengend“, gab er zu.

„Und du willst Sportler sein?“, lachte ich und zog die Tür auf, um eine alte Picknickdecke zu holen. Phil schnappte sich unsere Bettdecken und zwei Kissen, dann machten wir es uns auf den kalten Dielen des Holzbalkons gemütlich.

„Kannst du es mir verübeln?“, wollte Phil dann wissen und legte einen Arm um meine Schulter. Ich kuschelte mich zu ihm.

„Ein klitzekleines bisschen. Aber ich hatte auch keine Lust mehr, die halbe Nacht hier rumzustehen, deshalb fand ich deine Idee gut“, erwiderte ich an seiner Schulter und legte meinen Arm um seine Brust. Phil lachte und ich nahm jeden seiner Atemzüge wahr.

„Wie fändest du es, wenn wir das jeden Tag machen könnten?“, fragte Phil nach einer Pause.

„Was?“

„Das hier. Nachts rausgehen und sich die Sterne anschauen“, antwortete er.

„Das wäre cool. Meinst du damit, weil du dann hier wohnen würdest?“, hakte ich nach.

Philipp nickte. „Richtig. Ich fände das super“, er drehte seinen Kopf und wartete, bis ich ihn ansah, dann küsste er mich auf den Mund. Lange und vorsichtig.

„Könntest du dir vorstellen, eines Tages Internatschef zu werden? Und die Zucht und Ausbildung zu übernehmen?“ Ich öffnete die Augen, als Phil von mir abließ und mich in der Dunkelheit ansah, die lediglich vom Licht aus meinem Zimmer leicht erhellt wurde.

„Du meinst, wenn du das Internat von deinen Eltern übernimmst und ich dich bis dahin geheiratet habe?“ Er schmunzelte.

„Ja genau.“ Mein Blick lenkte sich auf Philipps Brust. Ich hatte den Reißverschluss seiner Jacke leicht geöffnet und darunter kam sein muskulöser Oberkörper zum Vorschein, der nur in einem dünnen weißen T-Shirt steckte. Mein Zeigefinger glitt vorsichtig die Rundungen seiner Muskeln entlang. Woher hatte er die bloß? Ging er neuerdings in die Muckibude?

„Könnte ich mir schon vorstellen“, sagte er nach einer Weile. „Und unsere Kinder reiten dann erfolgreich Dressur- und Springturniere mit ihren eigenen Pferden und vertreten das Internat auch in der Ausbildung unserer Nachwuchspferde. Du wirst Direktorin und ich Chef des Stalls“, Philipp grinste, als er sich ausmalte, wie unsere Zukunft – unsere gemeinsame Zukunft – aussehen könnte.

Ich musste lachen. „Unsere Kinder“, sagte ich dann leise.

„Was ist?“ Phil sah mich genau an.

„Naja. Für Kinder muss man ja erst mal …“ Ich brach ab.

„Du meinst … Sex haben?“

Ich starrte meinen Freund erstaunt an. „Ja, genau, das meinte ich … Wieso …?“

„Ach, Anja“, Phil lachte leise. „Das ist doch voll normal. Du bist ein Mädchen, ich bin ein Junge, wir sind seit über einem Jahr zusammen und wir werden älter. Hast du noch nie darüber nachgedacht?“

„Naja, schon, aber das ist nicht der Rede wert“, lenkte ich schnell ab. Amelies Pillenaktion hatte mich dermaßen verunsichert und ich fand nicht, dass es schon an der Zeit war, um über Dinge wie Sex und das erste Mal zu reden. Waren wir nicht beide noch viel zu jung dafür?

„Dir ist das unangenehm“, bemerkte Philipp amüsiert. „Aber das ist okay.“

„Wie meinst du das überhaupt? Hast du schon mal darüber nachgedacht oder wieso fragtest du?“ Ich war ein bisschen überfordert.

„Klar“, erwiderte Phil. „Recht viel sogar.“

Ich musste schlucken. Wollte Phil etwa …? Nein, das konnte ich mir doch nicht vorstellen. Aber andererseits: ich hatte auch nicht gewusst, dass diese Gedanken überhaupt in seinem Kopf rumspukten. Was war los? Wieso?

„Anja? Ist alles okay? Ich wollte dich damit nicht verunsichern“, Philipp richtete sich auf und lehnte seinen Rücken an die Hauswand. Er beobachtete mich dabei, wie auch ich mich hinsetzte.

„Amelie hat den Anfang getan. Sie hat sich die Pille verschreiben lassen und mich mit ihrer lockeren offenen Art schon ein wenig verunsichert. Und jetzt sagst du, dass du … mit mir … Das ist einfach so unvorstellbar für mich“, ich wandte den Blick ab und starrte über das Geländer hinaus auf die Koppeln. Es war stockfinster, man sah nur ein großes schwarzes Nichts.

„Aber ich will doch gar nicht jetzt … Anja!“ Phil schnappte sich meine Hand. „Ich finde nicht, dass jetzt der passende Zeitpunkt dafür ist“, sagte er dann ruhig.

„Aber …“ Ich wusste gar nicht mehr, was ich sagen sollte.

„Ich hab mit dem Thema doch nur angefangen, weil man doch vielleicht einfach mal darüber reden kann. Bis wir beide sechzehn sind, ist doch noch massig Zeit und selbst wenn du dann immer noch sagst, dass du nicht willst … glaubst du, ich trenne mich deshalb von dir?“ Phil sah mich abwartend an.

Ich zuckte nur die Schultern.

„Du kennst mich doch!“ Er zog mich zu sich und drehte mich mit dem Rücken so zu sich, dass er von hinten seine Arme um mich schlingen konnte. „Das würde ich nie tun!“

„Das ist beruhigend …“, sagte ich nur.

Phil seufzte. „Ich hätte nicht damit anfangen sollen …“

„Mach dir keine Vorwürfe!“ Jetzt war ich diejenige, die sich hektisch umdrehte. „Es ist okay.“ Ich drückte seine Hand, die vorsichtig meine genommen hatte. „Lass uns nur bitte einfach damit warten, bis der Zeitpunkt passt, ja?“

„Kein Problem!“ Phil zog mich in seine Arme und küsste mich. Wir waren uns auf einmal ganz nah und ich staunte über mich selbst, dass ich die Gedanken an das Gespräch gerade recht schnell wieder vergaß. Phil zog mich auf seinen Schoß und schlang seine Arme ganz fest um meine Hüfte. Der Kragen seiner Jacke kitzelte, als ich den Kopf neigte, um ihn gewähren zu lassen. Was war das bloß für ein seltsamer Tag voller Missverständnisse gewesen?

Anja und das Reitinternat - Auf gut Glück

Подняться наверх