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Was ist Verhaltenstherapie?

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Der allgemeine Begriff der Verhaltenstherapie bezeichnet ein sehr umfangreiches Spektrum von Methoden und Verfahren im Fachgebiet der Psychotherapie. Sie entstand ursprünglich aus der Schule des Behaviorismus, der für die Psychologie des 20. Jahrhunderts prägend war und wurde als Gegenbewegung zur Freud‘schen Psychoanalyse entwickelt. Denn während letztere sich vor allem mit Deutungen und Interpretationen zur Erklärung unbewusster seelischer Prozesse und Konflikte beschäftigt, konzentriert sich die behavioristische Psychologie primär auf die objektive Untersuchung von beobachtbarem und messbarem menschlichem Verhalten. Wissenschaftliches und empirisches Vorgehen spielen dabei eine zentrale Rolle; so sollen etwa Therapieerfolge objektiv nachvollziehbar gemacht werden, indem möglichst alle Veränderungen im Verhalten des Patienten zur Kenntnis genommen und dokumentiert werden. Auch aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und relevante Forschungsergebnisse aus der Biologie, der Medizin sowie der Psychologie und Psychiatrie werden in der Weiterentwicklung der Verhaltenstherapie stets miteinbezogen.

Trotz zahlreicher und teilweise gravierender Unterschiede in Bezug auf zugrundeliegende theoretische Annahmen und praktische Methoden und Anwendbarkeit im therapeutischen Alltag haben alle verhaltenstherapeutischen Verfahren gemeinsam, dass sie auf den Modellen der klassischen und operanten Konditionierung basieren und diese als theoretische Grundlage zur Erklärung der komplexen Abläufe in der menschlichen Psyche betrachten. Charakteristisch für sämtliche verhaltenstherapeutische Verfahren ist zudem deren methodischer Ansatz, einem Patienten Hilfe zur Selbsthilfe zu bieten, d. h. ihm sollen Techniken vorgeschlagen und angeboten werden, die ihn in die Lage versetzen, seine seelischen und emotionalen Probleme aus eigener Kraft zu überwinden und erfolgreich zu bekämpfen.

Ursprünglich basieren verhaltenstherapeutische Verfahren auf der Lerntheorie, die davon ausgeht, dass problematisches und störungsbedingtes Verhalten im Laufe des Lebens erlernt wurde und somit systematisch auch wieder verlernt (umstrukturiert) werden kann sowie stattdessen eher zielführende und angemessenere Denk- und Verhaltensweisen auch im Erwachsenenalter noch erlernt werden können. Die Grundannahme der Verhaltenstherapie besteht in der Erkenntnis, dass bestimmte Reaktionen auf Reize erlernt werden. Demnach können psychische Störungen entstehen, wenn Reaktionen, Denkmuster und Verhaltensweisen gelernt wurden, die sich langfristig als ungünstig und destruktiv herausstellen. Doch ebenso wie pessimistische und negative Inhalte der eigenen Gedankenwelt entsprechend ungünstige Verhaltensweisen und destruktive Überzeugungen (etwa bezogen auf den Selbstwert oder die Wahrnehmung und Interpretation des Verhaltens und der Reaktionen anderer Menschen sowie auch die eigene Außenwirkung auf diese) verursachen können, so kann umgekehrt eine gelungene Umstrukturierung hin zu optimistischen und konstruktiven Denkmustern auch das Gefühlsleben sowie das gesamte seelisch-körperliche Wohlbefinden positiv beeinflussen.

Erlernte ungünstige Denkmuster und Verhaltensweisen können also bewusst auch wieder verlernt oder verändert werden; dies ist das zugrundeliegende Prinzip der Verhaltenstherapie. Der Patient wird dabei am therapeutischen Prozesss miteinbezogen und aktiv beteiligt, indem er neue Verhaltensweisen und Denkmuster einübt und diese nicht nur im Rahmen der Therapiestunden anwendet, sondern auch außerhalb "seine Hausaufgaben macht" und das Gelernte in (immer wiederkehrenden) Situationen des alltäglichen Lebens umsetzt.

Verhaltenstherapeutische Verfahren werden u. a. mithilfe bestimmter Techniken wie etwa Konfrontationen mit auslösenden Situationen oder Stimuli (z. B. durch sogenannte Exposition oder systematische Desensibilisierung) sowie (im Sinne der klassischen Konditionierung) mithilfe der Verstärkung erwünschter Verhaltensweisen und der Eliminierung unerwünschter Verhaltensweisen praktiziert. Der Schwerpunkt verhaltenstherapeutischer Intervention liegt also auf "objektivem" und beobachtbarem Verhalten und dessen gezielter willentlicher Veränderung.

Der Ursprung der Verhaltenstherapie, die ebenso wie die Schule des Behaviorismus vom US-amerikanischen Psychologen John B. Watson begründet wurde, liegt (im Gegensatz zur intuitiven Vorgehensweise der tiefenpsychologisch orientierten Psychoanalyse) in der Grundannahme von der menschlichen Psyche als eine Art "Black Box", deren innere Vorgänge für andere Menschen ohnehin nicht nachvollziehbar seien und undurchschaubar blieben und deshalb gar nicht erst versucht werden sollte diese zu analysieren. Viele Verhaltenstherapeuten der ersten Stunde kritisierten die Tiefenpsychologie und die Psychoanalyse dahingehend, dass diese weitgehend auf Unterstellungen und Spekulationen basierten (Ödipuskomplex, Triebtheorie, Abwehrmechanismen etc.) und keine beobachtbaren, messbaren und empirisch belegbaren Fakten bieten können. Im Gegensatz dazu orientiert sich die Verhaltenstherapie deutlich stärker an neurologisch-neurobiologischen Modellen, bei denen die Beziehung zwischen einem bestimmten Reiz und der darauf folgenden messbaren Reaktion im Vordergrund stehen.

Statt also wie die Psychoanalyse eine tiefenpsychologische Selbsterkenntnis des Patienten zu fördern oder dessen unbewusste seelische Vorgänge zu analysieren, werden in verhaltenstherapeutischen Verfahren vielmehr gezielt die Symptome psychischer Störungen behandelt und auf diese Weise die Handlungsfähigkeit und Selbstregulation des Patienten erweitert sowie dessen Umgang mit Problemen, zwischenmenschlichen Beziehungen, angstbesetzten Situationen bzw. Objekten oder mit persönlichen Schwierigkeiten soweit "optimiert", dass dadurch seine gesamte Lebensqualität verbessert sowie sein emotional-seelisches und körperliches Wohlbefinden (wieder)hergestellt werden. Dabei liegt der Fokus explizit zwar primär auf gegenwärtigen statt auf früheren, bereits vergangenen Handlungsursachen, jedoch werden auch vorangegangene diesbezügliche Erlebnisse und Erfahrungen des Patienten in der Analyse der Entstehung seiner Problematik mitberücksichtigt.

Der wesentliche Unterschied zwischen der Psychoanalyse und der Verhaltenstherapie liegt also in der Grundannahme der Verhaltenstherapie, dass bestimmte Verhaltensweisen sowohl erlernt als auch wieder verlernt werden können, wobei auch genetische Faktoren als Ursache etwa von psychischen Störungen mitberücksichtigt werden, z. B. in den so genannten Vulnerabilitäts-Stress-Modellen. Diese gehen von einer ererbten bzw. genetisch bedingten Neigung zur Stressanfälligkeit als Voraussetzung für die Entwicklung einer psychischen Störung aus.

Problematisches und unerwünschtes Verhalten ist also aus verhaltenstherapeutischer Sicht "nur" als das Produkt bisheriger Lernprozesse zu betrachten und kann durch die erfolgreiche Anwendung bestimmter Verhaltens- und Lernprinzipien jederzeit wieder verändert, eliminiert oder angepasst werden. Hierfür muss zunächst das Verhalten des Patienten zur genauen Bestimmung der aktuellen und konkreten Ursachen des problematischen Verhaltens analysiert werden, wobei eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem zugrundeliegenden psychischen Problem in der Regel nicht unbedingt erforderlich und auch nicht zielführend ist, um die gewünschten Veränderungen zu bewirken. Vielmehr werden im Anschluss an die Analyse die konkreten Behandlungsziele und -strategien von Therapeut und Patient gemeinsam erarbeitet und individuell an dessen persönliche Problematik angepasst. Insbesondere bei der Behandlung von gängigen, gut definierten und weniger komplexen psychischen Störungen haben sich verhaltenstherapeutische Verfahren als erfolgreich und sehr wirksam bewährt.

Es gibt nicht nur ein einziges verhaltenstherapeutisches Standardverfahren, sondern es sind vielmehr im Laufe der Geschichte der Verhaltenstherapie eine ganze Reihe verhaltenstherapeutischer Methoden entstanden, von denen sich jede einzelne stetig weiterentwickelt hat. Trotz aller Unterschiede zwischen diesen verschiedenen theoretischen und methodischen Ansätzen und Verfahren ist ihnen doch eines gemeinsam, nämlich die therapeutische Herangehensweise, derzufolge am Beginn einer verhaltenstherapeutischen Intervention fast immer die Analyse des Verhaltens und der konkreten Probleme des Patienten steht, welche in Abhängigkeit zu ihren aufrechterhaltenden Bedingungen, Umständen und Konsequenzen betrachtet werden. Diese Methode basiert auf dem von Frederick Kanfer in den 1970er Jahren weiterentwickelten verhaltensanalytischen Konzept des sogenannten SORKC-Modells, welches neben der Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Reiz und Reaktion zumeist auch Gedanken, Gefühle und körperliche Prozesse und Auffälligkeiten mitberücksichtigt, ebenso wie äußere Faktoren und Einflüsse aus dem näheren und auch erweiterten Umfeld des Patienten wie etwa das Verhalten von Familienangehörigen, Lebenspartnern, anderen nahestehenden Menschen, Freunden, Bekannten, Arbeitskollegen etc. Das S steht dabei für Situation/Reize, das O für Organismus, das R für Reaktionen/Verhalten, das K für Kontingenzen und das C für Konsequenzen (englisch: „consequences“). Auch die (persönliche) Beziehung zwischen Therapeut und Patient wird bereits zu Beginn der Therapie weitestmöglich analysiert und definiert, womit ihr deutlich mehr Bedeutung beigemessen wird als noch in den frühen Anfängen der Verhaltenstherapie.

Im Rahmen der sogenannten Zielanalyse legen Therapeut und Patient die jeweiligen Therapieziele fest, die natürlich individuell angepasst und realistisch sein müssen. Der Therapeut wählt die anzuwendenden Interventionen, methodischen Verfahren und Techniken aus, holt aber vor deren Einsatz zunächst die Zustimmung des Patienten ein. Dementsprechend können im weiteren Verlauf der Therapie durchaus verschiedene verhaltenstherapeutische Verfahren eingesetzt und miteinander kombiniert werden, um die zu Beginn festgelegten Therapieziele zu erreichen. Das Leitmotiv aller verhaltenstherapeutischen Verfahren, Techniken und Ansätze besteht in dem Anspruch, dem Patienten vor allem Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten. Dies bedeutet, dass der Patient im Rahmen der Therapie lernen soll, wie er in Zukunft (d. h. auch nach Abschluss der Therapie) mit seinem Leben besser zurechtkommen und wie er mit Konflikten, Problemen und schwierigen Situationen angemessener und konstruktiver umgehen kann. Wichtige Aspekte und therapeutische Basisvariablen, die der Therapeut beachten und selbst mit einbringen muss, sind - ebenso wie in der Gesprächspsychotherapie - Authentizität, Empathie, sowie die uneingeschränkte und vorbehaltlose Akzeptanz des Patienten. Auch der Aufbau einer komplementären Beziehungsgestaltung (heute meist bezeichnet als motivorientierte Beziehungsgestaltung), also ein vom Therapeuten bewusst eingesetztes Verhalten, welches sich explizit den Erwartungen des Patienten anpasst, stellt ein zentrales Element der Verhaltenstherapie dar. Gleiches gilt auch für die gezielte Herstellung einer sogenannten therapeutischen Allianz (d. h. einer funktionierenden und beidseitig übereinstimmenden Interaktion/Kommunikation zwischen Therapeut und Patient, die auf Zusammenarbeit und einer gemeinsamen Zielsetzung basiert) bzw. Veränderungsmotivation des Patienten; dieser muss also in der Lage und vor allem bereit und willens sein, wirklich an sich selbst bzw. an seinem Verhalten zu arbeiten und so sein Leben proaktiv und nachhaltig (und nicht nur halbherzig) zu verändern. Nachdem die eigentlichen Interventionen und Verfahren abgeschlossen sind, wird im Rahmen eines Evaluationsprozesses (der nicht obligatorisch, aber sinnvoll ist) der Erfolg der bislang durchgeführten Methoden überprüft. Sämtliche Analyse- und Interventionsschritte der verhaltenstherapeutischen Praxis stehen in gegenseitiger Wechselwirkung und werden in gemeinsamen Feedbackprozessen immer wieder von Therapeut und Patient reflektiert und bei Bedarf auch revidiert.

Wie bereits erläutert, hat sich die Verhaltenstherapie im Laufe ihrer Geschichte stetig weiterentwickelt und wurde immer wieder um neue Ansätze, Methoden, Techniken und Verfahren erweitert. Mittlerweile werden unter dem Begriff der Verhaltenstherapie mehr als 50 verschiedene Einzelverfahren zusammengefasst, die auch innerhalb einer Intervention parallel angewendet und miteinander kombiniert werden können.

Die wichtigsten Verfahren sind folgende:

 Konfrontationsverfahren (z. B. Systematische Desensibilisierung, Flooding, Aversionstherapie, Screen-Technik etc.)

 Operante Verfahren (z. B. Biofeedback, Token-System, Kontingenzverträge, Training sozialer Kompetenzen, Habit-Reversal-Training, Entspannungstechniken, Autogenes Training, Negatives Üben etc.)

 Kognitive Ansätze (z. B. Kognitive Threapie nach Aaron T. Beck, Rational-Emotive Verhaltenstherapie nach Albert Ellis, Stressmanagement und Selbstinstruktionstraining nach Donald Meichenbaum, Problemlösetraining, Schmerzmanagement, Selbstmanagement-Therapie nach Frederick Kanfer, Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion, Schematherapie nach Jeffrey E. Young, Kognitive Umstrukturiereung, Akzeptanz- und Commitmenttherapie nach Steven C. Hayes etc.)

Die kognitiven Ansätze, die hier besprochen werden sollen, basieren auf den Grundlagen der kognitiven Theorien menschlichen (mitunter aber auch tierlichen) Verhaltens, denen zufolge eine Person bestimmte Informationen bzw. Umgebungsreize interpretiert und aktiv transformiert sowie Erfahrungen und Erlebnisse in einer bestimmten Weise strukturiert, also die eigene Realität ordnet und subjektiv bewertet. Das Verhalten wird dabei von Kognitionen (in Form transformierter Reize) beeinflusst und gesteuert, wobei Verhaltensprobleme und unerwünschte Verhaltensweisen die Resultate falscher Annahmen und Interpretationen, negativer Glaubenssätze, unvollständiger und unzutreffender Schlussfolgerungen, inadäquater Selbstinstruktionen und mangelnder Problemlösekompetenz sind.

In den 1960er Jahren wurde die (bis dahin eher allgemeine) Verhaltenstherapie zur Kognitiven Verhaltenstherapie erweitert, an der sie sich ab diesem Zeitpunkt größtenteils orientierte und die als wichtigster und vielseitigster Ansatz bis heute den überwiegenden Teil der in der Verhaltenstherapie angewendeten Techniken und Verfahren beinhaltet. Die Kognitive Verhaltenstherapie kombiniert den therapeutischen Ansatz der kognitiven Therapie mit der Verhaltenstherapie.

In den folgenden Kapiteln soll auf die Kognitive Verhaltenstherapie und deren Ursprung und bisherige Entwicklung sowie theoretische Grundlagen und therapeutische Leitmotive genauer eingegangen werden.

Kognitive Verhaltenstherapie

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