Читать книгу Am Ende bleibt das Leben - Fia Payton - Страница 3
Vorwort
ОглавлениеEs gibt Tage, da ist der Wunsch danach mich zu zerstören so groß, dass ich kaum atmen kann. Es gibt Tage, da ist Ana in all ihren Facetten so mächtig, dass ich vergesse, wie es ist zu leben. Und es gibt Tage, da bin ich so müde, dass ich nicht weiß, welchen Sinn es hat die Augen zu öffnen.
Das ist mein Leben. Seit vielen Jahren. Seit wie vielen? Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht seit fünf Jahren, vielleicht auch schon länger, aber dann habe ich es vergessen. Aber diesen einen Tag vor fünf Jahren werde ich wohl nie vergessen. Im ganzen Leben nicht. Egal wie sehr ich es mir wünsche und egal wie viele andere Tage ich erlebe. Es wird mich immer begleiten und nie loslassen, egal wie tief ich ihn vergrabe.
Erinnerungen. Sie können uns zum Lachen bringen und zum Weinen und zum Zittern, zum Schluchzen, zum Weglaufen und zum Zusammenbrechen. Wenn wir zulassen, dass sie uns beherrschen. Wenn wir zulassen, dass es uns begleitet, wie eine zweite Gestalt. Und die Erinnerung hat viele Gestalten. Viele Namen. Meine - und auch die von vielen anderen - heißt Ana. Meine Beziehung zu ihr schwankt zwischen beste Freundin und schlimmster Alptraum. Denn sie hasst mich. Wenn ich esse. Wenn ich ich bin. Wenn ich mich erinnere. Wenn ich meine Klingen wegwerfe. Wenn ich um Hilfe suche. Und sie legt ihre knochigen Arme um mich und flüstert mir all die tröstenden Worte zu, die ich immer hören wollte, wenn ich mit blutenden Armen auf den Fliesen im Bad knie. Wenn mich die Erinnerungen übermannen. Wenn ich vor Hunger zusammenbreche, weil ich seit drei Tagen nichts gegessen habe. Wenn meine Waage Gewichte unter 50kg anzeigt. So ist das Leben mit Erinnerungen, mit Ana und mit mir.
Aber den Tag muss ich trotzdem bestehen. Müssen wir alle. Egal wo. Egal wer wir sind und was wir erlebt haben. Egal wie wir unseren Tag verbringen. Und wo. Sei es zu Hause, im Bett oder auf Arbeit, im Büro, in der Praxis oder sonst wo. Egal für was wir leben. Familie. Freunde. Arbeit. Liebe. Freiheit. Spaß. Uns. Andere. Durchhalten gilt die Devise. Denn was bleibt uns schon, wenn wir aufgeben? Und abspringen. Frei. Willig. Was bleibt der Welt und den Menschen von uns, wenn wir gehen? Nichts. Wir sind so klein. Ich bin so klein. So winzig in dieser Welt. Und ich bin nicht Mozart, Tschaikowsky oder Bach und auch nicht Kafka, Nitzsche oder Goethe. Ich bin nicht Napoleon, Henry Tudor oder Alexander der Große. Ich habe der Welt nichts zu geben, außer ein paar Worten, von denen ich nicht weiß ob sie Bestand haben.
Was bleibt, wenn nichts mehr bleibt?
Was bleibt, wenn sich alles an dir reibt?
Was bleibt, wenn du alles verlierst?
Was bleibt, wenn du nach dem Tode stierst?
Was bleibt, wenn du niemanden mehr hast?
Was bleibt, wenn du überall bist Gast?
Was bleibt, wenn du nirgendwo geliebt?
Was bleibt, wenn jeder dich schon ausgesiebt?
Was bleibt, wenn du am Rand der Gesellschaft?
Was bleibt, wenn du in Lebens Haft?
Was bleibt, wenn alles vorbei?
Was bleibt, wenn du schon lang nicht mehr dabei?
Was bleibt, das ist die Sehnsucht.
Was bleibt, das ist nach Freiheit sucht.
Was bleibt, ist einfach weiter machen.
Was bleibt, ist einfach trotzdem lachen.
Was bleibt ist meine große Liebe.
Was bleibt, sind meine Herzensdiebe.
Was bleibt, das ist die Welt für mich.
Was bleibt, das ist das Denken an dich.
Was bleibt, das ist was nie mehr geht.
Was bleibt, das ist es lebt was lebt.
Was bleibt, das ist die große Chance.
Was bleibt, das ist der Ausbruch aus Trance.
Denn all das ist jetzt meine Welt.
Denn all das ist es was mich hält.
Denn es ist mein einz´ges Leben.
Und dafür werd ich alles geben.
Ich habe nie gelernt, was es heißt glücklich zu sein. Manchmal vermute ich Glück zu empfinden, da ist es ein leichteres Gefühl im Herzen, da sehe ich Ana nach ein Stück Braten oder Kuchen greifen mit ihren knochigen Armen, da vergesse ich , wie viele Klingen ich neben dem Bett habe. Doch ist das Glück? Und wie lange bleibt es? Was kann ich ihm sagen und wie danke ich einem glücklichen Moment, obwohl ich ihn kaum erkenne.
Alle sagen: "Du hast nur ein Leben und es ist ein Geschenk!". Ja ja. Ist schon klar, Geschenke darf man nicht zerschneiden, verbrennen, versenken oder in den Müll werfen, aber es gibt Geschenke, die man gar nicht haben will. Die man nur angenommen hat, weil man sich der Last, die mit diesem Geschenk zu tragen ist, nicht bewusst war.
Und dann kommen da Menschen, die froh sind am Leben zu sein und sagen: "Wir lieben dich und du musst doch leben! Für uns!". Doch was wissen sie von mir? Nicht das geringste. Denn wie könnt ihr mich lieben, wenn ihr nicht versteht, dass ich mir nichts sehnlicher wünsche als nach Hause zu können. - In meine Welt. In der man nicht weiß, warum man sich gegenseitig verletzt. In der man nicht weiß, was eine Atombombe ist und wofür man sie braucht. In der Geld nicht alles ist, sondern vielmehr Freiheit und Zuwendung und Liebe. - Wenn ihr nicht versteht, dass ich mir nichts sehnlicher wünsche als zu sterben und nicht versteht warum. Warum es eine Last ist ich zu sein. Warum es so unerträglich ist zu leben, mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und wenn ihr nicht versteht, dass ihr mich nicht lieben könnt, wenn ich mich ja selbst nicht lieben kann. Dass ich nicht für euch leben kann, wenn ich es ja nicht mal für mich selbst kann.
Und ja, manchmal hab ich ein paar gute Tage, da kann ich alles schaffen. Vielleicht auch eine Woche oder zwei. Aber dann. Dann fängt es wieder an. Dann breche ich wieder auf der Waage zusammen, weil ich 3 Kilo zugenommen habe. Da ziehe ich wieder los, um mir Klingen zu kaufen und da vergesse ich wieder was es heißt zu leben. Glücklich zu sein. Ich sein zu dürfen. Ein Recht auf mich zu haben. Und frei zu sein.
Aber man gewöhnt sich daran. Viel zu leicht und viel zu schnell. Man gewöhnt sich viel zu schnell an den Schmerz und die Kälte, an den Hunger und daran anderen Versprechen zu geben, die man noch nicht mal sich selbst geben kann. Daran verloren zu gehen und wieder aufzutauchen ohne etwas verändert zu haben.
Mit der Zeit habe ich aufgehört den Hunger zu fühlen. Mit der Zeit lagen die Klingen so gewohnt in der Hand wie Stifte. Mit der Zeit habe ich gelernt, dass ich immer verliere, egal welches Spiel. Mit der Zeit weiß ich, dass ich sterben muss, um lebendig zu sein.
Ich hatte schon begonnen, wieder zu essen. Eine Woche. Sieben Tage. Zehn Tage. Doch dann war das Hungern wieder so anmutig. So still und doch laut genug um zu mir vorzudringen. Ich hatte es geschafft mich nicht zu verletzen. Eine Woche. Sieben Tage. Zwölf Tage. Doch dann hat Ana mir wieder gewispert, dass mir nichts soviel Frieden schenken kann, wie eine scharfe Klinge. Und ich habe verloren. Wieder einmal. Gegen mich selbst. Denn gegen den Rest der Welt. Hatte ich von vorn herein keine Chance. Denn die Regeln des Lebens in dieser Welt, hatte ich sowieso nie verstanden. Mit anderen Zahlen als Gewicht, Kalorien und Kalorienverbrauch, konnte ich eh nie umgehen. Denn ich berechne mich nicht in Euro. Und meine Waage misst mich nicht in Dollar. Und Kalorienverbrauch. kalkulierst du nicht mit Zinsrechnung.
Und ja, das ganze Leben ist ein Spiel. Aber Mädchen wie ich haben ihren Einsatz schon lang verloren. Wann lernt man zu leben? Und wer vergibt das Recht an diesem Spiel teilzunehmen? Wenn nicht wir. Mit all unsern Fehlern. Und Macken. Mit unsrer Vergangenheit und unsrer Gegenwart. Wir allein. Wie alles in unserem Leben. Wir allein entscheiden. Wir allein leben.
Wer vergibt mein Recht zu leben?
Wer vergibt das Recht zu sterben?
Wer kann mir Vergessen geben?
Wer kann das Erinnern werben?
Wer vergibt mir meine Sünden?
Wer begleicht mir meine Fehler?
Wer streicht meine falschen Stunden?
Wer ist des Vergessens Wähler?
Wer heilt meine alten Wunden?
Wer deckt frische Narben ab?Wer gibt Halt in allen Stunden?
Wer hält mich vom Sterben ab?
Wer hält mir jetzt noch meine Hand?gestern, heute, immerdar?
Wer baut ab mein schützend´ Wand?
Wer legt Seelen offen gar?
Wem kann ich vertrauen jetzt,
wenn ich selber mich belüg?
Wem muss ich verzeihen jetzt,
ohne dass ich mich betrüg´?
Antworten auf alle Fragen,
hat kein Mensch auf dieser Welt.
Und doch woll´n wir an allen Tagen
eine Antwort, die uns hält.
Wir müssen sie uns selber geben,
damit wir selber uns versteh´n.
Wir müssen uns erst selbst vergeben,
dann kann es auch bei andern geh´n.
Und ich wünsche mir so sehr, vergeben zu können. Mir selbst allen voran. Und meiner Familie. und so vielen anderen. Aber vergeben mit Wut im Bauch. Kommt Verleugnung ziemlich nahe.
Und ich habe mich zu oft verleugnet. Mich selbst. Und hab doch nie verstanden mit welcher Begründung.
Ich sagte:" Ich weiß, dass er mich liebt, weil er mein Vater ist und das so sein muss." Das steht in der Bibel. Und der blöde Pfarrer in Eisenach hat doch immer gesagt, Gottes Wort ist Gesetz. Aber da steht ja auch du sollst nicht töten. Und ca. 0,8 Morde pro 100.000 Einwohner pro Jahr geschehen allein in Deutschland. Der Unterschied allein: Nicht liebende Eltern bestraft man nicht. Wie auch? Und wegen was? Und wie soll man es beweisen. "Hey, sie haben ihre Tochter jetzt seit 5 Jahren nicht mehr gelobt. Nach Paragraph XYZ des Gesetzbuches ABC steht darauf eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren auf Bewährung wegen Unliebe von Kindern.“
Nein, so sind Menschen nicht. Dann bräuchten wir mehr Kinderheime als je gebaut werden könnten, da ich in meiner pessimistischen Weltanschauung jetzt mal behaupte, dass mindestens jede dritte Mutter und jeder zweite Vater seine Kinder nicht - zumindest für Außenstehende, wie zum Beispiel die Kinder erkennbar - liebt oder lieben kann oder lieben will oder was weiß ich. Väter. Konnte ich nie leiden. Also nicht, dass ich kinderlosen Männern mehr vertraue, aber ich komme bei Vätern einfach nie um den Gedanken drum herum mir vorzustellen wir er gerade seinen Sohn/ Tochter schlägt, misshandelt, vergewaltigt oder sonst was antut. Klingt vielleicht pessimistisch. Ist es wahrscheinlich auch. Aber wenn ich behaupte, dass jeder vierte Vater seinen Kindern Gewalt in irgendeiner erdenklichen Weise antut, bin ich wahrscheinlich noch um Meilen realistischer als die Bibel. Und vielleicht sogar optimistischer als die Realität.
Warum lieb ich
wer mich hasst?
Warum schütz ich
wer mein´ Ängste fasst?
Ich bin ein Teil von ihm
und kann’s nicht leugnen
muss daraus meine Schlüsse ziehn
lass mein Verhalten es nicht zeugnen.
Ihn zu hassen
heißt von Unchristlichkeit zu zeugen.
mich ihn lieben zu lassen
heißt meinen Willen ihm zu beugen.
Doch ich will ihm nicht zu Eigen sein
bin doch ein freier Mensch.
Doch ich will nicht dass mein Geist ist sein,
bin doch mein eigner Geist und Mensch.
Doch ich muss auch meiner Pflicht nachkommen,
will doch sein braves Mädchen sein.
Doch ich muss auch allein mit mir auskommen,
will doch für dich besonders sein.
Ich weiß dass ich nicht boshaft handle
wenn ich mich dir nicht überlass.
Ich weiß dass ich im Rechten wandle
wenn dich allein ich wandeln lass.
Denn du hast mir wehgetan,
sei es auch nicht deine Schuld.
Denn damit bin ich allein gefahrn,
und du sagst mir nur hab Geduld.
Ja ich will dein Kleines sein,
immer noch und immerfort.
Doch auch ja meine Haut ist mein,
denn dein Missbrauch war mein Mord.
Ich sage jedem du bist krank,
weil mein Daddy mich doch liebt.
Doch je weiter mein Vertrauen in andre sank,
desto mehr hab ich auch dich geliebt.
Du bist schuld
und ich bin rein.
Ich danke euch für eure Huld
doch dies kann nicht die Wahrheit sein.
Denn Opfer sind wir doch auch all´,
auch wenn viele das nicht sehen.
Betrachte ich den einzelnen Fall
muss ich auch Mitleid hier gestehen.
Er ist mein Daddy und wird’s immer bleiben,
doch auch meine Narben und kann in den Tod mich leiten.
Und ich seine Tochter daran gibt’s nix zu reiben.
doch hab meinen Stolz und meine starken Seiten.