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Paulus in Tarsus

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In seinen jungen Jahren in Tarsus verkehrte Paulus wahrscheinlich hauptsächlich in jüdischen Kreisen. Zu Hause und in der Schule lernte er, wie er sich als Jude in der Diaspora inmitten von Bürgern zu verhalten hatte, die in den alten griechischen Traditionen aufgewachsen waren. Von seinen Lehrmeistern bekam er zu hören, dass die Juden die Götter der Griechen ablehnten, was sie zu Außenseitern machte. Die Griechen konnten nicht verstehen, dass die Juden nur einen Gott hatten, der noch dazu unsichtbar und ungreifbar war und nicht einmal im Tempel von Jerusalem abgebildet werden durfte. Ihre eigenen Götter wurden dagegen in all ihrer Schönheit dargestellt. Mindestens genauso merkwürdig fanden sie es, dass die Juden freiwillig Jahr für Jahr Steuern für die Instandhaltung des Tempels in Jerusalem zahlten. Es war für sie auch unbegreiflich, dass die Juden Pilgerreisen nach Jerusalem unternahmen, um den Tempel, das Haus des „lebendigen Gottes“, besuchen zu können. Ebenso wurde ihnen nachgetragen, dass sie Nichtjuden als die „anderen“ bezeichneten und dafür sogar den griechischen Begriff ta ethné (die Völker) verwendeten. Damit gaben sie zu erkennen, dass sie sich als auserwähltes Volk deutlich von den anderen Menschen unterschieden, denen sie tagtäglich auf der Straße begegneten.

Mit zunehmendem Alter trat Paulus immer weiter aus dem jüdischen Milieu heraus. Mehr und mehr wurde ihm bewusst, dass Tarsus doch vor |36|allem eine griechische Stadt war. Er sah die Tempel der olympischen Götter, aber auch die Heiligtümer der Götter, die aus Kleinasien oder Ägypten in die Stadt gekommen waren. Er stand jetzt häufiger in Kontakt zu Nichtjuden, wahrscheinlich auch, weil er die griechischen Akademien besucht haben dürfte. Der griechische Geograf Strabon, der Tarsus zur Zeit des Kaisers Augustus besuchte, bemerkte, dass die Philosophenschulen in dieser Stadt einen ausgezeichneten Ruf hatten und sich sogar mit denen in Athen und Alexandria messen lassen konnten.21 Wir dürfen also annehmen, dass die Philosophie auch in Paulus’ Studienprogramm ihren Platz hatte. Der Schwerpunkt lag wahrscheinlich auf dem Stoizismus, einer damals unter jungen Leuten sehr populären philosophischen Strömung, die Antworten auf die Probleme in der griechisch-hellenistischen Welt gab. Der Kerngedanke, dass die Entwicklung der Welt einem göttlichen Plan folgt und dass in jedem Menschen ein Funke der göttlichen Intuition glüht, der ihn diesen höheren Plan ergründen lässt, sprach die jungen Menschen an.

Tarsus war somit für den jungen Paulus der ideale Ort, um Eindrücke zu sammeln, die ihm in seinem späteren Leben von Nutzen sein konnten. Dort wurde er sich darüber bewusst, dass er ein Jude war, der in einer komplexen, von Griechen und Römern dominierten Welt seinen Weg finden musste. Die griechisch-hellenistische Kultur war überall sichtbar und die Römer hatten das Sagen. Paulus war ein Mann dreier Welten, von denen die jüdische nur dann mit den beiden anderen verknüpft werden konnte, wenn er das traditionelle orthodoxe Gedankengut aufgab. Auf der Schwelle zum Erwachsensein stand er vor der Wahl, ob er in der jüdischen Gemeinschaft das Leben seiner Vorfahren führen wollte oder ob er sich an die Sitten und Gebräuche der übrigen Bewohner von Tarsus anpassen sollte. Er befand sich in einer schwierigen Situation, da Druck von zwei Seiten auf ihn ausgeübt wurde. Die orthodoxe jüdische Gemeinschaft wollte ihn in ihren Reihen halten, die hellenisierten Juden – und davon gab es viele in einer griechischen Stadt wie Tarsus – wollten ihn dagegen dazu bewegen, dem konservativen jüdischen Milieu den Rücken zuzukehren.

Paulus steckte noch in diesem Dilemma, als er vermutlich um 15 n. Chr. beschloss, die Suche nach seiner Identität, seinem Platz im komplizierten |37|Zusammenleben von Griechen, Römern und Juden, mit einem Besuch der Stadt zu vertiefen, in der das Judentum am sichtbarsten war, wo aber auch der Streit zwischen Orthodoxie und Assimilation noch immer wütete: Jerusalem.

Paulus

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