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KAPITEL ACHT

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Als sie in die kleine Stadt Collina fuhren, war Olivia froh, dass Charlotte am Steuer saß. Sie war so gefesselt von der Szenerie, dass sie sie wahrscheinlich strack in eine der Mauern gefahren hätte, die die schmale Straße säumten.

Es gab dort eine Schlossruine außerhalb der Stadt – ein echtes Schloss mit bröckelnden Mauern, und Zinnen an seinem Turm. Es sah düster und imposant aus, und seine Silhouette zeichnete sich gegen die tiefstehende Spätnachmittagssonne ab. Dieser Turm hatte die Stadt womöglich einst vor Eindringlingen beschützt.

Sie stellte sich vor, neben einer echten Schlossruine wohnen zu können. Ihre zweite Welle aus Neid überkam sie, als sie die zweigeschossigen Apartments daneben mit ihren verwaschenen, cremefarbenen Fassaden, den Fensterläden und den bunten Blumenkästen unter den Fenstern beäugte.

Sie beobachtete, wie eine junge Frau mit einem Einkaufskorb die Stufen zu ihrer Wohnung herunterlief und ihrem Nachbarn ein fröhliches „Buon giorno“ zurief. Ihr dunkles Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und sie war mit dem natürlichen Sinn für Stil gekleidet, von dem Olivia glaubte, dass jeder Italiener ihn besaß. In einer Millionen Jahren wäre Olivia nie auf die Idee gekommen, dieses burgunderfarbene Top mit den himmelblauen Dreiviertel-Jeans und den leuchtendweißen Sandalen zu kombinieren, und damit auszusehen, als wäre sie gerade den Seiten der Vogue entstiegen.

An ihr würden diese Klamotten zusammengewürfelt wirken, als hätte sie wahllos im Dunkeln danach gegriffen. Die Leute würden erst auf ihre Schuhe starren, dann hoch zu ihr, als wollten sie sagen: Echt jetzt?

In der Stadt selbst teilte ein schmiedeeisernes Geländer den schmalen Gehweg von der beinahe genauso schmalen Straße ab. Olivia lehnte sich aus dem Auto und atmete den verführerischen Kaffeeduft ein, den ein Café an der Ecke verströmte. Obwohl es schon später Nachmittag war, saßen einige Kunden an der Theke, tranken Espresso und schauten auf ihre Smartphones.

Alle außer ihr und Charlotte sahen so aus, als lebten sie hier und gehörten auch hierher. Welch ein Privileg, sehen zu dürfen, wie die Anwohner in diesem abgelegenen Örtchen ihrem täglichen Leben nachgingen.

Als Olivia einen kleine Kleidungsboutique erspähte, fragte sie sich, ob sie es wagen sollte, dieser einen Besuch abzustatten, um mithilfe der Verkäuferin ein authentisch italienisches Outfit zu erstehen. Sie freute sich über den Anblick eines Weingeschäfts, das einem regen Kundenstrom nachkam. Dahinter war ein Schuhgeschäft, ein Gemüseladen mit einem leuchtendbunten Display aus Tomaten und Mandarinen vor der Geschäftsfront, ein Friseur, ein kleines Eisenwarenoutlet und ein Supermarkt.

Zwei gegenüberliegende Bäckereien zogen gerade für heute ihre Rollläden herunter.

„Meinst du, dass die beiden Rivalen sind?“, fragte Charlotte und hielt an, um einen alten Mann die Straße überqueren zu lassen.

„Bestimmt“, antwortete Olivia und blickte zwischen den beiden Schildern hin und her. „Das müssen sie im Grunde. Die Fehde reicht bestimmt schon Jahrhunderte zurück.“

„Und eines Tages, wenn sich der Sohn des Besitzers von Mazetti in die Tochter des Besitzers von Forno Collina verliebt, müssen sie gemeinsam nach Pisa durchbrennen, und ihre Familien werden sie für immer enteignen“, führte Charlotte die Geschichte aus.

In diesem Moment trat ein Mann in einer weißen Schürze aus Mazetti’s. Er blickte auf den gegenüberliegenden Laden und marschierte über die Straße. Dann nahm er sein Telefon aus der Tasche und begann, die Sonderangebote von dem Schild im Fenster des Geschäfts abzufotografieren.

Olivia und Charlotte brachen in schallendes Gelächter aus.

„Sie sind tatsächlich Rivalen!“, prustete Olivia. „Morgenfrüh wird er diese Preise unterbieten oder die Angebote kopieren. Er hat uns bemerkt – lass uns weiterfahren, bevor man uns noch in dieses Drama verwickelt.“

Am Ende der Straße, die man als die Hauptstraße der Stadt betrachtete, stand eine kleine Kirche mit einem prunkvollen Kirchturm. Der grauhaarige Pastor stand draußen und kehrte die steinernen Stufen. Er nickte ihnen grüßend zu, als sie vorbeifuhren, und Olivia lächelte verzückt zurück. Ihr erster Tag in Italien, und sie wurde bereits von den Einheimischen akzeptiert.

Am Ende der Stadt wendete Charlotte und fuhr dann zu der kleinen, belebten Bar in einer steil ansteigenden Sackgasse. Die Straße war vollgepackt mit Autos, und weit und breit war kein Parkplatz zu sehen. Olivia wurde langsam klar, weswegen hier alle so kleine Autos fuhren. Platz war hier Mangelware. Als sie das erste Mal in den Fiat geklettert war, empfand sie ihn als winzig, da sie zuhause nur Limousinen und Geländewagen gewohnt war. Jetzt erkannte sie, dass er für diese Gegend eigentlich eine angebrachte Größe hatte und sogar recht geräumig war.

Und während Charlotte fluchend versuchte, den gemieteten Wagen auf der nichtexistenten Wendefläche umzudrehen, wünschte sich Olivia sogar, dass das Auto noch kleiner wäre.

Nach gefühlten sechsunddreißig Zügen gelang Charlotte schließlich die Wende ohne angeschlagene Stoßstangen oder zerkratzte Radkappen.

Sie fuhren den Berg wieder den ganzen Weg hinab und parkten in einer anderen, ruhigeren Straße und machten sich zu Fuß zurück zur Bar.

Ein wummernder Beat lockte sie wieder den Berg hinauf, und Olivia staunte, wie melodisch selbst italienische Rockmusik dank der Schönheit der Sprache klingen konnte. Sie erinnerte sich daran, dass sie unbedingt einige Sätze auf Italienisch lernen musste. Vielleicht konnte sie heute Abend damit anfangen, genau hier in dieser Bar.

Olivia sog das gemischte Aroma von Bier, Wein, Zigarettenrauch und – sie war sich ganz sicher – Testosteron ein. Auf einem Bildschirm über der Bar wurde ein Fußballspiel übertragen. Zu ihrer Freude konnte sie kein einziges englisches Wort in dem Gemurmel aus Stimmen heraushören. Das war definitiv eine Bar für Einheimische.

Es wurde kurz still, als die Stammgäste die zwei Neuankömmlinge musterten. Olivia spürte einige anerkennende Blicke auf sich.

Sie hatten nicht einmal die Theke erreicht, als sie schon von zwei Männern begrüßt wurden, die auf Barhockern an einem winzigen, runden Tisch saßen.

„Ciao!“, rief der Mann, der ihnen am nächsten saß.

Olivias Herz setzte kurz aus, als sie sich nach ihm umsah. Der verwegen aussehende Mann war um die Dreißig und hatte dunkle Haare, dichte Augenbrauen und ein verruchtes Lächeln. Sein Freund sah ein paar Jahre älter aus, hatte eine rasierte Glatze und war tief gebräunt.

„Äh – ciao“, antwortete sie. Sie sah zu Charlotte hinüber, die sie verschwörerisch angrinste.

Dann begann der Mann in rasantem Italienisch zu sprechen.

Olivia hob ihre Hände. „Non comprehendo?“, versuchte sie es.

„Ah. Americano.“

Es entstand ein italienisches Gespräch zwischen den Männern, und nach einem lautstarken Wortwechsel mit dem Nachbartisch wurden zwei weitere Barstühle über die Menge zu ihnen herübergereicht.

„Guiseppe“, sagte der Mann und deutete auf sich selbst. „Alfredo“, stellte er seinen Freund vor.

„Olivia. Sorry, aber ich spreche kein Italienisch. Ich bin heute erst angekommen“, entschuldigte sich Olivia und setzte sich auf den angebotenen Stuhl, während Charlotte sich selbst vorstellte.

„Willkommen, Olivia.“ Guiseppe grinste. „Äh – Carlotta?“

Charlottes Name schien mehr Schwierigkeiten unter den Einheimischen zu verursachen als ihrer, bemerkte Olivia.

„Wein? Rot, Weiß?“

„Rot, bitte.“

In dem dichten Gemenge wurde sie gegen Guiseppes muskulösen Oberarm gepresst. Charlotte und Alfredo schienen sich prächtig zu verstehen. Ohne Matt auf der Bildfläche war Olivia mehr als bereit für einige Flirtereien. Wer weiß, was sich daraus ergeben konnte?

„Du bist sehr schön.“ Guiseppes Kompliment ließ Olivia erröten. Meinte er das wirklich? Könnte das der Beginn einer stürmischen Urlaubsromanze werden?

„Wo wohnst du?“, fragte er.

„Ich wohne in einer Villa hier in der Nähe. Ich mache dort einem zweiwöchigen Urlaub“, sagte Olivia.

Der Wein war köstlich, voll überragender Fruchtigkeit und einem Hauch von Würze. Beim Trinken musste sie an das Wandbild in der Küche der Villa denken, eine Kollage von leuchtenden, violett-roten Trauben.

„Bist du von hier?“, fragte Olivia, begierig, mehr von seiner Rolle in diesem idyllischen Schauplatz zu erfahren.

Guiseppe schüttelte den Kopf. „Nein, nicht von hier.“

„Du arbeitest also nur hier?“ Vielleicht wohnte er ja in einem Nachbardorf, dachte sich Olivia.

Guiseppe blitzte sie mit seinem strahlenden Lächeln an. „Auch nein.“

„Äh“, begann Olivia kurzzeitig ratlos. „Was arbeitest du denn?“

Wenn er weder in der Stadt lebte noch arbeitete, vermutete sie, dass er vielleicht ein Weinmacher war, der unermüdlich auf seinem eigenen, kleinen Weingut in der warmen mediterranen Sonne arbeitete. Das würde perfekt in ihr Lebensziel passen. Wie wäre es bloß, wenn die Urlaubsromanze sich zu mehr entwickeln würde? Vielleicht würden sie eines Tages als Paar zusammen auf seinem Land arbeiten. Sie träumte von sonnigen Tagen mit ihm auf der Farm, davon, wie sie Trauben in einem luftigen Schuppen auspressten und eine limitierte Auflage eines einmaligen und charaktervollen Weins kreierten.

„Ich bin Reinigungskraft“, erklärte Guiseppe.

„Reinigungskraft?“ Olivia war verdutzt. Eine Reinigungskraft passte nicht wirklich in ihre ländlichen Fantasien, die sie sich vorgestellt hatte. Das war sogar ein völlig unpassendes Puzzleteil. Ihre Fantasie wurde jäh abgewürgt.

Ein erlesener Mord

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