Читать книгу Ein erlesener Mord - Fiona Grace, Фиона Грейс - Страница 5
KAPITEL ZWEI
ОглавлениеFür einen Moment stand Olivia in der Villa 49, ließ das gedimmte Licht auf sich wirken, lauschte dem Gemurmel aus Stimmen und atmete die Aromen ein, die vom nächstgelegenen Tisch zu ihr herüberdrangen.
Ein Duft aus geröstetem Knoblauch, Thymian und Rosmarin. Das reiche Aroma von Bratensauce, vermischt mit einer milden Spur von Wein. Der Duft von selbstgebackenem Brot frisch aus dem Ofen, der einem das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.
Das erste Mal an diesem langen, stressigen Tag war sie zufrieden. Wenn sie ihre Augen schloss, konnte sie sich vorstellen, wie sie unter einem Olivenbaum in einer rustikalen Trattoria in der Toskana stand, weit weg von all dem Druck ihrer Arbeit, den nie enden wollenden Meetings und dem ständigen Klingeln ihres Telefons.
Sie konnte sogar die heikle Unterhaltung vergessen, die sie gleich mit Matt haben würde.
„Guten Abend, Signora. Willkommen in der Villa 49. Haben Sie reserviert?“
Die höfliche Begrüßung des Oberkellners holte sie wieder in die Realität zurück.
„Ja. Sie sollte auf den Namen Matthew Glenn lauten.“
„Folgen Sie mir.“
Sie schlängelte sich hinter ihm durch das Lokal.
Der Ecktisch, den Matt reserviert hatte, war leer. Kurz war Olivia verwundert. Er war sonst immer pünktlich, und sie war fünf Minuten zu spät. Sie hatte erwartet, ihn hier auf sie wartend vorzufinden.
Aber der Verkehr war wahrscheinlich wie immer unberechenbar.
Schnell sah sie auf ihr Telefon. Da waren zwei weitere Glückwünsche von ihren Kollegen. Jeder davon verursachte ihr identische Gewissensbisse. Zum Schluss war da noch eine Nachricht von ihrer Assistentin Bianca.
„James hat gesagt, ich solle morgen zu einem wichtigen Meeting kommen. Irgendeine Idee, worum es geht? Hab ich etwas falsch gemacht?”
Olivia konnte sich gut vorstellen, wie die schlanke, junge Frau besorgt an ihren Fingernägeln kaute, während sie auf eine Antwort wartete. Olivia hatte alles versucht, um ihrer Assistentin diese nervöse Angewohnheit auszutreiben. Sie hatte ihr sogar eine Maniküre spendiert, aber Bianca hatte ihre frischlackierten Nägel genauso schlimm wieder abgeknabbert. Schließlich hatte Olivia sich entschieden, es auf sich beruhen zu lassen. Immerhin gab es schlimmere schlechte Angewohnheiten als Fingernägelkauen. Eine der anderen Assistentinnen war ihrem Stress irgendwann mit dem Futtern von Donuts entgegengetreten und hatte in drei Monaten zwanzig Pfund zugelegt.
Olivia tippte. „Nichts passiert! Nur ein Gruppenmeeting, also wahrscheinlich nur eine Auswertung und ein Update.“
Sie fügte noch ein Smiley hinzu und schickte die Nachricht ab. Dann lenkte sie ihre Aufmerksamkeit auf die Weinkarte. Während sie durch das Menü blätterte, war sie wieder vollauf zufrieden. Sie liebte italienische Weine, und dieses spezialisierte sich auf die aus der Toskana. Von einigen hatte sie noch nie gehört, aber allein der Klang ihrer Namen ließ sie träumen. Ihre Gedanken reisten über grüne, in Sonne getauchte Berge mit ordentlichen Reihen aus Weinranken, gespickt mit Ansammlungen aus Olivenbäumen.
Da sie wusste, dass Matt Rotwein bevorzugte, konzentrierte sie sich vermehrt auf die entsprechende Seite der Karte.
Ihre Augen blieben auf dem Tignanello haften, der als ein gehaltvoller, vollmundiger Roter beschrieben wurde, gemacht aus Sangiovese-Trauben, mit einer Note von Brombeeren. Die exquisite Qualität wurde auch am Preis deutlich, aber dies war ein besonderer Anlass, und sie war sich sicher, dass Matt dafür gerne ein bisschen tiefer in die Tasche greifen würde.
Sie war so aufgeregt, dass sie endlich zusammen zu Abend essen würden. Die letzten Wochen waren für beide schrecklich stressig gewesen, und Matt war beinahe nie zuhause gewesen. Es war ein Running Gag zwischen ihnen, dass Leigh, seine persönliche Assistentin, die mit ihm reiste, mehr von ihm zu sehen bekam als Olivia.
„Hey, Liv. Sorry für die Verspätung.”
Sie sah auf und entdeckte Matt, der durch das mittlerweile brechendvolle Restaurant auf sie zu eilte. Er trug seinen schicksten, dunkelgrauen Armani-Anzug, und sein anisfarbenes, leicht angegrautes Haar war perfekt gestylt. Er war groß, sportlich, gutaussehend und super erfolgreich. Selbst nach vier Jahren konnte Olivia noch immer nicht fassen, dass sie ein Paar waren.
Sie würde es niemals zugeben, aber manchmal überkam sie ein Anflug von Unsicherheit, wenn sie bedachte, was für ein Fang er war. Sie tröstete sich, indem sie sich einredete, dass das etwas Gutes war. Immerhin spornte sie das an, auf ihr Image zu achten und ihre Karriere im Auge zu behalten.
„Hallo, Matt.“ Sie begrüßte ihn mit einem Lächeln. „Es tut so gut, dich zu sehen. Was für eine Überraschung, dass du wieder in der Stadt bist. Dein Haarschnitt gefällt mir.“
Sie stand auf und zog das hautenge Kleid tiefer über ihre Hüften, in der Hoffnung, dass er ihren Vertuschungsversuch an ihrer Strumpfhose nicht bemerken würde. Sie war erleichtert, als er sie ohne Kommentar auf die Wange küsste, und sie setzten sich gemeinsam an den Tisch.
Olivia bestellte den Tignanello, und während sie darauf warteten, stieg sie in die schwierige Unterhaltung ein, auf die sie sich vorbereitet hatte.
„Das ist jetzt sicher ein Schock für dich, aber ich bin nicht wirklich glücklich.“
Matts Augenbrauen schossen in die Höhe.
„Ist das so?“
Olivia atmete tief durch. Zeit, mit der Wahrheit herauszurücken.
„Es ist die Arbeit. Die Arbeit ist das Problem.“
Matt blinzelte einige Male, als hätte er nicht damit gerechnet, dass sie das sagen würde.
„Was meinst du damit?”, fragte er vorsichtig.
„Ich fühle mich, als hätte ich meine Seele verkauft. Mein Leben verläuft auf einer Bahn, die ich nie erwartet hätte und ich – ich hasse es.“
Die Wahrheit und der Grund dafür, weswegen sie sich so verloren fühlte, war, dass Valley Wines entgegen allem stand, an das sie glaubte.
Das erste Mal, als Olivia eine Weinprobe von Valley Wines besucht hatte, bei der sie nur zwei kleine Gläser getrunken hatte, war sie am nächsten Morgen mit üblen, pochenden Kopfschmerzen aufgewacht, die den ganzen Tag angehalten hatten.
Zwei kleine Gläser Wein hatten gewöhnlich keinen solch toxischen Effekt auf sie. Neugierig herauszufinden, was sich in diesen Weinen befand, hatte sie angefangen zu graben. Es war nicht leicht gewesen, aber Olivia war geduldig und hartnäckig und liebte die Herausforderung eines schwierigen Puzzles. Mit jeder Menge Online-Recherche, vorsichtigen Telefonaten und vertraulichen Meetings unter vier Augen, hatte sie schließlich die Wahrheit herausgefunden.
„Ich habe das Unternehmen unter die Lupe genommen, und sie sind schrecklich. Sie stellen sich selbst völlig falsch dar. Es ist im Grunde Betrug, und meine Marketing-Kampagne lässt alle glauben, dass ihre Behauptungen stimmen.“
Matt runzelte die Stirn.
„Aber Liv, das ist der Zweck von Marketing-Kampagnen.“
„Nein!“, protestierte sie. „Das hier ist anders. Das ist nicht nur billiger Wein, das ist Abfall.“
„Was heißt das?“
„Das ist kein ‚Weingut im Familienbesitz‘. Alle Trauben werden industriell angebaut und geerntet, und die Trauben kommen von überall her. Je billiger, umso besser. Es gibt nicht einmal Führungen durch den Weinkeller.
„Wieso das?”, fragte Matt.
„Weil es keinen gibt”, gestand Olivia. „Es gibt nur eine riesige Produktionsanlage, und sie nehmen im Grunde alkoholischen Traubensaft und pumpen ihn voller Pulver, Geschmacksstoffe und Zusatzstoffe. Sie haben nachgeforscht, welche Geschmacksrichtungen der Mehrheit der Menschen zusagen, und die Nahrungswissenschaftler haben Geschmacksprofile erstellt, die sie dann mit den Zusatzstoffen nachstellen. Das ergibt dann den Valley Weiß und den Valley Rot.“
Matt sah sie zweifelnd an, doch Olivia fuhr fort.
„Sie benutzen allerhand Sulfite, welche die Haltbarkeit verlängern und sicherstellen, dass alle Chargen gleich schmecken. Ich weiß nicht, ob es die Sulfite sind oder irgendetwas anderes in dem Wein, aber wenn ich den Wein trinke, geht es mir grausam.“
„Ich verstehe das Problem noch immer nicht. Es ist ein schlechter Wein, na und? Können die Leute nicht selber entscheiden, ob sie ihn mögen, wenn sie ihn trinken?“, fragte Matt.
Olivia seufzte frustriert.
„Das Problem ist, dass alle Geschäfte nun diesen Wein auf Lager haben, und das heißt, dass weniger Platz ist für andere Marken. Meine Kampagne schadet den Unternehmen, die ihren Wein wirklich ernst nehmen und ihn vernünftig herstellen. Ich fühle mich, als hätte ich all den guten Weinmachern Schaden zugefügt, die es kein bisschen verdient haben.“
Der Gedanke an den Erfolg des nun berühmten Slogans, den sie sich ausgedacht hatte, ließ sie erschaudern: „Genieß den Tag, auf die Valley Art.“
„Ich habe meinen eigenen persönlichen Slogan erstellt“, gestand sie Matt. „Mit Valley Wines die Nacht versaut, und Kopfschmerz wenn der Morgen graut.“
Sie hatte erwartet, dass er darüber lachen würde, aber das tat er nicht.
Vielleicht erkannte er endlich die Ernsthaftigkeit ihrer Situation.
„Matt, ich glaube, ich muss aussteigen“, sagte sie. „Ich kann nicht weiter für eine Firma arbeiten, die eine Marke repräsentiert, an die ich nicht glaube. Die damit beschäftigt ist, andere Marken zu zerstören, an die ich glaube. Ich bin kurz davor, zu kündigen.”
Sie hob ihre Hand und presste ihren Daumen auf ihren Zeigefinger.
Das war ein weiterer Running Gag zwischen ihnen, aber sie erntete immer noch keinen Lacher von Matt.
„Ich fürchte, ich habe auch schlechte Neuigkeiten“, sagte er.
„Oh, Matt, das tut mir leid. Was ist es denn?“, fragte sie.
„Das ist jetzt sicher ein Schock für dich.“
Olivia blinzelte, verwundert, dass Matt genau den gleichen Wortlaut wie sie benutzte. Was in aller Welt war nur los?
Für einen kurzen, wilden Augenblick fragte sie sich, ob Matt mit seinem Job genauso unglücklich war wie sie mit ihrem. Vielleicht hatte er die Nase voll davon, ein Anlagefonds-Manager zu sein und wollte einen Tapetenwechsel. Ihre Gedanken in ihrem Kopf fuhren Achterbahn. Sie stellte sich vor, wie sie zusammen ein neues Leben anfingen, in eine andere Stadt zogen, oder vielleicht ein ganzes Jahr auf einer exotischen Insel verbrachten. Das wäre ein Abenteuer, und sie könnten zusammen ausspannen und ihre Zweisamkeit genießen.
Olivia war nie sonderlich enthusiastisch über Heirat und Kinderkriegen gewesen, und sie wusste, dass es Matt genauso ging, aber sie sehnte sich nach dem einfachen Luxus, einfach nur Zeit mit ihm verbringen zu können, ohne all die Termine, Meetings und endlosen Arbeitsstunden, mit denen sie derzeit beide fertigwerden mussten. Auf einer Insel war das möglich.
Dann holte sie die Realität wieder ein. Matt liebte seinen Job und hatte nie auch nur angedeutet, dass er unglücklich wäre. Außerdem war er ein Stadtmensch, der das Treiben des Großstadtlebens genoss. Das konnte es also nicht sein. Was war es dann?
„Was wird ein Schock sein?“ Unbehagen überfiel sie.
„Es funktioniert nicht.“
„Was meinst du?“ Ihre eigene Stimme klang plötzlich kümmerlich und fremd.
„Wir.“ Er warf ihr eines seiner ihm so typischen entschuldigenden Lächeln zu, mit angespannten Lippen, Fältchen an den Augenwinkeln und schiefgelegtem Kopf. „Wir funktionieren nicht. Es tut mir so leid. Ich wünschte, es wäre anders verlaufen. Aber so ist es nun mal. Es ist nicht leicht, es auszusprechen, aber es ist aus.“