Читать книгу Schuld und Sühne - Fjodor Dostojewski - Страница 5

III

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Er erwachte am anderen Tage nach einem unruhigen Schlafe sehr spät, der Schlaf hatte ihn aber nicht gestärkt. Er erwachte in einer galligen, reizbaren, bösen Stimmung und sah sich voll Haß in seiner Kammer um. Es war ein Loch von etwa sechs Schritt Länge, das mit seinen gelben, staubigen und überall von den Wänden abstehenden Tapeten den jämmerlichsten Eindruck machte; es war dabei so niedrig, daß es jedem einigermaßen großen Menschen ganz unheimlich wurde, vor Angst, er würde gleich mit dem Kopf an die Decke stoßen. Die Möbel entsprachen durchaus dem Zimmer: es gab da drei alte, nicht ganz heile Stühle, einen gestrichenen Tisch in der Ecke, auf dem einige Hefte und Bücher lagen; schon der Staub, mit dem sie bedeckt waren, ließ darauf schließen, daß sie schon lange von keiner Menschenhand berührt worden waren; und schließlich ein großes plumpes Sofa, das fast die ganze Wand und die Hälfte des Zimmers einnahm und einst mit Kattun bezogen gewesen, jetzt aber ganz zerfetzt war und Raskolnikow als Bett diente. Oft schlief er darauf, ohne sich auszuziehen, ohne Laken, mit seinem alten, abgetragenen Studentenmantel als Bettdecke und einem einzigen kleinen Kissen unter dem Kopfe, worunter er alles, was er an sauberer Wäsche besaß, stopfte, damit es höher sei. Vor dem Sofa stand ein kleines Tischchen.

Es würde einem Menschen schwer fallen, noch tiefer zu sinken und noch mehr zu verkommen; Raskolnikow war das aber in seiner jetzigen Gemütsverfassung nur angenehm. Er hatte sich von allen Menschen vollkommen zurückgezogen, wie eine Schildkröte in ihre Schale, und selbst das Gesicht der Dienstmagd, die ihn zu bedienen hatte und zuweilen in sein Zimmer hineinschaute, reizte seine Galle und brachte ihn zu Krämpfen. So geht es manchen Monomanen, die sich allzu stark auf etwas konzentriert haben.

Seine Wirtin hatte schon seit zwei Wochen aufgehört, ihm Essen zu geben, und es war ihm bisher noch gar nicht eingefallen, zu ihr zu gehen und sich mit ihr auseinanderzusetzen, obwohl er ohne Mittagessen saß. Nastasja, die Köchin und einzige Dienstmagd der Wirtin, war über diese Gemütsverfassung des Zimmerherrn zum Teil sogar froh und hatte ganz aufgehört, bei ihm aufzuräumen und den Boden zu kehren; nur ab und zu, so einmal in der Woche, griff sie, wie aus Versehen, nach dem Besen. Sie war es auch, die ihn jetzt geweckt hatte.

»Steh auf, was schläfst du!« schrie sie über seinem Kopfe, »es ist bald zehn. Ich habe dir Tee gebracht; willst du Tee? Bist wohl hungrig!?«

Der Zimmerherr öffnete die Augen, fuhr zusammen und erkannte Nastasja.

»Ist der Tee von der Wirtin, wie?« fragte er, indem er sich langsam und mit krankhaftem Ausdruck vom Sofa erhob.

»Ach was, von der Wirtin!«

Sie stellte vor ihn ihre eigene, gesprungene Teekanne mit dem schon einmal aufgebrühten Tee hin und legte zwei Stückchen gelben Zucker dazu.

»Hier, Nastasja, nimm das, bitte«, sagte er, nachdem er in seiner Tasche gesucht (er hatte in den Kleidern geschlafen) und eine Handvoll Kupfergeld hervorgeholt hatte. »Geh und kaufe mir eine Semmel. Bring auch etwas Wurst aus dem Wurstladen mit, doch von der billigen.«

»Die Semmel bringe ich dir sofort, willst du aber vielleicht statt der Wurst Kohlsuppe? Es ist eine gute Kohlsuppe von gestern. Ich hatte sie gestern für dich zurückgestellt, du kamst aber spät heim. Eine gute Kohlsuppe.«

Als die Kohlsuppe vor ihm stand und er sie zu löffeln begann, setzte sich Nastasja neben ihn aufs Sofa und fing zu schwatzen an. Sie stammte vom Lande und war sehr geschwätzig.

»Praskowja Pawlowna will sich über dich bei der Polizei beschweren«, sagte sie.

Er verzog schmerzvoll das Gesicht.

»Bei der Polizei? Was will sie denn?«

»Du zahlst nichts und ziehst nicht aus. Kannst dir wohl denken, was sie will.«

»Zum Teufel, das hat mir noch gefehlt«, murmelte er, mit den Zähnen knirschend. »Nein, das ist mir jetzt ... sehr ungelegen ... Eine dumme Gans ist sie«, fügte er laut hinzu. »Ich will heute zu ihr gehen und mit ihr reden.«

»Sie ist wohl eine dumme Gans wie ich, aber warum liegst du, Kluger, wie ein Sack da, warum sieht man dich nichts tun? Früher, sagst du, hast du Kindern Stunden gegeben; warum tust du aber jetzt nichts?«

»Ich tue ...« versetzte Raskolnikow unwillig und düster.

»Was tust du denn?«

»Eine Arbeit ...«

»Was für eine Arbeit?«

»Ich denke«, antwortete er nach einem Schweigen ernst.

Nastasja schüttelte sich vor Lachen. Sie war von den Lachlustigen, und wenn man sie zum Lachen brachte, lachte sie lautlos, sich schüttelnd und am ganzen Leibe bebend, bis es ihr übel wurde.

»Hast du dir schon viel Geld erdacht?« brachte sie endlich hervor.

»Ohne Stiefel kann man keine Stunden geben. Ich spucke auch darauf.«

»Spuck nicht in den Brunnen.«

»Das Stundengeben bringt nur Kupfergeld ein. Was kann man mit den paar Kopeken anfangen?« fuhr er unwillig fort, als antwortete er seinen eigenen Gedanken.

»Du willst aber wohl das ganze Kapital auf einmal haben?«

Er sah sie sonderbar an.

»Ja, das ganze Kapital«, antwortete er mit fester Stimme nach einer Pause.

»Platz doch nicht gleich damit heraus, sonst machst du einem Angst; es ist gar zu schrecklich. Soll ich dir die Semmel holen oder nicht?«

»Wie du willst.«

»Ja, ich hab's vergessen! Gestern, als du fort warst, kam ein Brief für dich.«

»Ein Brief?! Für mich?! Von wem?!«

»Von wem, das weiß ich nicht. Drei Kopeken habe ich dem Briefträger aus eigenem Geld geben müssen. Wirst du sie mir zurückgeben?«

»Bring ihn doch um Gottes willen her!« schrie Raskolnikow ganz aufgeregt. »Mein Gott!«

Nach einer Minute erschien der Brief. »Also wirklich von der Mutter aus dem R-schen Gouvernement.« Er erbleichte sogar, als er ihn in die Hand nahm. Lange schon hatte er keine Briefe erhalten, und jetzt preßte ihm auch noch etwas anderes das Herz zusammen.

»Nastasja, geh fort, um Gottes willen; da hast du deine drei Kopeken, geh aber um Gottes willen schnell fort!«

Der Brief zitterte in seinen Händen; er wollte ihn nicht in ihrer Anwesenheit öffnen: er wollte mit dem Briefe allein bleiben. Als Nastasja gegangen war, führte er den Brief schnell an seine Lippen und küßte ihn; dann studierte er lange die Handschrift der Adresse, die ihm so gut bekannte und liebe, feine, schräge Schrift der Mutter, die ihn einst im Lesen und Schreiben unterrichtet hatte. Er zögerte; er schien sogar etwas zu fürchten. Endlich öffnete er ihn: der Brief war lang, ganze zwei Lot schwer; zwei große Briefbogen waren eng beschrieben.

»Mein lieber Rodja,« schrieb die Mutter, »es sind schon über zwei Monate her, daß ich mit Dir nicht mehr brieflich gesprochen habe; darunter habe ich selbst gelitten und konnte manche Nacht vor lauter Denken nicht einschlafen. Du wirst mir sicher aus diesem ungewollten Schweigen einen Vorwurf machen. Du weißt doch, wie ich Dich liebe; Du bist unser Einziger, Du bist für mich und Dunja unser alles, unsere ganze Hoffnung und Zuversicht. Was habe ich nicht alles gelitten, als ich erfuhr, daß Du schon vor einigen Monaten die Universität aus Mangel an Mitteln verlassen hast und daß das Stundengeben und die übrigen Einkünfte aufgehört haben! Wie hätte ich Dir auch bei meiner Pension von hundertzwanzig Rubeln im Jahre helfen können? Die fünfzehn Rubel, die ich Dir vor vier Monaten schickte, habe ich, wie Du selbst weißt, von unserem Kaufmann Wasilij Iwanowitsch Wachruschin auf meine Pension hin geliehen. Er ist ein guter Mensch und war einst mit Deinem Vater befreundet. Indem ich ihn aber ermächtigte, die Pension für mich zu empfangen, mußte ich warten, bis die ganze Schuld gedeckt war; dies ist soeben erst eingetreten, und darum konnte ich Dir die ganze Zeit nichts schicken. Aber jetzt, Gott sei Dank, kann ich Dir wohl wieder schicken; wir können uns jetzt überhaupt mit einer Besserung unserer Finanzen rühmen, und das beeile ich mich, Dir mitzuteilen. Erstens – wirst Du es wohl erraten, lieber Rodja, – daß Deine Schwester schon seit anderthalb Monaten mit mir wohnt und daß wir uns auch in Zukunft nicht mehr trennen werden? Gott sei Dank, ihre Martern haben ein Ende genommen, ich will es Dir aber alles der Reihe nach erzählen, damit Du weißt, wie sich alles zutrug und was wir vor Dir bisher verheimlicht haben. Als Du mir vor zwei Monaten schriebst, Du hättest gehört, daß Dunja im Hause der Herrschaften Swidrigailow viele Grobheiten zu leiden habe, und von mir genaue Erklärungen verlangtest, was konnte ich Dir damals antworten? Hätte ich Dir die ganze Wahrheit geschrieben, so wärest Du imstande, alles liegen zu lassen und, sei es auch zu Fuß, zu uns zu kommen, denn ich kenne Deinen Charakter und Deine Gefühle, und Du würdest die Beleidigung Deiner Schwester nicht dulden. Ich war auch selbst verzweifelt, aber was konnte ich tun? Ich kannte damals auch selbst nicht die ganze Wahrheit. Die größte Schwierigkeit bestand aber darin, daß Dunjetschka, als sie im vorigen Jahre die Gouvernantenstelle annahm, sich ganze hundert Rubel als Vorschuß auszahlen ließ, unter der Bedingung, daß das Geld ihr monatlich vom Gehalt abgezogen werde; sie konnte also die Stelle nicht aufgeben, bevor die ganze Schuld abgetragen war. Diese Summe aber (jetzt kann ich Dir alles erklären, teurer Rodja) hatte sie hauptsächlich darum genommen, um Dir die sechzig Rubel schicken zu können, die Du damals so dringend gebraucht und die Du von uns im vorigen Jahre auch wirklich erhalten hast. Wir haben Dich damals betrogen, wir schrieben Dir, es sei von dem Gelde, das Dunjetschka sich früher erspart hätte; es war aber nicht so, jetzt teile ich Dir die ganze Wahrheit mit, weil alles sich plötzlich nach Gottes Fügung zum Besten gewendet hat, und damit Du weißt, wie sehr Dich Dunja liebt und was für ein kostbares Herz sie hat. Herr Swidrigailow hatte sie zuerst wirklich sehr grob behandelt und sich ihr gegenüber allerlei Unhöflichkeiten und Sticheleien bei Tisch erlaubt ... Ich will mich aber auf diese traurigen Einzelheiten nicht einlassen, um Dich jetzt, wo alles vorbei ist, nicht aufzuregen. Kurz, trotz des gutmütigen und vornehmen Verhaltens Marfa Petrownas, der Gattin des Herrn Swidrigailow, wie auch der ganzen Familie, hatte es Dunjetschka sehr schwer, besonders wenn Herr Swidrigailow nach seiner alten Regimentsangewohnheit unter dem Einfluß des Gottes Bacchus stand. Aber was stellte sich später heraus? Denke Dir nur: dieser Wahnsinnige hatte schon früher eine Leidenschaft zu Dunja gefaßt, verbarg sie aber immer unter der Maske von Grobheit und Verachtung. Vielleicht schämte er sich auch und entsetzte sich, als er, der doch ein bejahrter Mann und Familienvater ist, sich auf solchen leichtsinnigen Hoffnungen ertappte, und ließ darum seine Wut unwillkürlich an Dunja aus. Vielleicht wollte er auch unter dem Deckmantel seines groben Benehmens und Spottes die Wahrheit vor den andern verbergen. Zuletzt hielt er es nicht mehr aus und erfrechte sich, Dunja einen offenen und gemeinen Antrag zu machen unter der Versprechung, sie reich zu belohnen und auch alles im Stich zu lassen und mit ihr auf ein anderes Gut oder sogar ins Ausland zu ziehen. Du kannst Dir wohl alle ihre Leiden vorstellen! Sie konnte aber ihre Stellung nicht sofort aufgeben, und zwar nicht nur wegen der Geldangelegenheit, sondern auch aus Rücksicht auf Marfa Petrowna, die dadurch Verdacht schöpfen könnte, was zu einem Zerwürfnis in der Familie hätte führen können. Und auch für Dunjetschka wäre es ein Skandal; ohne einen solchen wäre es doch nicht abgelaufen. Es waren auch noch viele andere Gründe da, so daß Dunja gar nicht rechnen durfte, früher als in sechs Wochen aus diesem schrecklichen Hause herauszukommen. Du kennst natürlich Dunja und weißt, wie klug und charakterfest sie ist. Dunjetschka kann vieles ertragen und im äußersten Falle noch soviel Mut aufbringen, um nicht ihre Kraft zu verlieren. Sie hat mir nichts darüber geschrieben, um mich nicht aufzuregen; wir tauschten aber oft Briefe. Die Lösung kam sehr unerwartet. Marfa Petrowna belauschte einmal zufällig ihren Mann, wie er Dunjetschka im Garten anflehte; sie faßte aber alles falsch auf, schob die ganze Schuld auf Dunja und glaubte, sie hätte angefangen. Es kam gleich im Garten zu einer fürchterlichen Szene: Marfa Petrowna schlug sogar Dunja, wollte auf nichts hören, schrie eine ganze Stunde und gab zuletzt den Befehl, Dunja sofort zu mir in die Stadt zu bringen, in einem einfachen Bauernwagen, in den man alle ihre Sachen – Wäsche und Kleider, alles, wie es gerade lag, unverpackt und nicht zusammengelegt – hineinwarf. Da kam aber gerade ein Guß, und Dunja mußte, beleidigt und geächtet, unter strömendem Regen ganze siebzehn Werst mit dem Bauer im offenen Wagen fahren. Nun überlege Dir, was konnte ich Dir in meinem Antwortbrief auf den Deinigen, den ich vor zwei Monaten erhalten habe, schreiben? Ich war selbst verzweifelt; Dir die Wahrheit zu schreiben, wagte ich nicht, weil Du unglücklich, erbittert und empört geworden wärest; und was hättest Du auch in der Sache tun können? Du hättest Dich vielleicht zugrunderichten können, und auch Dunjetschka wollte es mir nicht erlauben; aber einen Brief mit Dummheiten füllen, wo ich im Herzen solchen Kummer hatte, das konnte ich nicht. Einen ganzen Monat lang erzählte man sich in unserer ganzen Stadt allerlei Klatsch über diese Geschichte, und es kam so weit, daß ich mit Dunja vor Tuscheln und verächtlichen Blicken nicht mal in die Kirche gehen konnte; die Leute sprachen sogar ganz laut in unsrer Gegenwart. Alle Bekannten sagten sich von uns los, alle hörten sogar auf, uns zu grüßen, und ich erfuhr aus sicherer Quelle, daß die Ladenkommis und einige Kanzlisten uns eine gemeine Beleidigung durch das Beschmieren unseres Haustores mit Teer antun wollten, so daß die Wirtsleute verlangten, daß wir die Wohnung räumen. Schuld an alledem hatte Marfa Petrowna, die es fertigbrachte, Dunja in allen Häusern zu verleumden und anzuschwärzen. Sie kennt hier alle Leute und kam in diesem Monat jeden Augenblick in die Stadt; und da sie ein wenig geschwätzig ist und gern über ihre Familienangelegenheiten spricht, mit besonderer Vorliebe aber jedem, der es hören will, über ihren Mann klagt, was doch sehr häßlich ist, so hat sie diese Geschichte in kürzester Zeit nicht nur in der Stadt, sondern auch im ganzen Landkreise ausposaunt. Ich wurde ganz krank, Dunjetschka war aber fester als ich, und Du hättest nur sehen sollen, wie sie alles trug und auch mich noch tröstete und mir Mut zusprach! Sie ist ein Engel! Doch dank der Barmherzigkeit Gottes wurden unsere Qualen abgekürzt: Herr Swidrigailow besann sich, bereute und legte, wohl aus Mitleid mit Dunja, Marfa Petrowna volle und überzeugende Beweise für die Unschuld Dunjetschkas vor, und zwar einen Brief, den Dunja, noch bevor Marfa Petrowna sie im Garten überraschte, ihm zu schreiben und einzuhändigen gezwungen war, um alle persönlichen Erklärungen und geheimen Zusammenkünfte, die er von ihr verlangte, abzulehnen, – und dieser Brief war nach Dunjetschkas Abreise in den Händen des Herrn Swidrigailow geblieben. In diesem Briefe warf sie ihm mit der glühendsten und tiefsten Entrüstung sein gemeines Benehmen gegen Marfa Petrowna vor – und erklärte ihm, wie niedrig es von ihm, einem Vater und Gatten sei, ein ohnehin schon unglückliches, wehrloses Mädchen so zu quälen und noch unglücklicher zu machen. Mit einem Wort, lieber Rodja, der Brief war so edel und rührend geschrieben, daß ich beim Lesen weinte und ihn auch jetzt nicht ohne Tränen lesen kann. Zur Rechtfertigung Dunjas kamen jetzt auch noch die Aussagen der Dienstboten hinzu, die viel mehr gesehen hatten und wußten, als es Herr Swidrigailow annahm, wie es auch immer zu gehen pflegt. Marfa Petrowna war ganz bestürzt und ›von neuem erschlagen‹, wie sie uns selbst gestand, aber völlig von der Unschuld Dunjetschkas überzeugt. Gleich am nächsten Tag, einem Sonntag, fuhr sie direkt in die Domkirche und erflehte sich von der Mutter Gottes kniefällig und unter Tränen die Kraft, diese neue Prüfung zu ertragen und ihre Pflicht zu erfüllen. Direkt aus der Kirche, ohne jemand anderen zu besuchen, kam sie zu uns, erzählte uns alles, weinte bitterlich, umarmte Dunja voller Reue und bat sie um Verzeihung. Am selben Morgen begab sie sich unverzüglich, direkt von uns in alle Häuser der Stadt und stellte überall in den schmeichelhaftesten Ausdrücken, unter Tränen, Dunjetschkas Unschuld fest und sprach vom Adel ihrer Gefühle und ihres Betragens. Und noch mehr als das: sie zeigte allen den eigenhändigen Brief Dunjetschkas an Herrn Swidrigailow, las ihn vor und ließ von ihm sogar Abschriften anfertigen (was ich sogar für überflüssig halte). So mußte sie einige Tage hintereinander alle Menschen in der Stadt aufsuchen, so daß manche sich sogar gekränkt fühlten, weil sie erst nach den anderen kamen; auf diese Weise wurde eine Reihenfolge festgesetzt, so daß man sie in jedem Hause schon im voraus erwartete, und alle Menschen wußten, daß Marfa Petrowna an dem und dem Tage dort und dort den Brief vorlesen würde; zu jeder Vorlesung versammelten sich immer neue Leute, und auch solche, die den Brief schon einige Male wie bei sich, so auch bei ihren Bekannten gehört hatten. Ich meine, daß hierbei vieles, sehr vieles überflüssig war. Aber Marfa Petrowna ist einmal so. Jedenfalls stellte sie die Ehre Dunjetschkas vollkommen wieder her, und die ganze Gemeinheit dieser Sache fiel als unverwischbare Schmach auf ihren Mann, als den Hauptschuldigen, so daß er mir sogar leid tut; man hat diesen Wahnsinnigen doch zu streng bestraft. Dunja bekam sofort mehrere Aufforderungen, in verschiedenen Häusern Unterricht zu geben, doch sie schlug es ab. Alle begannen ihr überhaupt eine besondere Achtung zu zeigen. Dies alles trug hauptsächlich zu dem unerwarteten Ereignis bei, durch das sich jetzt unser ganzes Schicksal sozusagen wendet. Wisse nun, lieber Rodja, daß ein Freier um Dunja angehalten und daß sie ihm bereits ihr Jawort gegeben hat: dies beeile ich mich, Dir mitzuteilen. Obwohl diese Sache auch ohne Deinen Ratschlag zustande gekommen ist, wirst Du wohl weder mir noch Deiner Schwester Vorwürfe machen, denn Du kannst aus der Sache selbst ersehen, daß es uns unmöglich war, zu warten und die Entscheidung bis zum Eintreffen Deiner Antwort hinauszuschieben. Auch hättest Du das alles von Petersburg aus gar nicht beurteilen können. Es kam aber so. Er ist schon Hofrat, heißt Pjotr Petrowitsch Luschin und ist ein entfernter Verwandter von Marfa Petrowna, die die ganze Sache lebhaft gefördert hat. Es fing damit an, daß er durch sie den Wunsch äußerte, unsere Bekanntschaft zu machen; dann wurde er, wie es sich ziemt, empfangen, trank bei uns Kaffee und schickte schon am nächsten Tag einen Brief, in dem er sehr höflich seinen Antrag darlegte und um eine schnelle und bestimmte Antwort ersuchte. Er ist ein vielbeschäftigter Mensch und hat die Absicht, so fort nach Petersburg zu reisen, und will keinen Augenblick verlieren. Natürlich waren wir zuerst sehr bestürzt, denn es war allzu schnell und unerwartet gekommen. Wir überlegten uns die Sache gemeinsam den ganzen Tag. Er ist ein zuverlässiger, gut versorgter Mann, bekleidet zwei Stellungen und besitzt schon ein eigenes Kapital. Allerdings ist er schon fünfundvierzig Jahre alt, aber von recht angenehmem Außern und kann noch Frauen gefallen; er ist auch überhaupt ein höchst solider und anständiger Mann, nur ein wenig düster und vielleicht auch hochmütig. Es mag sein, daß das nur auf den ersten Blick so vorkommt. Ich bitte Dich schon jetzt, lieber Rodja, ihn, wenn Du ihn in Petersburg siehst, was sehr bald geschehen wird, nicht so voreilig und zu hitzig zu beurteilen, wie es Dir eigen ist, wenn Dir auf den ersten Blick etwas an ihm mißfällt. Ich sage das für jeden Fall, obwohl ich überzeugt bin, daß er auf Dich einen angenehmen Eindruck machen wird. Außerdem muß man an einen Menschen, den man wirklich kennenlernen will, ganz allmählich und mit der größten Vorsicht herantreten, um nicht in Fehler oder Vorurteile zu verfallen, die später sehr schwer zu korrigieren und zu beseitigen sind. Pjotr Petrowitsch ist aber, wenigstens nach vielen Anzeichen zu schließen, ein höchst ehrenwerter Mann. Gleich bei seinem ersten Besuch erklärte er uns, daß er ein nüchterner Mensch sei, doch in vielen Dingen, wie er sich selbst ausdrückte, ›die Überzeugungen unserer jüngsten Generation‹ teile und ein Feind von allen Vorurteilen sei. Er sagte noch vieles andere, denn er scheint etwas ehrgeizig zu sein und es zu lieben, daß man ihm zuhöre, aber das ist ja fast kein Fehler. Ich habe davon natürlich wenig verstanden, aber Dunja erklärte mir, daß er zwar nicht übermäßig gebildet, doch klug und anscheinend auch gut sei. Du kennst doch den Charakter Deiner Schwester, Rodja. Sie ist ein starkes, vernünftiges, geduldiges und großmütiges Mädchen, wenn auch etwas zu hitzig, was ich an ihr genau studiert habe. Natürlich liegt hier weder auf seiner noch auf ihrer Seite eine besondere Liebe vor, aber Dunja ist nicht nur ein kluges Mädchen, sondern auch ein edles Wesen, ein Engel, und wird es für ihre Pflicht halten, das Glück eines Mannes auszumachen, der auch seinerseits für ihr Glück sorgt; das letztere zu bezweifeln, haben wir zunächst keine zwingenden Gründe, obwohl die Sache, offen gestanden, doch etwas zu schnell zustandegekommen ist. Außerdem ist er ein klug berechnender Mann und wird natürlich selbst einsehen, daß sein eigenes Eheglück um so gesicherter sein wird, je glücklicher Dunjetschka mit ihm ist. Was aber irgendwelche Unebenheiten im Charakter, irgendwelche alte Angewohnheiten und sogar gewisse Gegensätze in den Ansichten (die sich ja auch in den glücklichsten Ehen nicht vermeiden lassen) betrifft, so hat mir Dunjetschka gesagt, daß sie sich darin auf sich selbst verläßt; daß kein Grund zur Beunruhigung vorliege und daß sie vieles tragen könne, unter der Bedingung, daß das Verhältnis auch in Zukunft ebenso ehrlich und gerecht bleibe. Das Außere eines Menschen ist aber oft trügerisch. Mir erschien er zum Beispiel im ersten Augenblick etwas schroff; das kann aber auch darauf beruhen, daß er gerade und offenherzig ist, und das ist auch sicher der Fall. Zum Beispiel schon bei seinem zweiten Besuche, als er das Jawort hatte, äußerte er sich im Gespräch, daß er sich schon früher, ehe er noch Dunja kennengelernt, vorgenommen hätte, ein ehrliches Mädchen, doch ohne Mitgift, zu heiraten, und zwar unbedingt eines, das schon in einer Notlage gewesen sei: er erklärte es damit, daß ein Mann, nach seiner Meinung, seiner Frau durch nichts verpflichtet sein müsse und daß es viel besser sei, wenn die Frau den Mann für ihren Wohltäter halte. Ich bemerke, daß er sich etwas weicher und liebenswürdiger ausdrückte, als ich es Dir hier schreibe, denn ich habe seine genauen Ausdrücke vergessen und erinnere mich nur des Sinnes; außerdem sagte er dies durch aus nicht mit Absicht, sondern ließ es nur in der Hitze des Gesprächs wohl ganz zufällig fallen, so daß er sich später bemühte, es zu vertuschen und zu mildern; und doch kam mir dies etwas schroff vor, und ich teilte diese Bedenken später auch Dunja mit. Aber Dunja antwortete mir sogar geärgert: ›Worte sind noch keine Taten‹, und hat natürlich recht. Vor ihrem Entschluß hatte Dunjetschka eine ganze Nacht nicht geschlafen und war, in der Meinung, daß ich schon schlafe, vom Bett aufgestanden und die ganze Nacht im Zimmer auf und ab gegangen; schließlich kniete sie nieder und betete lange und heiß vor dem Heiligenbilde; am anderen Morgen erklärte sie mir aber, daß sie sich entschlossen habe.

Ich habe schon erwähnt, daß Pjotr Petrowitsch jetzt nach Petersburg reist. Er hat dort viel zu tun und will in Petersburg ein öffentliches Bureau für Rechtsangelegenheiten eröffnen. Er beschäftigt sich schon seit langer Zeit mit der Führung von Zivilklagen und Prozessen und hat erst dieser Tage einen bedeutenden Prozeß gewonnen. Darum muß er auch nach Petersburg, weil er dort vor dem Senat einen wichtigen Prozeß zu führen hat. So kann er auch Dir sehr nützlich sein, lieber Rodja, sogar in jeder Beziehung, und für mich und Dunja steht es schon fest, daß Du vom heutigen Tage an Deine zukünftige Karriere ganz bestimmt beginnen wirst und Deine Zukunft für gesichert ansehen darfst. Oh, wenn dies doch in Erfüllung ginge! Das wäre so ein Gewinn, daß man es nur für eine Gnade des Allerhalters ansehen dürfte. Dunja träumt überhaupt nur davon. Wir haben schon riskiert, einige Worte darüber Pjotr Petrowitsch zu sagen. Er äußerte sich sehr vorsichtig und sagte, daß er, da er ohne einen Sekretär nicht auskommen könne, es natürlich vorziehen würde, das Gehalt einem Verwandten und nicht einem Fremden zu zahlen, wenn dieser Verwandte sich nur für den Posten eigne (Du solltest Dich nicht eignen!); zugleich äußerte er aber auch Bedenken, ob Deine Studien an der Universität Dir genug Zeit für die Arbeit in seinem Bureau übrig lassen würden. Damit endete auch das erste Gespräch; Dunja will jetzt an nichts anderes denken. Seit einigen Tagen ist sie wie im Fieber und hat schon ein ganzes Projekt ausgeheckt, daß Du in Zukunft Gehilfe und sogar Kompagnon von Pjotr Petrowitsch in seinen Rechtsangelegenheiten werden könntest, um so mehr, als Du Jus studierst. Ich bin mit ihr vollkommen einverstanden, Rodja, und teile alle ihre Pläne und Hoffnungen, da ich sie für durchaus erfüllbar halte; und trotz der jetzigen, wohl verständlichen Zurückhaltung Pjotr Petrowitschs (weil er Dich noch gar nicht kennt) ist Dunja fest überzeugt, daß sie alles durch ihren guten Einfluß auf ihren künftigen Mann durchsetzen wird; ja, davon ist sie fest überzeugt. Wir nahmen uns natürlich sehr in acht, Pjotr Petrowitsch auch nur etwas von unseren Hoffnungen und davon, daß Du sein Kompagnon werden sollst, zu verraten. Er ist ein nüchterner Mensch und könnte es vielleicht etwas trocken aufnehmen, da ihm dies alles als ein leerer Traum erschienen wäre. Ebenso haben wir, weder ich noch Dunja, auch nur ein Sterbenswörtchen von unserer festen Zuversicht fallen lassen, daß er uns helfen werde, Dich mit Geld zu unterstützen, solange Du noch auf der Universität bist; wir sprachen nicht davon, erstens, weil er mit der Zeit ganz von selbst kommt und weil er es uns doch sicher selbst, ohne viele Worte, anbieten wird (kann er denn Dunjetschka etwas abschlagen?), um so mehr, als Du seine rechte Hand im Bureau werden kannst und diese Unterstützung nicht als eine Wohltat, sondern als ein verdientes Gehalt bekommen kannst. So will es Dunjetschka einrichten, und ich bin mit ihr vollkommen einverstanden. Zweitens haben wir mit ihm darüber nicht gesprochen, weil ich durchaus möchte, daß Du bei der bevorstehenden Begegnung auf dem gleichen Fuße mit ihm stehen sollst. Als Dunja zu ihm mit Entzücken über Dich sprach, antwortete er, daß man jeden Menschen zuerst persönlich und aus nächster Nähe sehen müsse, um über ihn urteilen zu können, und daß er sich selbst vorbehalte, nachdem er Dich einmal kennengelernt, seine Meinung über Dich zu bilden. Weißt Du was, mein teuerer Rodja, mir scheint aus gewissen Erwägungen, (die sich übrigens gar nicht auf Pjotr Petrowitsch beziehen, sondern aus meinen eigenen, persönlichen Erwägungen, vielleicht sogar aus einer Altweiberlaune) – mir scheint, daß ich vielleicht besser tue, wenn ich nach ihrer Hochzeit allein, so wie jetzt, lebe, und nicht mit ihnen. Ich bin fest davon überzeugt, daß er so vornehm und zartfühlend sein wird, mich selbst einzuladen und aufzufordern, mich von meiner Tochter nicht zu trennen; wenn er darüber noch nicht gesprochen hat, so doch natürlich nur darum, weil es sich auch ohne Worte ganz von selbst versteht; ich werde aber die Einladung nicht annehmen. Ich habe in meinem Leben mehr als einmal gesehen, daß die Schwiegermütter den Männern nicht sehr sympathisch sind, ich aber will nicht nur keinem Menschen zur Last fallen, sondern auch vollkommen frei und unabhängig sein, solange ich noch ein Stück Brot und solche Kinder habe wie Dich und Dunjetschka. Wenn es geht, werde ich mich in Euerer Nähe niederlassen, denn das Angenehmste habe ich für den Schluß des Briefes aufgespart, Rodja: erfahre nun, mein lieber Freund, daß wir uns alle drei vielleicht sehr bald nach der fast dreijährigen Trennung wiedersehen und umarmen werden! Es ist schon festbeschlossen, daß ich und Dunja nach Petersburg reisen; wann, weiß ich noch nicht, jedenfalls aber sehr, sehr bald, vielleicht sogar in einer Woche. Alles hängt von den Anordnungen Pjotr Petrowitschs ab, der uns, sobald er sich in Petersburg umgesehen hat, Nachricht geben wird. Aus verschiedenen Gründen will er die Eheformalitäten möglichst beschleunigen und die Hochzeit womöglich in der Fastnachtswoche feiern, und wenn das infolge der kurzen Frist nicht mehr geht, dann gleich nach Mariä Himmelfahrt. Oh, mit welchem Glück werde ich Dich an mein Herz drücken! Dunja ist vor Freude, Dich wiederzusehen, ganz aufgeregt und hat einmal im Scherz gesagt, daß sie schon deswegen den Pjotr Petrowitsch heiraten würde. Sie ist ein Engel! Sie schreibt Dir diesmal nicht, bittet mich aber, Dir zu schreiben, daß sie mit Dir so viel zu sprechen hat, so viel, daß sie sich jetzt scheut, nach einer Feder zu greifen, – weil man in einigen Zeilen gar nichts sagen, sondern sich nur aufregen kann; sie läßt Dich herzlich umarmen und unzähligemal küssen. Obwohl wir uns vielleicht sehr bald sehen werden, werde ich Dir dieser Tage Geld, soviel ich kann, schicken. Jetzt, wo alle erfahren haben, daß Dunjetschka Pjotr Petrowitsch heiratet, ist auch mein Kredit gestiegen, und ich weiß auch ganz bestimmt, daß Afanassij Iwanowitsch mir jetzt auf meine Pension hin eine größere Summe vorstrecken wird, vielleicht sogar fünfundsiebzig Rubel, so daß ich Dir vielleicht fünfundzwanzig oder sogar dreißig Rubel schicken werde. Gern würde ich Dir noch mehr schicken, aber ich fürchte die Reisekosten; obwohl Pjotr Petrowitsch so gut war, einen Teil der Kosten unserer Reise nach Petersburg auf sich zu nehmen, – er hat uns nämlich selbst angeboten, unser Gepäck und den großen Koffer auf eigene Rechnung (irgendwie durch Bekannte) zu befördern, müssen wir aber doch auch mit dem Aufenthalt in Petersburg rechnen, wo man doch wenigstens in den ersten Tagen nicht ohne einen Pfennig Geld dasitzen darf. Ich habe übrigens schon alles mit Dunjetschka genau berechnet, und es kam dabei heraus, daß die Reise selbst nicht viel kosten wird. Bis zur Bahnstation sind es nur neunzig Werst, und wir haben uns schon für jeden Fall mit einem bekannten Bauern, der Fuhrmann ist, geeinigt; in der Eisenbahn fahren wir aber glücklich in der dritten Klasse. So ist es möglich, daß es mir gelingt, Dir nicht fünfundzwanzig, sondern ganz sicher dreißig Rubel zu schicken. Doch genug davon; zwei Bogen habe ich vollgeschrieben, und es bleibt kein Platz mehr übrig. Da hast Du unsere ganze Geschichte; nun, es hat sich ja eine Menge von Ereignissen angesammelt! Ich umarme Dich, mein teuerer Rodja, bis zu unserem baldigen Wiedersehen und schicke Dir meinen mütterlichen Segen. Liebe Deine Schwester Dunja, Rodja; liebe sie so, wie sie Dich liebt, und wisse, daß sie Dich grenzenlos, mehr als sich selbst liebt. Sie ist ein Engel, und Du, Rodja, Du bist unsere ganze Hoffnung und unsere ganze Zuversicht. Wenn Du bloß glücklich bist, so sind wir auch glücklich. Betest Du noch zu Gott, Rodja, wie früher und glaubst Du an die Güte unseres Schöpfers und Erlösers? Ich fürchte in meinem Herzen, ob Dich nicht schon der neueste moderne Unglaube angesteckt hat. Wenn dem so ist, so bete ich für Dich. Denke doch, Liebster, daran, wie Du in Deiner Kindheit, als Dein Vater noch lebte, auf meinen Knien Deine Gebete stammeltest und wie glücklich wir damals waren! Lebe wohl, oder besser: Auf Wiedersehen! Ich umarme Dich fest und küsse Dich unzählige Male.

Bis zum Grabe Deine

Pulcheria Raskolnikowa.«

Fast die ganze Zeit, als Raskolnikow diesen Brief las, gleich von Anfang an, war sein Gesicht feucht von Tränen; als er ihn aber zu Ende gelesen hatte, war es bleich, von einem Krampfe verzerrt, und ein schweres, galliges, böses Lächeln spielte um seine Lippen. Er ließ seinen Kopf auf das magere und abgenutzte Kissen fallen und dachte lange, lange nach. Mächtig schlug sein Herz, und mächtig regten sich seine Gedanken. Schließlich wurde es ihm in dieser gelben Kammer, die einem Schrank oder einem Koffer glich, zu dumpf und zu eng. Seine Blicke und Gedanken verlangten nach Freiheit und Raum. Er ergriff seinen Hut und ging hinaus, diesmal ohne Angst, jemand auf der Treppe zu begegnen; er hatte das ganz vergessen, er schlug die Richtung nach der Wassiljewski-Insel durch den W–schen Prospekt ein, als eile er in einer wichtigen Angelegenheit hin; er ging aber, wie immer, ohne auf den Weg zu achten, vor sich hinflüsternd und sogar laut mit sich selbst sprechend, wodurch er die Vorübergehenden in Erstaunen setzte. Viele hielten ihn für betrunken.

Schuld und Sühne

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