Читать книгу Der Spieler. Aus den Aufzeichnungen eines jungen Mannes - Fjodor Dostojewskij - Страница 6
Drittes Kapitel
ОглавлениеUnd trotzdem verlor sie gestern den ganzen Tag lang über das Spielen kein Wort. Überhaupt vermied sie es gestern, mich anzusprechen. An ihrer Art, mit mir umzugehen, hat sich nichts geändert. Die gleiche vollkommene Geringschätzung mir gegenüber, ja sogar etwas von Verachtung und Widerwille darin. Sie gibt sich überhaupt keine Mühe, ihre Abneigung gegen mich zu verbergen; ich merke es genau. Trotzdem verbirgt sie auch nicht, dass sie mich für etwas braucht und mich für irgendwelche Zwecke in petto hält. Unsere derzeitigen Beziehungen sind irgendwie seltsam, mir nicht ganz einsichtig, wenn man bedenkt, dass sie im Umgang mit aller Welt stolz und hochmütig ist. Sie weiß beispielsweise, dass ich bis zum Wahnsinn in sie verliebt bin, erlaubt mir sogar, über meine Leidenschaft zu sprechen – und natürlich hätte sie keine bessere Art finden können, mir ihre Verachtung zu zeigen, als durch diese Erlaubnis, ihr ungehindert und frei von meiner Liebe zu sprechen. So etwa: »Siehst du, für wie nichtig ich deine Gefühle erachte, dass es mich nicht im Geringsten kümmert, was immer du zu mir sagst und was immer du für mich empfindest.« Über ihre eigenen Angelegenheiten hat sie auch früher schon viel mit mir gesprochen, aber niemals ganz aufrichtig. Mehr noch, ihre Verächtlichkeit mir gegenüber war nicht ohne Raffinesse; ein Beispiel: Nehmen wir an, sie weiß, dass mir ein Umstand in ihrem Leben oder etwas, was sie besorgt macht, bekannt ist, und sie erzählt mir von sich aus etwas darüber, um mich irgendwie für ihre Ziele zu gebrauchen, wie einen Sklaven oder einen Laufburschen; dabei erzählt sie aber gerade nur soviel, wie ein Mensch zu wissen braucht, der den Laufburschen abgibt, und dann – wenn mir der Zusammenhang der Ereignisse noch unbekannt bleibt, wenn sie selbst sieht, wie ich an ihren Qualen und Ängsten mitleide, wird sie sich niemals herablassen, mich durch freundschaftliche Aufrichtigkeit zu beruhigen, obgleich sie, die mich oft mit nicht bloß aufwendigen, sondern auch gefährlichen Aufträgen ausschickt, nach meinem Dafürhalten geradezu verpflichtet wäre, aufrichtig zu sein. Na ja, was kümmern sie meine Gefühle, was kümmert sie, dass auch ich besorgt bin und ihre Besorgnisse und Misserfolge vielleicht dreimal so stark erleide als sie selbst!
Dass sie Roulette spielen möchte, wusste ich bereits seit drei Wochen. Sie hat mir sogar angekündigt, dass ich an ihrer Stelle spielen müsste, weil es ihr der Anstand verbiete. Die Art, wie sie es sagte, machte mir sogleich klar, dass es um etwas Ernstes ging und nicht bloß um den Wunsch, Geld zu gewinnen. Geld an sich bedeutet ihr nichts. Es gab ein Ziel, irgendeinen Umstand; ich hatte da eine Ahnung, wusste aber bislang nichts Genaues. Jene Erniedrigung und Knechtschaft, in der sie mich gefangen hält, hätten es mir allerdings (was oft der Fall war) erlaubt, ihr meinerseits grobe und direkte Fragen zu stellen. Da ich ein Sklave und ein Nichts in ihren Augen bin, braucht sie sich durch meine plumpe Neugier nicht betroffen zu fühlen. Aber das ist es ja: dass sie mir Fragen erlaubt, aber nicht beantwortet. Mitunter hört sie sie gar nicht. So ist’s um uns bestellt!
Gestrigen Tags war viel von einem Telegramm die Rede, vor vier Tagen nach Petersburg geschickt und bisher ohne Antwort geblieben. Der General ist offensichtlich nervös und in Gedanken verloren. Es geht natürlich um die Großmutter. Auch der Franzose ist unruhig. Gestern nachmittag zum Beispiel haben sie sich lange und ernsthaft unterhalten. Der Franzose befleißigt sich uns gegenüber eines außerordentlich hochmütigen und verächtlichen Tons. Genau wie’s im Sprichwort heißt: Bitt’ erst einen zu Tisch, legt er die Füße drauf. Selbst mit Polina spricht er herablassend, geradezu rüpelhaft; im Übrigen beteiligt er sich freudig an den gemeinsamen Promenaden im Park oder an den Ausritten und Ausflügen in die Umgebung. Mir sind seit langem gewisse Umstände bekannt, die den Franzosen mit dem General verbinden: Von einem gemeinsam zu unterhaltenden Gestüt in Russland war die Rede; ich weiß nicht, ob der Plan geplatzt ist oder noch immer verhandelt wird. Außerdem erfuhr ich durch Zufall einen Teil des Familiengeheimnisses: Der Franzose hat dem General im vergangenen Jahr tatsächlich mit dreißigtausend aus der Patsche geholfen, die fehlten nämlich in den Staatsgeldern, die der General bei seinem Rücktritt zu übergeben hatte. Und dass er dem General allemal den Schraubstock ansetzen kann, versteht sich von selbst; doch jetzt, unmittelbar jetzt, wird die Hauptrolle in alldem dennoch von Mademoiselle Blanche gespielt, ich bin sicher, dass ich auch darin nicht irre.
Wer ist sie, diese Mademoiselle Blanche? Es heißt unter den Unsrigen, sie sei eine vornehme Französin in Begleitung ihrer Mutter, sowie im Besitze eines kolossalen Vermögens. Ebenfalls bekannt ist ihre Verwandtschaft mit unserem Marquis, eine weitläufige allerdings, zweiten oder dritten Grades. Es heißt, ihr Umgang miteinander sei vor meiner Parisreise viel förmlicher gewesen, so als stünden sie auf weniger festem Fuße miteinander; nunmehr aber präsentieren sich ihre Beziehung, Freundschaft und Verwandtschaft irgendwie gröber und irgendwie vertrauter. Vielleicht glauben sie uns schon so sehr am Boden, dass sie es nicht mehr für nötig erachten, viel Federlesens mit uns zu machen und damit hinterm Berg zu halten. Ich habe bereits vorgestern bemerkt, wie Mister Astley Mademoiselle Blanche und ihre Mutter betrachtete. Es schien mir, als kenne er sie. Mir war sogar, als wäre auch unser Franzose dem Mister Astley schon früher begegnet. Allerdings ist Mister Astley so schüchtern, scheu und schweigsam, dass man sich auf ihn verlassen kann: Der kehrt fremden Schmutz nicht unter dem Teppich hervor. Jedenfalls würdigt ihn der Franzose kaum eines Grußes, ja kaum eines Blicks, und das heißt soviel, dass er ihn nicht fürchtet. Nun, das wäre noch verständlich, aber warum schenkt ihm auch Mademoiselle Blanche so wenig Beachtung? Zumal sich der Marquis gestern verplappert hat: Plötzlich sagte er ins allgemeine Gespräch hinein, ich weiß nicht mehr, aus welchem Anlass, dass Mister Astley, wie ihm bekannt, kolossal reich sei; wenn das nicht der rechte Augenblick für Mademoiselle Blanche gewesen wäre, Mister Astley anzusehen! Der General jedenfalls ist beunruhigt. Es liegt auf der Hand, was ein Telegramm über Tantchens Tod für ihn jetzt bedeuten würde!
Obwohl ich mir sicher war, dass Polina einem Gespräch mit mir geradezu zielstrebig ausweicht, legte ich mir ein unbeteiligtes und gleichgültiges Gehabe zu: immer in der Hoffnung, sie würde mich, gedulde ich mich nur eine Weile, von sich aus ansprechen. Hingegen schenkte ich gestern und heute meine ganze Aufmerksamkeit Mademoiselle Blanche. Armer General, er ist rettungslos verloren! Sich mit fünfundfünfzig so leidenschaftlich zu verlieben – ein Unglück, zweifellos. Vergessen Sie darüber hinaus nicht seinen Witwerstand, die Kinder, den völlig heruntergekommenen Besitz, die Schulden und schließlich die Frau, in die er sich just verlieben musste. Mademoiselle Blanche ist schön. Ich weiß jedoch nicht, ob man mich verstehen wird, wenn ich sage, dass ihr Gesicht zu jenen Gesichtern gehört, die einem Schrecken einjagen. Ich zumindest hatte immer Angst vor solchen Frauen. Sie ist wahrscheinlich um die fünfundzwanzig, hochgewachsen, mit ausladenden runden Schultern; ihr Hals und ihr Busen formidabel; die Haut gebräunt, das Haar schwarz wie Tusche, ein üppiges Haar, würde für zwei Frisuren reichen. Die Augen sind schwarz, das Augenweiß gelblich, der Blick unverschämt, die Zähne von weißestem Weiß, die Lippen immer geschminkt: sie riecht nach Moschus. Sie kleidet sich reich und auffallend, dennoch mit feinem Geschmack. Ihre Beine und Arme sind einmalig. Sie besitzt eine heisere tiefe Altstimme. Ab und zu bricht sie in Lachen aus und zeigt dabei ihre sämtlichen Zähne, doch ansonsten schaut sie schweigsam und unverschämt drein, zumindest, wenn Polina oder Marja Filippowna dabei sind. (Ein seltsames Gerücht geht um: Marja Filippowna fährt nach Russland.) Mir scheint Mademoiselle Blanche völlig ungebildet zu sein, vielleicht auch dumm, was sie allerdings mit Hinterlist und Schläue wettmacht. Mir scheint, ihr Leben war nicht ohne Abenteuer. Mal ins Reine gesprochen: Es kann durchaus sein, dass der Marquis nicht im Entferntesten mit ihr verwandt und ihre Mutter mitnichten ihre Mutter ist. Hingegen lässt sich bezeugen, dass sie und ihre Mutter in Berlin, wo wir zusammentrafen, einen anständigen Umgang pflegten. Was nun den Marquis selbst anlangt, so mag ich zwar bis jetzt an seinem Titel zweifeln, doch steht es, scheint’s, außer Frage, dass er bei uns, beispielsweise in Moskau, und auch in Deutschland da und dort zur guten Gesellschaft gehört. Ich weiß nicht, was er in Frankreich ist; er soll ein Château besitzen. Ich hatte erwartet, dass in den zwei Wochen allerlei passieren würde, war mir jedoch noch immer nicht sicher, ob zwischen Mademoiselle Blanche und dem General etwas Entscheidendes zur Sprache gekommen war. Es hängt überhaupt alles von unserer Vermögenslage ab, anders gesagt, davon, ob der General ihnen viel Geld vorzuweisen hat. Sollte sich beispielsweise herausstellen, dass Großmutter nicht gestorben ist – kein Zweifel, Mademoiselle Blanche wäre im Nu verschwunden. Wie wunderlich und komisch für mich selbst, solch ein Klatschmaul geworden zu sein! Oh, wie ist mir das alles zuwider! Mit welchem Hochgenuss ich sie allesamt liegen und stehen lassen würde! Pah, als ob ich Polina verlassen könnte, als ob ich aufhören könnte herumzuspionieren, wenn’s um sie geht. Natürlich ist das Herumschnüffeln gemein, doch was schert mich das!
Neugierig machte mich gestern und heute auch Mister Astley. Ja, er ist in Polina verliebt, da bin ich mir sicher! Seltsam ist es und komisch, wieviel der Blick eines schüchternen und krankhaft keuschen Mannes mitunter auszudrücken vermag, sobald er von der Liebe angerührt ist und natürlich eher schleunigst im Erdboden versinken möchte, denn etwas mit Worten oder Blicken zu sagen oder auszudrücken. Mister Astley begegnet uns recht oft im Park. Er lüftet den Hut und lässt uns vorbei und vergeht in Wahrheit vor Verlangen, sich uns anzuschließen. Fordert man ihn jedoch dazu auf, beeilt er sich abzulehnen. An den Orten, wo die Unsrigen promenieren, im Vergnügungspark, bei Kurkonzerten oder einer Bank vor dem Springbrunnen, bleibt er unbedingt in der Nähe stehen, und wo immer wir auch sein mögen, egal, ob im Park, im Wald oder auf dem Schlangenberg, es genügt, den Kopf zu heben und rundum zu blicken – mit Sicherheit wird man irgendwo auf dem nächsten Pfad oder hinter einem Strauch einen Zipfel von Mister Astley erspähen. Ich glaube, er sucht eine Gelegenheit, mit mir allein zu sprechen. Heute morgen trafen wir zusammen und wechselten ein paar Worte. Er spricht mitunter in irgendwie ungewöhnlich abgehackten Sätzen. Kaum hatte er gegrüßt, begann er:
»Ah, Mademoiselle Blanche! … Mir sind viele Frauen begegnet wie Mademoiselle Blanche!«
Er verstummte und sah mich bedeutsam an. Was er damit sagen wollte, weiß ich nicht, denn auf meine Frage, was das heißen solle, nickte er schlau grinsend und fügte hinzu: »So ist es. Ja. Mag Mademoiselle Pauline Blumen?«
»Ich weiß nicht, kann’s Ihnen gar nicht sagen«, erwiderte ich.
»Wie das? Sie wissen es nicht!« Seine Stimme überschlug sich in höchstem Erstaunen.
»Weiß nicht, hab’s nicht bemerkt«, wiederholte ich lachend.
»Hm, das gibt mir einen besonderen Gedanken.« Er nickte und setzte seinen Weg fort. Im Übrigen sichtlich zufrieden. Wir hatten in elendigstem Französisch parliert.