Читать книгу Der Spieler. Aus den Aufzeichnungen eines jungen Mannes - Fjodor Dostojewskij - Страница 8

Fünftes Kapitel

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Sie war tief in Gedanken versunken, doch sobald die Tafel aufgehoben war, wies sie mich an, sie beim Spaziergang zu begleiten. Wir riefen die Kinder und begaben uns zum Springbrunnen im Park.

Da ich mich in einem ganz besonders erregten Zustand befand, platzte ich dumm und brutal mit der Frage heraus, warum denn unser Marquis des Grieux, das Französlein, ihr nicht mehr Gesellschaft leistete, wenn sie das Haus verließ, vielmehr überhaupt ganze Tage lang nicht mit ihr sprach.

»Weil er ein Schuft ist«, lautete ihre seltsame Antwort. Noch nie hatte ich sie derart über des Grieux urteilen gehört, also schwieg ich, aus Scheu, ihrer Gereiztheit auf den Grund zu kommen.

»Haben Sie bemerkt, dass er sich heute augenscheinlich mit dem General überworfen hat?«

»Sie möchten gern wissen, worum es geht«, gab sie trocken und erbost zurück. »Sie wissen ja, dass der General seine Habe und das Landgut samt und sonders bei ihm verpfändet hat, und wenn Großmutter nicht stirbt, wird der Marquis umgehend Besitzansprüche anmelden.«

»Es stimmt also wirklich, dass alles verpfändet ist? Ich hörte davon, aber nicht, dass es entschieden um alles geht.«

»Wie denn sonst?«

»Und das heißt: Adieu Mademoiselle Blanche«, bemerkte ich. »Dann kriegen wir keine Frau Generalin! Wissen Sie, mir scheint, der General hat sich so arg verliebt, dass er sich die Kugel gibt, wenn Mademoiselle Blanche ihn sitzenlässt. In seinem Alter ist’s gefährlich, sich so zu verlieben.«

»Ich glaube ja auch, dass ihm etwas zustoßen wird«, antwortete Polina Alexandrowna nachdenklich.

»Und ist es nicht prächtig«, warf ich ein, »wie’s zutage tritt, dass sie ihr Jawort nur dem Geld gab? Gröber ginge es nicht mehr. Da wurde nicht mal der Anstand gewahrt. Nichts von förmlichem Firlefanz. Erstaunlich! Und was die Großmutter anlangt, so gibt es wohl nichts Komischeres und Schmutzigeres, als Telegramm um Telegramm auszuschicken: ist sie tot? ist sie tot? Ha? Wie gefällt Ihnen das, Polina Alexandrowna?«

»Ach, lassen Sie den Unsinn«, fiel sie mir verächtlich ins Wort. »Ich muss mich eher wundern, dass Sie so frohgestimmt sind. Worüber freuen Sie sich? Gar darüber, dass Sie mein Geld verspielt haben?«

»Wozu haben Sie es mir zum Verspielen gegeben? Ich kann für jemand anderen nicht spielen, das habe ich Ihnen gesagt, für Sie am allerwenigsten. Ich gehorche jedem Ihrer Befehle, aber das Ergebnis hängt nicht von mir ab. Ich habe Sie gewarnt, dass daraus nichts wird. Sagen Sie mir, sind Sie sehr verzweifelt, dass Sie soviel verloren haben? Wofür brauchen Sie das Geld?«

»Wozu die Fragen?«

»Haben Sie nicht versprochen, es mir zu erklären? Hören Sie, ich weiß mit Sicherheit, dass ich gewinnen würde, sobald ich für mich zu spielen begänne (ich besitze zwölf Friedrichsdor). Dann können Sie von mir haben, soviel Sie wollen.«

Sie setzte eine verächtliche Miene auf.

»Sie brauchen wegen dieses Vorschlags nicht böse zu sein«, fuhr ich fort. »Ich bin mir so vollkommen bewusst, eine Null vor Ihnen, das heißt in Ihren Augen zu sein, dass Sie sogar Geld von mir annehmen können. Ein Geschenk von mir darf Sie nicht kränken. Zumal ich Ihr Geld verspielt habe.«

Sie sah mich kurz an; als sie bemerkte, dass ich gereizt und sarkastisch sprach, unterbrach sie abermals das Gespräch.

»Es gibt in meinen Verhältnissen nichts, was Sie interessieren könnte. Wenn Sie’s wissen wollen: Es geht einfach um Schulden. Um Geld, das ich mir geborgt habe und zurückgeben will. Ich hatte die wahnwitzige und seltsame Idee, unbedingt gewinnen zu können, hier, am Spieltisch. Woher die Idee kam, verstehe ich nicht, aber ich glaubte daran. Wer weiß, vielleicht glaubte ich so fest daran, weil mir keine andere Chance zur Wahl blieb.«

»Oder vielleicht, weil Sie allzusehr gewinnen mussten. Ganz genau wie der Ertrinkende, der sich an einen Strohhalm klammert. Sie stimmen mir wohl zu, dass er, wäre er nicht am Ertrinken, einen Strohhalm niemals für einen Ast halten würde.«

Polina staunte.

»Als ob Sie selbst nicht die gleichen Hoffnungen hegten? Wer hat mir denn vor zwei Wochen lang und viel davon gesprochen, dass er sicher sei, hier beim Roulette zu gewinnen, und auf mich eingeredet, ihn nicht für verrückt zu halten? Oder war es nur ein Scherz damals? Aber ich erinnere mich, Sie hatten so ernst gesprochen, dass man’s mitnichten für einen Scherz hätte halten können.«

»Es stimmt«, antwortete ich nachdenklich, »ich bin noch immer durchaus sicher, zu gewinnen. Ich will sogar gestehen, dass Sie mich jetzt auf eine Frage gebracht haben: Warum hat mein heutiger, unsinniger und abstoßender Spielverlust keinerlei Zweifel in mir geweckt? Ich bin trotz allem ganz sicher, dass ich, sobald es allein um mich geht, unbedingt gewinnen werde.«

»Woher diese unbedingte Sicherheit?«

»Mit Verlaub – ich weiß es nicht. Weiß nur, dass ich gewinnen muss, dass es ebenfalls mein einziger Ausweg ist. Daher kommt es vielleicht, dass ich so sicher bin.«

»Demnach ist es auch für Sie ein Muss, was Sie so fanatisch sicher macht?«

»Ich wette, Sie bezweifeln, dass ich befähigt bin, dieses Muss ernsthaft zu empfinden?«

»Das ist mir egal«, antwortete Polina leise und gleichgültig. »Wenn es Ihnen gefällt – ja, ich bezweifle, dass Sie ernsthaft von etwas bedrückt sein können. Bedrückt – gewiss, aber nicht ernsthaft. Sie sind ein wirrer und ungefestigter Mensch. Wozu brauchen Sie Geld? An keinem der Gründe, die Sie mir damals vorlegten, habe ich etwas Ernsthaftes entdeckt.«

»Apropos«, unterbrach ich sie, »Sie sagten, Sie müssten Schulden begleichen. Saftige Schulden demnach! Beim Franzosen gar?«

»Was für Fragen?! Ihr Ton ist heute besonders scharf. Sind Sie am Ende betrunken?«

»Sie wissen, dass ich mir beim Reden keinen Zwang antue und mitunter sehr direkte Fragen stelle. Ich wiederhole, ich bin Ihr Sklave, und niemand schämt sich vor seinem Sklaven und niemand kränkt sich ob seiner Reden.«

»Unsinn! Ihre ›Sklaventheorie‹ kann ich nicht ausstehen.«

»Merken Sie sich, dass ich über mein Sklavendasein nicht darum rede, weil ich Ihr Sklave sein möchte, sondern es einfach als Tatsache erwähne, über die ich keine Macht besitze.«

»Eine Antwort ohne Umschweife: Warum brauchen Sie Geld?«

»Und warum wollen Sie es wissen?«

»Wie’s Ihnen beliebt«, sagte sie und warf stolz den Kopf hoch.

»Die Sklaventheorie ist Ihnen zuwider, aber die Sklaverei käme Ihnen zupass: ›Her mit der Antwort und kein Wenn und Aber!‹ Gut, so sei’s. Warum ich Geld brauche, wollen Sie wissen? Wie denn nicht? Geld ist alles!«

»Das verstehe ich, aber man darf doch nicht derart den Verstand verlieren in der Gier nach Geld! Sie sind ja auch wie von Sinnen, ein wahrer Fatalist. Da steckt etwas dahinter, irgendein besonderes Ziel. Sprechen Sie unumwunden, ich will es.«

Sie schien im Begriff, böse zu werden, und es gefiel mir außerordentlich, dass sie mich so herzhaft ins Verhör nahm.

»Natürlich ist es ein Ziel«, sagte ich, »doch ich kann nicht erklären, was für eines. Nicht mehr, als dass ich mit dem Geld auch für Sie ein anderer Mensch sein würde, kein Sklave mehr.«

»Ah? Wie wollen Sie das erreichen?«

»Wie es erreichen? Ist’s möglich? Sie verstehen nicht einmal, wie ich es erreichen könnte, dass Sie in mir etwas anderes sehen als bloß Ihren Sklaven!? Eben davon will ich nichts: kein solches Staunen, kein Missverstehen.«

»Sie sagten, die Sklaverei sei Ihnen ein Genuss. Ich hab es selbst geglaubt.«

»Das haben Sie geglaubt«, schrie ich mit seltsamem Vergnügen auf. »Ach, seht wie berückend diese Ihre Naivität ist! Nun ja, ja, dass Sie mich zum Sklaven machten, ist mir ein Genuss. Oh ja, man findet Genuss an der allerletzten Stufe der Demütigung und Nichtigkeit!«, fuhr ich wie im Delirium fort. »Weiß der Teufel, vielleicht kann man auch die Knute genießen, wenn sie einem auf den Rücken niedersaust und das Fleisch in Stücke reißt … Aber vielleicht will ich auch andere Genüsse ausprobieren? Vorhin bei Tisch hat mir der General in Ihrer Anwesenheit die Leviten gelesen, für siebenhundert Rubel im Jahr, die er mir, durchaus möglich, auch gar nicht zahlen wird. Und der Marquis des Grieux mustert mich mit hochgezogenen Augenbrauen und bemerkt mich dabei nicht. Und ich meinerseits hege vielleicht das brennende Verlangen, den Marquis des Grieux in Ihrer Anwesenheit an der Nase zu packen.«

»Die Reden eines Grünschnabels. Ein Mensch kann sich in jeder Lage mit Würde behaupten. Und ein Kampf, der erhöht einen noch mehr, erniedrigt nicht.«

»Eine wahre Moralpredigt! Nehmen Sie nur mal an, dass ich mich, mag sein, nicht drauf verstehe, mich mit Würde zu behaupten. Das heißt, ich bin wohl ein würdiger Mensch, doch einer, der sich nicht mit Würde zu behaupten versteht. Begreifen Sie, dass es so sein kann? Ha, alle Russen sind so, und wissen Sie, warum? Weil die Russen mit allzu reichen und allzu vielfältigen Begabungen gesegnet sind, als dass sie sich rasch eine gebührliche Form zuzulegen vermöchten. Die Form, darum geht es. Zum Großteil sind wir Russen so überaus reich begabt, dass wir für die gebührliche Form der Genialität bedürfen. Die Genialität aber fehlt meistens, weil sie ja überhaupt selten ist. Einzig bei den Franzosen, und vielleicht bei einigen anderen Europäern, hat sich die Form so schön herausgebildet, dass einer mit außerordentlicher Würde auftreten und dabei der unwürdigste Mensch sein kann. Darum bedeutet ihnen die Form auch so viel. Eine Beleidigung, eine echte, ins Herz treffende Beleidigung nimmt der Franzose, ohne mit der Wimper zu zucken, hin, aber einen Nasenstüber wird er nicht ertragen, denn damit wären etablierte und verewigte Anstandsformen verletzt. Darum sind auch unsere Fräuleins so sehr auf Franzosen erpicht, weil bei denen die Form so schmuck ist. Übrigens glaube ich, dass es gar keine Form gibt, bloß einen Hahn, le coq gaulois. Übrigens kann ich’s nicht verstehen, ich bin keine Frau. Vielleicht sind gerade Hähne schmuck. Und überhaupt rede ich irr, und Sie lassen es zu. Sie müssen mir öfter Halt gebieten; wenn ich mit Ihnen spreche, möchte ich alles sagen, alles, alles. Ich verliere jegliche Form. Ich will sogar einräumen, dass ich nicht nur keine Form, sondern auch keinerlei Art von Würde besitze. Ich erkläre es Ihnen klipp und klar. Ich kümmere mich nicht mal um Würde. Alles in mir steht nun still. Sie wissen selbst, warum. Ich habe keinen einzigen menschlichen Gedanken im Kopf. Ich weiß schon lange nicht, was auf der Welt vor sich geht, einerlei, ob in Russland oder hier. Bin durch Dresden gefahren und erinnere mich an kein Dresden mehr. Sie wissen selbst, was mich gefangen hält. Da ich keinerlei Hoffnung habe und eine Null in Ihren Augen bin, sage ich’s geradeheraus: Ich sehe nur immer überall Sie, alles andere ist mir gleich. Wofür und wie ich Sie liebe – weiß ich nicht. Mag sein, dass Sie gar nicht so gut sind. Stellen Sie sich vor, ich weiß nicht mal, ob Sie gut aussehen oder nicht! Ihr Herz ist wahrscheinlich nicht gut, der Verstand nicht edel. Das kann sehr wohl sein.«

»Vielleicht erwarten Sie just darum, mich mit Geld erkaufen zu können«, sagte sie, »weil Sie nicht an meinen Edelmut glauben.«

»Wann habe ich erwartet, Sie mit Geld kaufen zu können?«, rief ich aus.

»Sie haben sich verrannt und Ihren Faden verloren. Wenn nicht mich, so hoffen Sie doch, sich meine Achtung durch Geld zu erkaufen.«

»Nein doch, es ist nicht ganz so. Ich sagte Ihnen schon, es fällt mir schwer, mich klar auszudrücken. Sie irritieren mich. Mein Geplapper sollte Sie nicht ärgern. Sie verstehen, warum man sich über mich nicht ärgern darf: Ich bin einfach verrückt. Na, im Übrigen ist’s mir egal, ärgern Sie sich, wenn Sie wollen. Oben in meinem Kämmerlein brauche ich bloß an das Rauschen Ihres Kleides zu denken – schon könnte ich mir die Hände wund beißen. Warum ärgern Sie sich über mich? Dass ich mich einen Sklaven nenne? Bedienen Sie sich Ihres Sklaven, tun Sie’s, bitte! Ob Sie wissen, dass ich Sie irgendwann einmal umbringen werde? Nicht, weil ich Sie zu lieben aufhörte oder aus Eifersucht, nein, ich bringe Sie einfach um, weil ich Sie mitunter aufessen möchte. Sie lachen …«

»Mitnichten«, sagte sie zornig. »Ich befehle Ihnen zu schweigen.«

Sie hielt inne, atemlos vor Zorn. Bei Gott, ich wusste nicht, ob sie gut aussah, doch immer mochte ich es, wenn Sie sich so vor mich hinpflanzte, und darum rief ich gern und oft ihren Zorn hervor. Vielleicht hat sie’s bemerkt und gab sich absichtlich zornig. Ich sagte es ihr.

»Was für ein schmutziger Gedanke!«, rief sie angeekelt.

»Mir ist es gleich«, setzte ich fort. »Wissen Sie auch, dass es gefährlich ist, wenn wir zusammen sind? Nicht erst einmal spürte ich den unüberwindlichen Drang, Sie zu schlagen, zu verstümmeln, zu erwürgen. Sie glauben, es kommt nicht dazu? Sie werden mich in den Wahnsinn treiben. Ob ich einen Eklat fürchte? Ihren Zorn? Was soll mir Ihr Zorn? Ich liebe ohne Hoffnung und weiß, dass ich Sie danach tausendfach stärker lieben werde. Wenn ich Sie irgendwann umbringe, werde ich wohl auch mich umbringen müssen, werde es jedoch sehr lange nicht tun, um diesen unerträglichen Schmerz ohne Sie zu erfahren. Unglaublich, wissen Sie, aber ich liebe Sie mit jedem Tag mehr, was geradezu unmöglich ist. Und danach sollte ich kein Fatalist sein? Erinnern Sie sich, vorgestern, am Schlangenberg? Ich flüsterte Ihnen, von Ihnen herausgefordert, zu: Ein Wort, und ich springe in den Abgrund. Hätten Sie damals das Wort gesagt, ich wäre gesprungen. Können Sie dran zweifeln, dass ich’s getan hätte?«

»Was für ein dummes Gerede!«, rief sie aus.

»Mich kümmert’s nicht, ob es dumm ist oder klug.« Ich sprach erregt. »Ich weiß, dass ich, wenn Sie da sind, reden und reden und reden muss – also rede ich. Ihre Anwesenheit lässt mich mein Ehrgefühl verlieren, und es ist mir egal.«

»Wozu sollte ich Sie auffordern, vom Schlangenberg zu springen?«, fragte sie trocken und auf eine besondere Art beleidigend. »Für mich ist es vollkommen nutzlos.«.

»Großartig!«, rief ich aus. »Sie haben dieses großartige Nutzlos absichtlich ausgesprochen, um mich kleinzukriegen. Ich durchschaue Sie ganz und gar. Nutzlos – sagen Sie? Aber Vergnügen ist doch immer nützlich, und eine wilde, grenzenlose Macht – sei’s über eine Fliege – bringt ja auch eine Art Genuss. Der Mensch ist von Natur aus ein Despot und mag es, andere zu quälen. Und Sie machen das furchtbar gern.«

Ich erinnere mich, sie hatte mich mit einer irgendwie besonders durchdringenden Aufmerksamkeit gemustert. Mein Gesicht wird wohl den ganzen Wirrwarr meiner unsinnigen Empfindungen widerspiegelt haben. Ich erinnere mich jetzt, dass unser Gespräch tatsächlich fast Wort für Wort genauso ablief, wie ich es hier beschrieben habe. Das Blut schoss mir ins Gesicht. An den Mundwinkeln trocknete Schaum. Was aber den Schlangenberg angeht, so schwöre ich auch jetzt noch: Hätte sie mir damals zu springen befohlen – bei meiner Ehre, ich hätte es getan! Auch wenn sie’s zum Spaß gesagt hätte, mit Verachtung, auch wenn sie es mir wie ins Gesicht gespuckt hätte – ich wäre gleichwohl hinuntergesprungen!

»Nein, warum denn, ich glaube Ihnen«, sagte sie, aber auf eine Art, wie nur sie einem etwas zu sagen versteht, mit soviel Verachtung und Bosheit und soviel Hochmut, dass ich sie, bei Gott, in diesem Augenblick hätte umbringen können. Sie ging ein Risiko ein. Ich hatte nicht gelogen, als ich ihr davon sprach.

»Sind Sie ein Feigling?«, fragte sie plötzlich.

»Ich weiß nicht, vielleicht … Habe schon lange nicht darüber nachgedacht.«

»Wenn ich Ihnen sagen würde: Töten Sie diesen Menschen, würden Sie es tun?«

»Wen?«

»Wen ich möchte.«

»Den Franzosen?«

»Keine Fragen, eine Antwort – wen immer ich nenne. Ich will wissen, ob Sie es ernst meinten vorhin.« Sie wartete so ernst und ungeduldig auf die Antwort, dass mir irgendwie seltsam ums Herz wurde.

»Ja wann sagen Sie mir endlich, was hier vor sich geht!«, schrie ich auf. »Was ist, haben Sie gar Angst vor mir? Ich sehe selbst, wie alles drunter und drüber geht. Sie, die Stieftochter eines bankrotten und verrückten Mannes, der sich in Leidenschaft zu dieser Teufelin Blanche verzehrt; dann der Franzose mit seinem geheimnisvollen Einfluss auf Sie, und nun stellen Sie mir hier so ernsthaft … eine solche Frage. Zumindest muss ich’s wissen; sonst verliere ich den Verstand und richte etwas an. Schämen Sie sich vielleicht, mir die Ehre Ihrer Aufrichtigkeit zu erweisen? Wie sollten Sie sich vor mir schämen?«

»Ich spreche von etwas ganz anderem. Es war eine Frage, ich warte auf Antwort.«

»Natürlich würde ich es tun«, rief ich aus, »jeden töten, wenn Sie es befehlen, aber wie sollten Sie … Wie könnten Sie es befehlen?«

»Haben Sie am Ende gedacht, ich würde Sie schonen? Ich befehle es, und bleibe selbst abseits. Werden Sie es ertragen? Ach nein, Sie schaffen es nicht! Vielleicht würden Sie es sogar tun auf Befehl, aber danach kämen Sie, mich dafür zu ermorden, dass ich es gewagt habe, Sie zum Mord anzustiften.«

Mir war bei diesen Worten, als dröhnte es in meinem Kopf. Natürlich hielt ich ihre Frage schon damals zur guten Hälfte für einen Scherz und eine Herausforderung; dennoch hatte sie es zu ernst gesagt. Ich war trotzdem verblüfft, dass sie solches ausgesprochen hat, dass sie das Verfügungsrecht über mich beansprucht, dass sie diese Macht über mich akzeptiert und es so freimütig sagt: ›Stürze dich ins Verderben, und ich bleibe abseits‹. In diesen Worten lag etwas derart Zynisches und Unverhohlenes, dass es meines Erachtens schon zuviel war. Wie sehe ich letztlich nach alldem in ihren Augen aus? Die Grenzen der Sklaverei und Erniedrigung waren überschritten. Hat man diese Sicht erreicht, hebt man den anderen zu sich empor. Und so widersinnig, so unwahrscheinlich unser Gespräch auch war, mein Herz schlug höher.

Plötzlich begann sie zu lachen. Wir hatten auf einer Bank gesessen, vor uns die spielenden Kinder, genau gegenüber der Stelle, an der die Kutschen stehenblieben, um das Publikum in der Allee, vor dem Kurhaus aussteigen zu lassen.

»Haben Sie die dicke Baronin gesehn?«, rief sie laut. »Baronin Wurmerhelm, erst vor drei Tagen angekommen. Sehen Sie ihren Mann: ein langer, dürrer Preuße mit dem Spazierstock in der Hand. Erinnern Sie sich, wie er uns vorgestern gemustert hat? Los jetzt, gehen Sie zur Baronin und ziehen Sie vor ihr den Hut und sagen Sie ihr etwas auf französisch.«

»Wozu?«

»Sie schworen, Sie wären vom Schlangenberg gesprungen; Sie schwören, zu einem Mord bereit zu sein, wenn ich es befehle. Statt all dieser Morde und Tragödien möchte ich lediglich etwas zum Lachen haben. Gehen Sie ohne Umschweife. Ich will sehen, wie der Baron Sie mit seinem Stock verdrischt.«

»Sie fordern mich heraus; Sie glauben, ich würde es nicht tun?«

»Stimmt. Gehen Sie, ich will es!«

»Bitteschön, ich gehe, obwohl es eine verrückte Laune ist. Eines nur: Kann es nicht Verdruss für den General und somit für Sie geben? Bei Gott, es geht mir nicht um mich, sondern um Sie, na, und um den General. Und was soll diese Laune, eine Frau brüskieren zu wollen?«

»Nein, Sie sind nur ein Schwätzer, wie ich sehe«, meinte sie verächtlich. »Ihnen schießt nur das Blut in die Augen wie vorhin, im Übrigen mag das auch am vielen getrunkenen Wein liegen. Als ob ich nicht selbst verstünde, dass es dumm ist und albern und dass der General zornig sein wird? Ich möchte einfach lachen. Ich will es, mehr nicht. Ja, wie wollen Sie denn die Frau beleidigen? Eher werden Sie Prügel abkriegen.«

Ich drehte mich um und ging schweigend, ihren Auftrag zu erfüllen. Natürlich war es dumm, und natürlich hatte ich es nicht geschafft, mich herauszureden, aber dann, als ich der Baronin näher kam, war ich, das weiß ich noch genau, schon selbst angespornt zu just einem solchen Lausbubenstreich. Auch war ich furchtbar gereizt, wie betrunken.

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