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EINLEITUNG

SO GEHT PERSÖNLICHE SICHERHEIT

In diesem Buch geht es um Sicherheit. Es geht um die Frage, wie jeder für seine persönliche Sicherheit sorgen kann. Dieses Buch soll Sie in die Lage versetzen, Ihre persönliche Sicherheit ab sofort selbst in die Hand zu nehmen. Vereinfacht gesagt, stellen wir Sicherheit her, indem wir bestehende Risiken für die betreffenden Menschen minimieren. Je geringer das eigene Risiko, desto höher der Grad an persönlicher Sicherheit.

Was braucht es also, um smart mit Risiken umzugehen und Bedrohungssituationen fortan souverän meistern zu können?


Die fünf Ringe der Sicherheit

Die Lösung ist überraschend einfach. Und anders als Hollywood oder Netflix uns glauben machen wollen, geht es dabei nicht um Waffen oder spektakuläre Kampfkünste, auch wenn diese zweifelsohne nützlich sind. Persönliche Sicherheit funktioniert anders. Jahrelanges Training ist dafür ebenso wenig nötig wie Waffen oder eine teure Ausrüstung.

Um für uns Sicherheit herzustellen, benötigen wir einen »Werkzeugkasten«. Dieser Werkzeugkasten oder dieses Set an Tools umfasst fünf Fertigkeiten, die jeder Mensch erlernen kann. Jede dieser Fertigkeiten wirkt dabei wie ein Schutzring. Mehr Ringe bedeuten ein Mehr an Sicherheit. Zusammengenommen bilden diese Fertigkeiten die fünf Ringe der Sicherheit.

Das Buch ist als Benutz-Buch gedacht und soll Ihre persönliche Sicherheit erhöhen. Sie müssen also nicht mit Kapitel eins anfangen, sondern können bei dem Ring einsteigen, der Sie am meisten interessiert. Suchen Sie sich das heraus, was Ihnen hilft. Jedes Werkzeug ist grundsätzlich auch einzeln nutzbar. Die Tools können Sie überall anwenden, zu Hause im Alltag genauso wie auf Ihren privaten oder beruflichen Reisen und vor allem natürlich in Krisengebieten.

In meiner Arbeit als Sicherheitsberater wende ich die fünf Ringe ständig an – einige davon täglich –, je nachdem wo auf der Welt ich mich gerade aufhalte. Gemeinsam werden wir uns in diesem Buch also anschauen, warum die fünf Ringe in Berlin-Mitte genauso funktionieren wie in einem Slum in Kenia, in der Wüste Mauretaniens ebenso wie auf einem Spaziergang in Rio de Janeiro oder beim Karneval in Köln. Gemeinsam mit einigen meiner Kolleginnen und Kollegen werden wir Sie in diesem Buch mitnehmen, wenn wir als Risikomanager im Irak unterwegs sind, durch den Souk in Kairo streifen oder eine Entführung in Beirut beobachten. Dabei begegnen wir nicht nur Kriminellen und Terroristen, sondern auch einem toten Rapper, den Juwelen von Kim Kardashian, dem Kalifen Harun ar-Raschid aus 1001 Nacht und sieben Hobbits mit Trompeten. Sie werden erfahren, dass unsere eigenen Wahrnehmungsfehler uns häufig einen Streich spielen. Unterwegs wird Jason Bourne kurz zu Ehren kommen, James Bond hingegen nicht.

DAS EISBERG-PRINZIP

Rund 90 Prozent eines Eisbergs befinden sich unter der Wasseroberfläche. Sichtbar ist nur die sprichwörtliche »Spitze des Eisbergs«. Wer sich als Kapitän im Polarmeer nur auf seine Augen verlässt, wird sein Schiff mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Grund setzen. Wer jedoch um die Eismassen unter Wasser weiß, hat sehr gute Chancen, Schiff und Crew sicher durch die Gefahrenzone zu manövrieren.

Mit der persönlichen Sicherheit verhält es sich ähnlich wie mit Eisbergen: Der weitaus größte Teil der Sicherheitsmaßnahmen ist nur für Erfahrene sichtbar. Die effektivsten Stellschrauben liegen deutlich unterhalb der Wasseroberfläche. Doch aus meinen Sicherheitstrainings und meiner Beratungspraxis weiß ich, dass viele Menschen Sicherheit mit »Selbstverteidigung« oder »Waffen« gleichsetzen – Hollywood lässt grüßen. Aber das ist ein Trugschluss.

Tatsächlich beginnt Sicherheit viel früher, weit vor einer körperlichen Auseinandersetzung oder einer Attacke durch Kriminelle oder andere Täter. Persönliche Sicherheit fußt auf einer geschulten Wahrnehmung und einer adäquaten Vorbereitung auf Gefahrensituationen. Diese Vorbereitung wiederum basiert auf dem Wissen darum, wie Angreifer ihre Taten planen und vorbereiten.

Jedem Angriff geht aufseiten der Täter eine Phase der Vorbereitung voraus. Wer in der Lage ist, die eigene Umgebung zu lesen und solche Vorbereitungshandlungen zu erkennen, der kann proaktiv handeln und bedrohliche Situationen frühzeitig entschärfen. Wer sich hingegen nur auf eine mögliche körperliche Auseinandersetzung fokussiert, der sieht nur die Spitze des Eisbergs und hat neunzig Prozent der Tat, nämlich die Tatvorbereitung im Vorfeld, nicht wahrgenommen.

Das vorliegende Buch konzentriert sich auf den entscheidenden Faktor für die persönliche Sicherheit: den »Faktor Mensch«. Es geht um Bedrohungen, die von anderen Menschen ausgehen; es geht um Kriminelle, Terroristen, Stalker und Sexualtäter, die andere Menschen bedrohen und dadurch deren Sicherheit gefährden. In diesem Buch möchte ich Ihnen die Perspektive von Tätern näherbringen: wie sie denken, wie sie ihre Angriffe planen und durchführen. Modelle wie der »feindliche Angriffszyklus« und das »Dreieck der Kriminalität« helfen dabei, Täter und ihr Vorgehen zu entmystifizieren. Ebenso geht es um Situationen, in denen Menschenmassen zu einer Gefahr werden können: durch Unruhen, Mobs oder Demonstrationen. Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Tsunamis sind hingegen nicht Thema dieses Buches, auch wenn einige der hier vorgestellten Werkzeuge Ihnen auch in solchen Szenarien helfen können.

Die in diesem Buch beschriebenen Werkzeuge zeigen Ihnen, wie Sie Ihr Mindset so kalibrieren, dass Sie fortan mit einer »Psychologie der Stärke« durchs Leben gehen (Ring 1). Die Risikoformel ist ein Werkzeug, mit dem Sie schnell die entscheidenden Hebel identifizieren, um das eigene Risiko in unterschiedlichsten Situationen zu verringern und auf diese Weise die eigene Sicherheit zu erhöhen (Ring 2). Situative Aufmerksamkeit ist Ihr persönlicher Gefahrenradar, der Sie frühzeitig auf mögliche Bedrohungen aufmerksam macht (Ring 3). Der OODA-Loop hilft Ihnen, in Gefahrensituationen schnellere und bessere Entscheidungen zu treffen und diese Situationen so souveräner zu überstehen (Ring 4). Schließlich erfahren Sie, wie man sich so unauffällig in der Öffentlichkeit bewegt, dass Kriminelle und andere Angreifer Sie gar nicht erst als mögliches Ziel identifizieren (Ring 5).

Selbstverständlich empfehle ich nur Tools, die ich selber anwende und von denen ich weiß, dass sie funktionieren. Einige der hier vorgestellten Werkzeuge habe ich bereits in meinem 2016 erschienenen Buch »Terrorismus – wie wir uns schützen können« skizziert. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben mir diese Werkzeuge Dutzende Male geholfen, brenzlige Situationen unversehrt zu überstehen. Einige dieser Situationen beschreibe ich in den folgenden Kapiteln. Das Gleiche berichten viele meiner geschätzten Kolleginnen und Kollegen, denen dieselben Tools im Alltag genauso helfen, und zwar in so unterschiedlichen Kontexten wie Afghanistan, Haiti, Mexiko, Kongo, Pakistan oder Russland. Einige von ihnen berichten in diesem Buch aus ihrem beruflichen Alltag.

Alle Geschichten und Fallbeispiele in diesem Buch habe ich so auszuwählen versucht, dass sie die vorgestellten Werkzeuge und ihren jeweiligen Nutzen in der Praxis möglichst anschaulich darstellen. Es ging mir also nicht darum, Ihnen besonders gefährliche Situationen zu präsentieren, die meine Co-Autoren und ich erlebt haben. Davon gäbe es einige. Doch diese Geschichten würden entweder den Nutzen der Werkzeuge weniger eindeutig illustrieren oder sie sind mit Verschwiegenheitsklauseln belegt, weil sie unter Umständen stattgefunden haben, über die nicht berichtet werden darf. Selbst wo das nicht explizit der Fall ist, wird im seriösen Teil der Sicherheitsbranche über potenziell vertrauliche Inhalte nicht gesprochen. Entsprechend habe ich einige Details der in diesem Buch beschriebenen Geschichten verändert oder teilweise bewusst unscharf beschrieben, um Personen, Projekte oder Operationen zu schützen. Das gilt auch für die Storys meiner Co-Autoren.

Und auch dies ist mir wichtig anzumerken: Keines der fünf Werkzeuge habe ich selbst entwickelt, erfunden oder gar als Erster in der Praxis eingesetzt. Die hier vorgestellten Tools werden im Gegenteil seit Langem von Sicherheitsprofis in Militär, Nachrichtendiensten und bei der Polizei sowie in der Privatwirtschaft, etwa im Personenschutz, angewendet und haben sich entsprechend in der Praxis bewährt und das Leben unzähliger Menschen sicherer gemacht, auch unter härtesten Bedingungen. Ich habe diese Tools lediglich zu einem System zusammengestellt – den fünf Ringen der Sicherheit.

Das Ziel dieses Systems ist Prävention. Es geht immer darum, Angriffe durch Kriminelle, Terroristen, Stalker oder Spione proaktiv zu verhindern und damit aus einer Position der Stärke heraus zu handeln, anstatt sich durch Angreifer in die Defensive drängen zu lassen. Nur wer Sicherheit proaktiv begreift, kann Bedrohungen frühzeitig identifizieren und durch angepasstes Verhalten rechtzeitig entschärfen. Angriffe lassen sich allerdings nur verhindern, wenn wir die Bedrohungslandschaft und die zugehörigen Bedrohungsakteure, also die in einem Kontext bestehenden Bedrohungen und die tatsächlichen und potenziellen Angreifer, genau kennen und stets im Auge behalten.

Das Handwerk »Sicherheit« habe ich von der Pike auf gelernt. In einer deutschen Sicherheitsbehörde war ich im Bereich der Terrorismusbekämpfung eingesetzt, immer an der Schnittstelle zwischen operativer Tätigkeit und Analyse. Mein tägliches Geschäft bestand vor allem in der Identifizierung und fortlaufenden Überwachung von Dschihadisten. Unser Auftrag war es, potenzielle Attentäter frühzeitig zu identifizieren und effektive Maßnahmen zu entwickeln, um die von ihnen ausgehende Bedrohung für die Gesellschaft zu neutralisieren. In dieser Zeit bin ich viel unterwegs gewesen und habe Männer kennengelernt, von denen einige später zu Terroristen wurden.

Die für diesen Job notwendige Kenntnis bestimmter Kulturen, Kontexte und Milieus hatte ich mir vor allem in meinem Studium der Islamwissenschaften angeeignet sowie durch zahllose Studien- und Arbeitsaufenthalte. Vor allem im Nahen Osten und Nordafrika bin ich nunmehr seit zwanzig Jahren regelmäßig unterwegs. Dutzende Lehrgänge in Psychologie, Kommunikation sowie in verschiedenen operativen und taktischen Themen kamen hinzu. Später machte ich an der Steinbeis-Hochschule Berlin zusätzlich den Abschluss als »Certified Investigation Expert«. Seither bin ich als Sicherheitsberater für Unternehmen, Organisationen und Privatpersonen tätig. In meiner beruflichen Praxis nutze ich ebenjenen proaktiven Ansatz, für den ich auch in diesem Buch werbe.

Was Ihre persönliche Sicherheit angeht, so können die fünf Ringe Ihr Werkzeugkasten für einen souveränen Umgang mit Risiken und Gefahrensituationen werden. Ich behaupte sogar, dass die Anwendung der fünf Ringe die Wahrscheinlichkeit drastisch verringert, dass Sie überhaupt in gefährliche Situationen geraten. Darüber hinaus werden die fünf Ringe nach und nach Ihren eigenen Radius und Spielraum erweitern; Sie werden nicht nur sicherer, sondern auch freier unterwegs sein können, weil Sie gelernt haben, mit Risiken und Gefahren souverän umzugehen.

Berlin, im Juni 2021

Florian Peil

Die 5 Ringe der Sicherheit

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