Читать книгу A(lko)mnesie - Florian Zoffmann - Страница 4
10.56 Uhr – Rogers Wohnung
ОглавлениеDie Frau mit den wunderschönen Kurven, auf die ich einen letzten Blick erhaschen konnte, bevor sie ihr Gewand aus meinem Schrank nahm und sich anzog, stand als erste auf. Moment…. Sie nahm ihr Gewand aus meinem Schrank?!? Das ist ja unverschämt. Mein Schrank ist meine Privatsache. Das werde ich nun aber energisch klarstellen: „Ein wunderschönes Kleid hast du da an!“ Sie sah mich mit ihren großen Kulleraugen an. Kann man auf so was böse sein? „Danke, mein Schnuffel, weißt du was? Bleib noch ein bisschen liegen und ich mache dir zum Frühstück die Muffins mit Schokolade, die du so gerne isst.“
Darauf erhielt sie keine Antwort. Ich schloss einfach die Augen und ließ mich rücklings wieder ins Bett fallen. Woher weiß diese Frau so viel über mich? Ich liebe Muffins, vor allem die mit Schokoladenfüllung. Da muss ich in meiner alkoholisierten Verwirrtheit gestern wieder einiges ausgeplaudert haben. Naja, trotzdem ist es nett, dass sich diese Unbekannte Weiblichkeit so sehr um mich bemüht. Andererseits wollte ich sie nicht alleine in meiner Küche werken lassen. Wer weiß, was sie dort alles findet.
Langsam erhob ich mich aus meinem Doppelbett. Ihr fragt euch natürlich nun zu Recht, warum ich als Junggeselle, der, bis auf eine unbekannte Ausnahme, keine Frauen hat, ein Doppelbett besitze. Ganz einfach: Ich schlafe immer sehr unruhig und wetze von einer Seite auf die andere. Damit ich nicht vom Bett falle, habe ich mir ein Doppelbett gekauft. Die letzte Nacht jedoch habe ich wie ein Baby geschlafen. Jedenfalls bin ich, als ich die Füße aus dem Bett streckte, prompt in die Ejakulationstaschentücher gestiegen. Kurz geflucht und die Taschentücher mit einer Kehrbewegung unter das Bett geschoben, erhob ich mich und torkelte zum Bad, um mir die Zähne zu putzen. Als ich das Badezimmer erreichte überfuhr mich ein Schauer. In meinem sonst so aufgeräumten und leeren Spiegelschrank herrschte ein heilloses Chaos von Make-Up, Wimperntusche, Eye-Liner und dem ganzen anderen Schrott, den ich nicht benennen kann. Also, jetzt reicht’s. Was bildet sich die gute Frau ein? Glaubt sie, sie kann, nur wegen einer gemeinsam verbrachten Nacht, bei mir einziehen?
Als ich nach dem Zähneputzen die Küche betrat, roch es so sensationell nach Schokomuffins, dass ich mein Vorhaben, die Fremde zurechtzuweisen, nochmals verschob. Ich setzte mich an den Tisch und wartete. Bei genauerer Beobachtung des fremden Wesens in meiner Küche konnte ich feststellen, dass sie sich nun eine Kette umgelegt hatte. Auf dem Anhänger waren Buchstaben zu einem Namen angereiht – A N D R E A! Bingo! Sie heißt Andrea. Aber, heißt sie wirklich so? Es könnte auch sein, dass ihre Tochter (Oh Gott, nein), ihre verstorbene Mutter, ihre Schwester oder einfach nur ihre beste Freundin Andrea heißt. Aber wer nichts wagt, der nichts gewinnt: „Soll ich dir irgendwas helfen,….. Andrea?“ Erschrocken dreht sie sich um: „Warum nennst du mich Andrea???“ Ich bemerkte, dass ich mir einen Wettstreit mit der Tomate lieferte, die die vermeintliche „Andrea“ kurz zuvor auf den Frühstückstisch legte. Wer wird roter? Die Tomate oder ich? Es sei kurz gesagt: Ich lag bei dem Wettstreit ganz klar in Führung. Wieder spukten mir tausend Fragen durch den Kopf, als mich die noch unbekannte Frau erlöste: „Du nennst mich doch sonst auch Schatz, oder Schnuffel!“ Zielsprint: Die Tomate hat gewonnen!
Sie heißt also Andrea, hat guten Kleidergeschmack, schminkt sich gerne, aber was zur Hölle macht sie bei mir zu Hause?
Als das Frühstuck fast komplett fertig war, fragte mich Andrea: „Schatz, bevor wir frühstücken, würde ich dich noch bitten, den Müll rauszubringen!“ „Aber ich hab doch schon so großen Hunger. Das kann ich ja nach dem Essen machen.“ „Also, weißt du, du kannst mir mit dem Haushalt ruhig ein bisschen helfen. Bevor du den Müll nicht rausgebracht hast, gibt es keine Muffins!“ Waaaaas?, dachte ich mir, wie führt sich denn die Alte bei mir auf? Also, um es klarzustellen: Mit meinem Haushalt bin ich immer gut zu Recht gekommen. Ich bin aus meinem Elternhaus mit 18 Jahren ausgezogen, stand daher schon sehr früh auf eigenen Beinen und bin der Meinung, dass ich meinen Haushalt, unter Anbetracht der Tatsache, dass ich ein Mann bin, die allesamt nicht so ein Feingefühl dafür haben, sehr gut manage. Und jetzt habe ich das erste Mal Frauenbesuch von einer zwar sehr hübschen, aber ebenso bestimmenden Persönlichkeit, die meint, sie könne mir irgendetwas befehlen… „Natürlich, ich gehe schon runter!“, war meine Antwort. Na klar, ich hatte die Muffins im Hinterkopf.
Als ich das Haus mit meinem Müllsack verließ, war klar, dass mir unser Hausspion, Hr. Leitinger , über den Weg lief. „Na Hofmann, wieder mal ne wilde Nacht gehabt?“ Zur Erklärung: Hofmann ist mein Nachname. Ich kann ganz gut damit leben. Ist halt ein Allerweltsname, aber ich bin auch ein Allerweltstyp. „Wie kommen Sie denn da drauf?“ „Ich hab sie zufällig gesehen, als sie um 4 Uhr früh nach Hause getorkelt sind!“ Hr. Leitinger ist ein 76-jähriger Mann, dessen Frau vor 2 Jahren gestorben ist. Seitdem machte der Typ kein Auge mehr zu. Er machte es sich zum Hobby, seine gesamte Nachbarschaft zu belauschen und auszuspionieren. Und da hat er viel zu tun, denn der Block, in dem ich wohne umfasst 35 Parteien. „Bin ich alleine nach Hause gekommen?“, versuchte ich mein Glück, irgendwas zu erfahren. Die Antwort lautete nur: „Natürlich nicht, Hofmann. Aber ich muss jetzt auch schon wieder weiter, Fr. Grössinger aus dem dritten Stock hat um halb 12 ihre Jogastunde…“ Geiler alter Sack, dachte ich mir nur und ging weiter. Als ich wieder bei der Haustüre ankam, bemerkte ich, dass ich meinen Schlüssel in der Wohnung liegen lassen habe. Ich hoffe, dass mir Andrea die Türe öffnet, wenn ich läute. Aber so heimisch, wie sie sich schon fühlt, dürfte das kein Problem sein. Ich suchte das Klingelschild. „A. R. Hofmann“. Das „A.“ steht für meinen 2. Vornamen, auf den ich nicht sehr stolz bin. Bitte nicht lachen: Agamemnon!
Anderes Thema: Ich läutete also einmal… zweimal… dreimal… keine Reaktion! Da kam ich auf die Idee, Andrea zu rufen. Ich wohnte ja schließlich im 2. Stock. Gesagt, getan. Ich stellte mich also vor das Küchenfenster und rief lauthals nach Andrea. Prompt öffnete sich ein Fenster zwei Stockwerke höher, als meine Wohnung gelegen ist und nicht Andrea , sondern Hr. Leitinger streckte seine teils kahle Rübe heraus. „HOFMANN, was zur Hölle ist jetzt schon wieder ihr Grund, einen derartigen Lärm zu machen?“ „Es…. tut mir…“ war der Ansatz meiner Antwort, die aber durch das Öffnen des Küchenfensters im 2. Stock unterbrochen wurde. Andrea regte ihren wunderschönen Kopf aus dem Fenster, lächelte mir zu, drehte ihr Gesicht nach oben Richtung Hr. Leitinger und schrie: „Leitinger, halt die Fresse, du alter Sack, lass gefälligst meinen Mann in Ruhe!“ Den Blick wieder zu mir gerichtet, setzte sie wieder ihr schönstes Lächeln auf. „Ich mach dir sofort die Türe auf, mein Schatz.“
Wie ein begossener Pudel trottete ich zur Eingangstüre. Mein Kopf hämmerte. Sie kennt den Leitinger? Sie war ganz schön frech zum Leitinger! So frech ist man zu keinen fremden Menschen. Außerdem irritierte mich die Aussage von Andrea: “lass gefälligst meinen Mann in Ruhe!“. Was ist nur mit dieser Frau los? Ich bin doch nicht ihr Mann! Oder… doch?
Könnte es sein, dass wir gestern in einem derben Hangover geheiratet haben, wie man das sonst nur so von Filmen aus den USA kennt, wo sich 2 Menschen in einem Vollrausch kennenlernen und dann beschließen, in Las Vegas zu heiraten. Ich habe sehr viele dieser Filme gesehen. Die meisten enden mit einer Scheidung,… oder doch mit der großen Liebe? Ich habe keiner Ahnung und möchte mir auch nicht den Kopf über solche Dummheiten zerbrechen, denn diese kranken Gedanken sind reine Fiktion.
Gedankenverloren traf ich bei der Haustüre ein, welche den Widerstand des Türriegels mit einem lauten Surren aufgab. Ich trat ein und begab mich zu Fuß auf dem Weg in den zweiten Stock zu meiner Wohnung... oder unserer Wohnung?