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Tag 3

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Draussen tobte der letzte Schneesturm, die Frühlingswärme war schon im Anmarsch von Süden, sagte der Wetterbericht. Damit würde dann auch wieder die Bioaktivität steigen. So richtig kuschelig war es unter den schützenden Kuppeln trotzdem nicht. Heute war der erste Schultag für die Neuen. Aber auch die übrigen 400 zogen ins Zentrum des Insellagers. Pausengeschrei war nicht zu hören, man hätte gut die Vögel zwitschern hören können. Wenn die nicht nach draussen verbannt gewesen wären, ausser sie waren zertifizierte Haustiere wie Rabe Hugimugi. Der sass zuerst auf dem Habitatstor und äugte misstrauisch auf die Kolonne. Dann flatterte er auf und drehte seine Runden unter der grossen Kuppel des zentralen Komplexes, in dem die Jugendlichen nun zusammenströmten.

Die Älteren wussten wohin sie gehörten, die Neuen wurden von der sogenannten Lehrerin Tonja Zarewna und ein paar Robohelfern empfangen. AAA hatte auch ein Ritual, er rechnete immer: rund sechs Jahrgänge à je knapp einhundert Eintritte – ergab etwas mehr als die insgesamt 500 Jugendlichen auf der Insel. Der Rest war Schweigen.

Die Schonzeit war schon vorbei. AAA litt ein bisschen mit den Neuen, für die das alles nicht nur neu sondern unangenehm sein musste. Er hatte sich daran gewöhnt. Die Schule hier funktionierte ziemlich anders als das gemütliche Beisammensein in der Schule im Stadtturm ennet des Meeresarms. Der Betonbunker dieser Schule nahm ihm die Sicht und den Atem. Dieser Bau hatte keinen Architekturpreis gewonnen. Hier zählte nur das teure Innenleben.

Er trat hinter Tomislav in den neoklassizistischen hohen Eingang. In der dahinterliegenden Halle wurden die Kids mit ihrem Punktechip geimpft, das ging in industrieller Geschwindigkeit vonstatten. Auch AAA hatte ein ungutes Gefühl. Er wusste den Grund nicht, weshalb er herabgestuft worden war auf das neue Lagerjahr. Den Stoff für die Einzeltests beherrschte er problemlos, und er war viel freiwillig in den Labors. Sowas machte ihn verrückt, wenn er die Logik solcher scheinbar willkürlichen Entscheide nicht verstand, die sein Leben stark beeinflussten. Vielleicht wäre weiter Abstand zu Lilula besser gewesen für ihr Verhältnis. Und seine Karriereaussichten.

Er versuchte, die Kreissägenstimme der fassartigen, stark geschminkten Tonja auszublenden, die vorgab, ihr Nachname sei Zarentochter, eine Art Prinzessin aus den guten alten Zeiten. Die wenigen Erwachsenen auf der Insel konnten tun und lassen, was sie wollten. Ihre Aufgabe war nicht sehr gesucht, das Risiko einer Ansteckung bestand hier nicht nur theoretisch. Dafür gab es für die Angestellten Lebensverlängerungstherapie gratis. Für einige kam das fast zu spät, wie für die Tonne hier. Eine Nostalgikerin im modernsten Schulbunker, den die Welt je gesehen hatte. Alle hassten Tonja. Zum Glück mussten sie sie nicht wirklich als Lehrerin ertragen, diese Form des Unterrichts existierte hier nicht, jedenfalls nicht im Schulbunker. Von der Haupthalle ging es in verschiedene Sektionen. Für die Augen der Neuen musste es aussehen wie ein Gefängnis: lange identisch aussehende Reihen von Einzelzellen. Was sie auch waren.

Spontan wollte er Tomi begleiten, der von einem spindligen Roboter abgeführt wurde zu seiner ersten Hirntrainingsstunde. Das erregte sofort das Aufsehen des Drachen. „Wo willst du denn hin, Atticus? Musst du nicht ins Labor? Lass die Kinder ihren Weg alleine finden.“ Erzieherische Weisheiten, oh mein Gott. „Ich wollte wieder einmal sehen, wie die erste Stunde abläuft. Da hat es doch sicher viele Fortschritte gegeben seit meiner Zeit“ parierte er. Darauf grunzte Tonja nur - und kam mit. Super. Wie erwartet hatte sie selber keine Ahnung, sobald sie vor der Technik der Zellen stand wie die Kuh am Berg, begann aber trotzdem in den Kabeln zu wühlen als sei es ein Ausverkaufstisch mit Kleidern aus dem aufgelösten Zarenhof. „Wo ist nur der Handwerker, der sollte doch das vorbereiten.“ Der Robo brauchte einige Zeit zur Entwirrung. Tomi war ganz ruhig und aufmerksam, AAAs Hand auf seinen Schultern. „Alles noch beim Alten, das ist gut genug für Euch“ beschloss die graumelierte Tonja und stöckelte davon in ihrem beigen Rock über dicken Strümpfen und passendem rotem, rüschchenverzierten Jäckchen, „ich werde anderswo mehr gebraucht. Hinterlasst keine Unordnung und lernt brav.“

Tomi legte sich auf die bequem aussehende Liege, und die vielen beweglichen, ausfahrbaren Arme des ansonsten dummen Robohelfers befestigten die Sensoren am Schädel und starteten das Programm. Kurz blitzte die Angst in den unschuldigen grauen Augen auf, als ihn AAA losliess. „Keine Panik Tomi, es tut nicht weh. Das ist nur eine sehr effiziente Form von Lernen. Folge den Anweisungen, mach einfach mit.“ Nun, man konnte nicht einfach daliegen und passiv auf den Lernerfolg warten, sondern musste sich für die meisten Kurse konzentrieren, bewusstes Lernen war eine aktive Tätigkeit. Wer geistig abdriftete, musste mit milden Stromschlägen und im Wiederholungsfall mit Punkteabzügen oder Nachsitzen bzw. -liegen rechnen.

Seid froh, dass ihr noch keinen Sport habt, dachte AAA. Die Kampfbahn lag hinter dem Bunker, das würde noch früh genug kommen. Der Robo schob ihn vielarmig aus dem Raum. Gewisse Schreie aus einigen Zellen waren unüberhörbar, unvermeidlich. Entspannt euch, nicht dagegen wehren. AAA drückte allen Neuen die Daumen. Allen? Die Gruppe von Morley hatte ziemlich klein gewirkt. Den Dicken selber hatte er schon längere Zeit nicht mehr gesehen. Er blickte sich um, ob ihn Hekaterina gleich wieder von hinten überfiel. Nichts da. Beinahe war er leicht enttäuscht.

AAA verzog sich in seine eigene Zelle. Nachdem er sich selber angeschlossen hatte, dachte er zuerst, er hätte es falsch gemacht oder etwas sei kaputt, aber endlich startete das Programm doch. Er war auf Wiederholungen gefasst. Dann musste er jedoch innerlich zweimal hinschauen und auf den Titel fokussieren: „Fortgeschrittene Genetik der Seneszenz“. Als er genug gestaunt hatte lächelte er. Hier war seine Belohnung, das war kein durchschnittlicher Stoff. Summend wie die Stromaggregate kam AAA nach einer Stunde Training aus seiner Zelle. Am liebsten wäre er gleich ins Labor gegangen, um das Gelernte anzuwenden, aber das wäre zu auffällig gewesen. Überall öffneten sich die Törchen und mehr oder weniger verstörte Jugendliche traten auf den Gang, einige der Neuen strauchelten. Der ganze normale Schwindel.

In der Haupthalle sah AAA, dass mindestens drei Frischlinge bereitgemacht wurden, um in die Krankenstation der Insel transportiert zu werden. Einer davon war aus seinem Habitat, er hatte den Namen noch nicht intus. Wahrscheinlich epileptische Anfälle, das kam vor. Die konnte man gut behandeln mit Medis, kein Problem. Die Robos wussten Bescheid in erster Hilfe. Von Karls Schützlingen ging es hingegen wie immer allen gut, so weit er das überblickte. Karl war auch hier, ordentlich im Hemd stand er neben seinem Buddy, dem Lagerhandwerker Ivanisevic, mit dem er gute Kontakte pflegte, der gewiefte Einschmeichler. Die beiden sahen zufrieden aus.

Dann erschien ein Arzt. Offenbar zogen sie die Gesundheitschecks dieses Jahr vor. Im Verlauf des Tages wurden dann alle Neuen auf Herz und Nieren getestet, in ihren Mund, Nase, Ohren hineingeschaut und durchleuchtet, befragt, die Haut abgesucht und eine Probe abgeschabt, Blut abgezapft und so weiter. Das machten alles die neuprogrammierten Robohelfer. Der Arzt schaute zu mit verschränkten Armen, noch war er der Chef und Richter. Jeder an seinen Platz.

Begleitet wurde er von Mildred, die AAA von gelegentlichen Begegnungen aus dem Labor kannte, wenn spezielle Instruktionen anstanden, zum Beispiel für neue Geräte oder Verfahren. Sie war eine Hilfswissenschaftlerin und normalerweise nicht hier auf der Insel tätig. Mildred sah ihn länger an, als sie sich begegneten, eindeutig ohne sexuelle Absichten, danke gleichfalls, obwohl sie relativ nett zu sein schien, für eine des Lagerpersonals, aber interessiert an ihm. Wusste sie etwas, das er nicht wusste? Auch die älteren Semester wie er wurden selbstverständlich regelmässig ärztlich untersucht. Wie waren seine Blutwerte? Hatte er neue aufgeweckte virale Parasiten? Es konnte jeden jederzeit treffen, das war das Wesen unkontrollierter Mutationen, die sie nicht ganz von ihrer gehegten Menschenwelt fernhalten konnten. Sie kamen auch von innen.

Gegen Abend auf dem Nachhauseweg, wenn man so wollte, das heisst in die einzelnen Habitate, nach weiteren Hirnstimulationsstunden, hatten alle alles wieder vergessen, das Unangenehme jedenfalls, wie von Zauberhand. Niemand hinterfragte das. Nur das Hineingepresste krallte sich in die flexiblen Neuronenwindungen, sank über Nacht ins Unbewusste. AAA erkannte diesen Effekt erst jetzt, wieso? Gesunde Verdrängung war seine Antwort und erste Hypothese. Er hatte das Verfahren längst akzeptiert und stand über dem. Die Überlebensethik ihrer Welt konnte nicht auf alle Empfindlichkeiten Rücksicht nehmen, das war ihm früh klar geworden auf der Insel. Was ihn ärgerte, war die Reaktion von Tonja auf seine Reklamation, dass Morley und viele seiner Leute nicht zur Schule kamen. „Darum brauchst du dich nicht zu kümmern, von Ockham.“ Das wars dann auch schon, deren wiederholtes Fehlen blieb einfach unkommentiert. Nicht einmal Bad Robot wurde zur Strafe hingeschickt. Hingegen bekam er noch etwas mit auf seinen Weg, von ihrer grinsenden Fratze. „Du hast die neuen Regeln noch nicht abgeholt im Schulbüro, als einziger der Habitatsleiter. Morley Maldoon war übrigens da, er weiss, was wichtig ist, genau wie Karl und die übrigen, die wie du neu in ihrer Funktion sind. Aber ich teile es dir gerne nachträglich persönlich mit. Neben weiteren konstanten Perfektionierungen unseres Zusammenlebens und Lernens für das wahre Leben gibt es neu ein Punktehandicap für die Habitatsleiter bei den kommenden Tests. Schliesslich habt ihr viel mehr Chancen auf Sonderpunkte, wenn ihr eure Freiräume nutzt. Das ist nur fair.“

Später machte AAA pflichtbewusst die Runde, fragte ablenkend nach den Tieren, versuchte ein paar der Älteren für Patenrollen zu gewinnen, was erstaunlicherweise kein Problem war, und wartete am Abend schon im Garten auf Lilula. Frisch geduscht, muss man noch erwähnen, mit sauberem chloriertem Wasser und seiner Lieblingsduftnote, einer Mixtur, die er von ihr geschenkt bekommen hatte. Sie gewährte ihm ein kurzes Lächeln, dann wurde gearbeitet.

Und gearbeitet. So ein Garten gab echt viel zu tun, wenn man Jahr für Jahr seinen Ertrag daraus ziehen wollte. Ohne die Zusatzkalorien und Würze wären sie aber schlecht gerüstet für die endlosen Anstrengungen. Ausserdem sollte man ja noch wachsen. Protein war ein Problem, Habitat Karl hatte dafür Fischtanks, aber die waren sehr heikel im ökologischen Gleichgewicht. Ihr Versuch stank, äh stand in einer Ecke, wo auch das Habitatsklo war.

AAA hatte eher Spass an den Arzneimittelpflanzen. Er hatte schnell gelernt, dass das nur ein Deckmantelname war für allerlei Arten von Drogen, von denen er erst die Spitze des Eisbergs kannte. Selbstversuche waren nicht ratsam, Pflanzen konnten nicht davonrennen vor ihren Fressfeinden, sie vertrauten auf ihre Gifte.

„Lil, warst du heute auch in der Schule?“

„Nein, der Techniker war hier zur Inspektion der stotternden Bewässerungsanlage.“ Das hätte der Beginn ihrer Konversation sein sollen. Aber sie liess ihn schmoren und arbeiten. Nur am Schluss gab es einen Kuss und ein „So…“ von ihr.

Als er mehr wollte, hob sie die Hand wie ein Verkehrspolizist. „Alles zu seiner Zeit. Ich bin im Rückstand mit meiner wahren Arbeit. Aber morgen reden wir, komm früh zu mir“ sagte Lilula ernst und leise. Sie hatte einen Korb voller Kräuter unter dem Arm.

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