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Inhaltsverzeichnis

Doktor Georg Scharfenberg hatte am andern Tag Beate Haßler ausgehen sehen. Eilig stürmte er ihr nach und hatte auch das Glück, sie einzuholen. Etwas außer Atem fragte er sie: »Tag, Bea! Wie gehts? Darf ich mich dir anschließen?«

Freundlich reichte sie ihm die Hand. »Wenn es dir Vergnügen macht, Schorschchen; ich habe für Muttchen einige Besorgungen zu machen.«

Glücklich schritt er neben dem geliebten Mädchen einher, das ihm unsagbar lieblich und anmutig erschien. Beate trug ein enganliegendes, dunkelblaues Kostüm, das die Vorzüge ihrer schlanken, gut gewachsenen Gestalt vorteilhaft zur Geltung brachte.

Ihr kluges, schmales Gesicht mit den etwas zarten, aber gesunden Farben wurde ungemein belebt durch die großen dunkelbraunen, fast schwarzen Augen, die im Verein mit den dunklen Wimpern und Brauen in wirkungsvollstem Gegensatz zu dem köstlichen aschblonden Haar standen. Ihr Mund war sehr schön geschnitten, etwas herb und streng im Ausdruck, wenn sie schwieg, aber reizend beim Lächeln.

Unbefangen plauderte sie von diesem und jenem, während er im stillen nach einem Anfang suchte, von dem zu reden, was ihm auf dem Herzen lag, jetzt aber noch klug vermeidend, das Gespräch auf den Gegenstand von gestern zu bringen.

Obwohl es noch ziemlich früh im April war, hatte der warme Sonnenschein der letzten Tage die Knospen wach geküßt, und wie ein zarter, grüner Schleier in helleren und dunkleren Abtönungen, so lag nun das junge Grün auf den Sträuchern.

»Heut’ ist’s doch köstlich-richtiges Osterwetter,« sagte Beate, »sieh nur, Schorschchen, wie reizend die gelben und lila Krokus dort auf dem Beet, und da die ersten Kastanienblätter — wie schüchtern sie aussehen! Ich freue mich immer so über das Auferstehen der Natur, und deshalb ist mir gerade Ostern das liebste von allen Festen!«

»Wie herrlich muß es jetzt im Pfaffenbusch sein,« bemerkte Georg, »ein Gedanke, Bea, — Du hast doch Zeit? Wollen wir mal hingehen? Weit ist’s ja nicht.«

Bereitwillig stimmte sie zu, und nicht lange danach befanden sie sich in dem Gehölz, das unmittelbar an die Stadt grenzend ein beliebter Spazierort war.

Heute traf man nur ganz vereinzelte Spaziergänger an, was Georg sehr recht war. Denn das, was er jetzt mit Beate zu reden hatte, konnte nur in der Stille geschehen.

»Wie schön, Schorsch,« sagte das junge Mädchen, tief Atem holend, »hier offenbart sich die Schöpferkraft der Natur so herrlich; im Walde halte ich meine Kirche, da bin ich immer so gläubig und fromm.«

»Und sonst nicht, Bea?« fragte er eindringlich.

»Wie du es vielleicht meinst, nicht, Georg! Es ist alles so von allein gekommen, und je mehr man nachdenkt, desto mehr bröckelt von dem alten Kinderglauben ab.«

»Beate, so sieht es in dir aus?«

»Ja, Schorschchen — und wundert dich das so sehr? Übrigens, wie du denkst, weiß ich ganz genau, auch wenn du mir gerade davon nie gesprochen hast.«

»Weil es kein Thema war, dies mit dir zu erörtern. Aber wer weiß, was du alles für Bücher gelesen hast, die gar nicht für dich geeignet sind, und naturgemäß verwirren sich —«

»Erlaube, Georg,« unterbrach sie ihn lebhaft, »erlaube, was ich mir zu lesen auserwähle, ist nie ungeeignet für mich! Und wenn du mich bei guter Laune erhalten willst, dann betrachte mich nicht immer noch als halbes Kind, dessen Meinung und Ansichten man gutmütig belächelt und nicht für voll ansieht,« eine leise Gereiztheit klang aus ihrer Stimme.

Begütigend faßte er ihre Hand und blieb stehen. »Nicht doch, Bea — das liegt mir ganz fern! — ich habe etwas ganz anderes auf dem Herzen.«

Er schwieg einen Augenblick, und erwartungsvoll sah sie ihn an. Sie wußte offenbar nicht, wo er hinaus wollte. Schwer atmend fuhr er da fort, ihre Hände an seine Brust führend: »Bea, du hast mir eigentlich noch gar nicht recht Willkommen gesagt, so wie man es sich nach dem Abschied sagt, den wir damals genommen haben.«

Ein lichtes Rot überflog ihre feinen Züge und sie suchte ihre Hände zu befreien; er ließ sie aber nicht. »Weißt du es nicht mehr, Bea? — In eurer Laube am Pfingsttag war es! — Sag’, Mädchen, hast du noch daran gedacht?« fragte er weich.

Statt aller Antwort hob sie die dunklen Augen zu ihm empor, und was er darin las, mochte ihn wohl dazu ermutigen, seinen Arm um die holde Gestalt zu legen und einen innigen Kuß auf ihren Mund zu drücken. »Mein Herzlieb,« flüsterte er in tiefer Bewegung, »hast du mich noch ein bißchen lieb?«

Sie schmiegte sich fester an ihn. »Ja, Schorsch, nicht bloß ein bißchen, sondern viel, viel mehr als du alter Schulmeister es eigentlich verdienst,« entgegnete sie innig.

Da beugte er sich nieder, und ihren Lippen wurde süßer Lohn zuteil für diese Antwort. Gern überließ sie sich seinen starken Armen, in denen es sich fest und sicher ruhte. »Du lieber Schorsch,« sagte sie leise und küßte ihn zart und innig wieder.

Sie liebte den treuen Freund ihrer Kindheit mit der tiefen Zuneigung, deren ihre Natur fähig war, und wenn auch bis jetzt noch kein Wort von Liebe gesagt war zwischen ihnen, so war es doch ein stillschweigendes Bewußtsein gewesen, daß sie beide zusammengehörten. Sie schritten langsam weiter durch den Wald, und doppelt reizvoll erschien ihnen jetzt das erste sprossende Grün, der lichtklare, blaue Himmel.

Georg hatte seinen Arm um die Geliebte gelegt und sprach ihr davon, wie er stets nur an sie gedacht, und wie er nun glücklich sei, ihr jetzt eine gesicherte Zukunft bieten zu können. Er hoffe, daß sie nächstes Jahr um diese Zeit schon seine kleine Frau sei.

Da blieb sie stehen. »Aber nein, Schorschchen, so bald nicht, das ist doch unmöglich.«

»Aber warum? Ich hab doch mein schönes Gehalt, dazu die Zinsen von meinem Kapital, freie Wohnung — da läßt es sich doch bei nicht allzu großen Ansprüchen ganz gut leben.«

»Ach, daran habe ich nicht gedacht! — Nein, Schorsch, erst muß ich doch meinen »Doktor« machen. Du vergißt wohl ganz, daß ich studieren will?«

»Aber Bea, das kann doch dein Ernst nicht mehr sein, jetzt, wo wir uns gefunden haben,« sagte er, unangenehm von ihrer Äußerung überrascht.

Sie löste sich aus seiner Umschlingung und blickte ihm ruhig und gerade in die Augen. — »Doch, es ist mein Ernst!«

»Aber Beate, das ist ja Unsinn! Dann liebst du mich nicht, wenn du daran noch denken kannst,« rief er ganz aufgeregt.

»Denkst du denn so ausschließlich an mich? Hast du denn nicht deinen Beruf, der deine ganzen Kräfte, dein ganzes Interesse in Anspruch nimmt?« fragte sie kühl. —

»Beate, sieh doch ein, daß das etwas anderes ist — ich bin doch ein Mann!«

Da lachte sie kurz auf. »Ja, natürlich, das ist etwas ganz anderes — ein Mann! Und ich als Weib muß mich fein demütig bescheiden, muß meine innersten Wünsche und Neigungen verleugnen, wenn es dem Mann nicht paßt. Aber das darfst du niemals verlangen — du weißt doch ganz genau, daß ich eine selbständige Natur bin.«

»Ja, das weiß ich, und ich will dich auch gar nicht anders haben! Nur lasse ab von der unglückseligen Idee, zu studieren! Ich bitte dich herzlich darum! Was hast du denn davon, du vertrauerst deine schönsten Jahre, die du ganz anders ausnützen könntest.«

»Bitte, Georg, darüber habe ich eine andere Ansicht, und von der lasse ich mich auf keinen Fall abbringen.«

Es war merkwürdig, wie kühl ihre Stimme klang und ihre Augen blickten; die Weichheit und Herzensgüte, die sonst daraus strahlte, war mit einemmale verschwunden. Sie schüttelte ein wenig den Kopf. »Wirklich, Georg, ich hätte dich für großgeistiger gehalten. Aber ihr Männer seid euch darin alle gleich.«

Er faßte ihre Hand. »Beate, hast du mich wirklich lieb?« fragte er eindringlich.

Noch einmal wollte er versuchen, sie umzustimmen. Er kannte gar wohl ihren harten Kopf, glaubte aber durch eine Berufung auf ihre Liebe schließlich doch den Sieg zu gewinnen. Sie mußte ja ein Einsehen haben.

Innig ruhten ihre klaren Augen auf ihm, als sie sagte: »Ja, Georg, ich hab dich lieb, und ich bin glücklich, daß du mich zu deiner Gefährtin erwählt hast. Ich denke es mir herrlich ein Leben an deiner Seite.«

Ein Freudenstrahl huschte über sein kluges Gesicht, und beglückt zog er sie an sich. »Meine geliebte Braut, mein guter Kamerad, du —«

»Ja, eben das will ich auch sein — im wahrsten Sinne des Worts!« unterbrach sie ihn. »Ich will dir in deinem Berufe ganz zur Seite sein — ich will dich bis ins kleinste verstehen, und deshalb, Georg, bitte ich dich, hindere mich nicht in meinem Vorhaben, ich bitte dich darum, um unser Glück!« Und süßflehend schaute sie ihn an.

Der Freudenschimmer auf seinen Zügen erlosch jäh, und eine tiefe Falte grub sich zwischen seine Augenbrauen. »Um unser Glück!« wiederholte er bitter. »Mein Glück verlangt es wirklich nicht, daß du als ausgebildete Ärztin und Kollegin an meiner Seite lebst, nein, ich will dich als meinen guten Kameraden, als mein geliebtes Weib, Bea, bei dem ich mich von den Anstrengungen meines Berufes ausruhen kann.«

Eine heiße Zärtlichkeit klang aus diesen letzten Worten, und heftig drückte er ihre Hand.

»Und als meine Haushälterin, vergißt du hinzuzusetzen, die da nachsieht, ob alle Knöpfe gut angenäht sind,« entgegnete sie ironisch. »Denn das gehört ja mit zu dem Bilde, wie du dir deine Ehe ausmalst. Aber dazu, Georg, habe ich durchaus kein Talent, das sage ich dir vorher!«

»Doch oft sichern angenähte Knöpfe das Glück einer Ehe mehr als die gelehrtesten, geistreichsten Gespräche es vermögen, wenn sonst der Haushalt vernachlässigt wird,« antwortete er mit grimmigem Humor. »Du bist auf einem ganz falschen Wege, Beate, wenn du so denkst! Und du hast wirklich nicht zu befürchten, daß ich dich auf das Niveau einer bloßen Haushälterin herabdrücken will, nein, Bea, gerade so wie du bist, will ich dich haben: mein schönes, kluges Weib, gegen das ich mich aussprechen kann, das mich versteht, auch ohne daß es gerade vom Doktortitel geschmückt wird, den du ja von mir bekommst.«

»Den aber aus eigener Kraft zu erreichen, der Traum meines Lebens ist! — Gib dir keine Mühe, Georg, was du auch vorbringen wirst, ich gebe nicht nach, zu tief ist der Plan mit meinem Innersten verwachsen.«

»Du denkst dir alles so ideal, komme aber erst in die Wirklichkeit und sieh, wie schwer es ist, Beate, Mädchen! Du hast ja keine Ahnung, was es zu überwinden gibt, wie die Anstrengungen dich aufreiben werden, dir deine Schönheit, deine köstliche Jugend und Frische nehmen — und dann all der Ekel und der Jammer!«

»So schlimm, wie du es schilderst, ist es ja doch nicht, Georg, du kannst mich nicht abschrecken, weil ich mir alles selbst schon gesagt habe. Und siehst du, mich jammern gerade die armen kranken Kinder so; denen möchte ich so gerne helfen! Wie oft hast du mir früher gesagt, daß das dein Wunsch ist, gerade Kinderarzt zu sein!«

»Ja, Beate, und an meiner Seite hättest du da die beste Gelegenheit, dich in dieser Vorliebe zu betätigen — als meine Frau in meiner Klinik.«

Doch eigensinnig schüttelte sie den Kopf. »Ich will, wie ich will, Georg! Bitte laß uns nicht weiter darüber sprechen und uns den schönen Tag verderben! Meine Absicht steht fest. Ich sehe nicht ein, warum sich mein Studium mit meiner Heirat nicht vertragen sollte! Die paar Jahre werden bald vergehen, ich bin jetzt zum Heiraten noch viel zu jung.«

Ein Zug ernster Entschiedenheit trat da in sein Gesicht. »Nun denn, Beate, wenn du meinen Bitten, meinen berechtigten Einwendungen und Gründen durchaus kein Gehör schenken willst, muß ich es dir entschieden verbieten.«

»Du mir verbieten? Und mit welchem Recht?« Sehr erstaunt klang diese Frage, und ebenso erstaunt sah sie ihn an.

»Mit dem Recht als dein Verlobter! Nimmer werde ich zugeben, daß du eine Universität besuchst. Du gehörst jetzt mir! Niemand kann zween Herren dienen!«

»Ah, ist es das, mein Freund?« gab sie kalt zurück. »Dann wisse, daß ich nicht gewillt bin, so über mich verfügen zu lassen. Ich tue, was mir beliebt, und du hast kein Recht, in solcher Weise bestimmend auf mich einzuwirken. Ich lasse mich nicht tyrannisieren! Und kurz: ich gehe nach Zürich.«

Er wurde bleich bis in die Lippen bei ihren mit großer Entschiedenheit gesprochenen Worten. »Beate, ist das dein letztes Wort?«

»Mein letztes!«

»Treibe es nicht bis zum äußersten! Denke an unsere Liebe, an unser Glück! Wollen wir uns das durch eine Laune zerstören lassen? Beate, sei doch vernünftig! Wenn ich nur eine Zweckmäßigkeit, eine Notwendigkeit deines Studiums einsehen könnte! Aber so! Beate! —« Seine Stimme bebte doch, und erwartungsvoll waren seine Augen auf ihr Gesicht gerichtet, eine Sinnesänderung darin zu lesen. Sie konnte doch nicht so starrköpfig sein, wo es sich um beider Lebensglück handelte.

Doch vergebens. Kein Zug in ihrem Antlitz veränderte sich. Es blieb kalt und unbeweglich. »Du kennst meinen Entschluß, er ist unwiderruflich!« sagte sie dann, und wie ein Eiseshauch wehte es ihn an aus ihren Worten.

Er sah, daß sie wirklich ihr letztes Wort gesprochen; fremd und kühl begegnete sie seinem bittenden Blick — da griff er nach seinem Hut. »Dann lebe wohl, Beate! Mögest du nie bereuen, so auf deinem Eigensinn beharrt zu haben.«

Ohne ihr die Hand zu geben, verneigte er sich und ging davon. In wenigen Augenblicken war er durch eine Wegbiegung ihren Blicken entschwunden.

War er das wirklich, ihr allzeit nachgiebiger Freund, der heute so starr war und nicht einen Schritt zurückwich, trotz ihrer Bitten?

Beate stand noch da, die Hand unwillkürlich auf ihr Herz gepreßt, in dem es einen so wunderlichen Stich gab, als die hohe Gestalt des Jugendfreundes ihren Blicken entschwand. Und stieg es da nicht wie warme Tropfen in ihren Augen auf? Ach Unsinn! Und ärgerlich über sich selbst schüttelte sie den Kopf.

Sie konnte doch froh sein, daß sich die Sache noch so gewendet, nachdem sie gesehen, daß Georg ebenso egoistisch und kleinlich denkend wie andere Männer war. Und wie hatte sie es sich schön gedacht, als sein Weib tatkräftig und verstehend an seiner Seite zu schaffen!

Da hieß es denn auf diesen Traum verzichten und von jetzt an für sich allein bleiben — in angestrengter Arbeit Ersatz für das Aufgegebene zu suchen!

Vielleicht war es auch besser so; denn er hatte ja selbst gesagt: »niemand kann zween Herren dienen«, — entweder also die Wissenschaft oder die Liebe, und da es nur eins sein konnte, wählte sie eben die Wissenschaft, die ihr nun alles geben mußte!

Aber ein häßlicher Schatten war doch über ihre Osterfreude gefallen, und traurig und gedankenvoll schritt sie dem Heimweg zu.

Fräulein Doktor

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