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3.

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Inhaltsverzeichnis

Es war erreicht!

»Fräulein Dr. med. Beate Haßler«, hieß es seit mehr als einem Jahr!

Die Studienzeit war vorüber. Die Examina hatte Beate glänzend bestanden, und mit Stolz konnte sie auf ihre Erfolge blicken. Ein Jahr hatte sie schon praktisch in einem großen Krankenhause gearbeitet, und man rühmte ihr große Sicherheit und Tüchtigkeit nach. Mit vieler Liebe hingen die kranken Kleinen auf der Kinderstation an ihr, und großer Jubel herrschte unter ihnen, wenn die »gute Tante« kam — jedes wollte von ihr genommen und gepflegt sein.

Und es war wirklich wunderbar, wie das ernste Gesicht der jungen Ärztin sich aufhellte, wenn sie mit den Kleinen scherzte und ihnen gut zuredete. Welch weiche, linde Töne da ihre klare Stimme fand, welch’ Leuchten in ihre Augen trat — sie hatte dann wirklich etwas Unwiderstehliches an sich.

»Wissen Sie, Fräulein Doktor, was ich Ihnen wünschte?« sagte eines Tages Schwester Therese zu ihr, als beide damit beschäftigt waren, bei einem reizenden zweijährigen Kinde, das sich arg verbrüht hatte, den Verband zu erneuern.

»Nun, da bin ich wirklich neugierig,« lächelte Beate in ihrer gewinnenden Weise, um dann gleich darnach das Kind zu beruhigen, das anfing zu weinen.

»Ich wünschte Ihnen, daß Sie selbst solch herziges Wesen Ihr Eigen nennten! Sie hätten heiraten müssen, Fräulein Doktor,« meinte die Schwester warm, indem sie einen bewundernden Blick auf das schöne Mädchen richtete, das bei diesen Worten tief errötete. »Wer so mit Kindern umzugehen versteht ...«

»Sie können das wohl nicht, Schwester?« entgegnete Beate. »Schließlich liegt doch in jedem weiblichen Wesen das Muttergefühl, und mein Beruf gibt mir genug Gelegenheit, ihm nachzugeben! Das ist doch nichts besonderes an mir!«

»Ja, wenn auch, Fräulein Doktor, aber gerade Sie — —«

Schwester Therese hielt es jetzt doch für geratener, nicht weiter zu sprechen; denn sie sah, wie Beates Gesicht einen abweisenden Zug angenommen hatte; vielleicht rührte man da unbewußt an eine wunde Stelle. Und sie hatte mit dieser Annahme wohl nicht ganz unrecht. Beate hatte den teueren Jugendfreund nicht vergessen können. Noch immer glaubte sie seine mit so schmerzlichem Ausdruck auf sie gerichteten Augen zu sehen, wie er damals von ihr ging, als sie das nachgebende Wort, das er so sehnlich erwartete, nicht gesprochen!

Dann hatte er dennoch noch einmal geschrieben, warm und eindringlich, aber sie hatte auf ihrem Willen beharrt, und von der Zeit an hatte er vermieden, je wieder mit ihr zusammenzutreffen; sie sahen sich nicht mehr.

Desto mehr hörte aber Beate von ihm, er war die rechte Hand von Professor Brause in S., der ihm das Zeugnis eines äußerst geschickten, tüchtigen Chirurgen ausstellte. Alles das erzählten ihr die Eltern, und mit Herzklopfen lauschte sie darauf. Aber was hätte es für Zweck gehabt, sich in unnütze Träumereien zu verlieren?

Mit um so größerem Eifer stürzte sie sich in ihre Arbeit, und mit der ihr eigenen Energie und Geschicklichkeit überwand sie alle Schwierigkeiten. Wie oft mußte sie an Georgs Worte denken, als er ihr das Studium so schwer geschildert — wie manchmal drohte der Ekel sie zu überwältigen — aber sie biß die Zähne zusammen — und es ging!

Mit stolzer Freude stand sie dann am Ziel ihrer Wünsche, und ein Hochgefühl erfüllte ihre Brust; sie hatte ihm beweisen können, ihm und den anderen, daß es für sie nichts Unerreichbares gab.

Nun war sie schon sechsundzwanzig Jahre und eine Erscheinung, die nicht zu übersehen war. Wohl war die erste Jugendblüte entschwunden; aber die intensive Geistesarbeit und ihr reiches Innenleben hatten ihrem Antlitz seine Spuren aufgedrückt; hohe Intelligenz und Klugheit, gepaart mit echt weiblicher Herzensgüte, leuchteten nur so daraus hervor, daß man dem Zauber ihrer Persönlichkeit sich nicht zu entziehen vermochte. Ihre Gestalt war sehr elegant, von schlanker Fülle, und Beate verstand auch, sich anzuziehen. Stets war ihre Kleidung geschmackvoll, wenn auch einfach und unauffällig.

Gegen ihre männlichen Kollegen war sie von einer liebenswürdigen Zurückhaltung. Manch einer hätte die schöne Beate gern sein Weib genannt — doch ein gewisses Etwas in ihrem Wesen hielt jeden davon ab, ihr auch privatim näher zu treten, sie war und blieb unnahbar.

In ihrem Beruf war sie unermüdlich fleißig und tätig, schließlich aber doch ihre Kräfte überschätzend, bis die versagten. Sie hatte sich keine Ruhe gegönnt; stets auf ihre eiserne Natur pochend, hatte sie sie zu ihrem Willen gezwungen, bis es eben nicht mehr ging. Ohnmächtig brach sie an einem Krankenbett zusammen. Ein heftiges typhöses Fieber warf sie darnieder.

Nachdem sie viele Wochen gelegen und auf das sorgsamste gepflegt worden war, ging sie zur gänzlichen Erholung auf einige Zeit nach Hause, zu den Eltern, die ihren Liebling mit großer Freude begrüßten und im stillen hofften, daß Beate endgültig bei ihnen bleiben würde.

Aber daran schien sie doch nicht zu denken, denn mit großer Liebe und vielem Interesse sprach sie von ihrem Beruf, die Zeit herbeisehnend, ihn wieder ausüben zu können. —

Es traf sich gut, daß sie noch zu Hause war, als nach dem Manöver ihr Bruder Adolf in Begleitung eines Freundes für zehn Tage auf Urlaub kam. Mehr als zwei Jahre hatte sie ihn nicht gesehen. Beate war zu Hause geblieben, nach dem Rechten zu sehen, auf diese Weise der Mutter die Freude ermöglichend, den Sohn mit von der Bahn abzuholen. Sie hatte den Tisch hergerichtet, ihm mit frischen Blumen ein festliches Aussehen gegeben und war nun mit allen Vorbereitungen fertig.

Wunderbarerweise hatte sie der Aufenthalt im Elternhause gelehrt, an kleinen wirtschaftlichen Anordnungen und Handreichungen Freude zu empfinden. — Die Hausklingel ertönte, ein Zeichen, daß man von der Bahn zurückkehrte. — Schnell begab sich Beate hinaus, den Ankommenden entgegenzugehen.

Mit aller Lebhaftigkeit, die ihm eigen war, begrüßte Adolf die Schwester. Er schloß sie in die Arme und küßte sie herzlich auf beide Wangen. »Mädel, Bea, ich freue mich kolossal, dich wiederzusehen, und in deiner Würde als »Fräulein Doktor!«« —

»Ja, ja, Rolf,« wandte er sich an seinen Freund, »nun komm’ erst mal her und lasse dich bekannt machen mit meiner gelehrten Schwester.«

Der schlanke, schöne Offizier verneigte sich tief. »Adolf hat mir so viel von Ihnen erzählt, daß ich schon längst begierig darnach war, Sie kennen zu lernen, gnädiges Fräulein.«

Ein helles Auflachen Adolfs unterbrach ihn. »Gnädiges Fräulein,« parodierte er, »mein Freund, das ist wohl nicht die rechte Anrede für so ein gelehrtes Haus.«

»Aber, so lasse doch, Adolf,« mahnte Beate, »ich bitte dich.«

Rolf von Hagendorf war rot geworden. »Pardon, Fräulein Doktor, ich war — ich hatte —,« stotterte er.

Freundlich gab sie ihm die Hand.

»Hören Sie nicht auf Adolf! Wie ich sehe, ist er noch immer der alte geblieben, dem es Spaß macht, seine Mitmenschen zu necken.«

»Na, Mutting, nun dürfen wir uns wohl erst den Reisestaub abschütteln, und dann gibts sicher etwas zu essen, ich muß gestehen, ich habe einen Mordshunger. Rolf übrigens auch! Und bei dir duftet es schon so verführerisch, so nach Rebhühnern mit Sektkraut; Fränze, das alte Faktotum, wird schon ihr möglichstes getan haben, wenn so hoher Besuch kommt!«

»Jawohl, Herr Oberleutnant.«

Die alte Köchin war soeben aus der Küche gekommen, den Sohn des Hauses zu begrüßen, und sie hatte die letzten Worte gehört. Sie wischte sich die Hände erst noch einmal an der Schürze ab, ehe sie ihre Rechte etwas zaghaft in die Hand Adolfs legte, der sie dann freundschaftlich auf die Schulter klopfte.

»Nicht wahr, Fränze, wir zwei beide, wir verstehen uns, was?«

»Na, und ob, Herr Ad..., Herr Oberleutnant« — sie strahlte über das ganze gute Gesicht! Er war doch immer noch derselbe geblieben, stets lustig und guter Dinge. Wie oft hatte sie ihn vor dem elterlichen Zorn und vor Strafe in Schutz genommen, wenn er als Junge Zuflucht bei ihr gesucht, und wie eine Henne ihre Küken schützt, so hatte sie ihn gegen den väterlichen Rohrstock verteidigt. Beate war ihr fremder geblieben; sie konnte es ihr nicht verzeihen, daß sie nicht heiraten wollte, besonders wo sie, Fränze, es doch für eine ausgemachte Sache gehalten, daß Beate und Scharfenbergs Georg mal ein Paar würden!

Kaum eine Viertelstunde später befand man sich bei Tisch. Die Herren ließen es sich gut schmecken; sie taten dem wirklich vorzüglichen Essen alle Ehre an. Mit einigen sehr warmen Worten dankte Rolf von Hagendorf den Eltern seines Freundes nochmals herzlich, daß sie ihm Gastfreundschaft gewähren wollten; es tue ihm so unendlich wohl, einmal wieder in Familie zu sein und wahres Familienleben zu genießen, was er eigentlich gar nicht kenne, da er als kleiner Junge schon ins Kadettenhaus gekommen sei und dort auch meistens die Ferien verbringen mußte!

Behaglich fühlte sich Rolf gleich in der ersten Stunde bei Rechtsanwalt Haßlers; ein Gefühl des Fremdseins war gar nicht in ihm aufgekommen. Das wäre auch wunderbar gewesen; denn niemand konnte es seinen Gästen traulicher machen, als Frau Haßler durch ihre liebe, gütige, mütterliche Art.

Noch lange saß man in anregendem Gespräch bei Tisch, und im stillen bewunderte Rolf von Hagendorf die Schwester seines Freundes. Nach dessen Erzählungen hatte er sich unter Beate eine emanzipierte, auf ihr Wissen eingebildete Person vorgestellt und war nun aufs höchste überrascht, eine junge Dame von auffallender, ja rassiger Schönheit vor sich zu haben. Es gewährte ihm einen eigenen Reiz, sie zu beobachten. Sie schien das zu fühlen; mehr als einmal hob sie wie magnetisch angezogen den Blick, und jedesmal begegnete sie Rolfs kecken, grauen Augen, die in so deutlicher Bewunderung auf ihr ruhten.

Sie wurde ärgerlich darüber; seine Art verletzte sie fast, sie war doch nicht gewöhnt, so lediglich als Weib angesehen zu werden. Aber sie konnte sich nicht verhehlen, daß der junge Offizier durch seine persönlichen Vorzüge wohl imstande war, auf junge unbehütete Herzen eine große Macht auszuüben. Er hatte etwas Hinreißendes, Zwingendes an sich; lag es im Lächeln seines Mundes, im Blick seiner heißen Augen, der ihr sagte: du entgehst mir nicht, wenn ich nur will; sie wußte es nicht! —

»— Ihr habt doch gewiß auch gehört,« bemerkte da Adolf, »daß Georg Scharfenberg so gut wie verlobt ist —«

»Nein, keine Ahnung davon, du mußt dich irren, Adi,« entgegnete Frau Haßler aufs höchste erstaunt — »nein — sonst müßten wir es doch wissen.«

»Ja, eben —«

Beate war um einen Schein blasser geworden, und sie preßte die Lippen fester zusammen, daß ihr kein unbedachter Ausruf entfuhr.

»Doch, Mutterle, ich hörte es für ganz bestimmt sagen. Ich wollte ihn immer schon selbst fragen, traf ihn aber nicht — hab ihn überhaupt lange nicht gesehen!«

»Ihr kommt wohl nicht mehr zusammen?« fragte Beate.

»Selten nur noch! Denn es sind doch so ganz andere Interessen und Kreise, die jeder von uns hat — er ist ein kolossaler Streber geworden.«

»Was du nicht sagst! — Das glaube ich aber doch nicht,« meinte Papa Haßler, »er war stets fleißig, woran sich andere ein leuchtend Beispiel nehmen könnten.«

»Ja, ei ja — das weiß ich längst.« Lachend hielt Adolf sich die Ohren zu. »Ich wundere mich überhaupt selbst, daß ich es noch so weit gebracht habe! Da hätte mir Beate von ihrem unheimlichen Wissen gern abgeben können. Ihr hätte es nicht geschadet und mir ungeheuer genützt. Weißt du, Mädel,« und lustig zwinkerte er mit den Augen, »weißt du, ich hatte immer gedacht, daß aus dir und Schorsch mal ein Paar werden würde. Ihr waret ja unzertrennlich, ihr beide — die reinen Inseparables.«

Interessiert blickte da Rolf Hagendorf auf Beate; er sah das Zucken in ihrem Gesicht und das gezwungene Lächeln, mit dem sie antwortete: »Adi, deine Kombinationsgabe war immer sehr schwach! Denke daran, daß sie dir einmal zwei Stunden Karzer eingebracht hatte! Und die »vier« in Mathematik vergißt du wohl ganz? Sehr kühn und großartig waren deine Voraussetzungen stets, beruhten aber auf falscher Grundlage, wie in diesem Falle! Was sollte Schorsch wohl mit einer gelehrten Frau anfangen?«

»Wer ist denn seine Auserwählte?« unterbrach Frau Haßler das Wortgeplänkel der Kinder — »das wirst du doch sicher wissen?«

»Ich hörte die Tochter von Professor Brause, in dessen Familie er ja so ganz heimisch ist.«

»Ist sie hübsch?« fuhr es Beate heraus, die aber sofort über diese echt weibliche Frage errötete, besonders, als der Bruder sie lächelnd fixierte und dann sagte: »Hm, so hübsch wie du, Bea, freilich nicht, dir kann überhaupt keiner ...«

»Ach, laß doch die dummen Scherze,« wehrte sie ärgerlich ab, »ich bin doch kein Backfisch mehr, auf den so etwas Eindruck macht, hauptsächlich, wenn es ein Leutnant sagt.«

»Danke, Schwesterlein! Also, Marianne Brause ist ein sehr hübsches und gescheites Mädel, das muß ihr der Neid lassen, nicht wahr, Rolf?«

Der Angeredete nickte zustimmend, während sein Blick beständig Beates Auge suchte: er las in dem stolzen Gesicht etwas, das ihm zu denken gab. War es Schmerz und Kränkung über verschmähte Liebe? Denn Doktor Scharfenbergs Verlobung ging ihr bestimmt näher, als alle anderen ahnen mochten, als sie sich selbst eingestehen wollte! Rolf Hagendorf war ein erfahrener Frauenkenner, der auch in den sprödesten, verschlossensten Herzen lesen konnte.

»Das ist aber unrecht von Georgs Mutter, daß sie mir das verheimlicht hat,« ereiferte sich Frau Haßler.

»Nicht doch, Mutterle, sie weiß vielleicht gar nichts darüber. Erst kurz vor meiner Abreise hörte ich davon sprechen — allerdings mit großer Bestimmtheit. Und so dumm wäre das gar nicht von Schorschchen — er käme da in ein gemachtes Bett! Professor Brause ist ein schwerreicher Mann, Marianne das einzige Kind, man bezeichnet ihn jetzt schon als die rechte Hand des Professors, der ihn ungemein schätzt und hochhält, wäre ihm das schließlich so zu verdenken?«

»Nein, durchaus nicht,« sagte Beate mit seltsam tonloser Stimme und trank hastig ihr Glas leer.

Ihre Hand zitterte, als sie es auf den Tisch stellte, und einen Moment schloß sie die Augen. Als sie die Wimpern wieder hob, blickte sie gerade in Rolfs forschende Augen, und sie hatte das Bewußtsein: er ahnt, was in dir vorgeht! O, nur das nicht! Gerade er durfte nicht wissen, wie unglücklich sie sich in diesem Augenblick fühlte — daß sie verschmäht wurde, da, wo sie doch noch im stillen liebte und hoffte!

Sie zwang sich zur Heiterkeit und ging lachend auf die Scherze des Bruders ein. Aber die Wangen brannten ihr vor innerer Aufregung, und sie sehnte die Stunde herbei, in der sie endlich allein in ihrem Zimmer war.

Dort saß sie dann mit gefalteten Händen auf dem Rande ihres Bettes und starrte vor sich hin. An ihrem Schmerz fühlte sie, wie sehr sie Georg noch liebte, wie tief in ihrem Innersten der Gedanke an ihn gelebt, wie sie gehofft, ihn durch ihre Erfolge doch noch zu überzeugen, daß er ihr unrecht getan mit seiner Forderung, auf das Studium zu verzichten; jetzt wäre sie gerne sein Weib geworden und hätte Hand in Hand mit ihm gearbeitet; welch köstlich Leben wäre das geworden, und nun nahm er eine andere!

Brennende Tränen traten in ihre Augen, und in Grübeln und Sorgen verbrachte sie die Nacht.

Fräulein Doktor

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