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1 – Trauriger Blick in die Nacht

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Das Käuzchen schlug die schwarzen Augen auf. Das Erste, was es sah, waren die dunklen Ahornblätter des jungen Ahornbaumes, auf dem es saß. Als Nächstes erspähte das Käuzchen ein Reh, das durch das raschelnde Laub lief und wenig später in der Dunkelheit verschwand. Das kleine Eichhörnchen, welches gerade den Ahornstamm hinaufkrabbelte, schaute einmal prüfend zum Käuzchen hinüber, um sich zu vergewissern, dass es nicht gefährlich war, und setzte dann seinen Weg nach oben in die Baumkrone, wo sich der kleine Kobel befand, fort. Das Käuzchen streckte einmal seine Flügel aus, die den ganzen Tag eingefaltet gewesen waren und daher heftig schmerzten, und glitt dann lautlos vom Ast hinaus in die schwarze Nacht. Es flog knapp über dem Boden, die wachsamen Augen starr nach vorne gerichtet und die Ohren aufgestellt. Seine Augen waren so scharf, dass es an jedem Ast, der im Weg war, mühelos vorbei flog. Selbst durch die verzweigten Tannen- und Laubbaumäste wand es sich hindurch und schwebte lautlos weiter. So erreichte es schließlich die beiden uralten, ineinander verwachsenen Bäume, die im Garten eines kleinen Häuschens standen.

In dem Häuschen brannte nicht ein einziges Licht. Das Fenster, durch das man die alten Bäume sah, die der Nebel gerade verschluckte, stand sperrangelweit offen, so dass man das Wohnzimmer halbwegs erkennen konnte. Die beiden alten, abgewetzten Vorhänge hingen schlaff neben dem Fensterrahmen und hoben sich bei jedem kleinen Windstoß.

Stumm und starr saß das Käuzchen zwischen den Ästen und schaute auf das Haus. Keiner in der Umgebung wusste, warum es genau an diesem alten Haus wartete. Es saß jeden Abend auf diesem Baum. Daher hatte es auch mitbekommen, wie immer wieder Menschen hier herkamen, um sich das Haus anzusehen.

Kaum merklich zuckte das Käuzchen zusammen, als plötzlich das grelle Licht von Scheinwerfern die Dunkelheit erhellte.

Die neue Familie kam also vom Einkaufen zurück. Eigentlich schienen sie eine ganz normale Familie zu sein, dennoch war etwas anders bei ihnen.

Wachsam blickte das Käuzchen zur Einfahrt. Kurze Zeit später erschien ein Auto. Kurz nachdem es gehalten hatte, öffneten sich schwungvoll alle vier Türen. Ein Mann, eine Frau und zwei Kinder stiegen aus. Die beiden Kinder rannten mit ihren Taschen zur Eingangstür und stießen diese auf.

Das Käuzchen hörte das leise Murmeln der Kinder und erhaschte noch einen kurzen Blick auf die beiden Zwillinge, Jan und Luca, die gerade das inzwischen beleuchtete Wohnzimmer betraten, bevor es sich auf den Weg machte, um etwas Essbares zu finden.

Das Käuzchen lebte, ebenso wie die Familie, in einer anderen Welt. Diese Welt war nicht dieselbe, die wir kennen. Es war die Welt der Unsterblichen. Sie lag versteckt, doch man konnte sie durch das spezielle goldene Eingangstor betreten.

Inzwischen waren beinahe zwei Wochen vergangen, seit die Familie eingezogen war. Alle Möbel waren da und die Familie saß gerade beim Abendbrot und es gab mal wieder einige Kabbeleien zwischen den beiden Jungen…

„Luca! Pass doch mal bitte auf!“, rief Jan genervt. Luca hatte gerade seinen Kirschsaft über den Tisch verschüttet. Er grinste schelmisch. „Warum bist du so patzig? Ist doch viel lustiger, wenn wir unsere Ferien genießen!“, grinsend langte er über den Tisch und angelte sich eine Pflaume.

„Bin ja mal gespannt“ - Luca konnte den Satz nicht zu Ende bringen, weil er von seinem Vater unterbrochen wurde. „Luca“, sagte er streng, „geh in die Küche und hol dir einen Lappen, damit du die Schweinerei wieder beseitigen kannst!“

Luca nickte gekränkt und tapste in die Küche. Jan musste nicht den Hellseher spielen, um zu erahnen, dass sein Bruder wieder etwas im Schilde führte.

„Papa?“ Lucas Wuschelkopf blickte um die Ecke.

„Ja?“, fragte sein Vater mit vollem Mund, „was ist los?“

„Ich wollte nur mal so fragen, wo denn der Lappen liegt. Ich hab ihn nämlich nicht gefunden!“

„Warte, ich komme!“, sagte Jans Mutter und gleichzeitig kam von Jan: „Oh mein Gott!“ Jan schlug sich die Hand spielerisch an die Stirn. „Wie kann man nur so dämlich sein?“

Lucas Mutter drehte sich um und sah Jan mit einem zweifelnden Blick an. Jan, der dies bemerkte, sagte schnell: „Ich mach das schon.“ Er stand auf und schlenderte langsam in Richtung Küchentür.

Luca, der diese Bemerkung gehört hatte, lächelte erbost. „Dann hol ihn dir doch selber, Zwillingsbruder!“

Jan, der die Küche schon fast erreicht hatte, rechnete damit, dass sein Bruder wieder etwas angestellt hatte. Der Lappen hing normalerweise immer am Haken hinter der Tür, doch heute Abend hing er da nicht.

,Ich hab es doch gewusst!’, dachte Jan und schüttelte den Kopf.

„Da hab ich auch schon nachgesehen. Da ist nichts!“, sagte Luca. Doch der Unterton in der Stimme verriet Jan, dass sein Bruder ihn anlog. Jan wusste auch ohne Hilfe, wo ein zweiter Lappen lag und öffnete kurzerhand die Schranktür. Im Hintergrund hörte er Luca leise fluchen, da der nun verspielt hatte.

Triumphierend hielt Jan den Lappen hoch.

„So“, sagte er, „hier hast du deinen Lappen! Und jetzt mach die Tischdecke sauber, bevor das alles eintrocknet!“

Luca verdrehte die Augen und schlurfte aus der Küche.

Nach dem Abendessen gingen Jan und Luca wie üblich ins Bett. Doch sie schliefen noch lange nicht. Immer, wenn sie sicher waren, dass sich ihre Eltern unten aufhielten, öffneten sie leise die Balkontür und sahen sich die Sterne an.

Teilweise verbrachten die Zwillinge anderthalb Stunden in der kühlen Abenddämmerung damit, sich zu unterhalten. Oft standen sie auch nur still nebeneinander und hingen ihren Gedanken nach.

Heute Abend schien es ewig zu dauern, bis ihre Eltern nach unten gingen, nachdem sie den beiden ein ,Gute Nacht’ gewünscht hatten. Immer wieder kam ihre Mutter hinauf ins Badezimmer, um irgendetwas nachzuschauen.

Einmal kam sie, um das brennende Licht im Bad auszuschalten. Ein anderes Mal waren es die noch offenen Vorhänge oder das geöffnete Fenster. Und an schlimmen Tagen konnte alles zusammenkommen…

Unruhig drehte sich Jan auf die andere Seite, so dass er seinen Bruder direkt ansah.

„Herr Gott noch mal! Wie oft will Mom denn noch checken, dass die Lampe im Badezimmer aus ist! Die war auch schon vor zehn Minuten aus“, stöhnte Jan.

„Falsch. Dad war doch zwischenzeitlich drin und hat sie aus Versehen angelassen.“

„Ja, schon, aber… die Vorhänge waren auch schon seit geraumer Zeit zu!“

„Genau wie das angeblich geöffnete Fenster.“, fügte Luca hinzu.

Jan nickte.

„Ich glaube, heute können wir das mit den Sternen eh vergessen!“, murrte Luca, während er den Nebel musterte, der sich um den Balkon schlang.

„Spinnst du?“, fragte Jan etwas zu laut.

Ihre Eltern, die in diesem Augenblick die Treppe hinuntergingen, hielten inne. Die Jungen hörten leises Gemurmel, dann öffnete sich die Tür einen Spaltbreit. Doch sie schloss ich sogleich wieder und die schweren Schritte des Vaters schleppten sich die Treppe hinunter und ins Wohnzimmer.

Wenig später hörten die Zwillinge, wie der Fernseher aktiviert wurde.

„Jetzt!“, flüsterte Jan und stieg aus dem Bett.

„Ich muss aber mal aufs Klo!“, beschwerte sich Luca.

Im Dunkeln verdrehte Jan die Augen. „Dann geh, aber mach schnell!“

Lautlos verließ sein Bruder das Zimmer.

Leise öffnete Jan die Balkontür und trat ins Freie. Ein Schauer lief über seinen Rücken, als seine nackten Füße die eiskalte Steinplatte des Balkons berührten. Doch schon nach wenigen Sekunden hatten sich seine Füße an die kühle Bodentemperatur gewöhnt und es kam ihm vor, als würde er auf angewärmten Badezimmerfliesen herumlaufen. Der Nebel an diesem Tag überraschte ihn nicht. Er war schon die ganze Zeit hier gewesen. Und er wunderte sich, wie warm es auch heute wieder war. Obwohl er nur ein T-Shirt und eine kurze Hose trug, war ihm nicht kalt.

Gedankenverloren blickte Jan zu den Sternen hinauf. Wie an jedem Abend fand er mühelos sein Sternzeichen am Himmel. Es schien schon immer da gewesen zu sein und Jan hatte den Eindruck, dass es momentan an seinem Platz blieb. Es hatte sich seit einer Woche nicht bewegt. Die Sterne des Wassermanns leuchteten heute irgendwie heller als sonst. Vielleicht… Jan wurde ganz aufgeregt. Seit Jahren hoffte er darauf, dass es endlich soweit war. Denn Jan war älter, als man ihn nach seinem Aussehen einschätzen würde. Man konnte ihn für einen dreizehnjährigen Jungen halten, der gerade auf dem Balkon stand und sich die Sterne anschaute.

Inzwischen fand er es lästig, immer wie dreizehn auszusehen, denn in Wirklichkeit war Jan schon zwanzig. Er war nur in seinem dreizehnten Lebensjahr stehengeblieben. Nun, stehengeblieben war nicht das richtige Wort. Jan war unsterblich. Und er hatte eine Aufgabe bekommen. Er wartete schon seit sieben Jahren darauf, seine Aufgabe erfüllen zu können. Seine Eltern waren auch unsterblich, genauso wie sein Bruder.

Hätte Jan nicht den leisen Ruck der Tür gehört, hätte er seinen Bruder nicht bemerkt. Denn Luca besaß genau wie Jan die Fähigkeit, sich lautlos zu bewegen.

Ziemlich oft fand Jan dies sehr nützlich. Es gab aber auch Momente, in denen er sich wünschte, nicht immer lautlos zu sein. Doch wenn sie sich jeden Abend hier hinausschlichen, war es wirklich vorteilhaft.

Luca stellte sich neben ihn und blickte zum Himmel hinauf. Luca musterte ihn. Jan sah sehr traurig aus.

Denn er wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich das Mädchen zu finden, das für ihn in seiner Aufgabe bestimmt war. Denn für jeden von ihnen gab es nur ein bestimmtes Mädchen auf der Welt. Und die Zwillinge würden alles tun, um es möglichst bald zu finden.

„Hoffst du auch gerade, dass wir sie schnell finden?“, fragte Luca.

Jan seufzte. „Du triffst den Nagel auf den Kopf“, flüsterte er, während er weiter in den Himmel starrte.

„Aber wir werden sie finden und wir werden nicht mehr lange warten müssen!“, sagte Jan. Doch so zuversichtlich, wie diese Worte klangen, war er tatsächlich nicht. ,Ich hoffe, dass wir nicht mehr lange warten müssen!’, fügte er in Gedanken hinzu.

„Tja, wenn wir noch zehn Jahre warten müssen, hilft unsere Unsterblichkeit wirklich weiter!“, sagte Luca.

„Allerdings!“, pflichtete Jan ihm bei.

Nachdem sie noch ein paar Minuten draußen gestanden hatten, sagte Jan plötzlich: „Ich gehe wieder ins Zimmer. Ich möchte schlafen.“

Bevor er sich jedoch umdrehen konnte, griff Luca schnell seinen Arm. „Wieso?“

Luca sah seinem Bruder tief in die Augen. Er zögerte, dann seufzte er.

„Je schneller der morgige Tag kommt, desto eher kommt unsere Hoffung. Ich will endlich mal glücklich mit einem Mädchen herumtollen, anstatt ständig aufpassen zu müssen, dass—“

„Ja, ich weiß!“, fiel Luca seinem Bruder ins Wort. Er hatte keine Lust, darüber zu sprechen. Es genügte ihm schon, wenn sie ihre Mädchen bald finden würden. Dann schaute er zu den Sternen hinauf. ,Vielleicht werden sie ja heute oder morgen geboren’, überlegte er. Dann begannen seine Augen zu leuchten. Lächelnd drehte er sich um und sah Jan an.

„Du hast recht. Gehen wir schlafen!“

Twinlight - Die Stunde des suessen Blutes

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