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2 – Die Geschichten der Unsterblichen

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„Hey, Jan! Schau dir das mal an!“, rief Luca aufgeregt. Er hatte die Zeitung aufgeschlagen und fuhr mit seinem Zeigefinger rasend schnell über das Blatt. Passend dazu bewegten sich seine Augen wie Scheibenwischer hin und her. Bei diesem Anblick musste Jan kurz grinsen. Doch ihn interessierte viel mehr, was Luca gefunden hatte, als wie er las.

Jan beugte sich zu seinem Bruder, beachtete sein Kirschsaftglas nicht und stieß es um. Der Kirschsaft spritzte über den Tisch und hinterließ einen riesigen Fleck auf dem Tisch.

„Na toll!“, murmelte er genervt.

„Lappen holen und aufwischen!“, rief Luca vergnügt. Er grinste höhnisch und sah seinen Bruder an.

Seufzend rückte Jan seinen Stuhl zurück, stand auf und ging zügig in die Küche. Seine Augen glänzten, als er den gelben Lappen nahm und ihn unter sein T-Shirt steckte. Dann öffnete er den Schrank, wie gestern Abend, nahm den roten Lappen heraus und steckte ihn zusammengefaltet in die Hosentasche.

Nun, da beide Lappen weg waren, streckte er den Kopf um die Ecke und rief seinem Bruder zu: „Ey. Du weißt doch, wo die ganzen Lappen liegen, oder? Ich glaub, ich bin zu dumm, um mir das zu merken.“ Jan fand, dass dies ziemlich logisch klang, auch wenn er sich nun prompt die zweifelnden Blicke seiner Eltern einfing.

Luca stand auf, ein Grinsen auf dem Gesicht.

Während die Eltern in schallendes Gelächter ausbrachen, da sie sich denken konnten, worauf Jan hinauswollte, verließ Luca das Wohnzimmer und betrat die Küche.

Als er zu suchen begann, ging Jan aus der Küche, wischte den Kirschsaft weg, tupfte den Fleck sogar noch etwas trocken und ging dann zurück in die Küche. Forschend sah er seinen Bruder an. „Immer noch nichts?“

Luca schüttelte den Kopf. „Ich hab schon Gott weiß wo gesucht, aber ich konnte die Lappen nirgends finden!“

„Na ja, das wird schon“, Jan ging zur Spüle und wusch den gelben Lappen aus. Dann ging er, ohne zu zögern, zum Schrank und packte den roten Lappen unauffällig wieder an seinen Platz. Luca war derweil noch so beschäftigt mit dem Durchsuchen der Geschirrspülmaschine, um zu bemerken, dass die Lappen wieder an dem ursprünglichen Platz hingen. Danach verließ er die Küche, setzte sich an den Tisch und nahm sich die Zeitung. Dabei achtete er darauf, sein Glas nicht noch einmal umzustoßen, und begann zu lesen.

„Super!“, stöhnte er und ließ die Zeitung enttäuscht sinken.

„Was ist denn?“, fragte seine Mutter.

„Ich dachte schon, Luca hätte irgendetwas gefunden, aber nein, er interessiert sich ja nur für Sport! Und ich dachte, das Warten hätte endlich ein Ende!“ Jan knallte die Zeitung zusammengefaltet auf den Tisch und verschränkte die Arme vor der Brust, während er zum Fenster hinausstarrte.

„Und ich weiß, dass das Lappensuchen jetzt ein Ende hat!“, fauchte Luca, der die Lappen anscheinend entdeckt hatte und setzte sich zurück an den Tisch. Zornig blickte er seinen Bruder an.

Jan hingegen lächelte und sagte eiskalt: „Ich dachte eigentlich, dass du mich nach zwanzig Jahren ganz gut kennen müsstest. Aber ich trickse dich immer wieder gerne aus. Heute hat es ja bestens funktioniert!“

„Ja, ganz brillant! Ich sag’s dir, Bruder, das gibt Rache, und zwar heftig!“, während Luca versuchte, bei seiner Drohung ganz ernst und zornig zu klingen, strich Jan Honig auf sein Brötchen.

„Möchte mal wissen, warum du dich so aufregst!“, murmelte er. „War doch voll lustig!“

„Ja!“, zischte Luca, „für dich war es lustig!“ Er schlug die Zeitung wieder auf. „Hast du dir wenigstens gemerkt, auf welcher Seite der Artikel war?“, fragte er. Jan schüttelte den Kopf und biss von seinem Brötchen ab. „Wieso sollte ich?“

Luca sah ihn böse an. „Deinetwegen muss ich jetzt die ganze Zeitung noch einmal durchblättern!“ Da fiel Jan ein: „Ach, apropos Zeitung. Was war da jetzt so toll dran?“

„Na das!“, sagte Luca und zeigte auf die Läuferin, die er inzwischen entdeckt hatte.

Jan stöhnte. „Au Mann!“

„Was ist denn?“, fragte Luca verwirrt, „das ist doch voll cool!“

„Da machst du so einen Aufstand und ich denke schon, dass das Warten endlich ein Ende hat, und dann ist das nur wegen einer Läuferin, die einen Weltrekord gebrochen hat! Das ist doch bescheuert!“

Jan stand auf, nahm sein Brötchen in die Hand und verließ das Wohnzimmer. Als er am Spiegel im Flur vorbeikam, blieb er kurz stehen und musterte sich. Seine Haare waren zerzaust und sein T-Shirt ungebügelt. Jan eilte ins Badezimmer und spritzte sich kühles Wasser ins Gesicht, dann lief er die Treppe hinauf in sein Zimmer und trat auf den Balkon hinaus.

Der morgendliche Wind blies seine Wut weg. ,Warum interessiert sich Luca mehr für Sport, als für sich selbst?’ Dies erschien Jan komplett unnormal. Doch sein Bruder hatte Sport schon immer mehr interessiert, als die Frage, ob er nun noch zehn oder hundert Jahre warten müsse, um endlich das passende Mädchen zu finden. Das war ihm anscheinend egal. Doch Jan war es nicht egal. Er hatte nun schon sieben Jahre im dreizehnten Lebensjahr gelebt und wollte auch endlich mal mit einem Mädchen zusammen sein, die Liebe und die schönen Gefühle spüren, die es so nicht gab.

Luca hingegen nahm dies gelassener hin. Jan beruhigte sich langsam wieder.

Nach einer halben Stunde ging er zurück ins Zimmer.

Er setzte sich an den Schreibtisch und begann das Mädchen seiner Träume zu zeichnen. Das entstandene Gesicht wurde durch schmale Augenbrauen gekennzeichnet und die dunklen Haare waren kurz und struppig. Sie standen zu beiden Seiten ein wenig ab und drei Blumen saßen wie Spangen darauf. Das Mädchen hatte die Augen geschlossen und schlief. Sie hatte grauen Lidschatten aufgetragen, pechschwarze mittellange Wimpern und ein geschwungenes Muster auf der Wange.

Das Mädchen trug ein schulterfreies Oberteil. Ob es ein Kleid oder ein Top war, wusste Jan nicht genau. Jedenfalls war es dunkelgrau und hatte einen Spitzenbesatz. Auf der linken Schulter saß ein wunderschöner Schmetterling, der, wie auch die Blumen im Haar, von fast schwarz in der Mitte in ein dunkles Lila am Flügelansatz zerfloss und schließlich von einem Helllila in ein cremiges Weiß überging. Die Ränder der Blütenblätter und die Flügelenden waren mit einem dünnen Goldrand verziert. Auf den Flügeln waren hin und wieder schwarze Tupfen zu sehen und dünne gezackte und gleichzeitig geschwungene Linien teilten sie in zwei, manchmal sogar in drei Teile ein. Nachdem Jan noch ein paar Einzelheiten verbessert und einige Linien verändert hatte, nahm er das Blatt und legte es in die Mitte auf seinen Schreibtisch.

Er ging noch einmal auf den Balkon und schaute zu dem Käuzchen, das in dem Doppelbaum saß. Es hatte seine Augen geschlossen, doch kaum fiel Jans Blick auf es, schlug es die pechschwarzen kreisrunden Augen wieder auf, sah Jan einmal durchdringend an und erhob sich dann in die Luft. Normale Menschen hörten die Käuzchenflügelschläge nicht, doch Jan hörte sie. Wenn auch nur leise, aber er nahm sie wahr.

Aber wer, der wie er oder Luca war, war schon normal?

Jan starrte in den blauen Himmel. „Ich will die Sterne zurück!“, flüsterte er. Seufzend schloss er die Augen und rief das Sternenbild der letzten Nacht noch einmal in seine Gedanken.

„Ich versteh nicht, was mit Jan los ist!“, seufzte Luca. „Ich habe ihm doch überhaupt nichts getan.“

Sein Vater sah ihn an. „Ich glaube, du weißt, wie Jan sich fühlt, Luca. Dir ist klar, dass er sich nichts sehnlicher wünscht, als eine Freundin. Auch ich kann nachempfinden, wie er sich fühlt. Ich habe nämlich auch ziemlich lange auf deine Mutter gewartet“, er lächelte seiner Frau zu.

„Wie alt warst du eigentlich?“, fragte sie.

„Ich, och, ich war schon ein bisschen älter. Nein, um genau zu sein, war ich schon für normale Menschenverhältnisse einundfünfzig.“ – „Stopp, stopp, stopp, Papa! Ich steig hier nicht durch! Was bedeutet, normale Menschenverhältnisse’?“, fragte Luca.

Sein Vater grinste und antwortete:

„,Normale Menschenverhältnisse’ bedeutet: die Zeit in Jahren von deiner Geburt bis genau jetzt. Bei dir wären das 20 Jahre, weil du eben schon zwanzig Jahre lebst. ,Die Verhältnisse der Unsterblichen’, beschreiben das Alter, so wie du aussiehst. Da bist du 13. Und ich versuche deiner Mutter gerade zu erklären, wie alt ich bei bestimmten Sachen war.“

„Wieso versuchst du Mama das zu erklären?“, fragte Luca.

„Weil ich glaube, sie hätte am Ende die gleiche Frage gestellt, weil sie es vergessen hat. Ich hab ihr das nämlich schon mal erklärt!“, er grinste.

„Ja“, knurrte Lucas Mutter, „als ich noch ein Mensch war, ja. Da hatte ich auch noch ein Miniaturgedächtnis.“

Luca kicherte. „Okay, jetzt versteh ich das auch besser. Erzähl mal weiter!“

„Also: Demnach war ich, als wir zusammenkamen, vierundsechzig Jahre alt. Aber natürlich sah ich immer noch wie dreizehn aus. Das Schreckliche war nur“ - er brach ab und sah aus dem Fenster.

„Was war schrecklich?“, wollte Luca wissen. Er war ganz heiß darauf, endlich die ganzen Geschichten über seinen Vater zu erfahren.

„Bevor ich dir die Geschichte erzähle, musst du erst einige Einzelheiten über unser Leben erfahren. Das musste ich damals auch“, wandte sein Vater ein.

„Damit bin ich auch einverstanden.“, sagte Luca fröhlich und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.

„Was ist mit Jan?“, fragte seine Mutter, „sollte er nicht ebenfalls Bescheid wissen?“

Lucas Vater lächelte. „Glaube mir, Katharina, er weiß das schon alles. Frag mich nicht, woher.“

Katharina nickte. „Okay, dann würde ich sagen, dass du einfach mal anfängst, Thomas!“

„Also zuerst: Es gibt nicht viele, die wie ihr als Unsterbliche auf die Welt kommen. Im ganzen Land sind es insgesamt nur 10 Stammbäume. Da jede unsterbliche Frau nur ein unsterbliches Kind, selten zwei Kinder zur Welt bringt, bleibt die Anzahl klein genug, um etwas Besonderes zu sein“, fing Thomas an.

„Und wie werden die anderen unsterblich, die nicht als Unsterbliche geboren werden?“, fragte Luca neugierig.

„Immer mit der Ruhe. Das kommt jetzt. Die meisten von uns werden aus von den Menschen hierher gebracht und als Baby verwandelt. Wiederum andere Menschen verlieben sich in einen der Unsrigen. Sie werden verwandelt und gelangen so in unsere Welt.

Und ihr beide seid etwas ganz Besonderes.“

„Wieso sind wir besonders?“, wollte Luca wissen.

„Weil ihr eine Aufgabe bekommen habt. Diese lautet:

Findet das bestimmte Mädchen, verwandelt es und bringt es mit in das Land der Unsterblichen. Es hätte allerdings auch anders kommen können. Folgendes wäre die zweite Möglichkeit gewesen:

Finde ein Mädchen, das bereits zu den Unsterblichen gehört.

Das hört sich ziemlich langweilig an, ist es allerdings bei Weitem nicht. Denn, wie du sicherlich schon weißt, ist unser Land ziemlich groß. Und hier das passende Mädchen zu finden, ist wesentlich schwerer als eure Aufgabe.“ Thomas trank einen Schluck Kirschsaft.

„Aber wenn manche von uns als Baby verwandelt werden, müssen sie dann nicht für immer Babys sein?“, fragte Luca. Sein Vater trank noch einen Schluck Kirschsaft. Doch bevor er etwas sagen konnte, schaltete sich Katharina kurz dazwischen.

„Ich bin im Garten. Die Rosen sehen schlimm aus. Außerdem ist der Rasen schon seit der Ankunft überfällig. Bis später ihr beiden!“, sagte sie und verschwand durch die Glastür in den Garten.

Thomas räusperte sich einmal und erklärte weiter:

„Sie altern bis zu einem bestimmten Lebensjahr heran, das ihnen vorgegeben wird. Wird zum Beispiel ein Baby verwandelt, kann es bis zum achtzehnten oder auch bis zum vierundzwanzigsten Jahr altern. Ganz wie es die Vorgabe bestimmt hat.“

„Und warum genau zwischen achtzehn und vierundzwanzig?“, fragte Luca.

„Weil kein Unsterblicher jünger als achtzehn und keiner älter als vierundzwanzig ist“, sagte Thomas.

„Aber du bist doch auch um die neunzig, oder?“

„Ja, wenn du die Jahre zählst, bin ich tatsächlich schon um die neunzig. Aber die Zahlen, 18 – 24, beziehen sich ja nicht auf die Länge deines Lebens, sondern auf das Alter, in dem du stehen bleibst. Außerdem bist du doch auch als Unsterblicher auf die Welt gekommen und in deinem dreizehnten Lebensjahr stehen geblieben, oder?“

„Ja, das stimmt. Aber wieso denn nicht im fünfzehnten oder im zwölften? Wieso ausgerechnet im dreizehnten?“, fragte Luca und trank ebenfalls einen Schluck von seinem Kirschsaft.

„Weil die Ältesten es so vorgesehen haben, Luca!“, erwiderte Thomas.

„Was haben die Ältesten eigentlich mit alledem zu tun?“, fragte Luca.

„Vor rund zweitausend Jahren wurde Ryan, der erste Unsterbliche geboren. Er lebte zur damaligen Zeit noch in der Menschenwelt, bis er im Alter von neunzehn Jahren nicht mehr alterte. Aus Verzweiflung floh er in einen dunklen Wald. Immer weiter und immer weiter, bis er zu einem goldenen Tor gelangte, das aus dem Nebel hervorragte. Ryan öffnete das Tor und fand sich in der Welt der Unsterblichen wieder.

Als hätte man ihn verzaubert, wusste er plötzlich, was er war. Er erbaute mit Hilfe einer seltenen Gabe ein Schloss, das heute als Sitz der Ältesten genutzt wird. Er brachte einen riesigen Rosenquarz in einen ebenso riesigen Raum und entdeckte seine magische Kraft.

So konnte er in die Menschenwelt blicken. Mit der Hilfe dieser Gabe sah er sein altes zu Hause und seine Eltern, die nach ihm suchten.

Er erarbeitete einen Plan und kehrte nach zwei Jahren zurück in die Menschenwelt.

Er verwandelte weitere fünf Menschen: Elisa, Kevin, Mia, Dolran und Alexa. Zusammen bildete Ryan mit ihnen den Rat der Ältesten.

Ein Jahr später gingen sie zurück in die Menschenwelt und verwandelten weitere dreißig Menschen. Zehn von ihnen waren Frauen. Sie alle konnten ein Kind gebären. Sie bildeten die zehn Urstammbäume, zu denen wir auch gehören.

Die Jahre verstrichen und die Ältesten hatten alle Hände voll zu tun. Einige der Verwandelten mussten zurück in die Menschheit, andere mussten warten.

Alle zehn Jahre bringen die Ältesten zehn bis fünfzehn verwandelte Menschen mit hierher. Leider bleiben nicht alle der Unsterblichen am Leben. Einige werden von Orks getötet, die in der Menschenwelt leben.“ Thomas trank einen weiteren Schluck.

„Ich dachte, wir können nicht sterben. Was ist denn nun richtig?“, fragte Luca.

„Wir können hier, im Land der Unsterblichen, nicht sterben. Es gibt keine Möglichkeiten. Es gibt kein Kupfer hier. Du weißt ja, ein Dolch aus Kupfer kann uns, mit einem Schlag ins Herz umbringen. Dieser Stoß kann von allen ausgeführt werden. Meistens sind es allerdings nur Orks, die uns töten. Kaum ein Unsterblicher tötet einen Unsterblichen, es sei denn, dieser tut etwas Verbotenes.“ Thomas schluckte.

„Wenn er was tut? Mein Interesse ist geweckt“, fragte Luca aufgeregt und begann mit den Beinen zu wippen.

„Zum Ersten dürfen sie nicht beliebig viele Menschen verwandeln. Zum Zweiten dürfen sie keine Menschen gegen ihren Willen verwandeln. Zum Dritten darf von ihnen nicht verraten werden, dass sie unsterblich sind. Verstoßen sie gegen diese Regeln, werden sie von einem der Ältesten gerichtet.“

Betroffen schaute Luca zu Boden. Doch nach kurzer Zeit hob er den Kopf und fragte seinen Vater:

„Wieso müssen die Menschen zusagen? Warum das?“, Luca runzelte die Stirn.

„Ja, müssen sie, denn der Verwandlungszauber wirkt nur dann richtig, wenn es die Menschen wollen“, erwiderte Thomas.

„Okay. Aber wenn ich meinem für mich bestimmten Mädchen sage, dass ich ein Unsterblicher bin, bevor sie verwandelt ist, dann ist das doch auch ein Regelverstoß, oder?“

Thomas kicherte. „Nein. Bei euch ist es eine Ausnahme, da eure Bestimmten ja wissen müssen, was ihr seid.“

„Andere Frage: Was sind Orks?“, fragte Luca.

„Orks sind grauenhaft und gewalttätig. Sie treten meistens in Gruppen von fünf bis zehn auf. Sie sehen aus wie normale Menschen, allerdings kräftiger und größer. Ein kurzer Hals, überlange Nasen und riesige Ohren sind einige Erkennungsmerkmale, an denen sich Unsterbliche orientieren. Außerdem stinken sie nach Schwefel. Nicht besonders schön.“ Thomas streckte sich.

„Okay. Was weiß ich denn jetzt noch nicht?“, fragte Luca.

„Du weißt im Augenblick noch gar nichts über deinen bevorstehenden Umzug“, sagte Thomas sofort.

„Ach ja, genau! Das hätte ich fast vergessen. Dann schieß mal los. Ich bin auch ganz leise.“ Luca grinste und Thomas fing an zu lachen. Dann räusperte er sich. „Also gut:

Einer der Ältesten, Dolran, besitzt die Gabe, die Zukunft aller Unsterblichen zu sehen. Also deine, meine, die deiner Mutter und deines Bruders. So sieht er auch, wo du in der Menschenwelt zur Schule gehen wirst und wann du dein Mädchen finden wirst.

Ob du es schaffen wirst, sie zu verwandeln, oder ob sich der Zauber des Alleinseins auf dich legen wird, bleibt Dolran jedoch verborgen. Wenn du dein Mädchen gefunden hast, wird ein paar Tage darauf einer der Ältesten kommen und dir noch mal erklären, wann du in die Menschenwelt gehen wirst.

Ein Elternteil wird dich in die Menschenwelt begleiten. Wenn ihr eure Mädchen allerdings zusammen findet, dann kommen deine Mutter und ich mit.

Wie die Ältesten es regeln, dass wir in die Stadt kommen, wo eure Mädchen leben, wie ihr auf die gleiche Schule kommt, das ist mir ein Rätsel. Du wirst erst kurz vor dem Schulanfang des Jahres, in dem du dein Mädchen verwandeln sollst, in die Menschenwelt gehen. Wenn ihr allerdings eure Mädchen zu unterschiedlichen Zeiten findet, gibt es noch eine andere Möglichkeit.“

Thomas trank einen weiteren Schluck.

„Welche gibt es denn?“, fragte Luca mit gerunzelter Stirn.

„Angenommen du findest dein Mädchen morgen in den Geburtsanzeigen, dann läuft für dich die Zeit, weil du sie ja im dreizehnten Lebensjahr verwandeln musst. Demnach zieht man mit seinen Eltern für diese Zeit in die Menschenwelt und dort in die Nähe des Mädchens. Wenn Jan sein Mädchen erst ein Jahr später findet, kann unsere Familie nicht zusammen in die Menschenwelt ziehen.“

„Hä? Warum nicht?“

„Aus dem Grund nicht, weil Jan sich nicht ein Jahr jünger als du ausgeben kann. Man darf ja nicht vergessen, ihr seid Zwillinge und die werden meistens im Abstand von maximal einer Stunde geboren. Also geht das nicht. Wir können also nur hoffen, dass ihr eure Mädchen gemeinsam findet.“

„Das ist ja doof“, meinte Luca.

„Ich kann es nicht ändern“, sagte Thomas. „Eines musst du allerdings noch wissen.“

„Was denn?“, fragte Luca und seine Augen wurden wieder größer.

„Es gibt eine Zufallsgabe“, antwortete Thomas.

„Und was ist das für eine Zufallsgabe?“

„Das ist bei jedem Stammbaum unterschiedlich und darf von den Eltern nicht verraten werden, solange ihr euer Mädchen nicht gefunden und etwas Seltsames festgestellt habt. Wenn ihr dann sagt, was, kann ich euch auch sagen, ob es die Zufallsgabe ist oder nicht. Allerdings ist nicht garantiert, dass ihr diese Gabe auch habt. Daher der Name Zufallsgabe.“

Luca nickte. „Und was war das vorhin für ein Zauber, von dem du gesprochen hast?“, fragte er und trippelte mit den Fingern auf dem Tisch herum.

„Ach den Zauber des Alleinseins meinst du? Wenn du es nicht schaffst, dein Mädchen zu verwandeln, dann tritt er ein. Du hast bis zu einer bestimmten Stunde Zeit, dann kommen die Ältesten. Liegt das Mädchen bereits in der Starre oder ist sogar schon eine Unsterbliche, dann bleibst du so wie du bist. Hast du sie allerdings noch nicht verwandelt, dann wird sie mit einem Zauber belegt, der sie alles vergessen lässt. Ihre Gefühle für dich und alles was du ihr über unsere Existenz erzählt hast. Du selber wirst mit einem Zauber belegt, der dich dann für immer alleine sein lässt. Du wirst also nie mehr Interesse an Liebe haben und du wirst auch nie das Interesse anderer wecken.“ Thomas nahm sich ein weiteres Brötchen und angelte sich die Butter, während Luca fragte:

„Gibt es Ausnahmen? Also, dass man verschont bleibt, wenn das Mädchen unbedingt will, aber vorher viel über das unsterbliche Leben erfahren möchte. Ich hab ja nicht viel Zeit und wenn ich ihr dann erst kurz vor der Verwandlung sagen kann, dass ich unsterblich bin … das ist dann doch voll knapp, oder? Wie ist es dann?“

„Ich glaube, so etwas hat es bisher noch nicht gegeben und wenn, dann wüsste ich nicht, was die Ältesten machen würden. Diese Frage kann ich dir also nicht beantworten. Aber was du auch wissen solltest:

Wenn du dein Mädchen verwandelt hast, könnt ihr zusammen in die Welt der Unsterblichen gehen. Jetzt müsstest du eigentlich alles wissen und ich kann dir meine Geschichte erzählen. Hast du noch Fragen?“

„Nein. Ich möchte die Geschichte hören“, antwortete Luca.

„Oh, da bin ich ja gerade rechtzeitig gekommen!“, meinte Katharina und schlüpfte durch die Glastür nach drinnen.

Thomas begann zu erzählen: „Also: Mein Bruder hatte ganz viel Glück—“ „Der dunkelhaarige, der uns einmal im Jahrzehnt besucht und vom Amazonas kommt? Warum hatte er ganz viel Glück?“, Luca unterbrach seinen Vater mitten im Satz. „Luca! Man unterbricht andere Personen nicht!“, sagte seine Mutter streng. „Entschuldigung“, murmelte Luca und senkte den Kopf. Gleich darauf hob er seinen Kopf wieder und seine Augen leuchteten. „Und wie geht’s weiter?“

„Wie gesagt, mein Bruder, David, hatte Glück. Sehr viel Glück sogar. Kaum war er in seinem vierzehnten Lebensjahr stehen geblieben, wurde Silvanda geboren. Er ließ sich von den Ältesten alles erklären und schon dreizehn Jahre später verließ er mich zusammen mit meinem Vater mit den Worten Das schaffst du schon, es dauert nicht mehr lange! Normalerweise würden beide Elternteile mit in die Menschenwelt gehen, doch da ich mein Mädchen noch nicht gefunden hatte, musste einer bei mir bleiben. Doch es dauerte und dauerte. Ich war allein und suchte vergeblich nach deiner Mutter. Ich konnte sie nirgends finden. Ich suchte in allen Zeitungen die Geburtsanzeigen durch, doch Katharina war nie dabei. Zehn Jahre später kehrte David mit Silvanda zurück, beide Mitte zwanzig. Mein Vater natürlich auch. Die Wohnung, in der die beiden in der Menschenwelt gewohnt hatten, war bereits wieder verkauft. Und ich war immer noch alleine. Die beiden heirateten schon bald und brachten ein Jahr später einen Sohn zur Welt. Duran, ihr beide und Jan kennt ihn sicherlich. Duran musste nur zwei Jahre länger warten als David. Und dann war auch er fort. Doch als meine Tante ihren Sohn, Lasse, zur Welt brachte, da kam das Wunder.

An ihrem Geburtstag, dem dreizehnten September, war Katharina in den Anzeigen.

Meine Eltern und ich luden alle Verwandten ein und feierten die ganze Nacht. Danach kamen die Ältesten vorbei und erklärten auch mir alles und wenige Jahre später zog ich mit beiden Eltern in die Menschenwelt. David hatte sich in der Zwischenzeit in einem Haus in unserer Welt niedergelassen, wo er alleine auf Silvanda und Duran wartete, die ja so wie ich in der Menschenwelt waren.

Katharina war ziemlich offenherzig, kein bisschen schüchtern und so zogen wir beide zusammen mit zwanzig Jahren aus. Wir gingen mit meinen Eltern zurück in die Welt der Unsterblichen. Jedenfalls freuten sich meine Eltern über Katharina und ich denke, dass es eine gute Wahl war, sie zu nehmen!“, er zwinkerte seiner Frau zu.

„Aber eines versteh ich immer noch nicht“, sagte Luca.

„Was denn?“, fragte sein Vater.

„Warum ist Jan denn jetzt vorhin ausgerastet?“

„Du magst den Sport. Dich interessieren die Artikel darüber. Habe ich Recht?“

Luca nickte. „Aber sicher. Sport ist doch toll!“

„Siehst du. Jan hingegen mag Sport vielleicht auch. Er interessiert sich auch dafür. Aber im Gegensatz zu dir interessiert er sich viel mehr für seine Zukunft. Jan möchte unbedingt sein Mädchen finden. Genau wie ich es damals wollte. Du musst versuchen, ihn zu verstehen. Dich hat es auch nicht interessiert, wie sich die Verliebten in eurer Schule benommen haben, oder?“

Luca schüttelte den Kopf. „Wieso sollte es!?“

„Manche von uns interessieren sich nicht dafür, so wie du. Andere schon, so wie Jan. Jan hat die Paare immer ganz genau beobachtet. Hat versucht herauszufinden, was in ihnen vorgeht. Er hat an den Nachmittagen stundenlang im Internet recherchiert und sich Notizen gemacht. Jan hat Geschichten über Beziehungen geschrieben. Er hat, wenn er alleine war, sich oft vorgestellt, wie es wohl ist, mit einem Mädchen zusammen zu sein.

Jan versucht, viel über das zukünftige Mädchen zu erfahren, um ein guter Freund zu sein und nicht riskieren zu müssen, dass sie ihn eines Tages verlässt. Jan will später nur das Beste für sie. Genau wie ich es damals wollte. Er ist genauso wie ich.“

„Heißt das jetzt, dass das, was ich mache, falsch ist?“

„Nein. Natürlich nicht. Du freust dich bestimmt auch auf deine Freundin, wenn du sie endlich hast, oder? Wenn du endlich jemanden hast, der mit dir lacht, zu dir hält, dich liebt, dich küsst und für immer mit dir zusammen sein will. Bedenke allerdings, dass du es ruhig angehen solltest. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum Jan Liebesromane, Bücher und Kurzgeschichten liest, nur, um zu sehen, was richtig und was höchstwahrscheinlich falsch sein könnte.

Du verabscheust auch das Malen, oder?“, fragte Thomas.

„Ich verabscheue es nicht, aber es ist langweilig, funktioniert nicht und macht schlechte Laune, wenn es nicht klappt!“, entgegnete Luca.

„Das denken viele vom Malen. Jan hingegen malt seine Vorstellungen von seinem Mädchen. Alle seine Bilder sehen verschieden aus, doch ich garantiere dir, dass eines seiner Bilder sein späteres Mädchen zeigt. Er wird schon wissen, welches die Richtige ist.

Versuche einfach, deinen Bruder zu verstehen, und versuche auch, mit ihm darüber zu reden. Aus Büchern und seinen Notizen kann man sehr gut lernen. Das wird auch dir helfen.“

„Okay, so langsam verstehe ich das Ganze. Ich glaube, ich geh mal zu Jan und entschuldige mich.“ Luca stand auf.

„Und ich glaube, dass du so nett bist und eure Teller in die Küche bringst!“, sagte seine Mutter. Luca nickte.

Als er aus der Küche kam, hielt sein Vater die Zeitung in der Hand. „Komm mal her!“, sagte er zu Luca.

Jan schaute derweil sehnsüchtig zum Himmel und wünschte sich, den Wassermann noch einmal betrachten zu können. Er stellte sich noch einmal sein gemaltes Bild als lebendiges Mädchen vor. Es öffnete ihre Augen und richtete sich langsam auf. Verwirrt blickte es umher bis es ihn fand. Dann begann es zu lächeln und stand auf.

Jan seufzte. Wann würde es endlich soweit sein? In zehn Jahren? In zwanzig? In einem Jahrhundert?

,Eines ist sicher. Ich warte, bis du da bist! Und ich werde alles geben, um es dir perfekt zu machen.’

„Bitte komm bald zu mir. Lass mich nicht ewig warten. Ich hab schon sieben Jahre auf dich gewartet. Und selbst wenn du noch heute geboren wirst, muss ich dennoch dreizehn Jahre warten. Aber ich werde es tun. Ich tu es dir zuliebe!“

Jan kam sich ziemlich albern vor, dass er mit der Luft redete, aber er wusste, dass er diese Worte abspeichern würde. Für immer.

Er wusste auch, dass sie eines Tages da sein würde. Und er würde auf sie warten und um sie kämpfen. Auch, wenn er verlieren würde. Er würde alles geben. Er würde sie lieben. Bis in alle Ewigkeit. So lange sie ihn wollte.

Jan überlegte. Wie ging das alles eigentlich? Leuchtete der Name, so wie in manchen Büchern? Oder gab es einen Klick im Kopf? Er wusste es nicht. Aber er würde es erfahren. Bald. Das spürte er.

Langsam ging er zum Schreibtisch, nahm einen Bleistift und sein gemaltes Portrait und setzte sich auf sein Bett. Er sah das wunderschöne Mädchen an und schüttelte den Kopf.

Plötzlich rief sein Vater seinen Namen: „Jan! Komm doch mal bitte!“

Twinlight - Die Stunde des suessen Blutes

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