Читать книгу Tagebuch eines Hilflosen - Francis Nenik - Страница 487

15.05.2018

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Der heutige Eintrag ist ein kleiner Nachtrag zu gestern, der mit einer etwas holzschnittartigen These beginnt. Sie lautet: Die westlichen Demokratien sind bestrebt, den Menschen die Angst vor der Zukunft zu nehmen, während Diktaturen eher das Gegenteil machen und die Bevölkerung in (und mit) der Angst leben lassen. Wobei die Wahrung des Status quo hier wie da Ziel der Unternehmung ist und die westlichen Demokratien – bewusst oder nicht – auch nicht ohne das Schüren von Ängsten auskommen, allein schon, um die eigene Identität zu konstruieren bzw. sie zu bewahren, wofür nunmal ein »Äußeres«, »Anderes«, »Fremdes« erzeugt werden muss – und das macht Angst, ob man nun will oder nicht. Aber das nur am Rande bzw. zum Anfang, denn während ich über die Sache mit der Angst nachgedacht habe, ist mir Roosevelts Rede über die vier Freiheiten in den Sinn gekommen, die er am 6. Januar 1941 vor dem Kongress gehalten hat. Eine dieser Freiheiten ist für Roosevelt die Freiheit von Furcht. 1948 ist sie Teil der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte geworden. Im Januar 1941 war Roosevelt Bezugspunkt allerdings ein anderer, denn er hatte – trotz bzw. gerade wegen des Krieges – die weltweite Abrüstung im Blick. Roosevelts längerfristiges Ziel bestand darin, dass »kein Staat mehr in der Lage ist, seinen Nachbarn mit Waffengewalt anzugreifen – überall auf der Welt.« (Die Ironie der Geschichte wollte es so, dass die Japaner elf Monate später Pearl Harbor angriffen und die USA damit in den Krieg zwangen.) Aber um den Krieg geht es mir nicht, sondern um das Jahr 1941 und um die Angst. Die finden sich 1941 nämlich noch an einer anderen Stelle wieder, denn in jenem Jahr veröffentlichte der französische Historiker Lucien Febvre einen Aufsatz mit dem Titel »Sensibilität und Geschichte«. Febvre forderte seine Kollegen darin auf, ihren Blick zu weiten und die politisch-militärische Ereignisgeschichte um mentalitätsgeschichtliche Analysen zu ergänzen, um zu einer ganzheitlichen Betrachtung der Geschichte zu gelangen. Febvres Plädoyer für die Mentalitätsgeschichte war dabei auch ein Plädoyer für die Geschichtlichkeit von Emotionen, weshalb ihm eine Geschichte des Hasses ebenso vorschwebte wie eine der Liebe. Aber auch eine Geschichte der Angst war für Febvre vonnöten. Eine solche Geschichte gab es damals noch nicht. Inzwischen haben die Historiker Hunderte davon geschrieben. Für das Amerika unter Donald Trump steht die erste noch aus. Man müsste sie, zumindest in Teilen, als Geschichte einer verdrängten Angst vor der Angst konzipieren.

Tagebuch eines Hilflosen

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