Читать книгу Die Status Quo Autobiografie - Francis Rossi - Страница 5

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Obwohl ich italienische und irische Wurzeln habe, fühlte ich mich immer wie ein Junge aus dem Süden von London. Da bin ich geboren und aufgewachsen, und da lebe ich auch heute noch. Sobald ich mich irgendwo im Süden von London befinde, bin ich zu Hause.

In Wirklichkeit verhält es sich mit meiner familiären Herkunft aber nicht so einfach. Es ist viel komplizierter. Am 29. Mai 1949 erblickte ich das Licht der Welt, als erster von zwei Söhnen eines in England geborenen italienischen Vaters, Dominic Rossi, und einer anglo-irischen Mutter, Anne – oder Nancy, wie sie von ihren Freunden genannt wurde. Ihre Tochter Arselia starb ein paar Jahre, bevor ich geboren wurde, an einem Loch im Herzen. Daraufhin schwor meine Mutter, eine strenge Katholikin, dass sie, sollte sie jemals wieder ein Baby zur Welt bringen, dies auf den Namen Francis taufen würde – nach dem Heiligen Franz von Assisi, dem Begründer des Franziskanerordens. Um ganz sicher zu gehen, dass diesmal nichts schief ging, brachte sie auch noch die Namen aller anderen Heiligen, die ihr an dem Tag gerade in den Sinn kamen, ins Spiel, und so heiße ich schließlich Francis Dominic Nicholas Michael Rossi.

Ich war zwei Jahre alt, als mein Bruder Dominic geboren wurde. Da waren meine Eltern wohl an dem Punkt angelangt, an dem sie es aufgegeben hatten, noch über neue Namen nachzudenken. Dominic ist jetzt mein Finanzberater und eine echte Nervensäge, so wie das bei den besten Finanzberatern eben von Zeit zu Zeit der Fall ist.

1949 liegt schon sehr lange zurück, aber damals fing alles noch einmal von vorne an. Vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden Nahrungsmittel immer noch rationiert. Geld und Essen waren in den meisten Arbeiterfamilien rar. Wir hatten aber stets unser Auskommen wegen des Geschäfts, das unsere Familie betrieb – Rossis Eiswagen kannte in den Fünfzigern jeder im Süden von London.

Meine Eltern waren beide Katholiken, und so natürlich auch ich – Heilige Kommunion, Firmung, zur Beichte gehen, das volle Programm. Bei der ersten Heiligen Kommunion waren Jungs und Mädchen getrennt, doch aus irgendeinem Grund konnte ich nicht teilnehmen, ich war wohl erkältet, und so hatte ich stattdessen meinen großen Tag zusammen mit den Mädchen aus der örtlichen Klosterschule. Es war großartig! Wir gingen regelmäßig jeden Sonntag zur Messe in die Our Lady and St. Philip Neri -Kirche in Forest Hill. Die Leute, die ich im Musik-Business treffe, gucken manchmal ein bisschen komisch, wenn ich so etwas erzähle, und ich verstehe auch warum, aber als Kind war das für mich natürlich überhaupt nicht komisch. Ich hatte ja nie etwas anderes kennen gelernt. Für mich war das alles total normal und gehörte zum Leben wie das tägliche Frühstück.

Ein bisschen ins Schleudern kam ich mit meinem Katholizismus, als die Band in den Siebzigern erste Erfolge feierte. Ich war immer unterwegs auf Tour und hatte jeden erdenklichen Grund, um von der Kirche fernzubleiben. Aber ich habe das alles nie ganz überwunden – und auch nicht dieses Schuldgefühl, das du in den verschiedensten und verrücktesten Formen eingeimpft bekamst. In meinen Dreißigern bin ich wieder brav zur Messe gegangen. Ich besuchte regelmäßig den Sonntagsgottesdienst in meiner Kirche in Purley, John The Baptist, bis ich fast 50 war. Es ging sogar so weit, dass ich meine eigenen Kinder firmen ließ – die armen Tröpfe! Nur weil ich vor einigen Jahren mal ein sehr interessantes Buch mit dem Titel Conversations with God in die Hand bekam, habe ich es schließlich geschafft, die Sache mit dem Katholizismus etwas gelassener zu sehen. Doch darauf kommen wir später noch.

Meine Mutter war in England geboren, aber ihre Familie gehörte zu den Millionen von Iren, die vor und nach dem Krieg nach Liverpool eingewandert waren. Die Familie wohnte in Crosby. Und gewöhnlich fuhren wir dorthin, um Urlaub zu machen. Ich kann nicht sagen, dass ich es sehr mochte. Von London nach Liverpool zu kommen, war ungefähr so, als würde man heute nach Amerika reisen. Es gab keine Autobahn und keine direkten Zugverbindungen. Es dauerte einen ganzen Tag, bis man am Ziel war. Deshalb haben wir diese Reise auch nicht allzu oft gemacht – Gott sei Dank. Ich erinnere mich vor allem noch daran, dass es in Crosby nur Gaslampen gab und deshalb alles ziemlich düster war. Mein Vater ging gewöhnlich in einem nahegelegenen Kanal in Birkenhead schwimmen. Bis wir eines Tages herausfanden, dass es ein Zulaufkanal der örtlichen Kläranlage war. Man schwamm quasi in seiner eigenen Scheiße.

Die meiste Zeit blieben wir aber zu Hause in Süd-London. Meine Eltern gingen nicht viel aus, da sie immer arbeiteten. Jegliches geselliges Beisammensein fand in der Regel bei uns zu Hause statt. Mein Vater war kein großer Trinker, aber die Leute hielten ihn oft für betrunken, weil er ein echter Party-Typ war. Er sorgte stets für Stimmung, war nie deprimiert und hatte immer einen Witz auf Lager. Er war eben ein echter Spaßvogel, aber auch ein phantastischer Koch. Viele Jahre später erzählte er mir einmal, wie er meine Mutter dazu brachte, dass sie Seidenstrümpfe und Strapse anzog und sich die Titten mit Lippenstift anmalte. Der Mann war eben Italiener, es lag in seinen Genen. Er war aber trotzdem ein wunderbarer Familienvater und hatte diesen speziellen italienisch angehauchten Cockney-Akzent; wenn er sich geärgert hatte, schimpfte er immer: „Arseholes!“ Aber die Art, wie er es aussprach, wie er sich in seinem Italienisch-Cockney das Wort aus dem Mund wrang, brachte es mit sich, dass es sich eher lustig als bedrohlich anhörte. Vor einigen Jahren ist er gestorben und manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich ihn nachahme, durchs Haus laufe und zu allem, was mir in die Quere kommt, „Arseholes!“ sage, in diesem lustigen Tonfall.

Aus ein paar ziemlich verwickelten Gründen nannten wir meine Großmutter väterlicherseits Mummy. Selbst Leute, die streng genommen gar nicht zur Familie gehörten, doch irgendwie zu einem Teil der Familie geworden waren, indem sie für sie arbeiteten, nannten unsere Großmutter Mummy. Sie stammte ursprünglich von einer kleinen italienischen Insel namens Atina und war eine Coppola – dieser Name ist offenbar schon ein Gütesiegel an sich. Mein Großvater, den wir Pop nannten, war dagegen eher normal. Und so blieb auch mein Vater, obwohl er in London das Licht der Welt erblickt hatte, auf seine Art immer der typische Italiener. Familie und Business waren unabdingbar miteinander verlinkt. Einem Teil der Familie schien damals halb Deptford zu gehören, dank des Geschäfts mit dem Eis. Außer den Eiswagen gab es noch den Laden am Catford Broadway, Rossis Ice-Cream. Er ist noch heute in Familienbesitz, wurde aber an ein Wettbüro verpachtet.

Ich erinnere mich noch an die Beerdigungen, wenn einer meiner Onkel starb und seine Brüder anschließend über die neue Streckeneinteilung der Eiswagen sprachen, so nach dem Motto, diese Straße gehört jetzt jenem und jene Straße einem anderen. Der Onkel war noch keine fünf Minuten unter der Erde, da teilten sie schon sein Geschäft untereinander auf.

Aus diesem Grund nehmen viele an, ich käme aus einem ziemlich begüterten Elternhaus. Ich kann mich zwar nicht daran erinnern, jemals arm gewesen zu sein, aber es gab dennoch Zeiten, in denen das Geld auch mal knapp war. Wir waren schließlich eine riesige Familie, und es gab viele Münder zu stopfen. Müßiggang konnte sich keiner erlauben. Meine Eltern besaßen ein eigenes Haus, und das war damals schon etwas Besonderes. Das ist es auch heute noch, aber damals zeigte es, wer etwas besaß und wer nicht. Obwohl wir also nicht reich waren, stammte ich auch nicht von einer Familie ab, die arm war.

Was auch immer meine Familie besaß, es war hart erarbeitet, so viel ist sicher. Meine Mutter und mein Vater waren den ganzen Tag mit dem Eiswagen unterwegs. Am Abend wandelten sie ihn in einen fahrenden Fish-and-Chip-Imbiss um und drehten erneut die Runde. Es waren schwierige Zeiten nach dem Krieg. Dennoch schien es immer noch eine Menge Leute zu geben, die es irgendwie schafften, ein paar Groschen für Eis und Chips aufzubringen. Es war, als würden sie sich damit ein ganz besonderes Vergnügen leisten – inmitten all der traurigen Schicksale und all des Trübsinns. Jeden Morgen um sechs Uhr fuhr mein Vater zum Beladen des Wagens zu meiner Großmutter rüber. Ein paar Stunden später kam er wieder nach Hause und frühstückte zusammen mit meiner Mutter. Dann machten sie sich gemeinsam mit dem Eiswagen auf den Weg. Ungefähr um sechs Uhr abends liefen sie wieder zu Hause ein und meine Mutter kochte gewöhnlich etwas für uns alle. Anschließend fuhren meine Eltern noch einmal los und drehten die Runde mit dem Fish-and-Chips-Imbiss-Wagen. Wenn sie nach Hause kamen, lag ich immer schon im Bett. Sie hatten einen langen Tag, aber so waren sie eben – sehr geschäftstüchtig. Man kann das bei vielen Immigranten-Gruppen beobachten.

Eigentlich gehörte das Eisgeschäft Mummy. Pop war Fußbodenleger von Beruf gewesen, und mein Vater hatte das ursprünglich auch gelernt. Doch es nahm ein schlimmes Ende, als er einen Unfall hatte, bei dem er beinahe seine Hand verlor. Sie waren wegen einer Auftragsarbeit irgendwo im Norden unterwegs gewesen. Pop war in London geblieben und arbeitete auf einer anderen Baustelle. Daher hatte er Dad und dessen jüngeren Bruder Albert – oder Chas, wie er immer genannt wurde – alleine losgeschickt. Unglücklicherweise ließ mein Dad Chas ans Steuer, damit dieser etwas Fahrpraxis bekam. Alles woran er sich dann noch erinnern konnte, war, wie das Auto eine Kreuzung passiert hatte und dabei mit einem Bus kollidiert war. Mein Vater, der auf dem Rücksitz saß, flog durch die Windschutzscheibe, und der Bus fuhr ihm über die Hand und zerquetschte sie. Sie mussten die einzelnen Fingerteile von der Straße aufsammeln. Anschließend wurde er fast 40 Mal auf die unterschiedlichste Art und Weise an der Hand operiert, weil man versuchte, sie zu retten. Die Chirurgie befand sich damals noch in der Pionierphase, und als ich ihn einmal im Krankenhaus besuchte, konnte ich meinen Augen schier nicht trauen – sie hatten ihm die Hand am Magen festgenäht, damit sie besser heilen konnte. Einige Zeit musste er dann mit einem großen Beutel am Bauch leben. Er sah aus wie ein Känguru. Sie versuchten alles Mögliche, am Ende musste er aber mit diesem schrecklich aussehenden Ding klarkommen. Ich war damals fünf und nahm das alles so hin, wie es Kinder nun einmal hinnehmen. Er gewöhnte sich auch relativ schnell daran und machte nie viel Aufhebens um diese Hand. Bis ich dann Jahre später einmal bemerkte, wie er sich auf einmal dafür schämte. Irgendjemand hatte wohl etwas Unschönes gesagt oder irgendetwas war passiert, weswegen er jetzt alles anders empfand. Was komisch war nach so vielen Jahren. Als wir Kinder waren, zeigte er uns die Hand immer stolz, aber vor seinen Enkeln verbarg er sie später.

Um die Geschichte von Anfang zu erzählen: Wir wohnten in einem riesigen Haus in der Mayow Road in Forest Hill. Meine stärkste Erinnerung daran ist, dass es immer voller Leute war – Onkel, Tanten, Cousins, Großeltern und eine ganze Reihe von Leuten, die entfernt zur Familie zählten. Ich wurde schon früh dazu ermuntert, auch ins Geschäft einzusteigen. Wenn ich Schulferien hatte, nahm mich mein Vater im Eiswagen mit. Das muss für andere Schulkinder wie ein Traumjob ausgesehen haben, aber es war einfach das, was mein Vater beruflich machte, seine Arbeit. Somit war es für mich nichts Außergewöhnliches. Meinen eigenen Kindern ergeht das genauso: ihre Freunde denken, es sei wunderbar, so einen berühmten Vater zu haben, aber meine Kinder haben es ja nie anders kennen gelernt, und so ist es nicht sonderlich bemerkenswert für sie.

Mein gesamter Background als Kind war also im Wesentlichen italienisch geprägt. Nicht dass mir das damals bewusst gewesen wäre. Erst als ich zur Schule ging und von den anderen Kindern ausgegrenzt wurde, weil ich „anders“ war, ist mir aufgefallen, dass nicht jeder gleich war. Heute gefällt mir das sehr, doch damals mochte ich das kein bisschen. Kein Kind will anders sein. Also versuchte ich alles, was mit meiner italienischen Herkunft zu tun hatte, herunterzuspielen – sogar wie ich ging und sprach. Heute bin ich stolz darauf, aber als Kind und eine Zeit lang auch als Erwachsener habe ich mich die meiste Zeit geschämt, Italiener zu sein.

Bei uns zu Hause wurde Englisch gesprochen. Die Älteren in der Familie verfielen aber dennoch des Öfteren ins Italienische. Als Kind konnte ich noch einiges davon verstehen, aber mit der Zeit hat es sich verloren. Was schade ist, denn heute wäre ich überglücklich, wenn ich italienisch sprechen und lesen könnte. Was ich auf dem Schulhof zu erleiden hatte, war zuweilen so gnadenlos, dass ich jahrelang versuchte, alles, womit ich mich als Italiener zu erkennen gab, an mir auszumerzen.

Ich hatte einen total fertigen Akzent, auf dem sofort herumgehackt wurde – eine Mischung aus dem Liverpooler Singsang meiner Mutter und dem breiten Italienisch-Cockney meines Vaters. Sie sagten, ich würde Würmer essen – so nannten sie die Spaghetti – und nach Knoblauch stinken. Meinem Bruder und unseren beiden Cousins erging es keinen Deut besser als mir. Wir waren ungefähr gleichaltrig, und für die anderen Kinder stanken wir einfach alle nach Knoblauch, aßen Würmer und sprachen komisch.

Herumgehackt wurde aber auch auf meinem Namen – jeder hänselte mich, weil ich Francis hieß. Es war schließlich ein Mädchenname. Was stimmt, aber es ist ebenso ein Jungenname. Aber erklär das mal einer Bande von überheblichen Strolchen, für die das Demütigen anderer ein Ritual war. Gegen den lustigen Akzent konnte ich etwas tun, und dass ich Würmer aß, konnte ich geheimhalten, aber an meinem Namen war nun mal nichts zu ändern. Ich versuchte mehrmals, die anderen dazu zu bringen, dass sie mich Frank oder Franny oder sogar einfach nur Fran nannten. Ich mochte diese Namen auch nicht besonders, aber alles andere war schließlich besser als Francis. Am Ende meiner Schulzeit nannten mich die meisten meiner Klassenkameraden einfach „Ross“. Und als es mit Status Quo losging, nannte ich mich in den ersten Jahren Mike Rossi. Bis heute werde ich mit den unterschiedlichsten Namen bedacht. Mit Francis spricht mich allerdings keiner an. Rick zum Beispiel nennt mich Frame – weil ich so dünn bin, erinnert ihn das wohl an einen Kleiderbügel aus Draht.

Ich habe aber rasch dazugelernt, so wie das Kinder immer tun müssen, wenn sie in der Schule überleben wollen, und versucht, mich in etwas zu verwandeln, wovon ich glaubte, dass es mich als ein richtiges englisches Kind ausweisen würde: Ich redete nur noch Cockney. Einige Jahre später stellte ich fest, dass die Verwandlung funktioniert hatte, als ich einmal bei Alan Lancaster, dem ersten Quo-Bassisten, war: Wir sahen mit seiner Familie zusammen fern, als ein wahrlich geschniegelter Typ ins Bild kam und anfing in genau dem misstönenden Italienisch-Cockney zu sprechen wie ich einst. Alan kam aus einer taffen altenglischen Familie aus dem südlichen London, aus Peckham, die eine schwarze Katze hatte, die sie Nigger nannten – und Alans Vater lachte und meinte: „Er spricht lustig, genau wie Ross.“ Alans Mutter erwiderte aber: „Nee, Ross ist jetzt einer von uns.“ Das erfüllte mich derart mit Stolz. Ich fühlte mich endlich voll akzeptiert. „Einer von uns!“ Das war, als wäre ich zum Ritter geschlagen worden, und allemal besser als „der stinkt nach Knoblauch“.

Das Sonderbare aber war, dass ich in meiner eigenen Familie schon immer als Engländer galt. Oder zumindest nicht als richtiger Italiener. Mummy nannte mich gewöhnlich Sangue-Bianco – Bleichgesicht. Auf Italienisch sagte sie: „Hier kommt das Bleichgesicht, pass auf, was du sagst, er ist wie seine Mutter.“ Was sie meinte: Ich verstand besser Italienisch als man dachte, war aber eben doch kein richtiger Italiener und daher mit Vorsicht zu genießen. Sie war eine lustige alte Frau. Mein Bruder hatte eine dunklere Haut und sah eher wie ein Italiener aus. Und so bekamen er und meine Cousins Pasta zu essen, während man mir ein Tomaten-Sandwich vorsetzte – englisches Essen für Bleichgesichter. Aber so war das einfach damals. Ich kannte nichts Besseres und so habe ich es einfach akzeptiert. Als Teenager war ich ein bisschen zu dünn und schüchtern, und das nervte mich, aber die meisten Erinnerungen an meine Kindheit sind im Prinzip glücklicher Art.

Nachdem ich auf der Welt war, lebten wir einige Jahre in der Mayow Road, dann wohnten wir für kurze Zeit in einer anderen Straße. Sie lag aber auch in Forest Hill. Infolgedessen habe ich diese Gegend immer sehr geliebt. Ich bin sogar später wieder dort hingezogen. Nachdem ich meine erste Frau geheiratet hatte, kaufte ich dort ein Haus, direkt neben dem meiner Tante. Es war ein ziemlicher Schlag für mich gewesen, als die gesamte Familie – ich war damals elf – von Forest Hill wegzog und sich in einem Laden an der Balham High Road einquartierte.

Im Vergleich dazu, was ich gewohnt war, konnte einem Balham ganz schön rau vorkommen. Ich erinnere mich lebhaft daran, wie meine Mutter einschritt und versuchte, den Streit zweier Prostituierter zu schlichten, die sich zuweilen bei uns am Eingang versammelten. Die genaueren Umstände waren mir nicht bekannt, doch den Gedanken, der dahinter steckte, bekam ich schon mit: dass Prostituierte schlecht waren. Ich befand mich noch in einem Alter, in dem Sexualität noch keine Rolle spielte, und so konnte ich gar nicht verstehen, was diese ganze Aufregung sollte. Ich erinnere mich, dass mir und meinen Kameraden mal von älteren Jungs erzählt wurde, dass der Barbier in der oberen Straße gern unter dem Frisierumhang an Jungs herumwichste, während er ihnen die Haare schnitt. Sie erzählten, er würde jedem, der es mit sich machen ließ, einen Fünfer zustecken. Ha, wir fanden das alle phantastisch: „Great! Let’s go!“ Einen Fünfer! Das kam uns damals vor, als würden wir mit einer Million entlohnt! Sechs Monate später hätten wir das Ganze vielleicht mit anderen Augen gesehen. Aber wir waren eben noch in diesem zarten Jungenalter, in dem Sexualität noch nicht so sehr in irgendwelchen Schubladen steckte. Wichsen war wichsen, egal wer einen wichste. Und am Ende auch noch einen Fünfer dafür zu bekommen, war ein Angebot, das man nicht ablehnen konnte.

Anders als die meisten Typen, mit denen ich gewöhnlich herumhing, habe ich mich nie wirklich für Fußball oder einen anderen Sport begeistern können. Mit Rugby habe ich es mal in der Schule versucht, aber es endete in einem Desaster. Auch wenn eben erst ein sturzbachartiger Regen heruntergekommen und der Boden so kalt war, dass der Matsch binnen kurzem zu Eisbrocken gefror, wurde trainiert. Logisch, dass an einem derart bitterkalten Wintertag, an dem meine Arme und Beine am Ende fast in Stücke zerhackt waren, dies mein erster und letzter Einsatz auf dem Rugby-Feld sein sollte. Ich fand die ganze Sache entsetzlich. Ein Brocken von einem Typen kam direkt auf einen zugerannt und der Trainer schrie: „Hack ihn um, Junge! Hack ihn um, den Bastard!“ „Entschuldigung, Sir, aber, wenn ich ihm die Beine unter dem Körper wegziehe, dann fällt er hin und tut sich richtig weh dabei.“ Der Trainer meinte: „Ja, und?“ Ich antwortete: „Nun, das ist kein Sport, das ist rohe Gewalt.“ Er geriet in Rage. „Raus aufs Feld mit dir, du verdammter Waschlappen!“, brüllte er. „Zeig, dass du ein Mann bist!“ Das Problem dabei war, dass ich bereits wusste, dass ich ein Mann war. Ich hatte nur keine Lust, so ein Mann zu sein. Seitdem habe ich mich nie wieder in der Nähe eines Sportplatzes blicken lassen.

Selbst heute noch schalte ich sofort ab, wenn ich mit der Band unterwegs bin, der Samstag sich nähert und das Gespräch im Tourbus sich unwillkürlich um Fußball oder was auch immer dreht. Ich interessiere mich einfach nicht dafür. Deshalb ist es mir als Kind vielleicht auch so leicht gefallen, mich auf die Musik zu konzentrieren und Gitarre spielen zu lernen. Ansonsten drehte sich ja immer alles um das Geschäft meiner Familie. Daneben gab es nicht viel. Ich mochte Filme und Comics und ich hörte Radio. Doch am meisten gefiel es mir, wenn mein Dad und meine Onkel dasaßen und am Ende des Tages ihre Einnahmen zählten. Es war weniger das Geld, das sie eingenommen hatten, was mich daran interessierte. Eher interessant war, wie viele Eistüten sie an dem Tag verkauft hatten. Hatten sie vielleicht den Rekord gebrochen? Ob es ein guter oder ein schlechter Tag gewesen war, bekamen wir dadurch mit, dass wir erfuhren, wie viele Eiswaffeln sie über die Theke gereicht hatten.

Ich liebe bis heute diese Idee mit dem Umsatz – den Verkaufserfolg nach der Stückzahl zu bemessen. Aber wiederum nicht wegen des Geldes, das dabei im Spiel ist, sondern weil es für mich immer noch das maßgebliche Barometer dafür ist, ob eine Platte oder eine Tour erfolgreich war oder nicht; einfach dadurch, dass ich mir anschaue, wie viele Platten oder Konzerttickets wir im Vergleich zu vorher verkauft haben. Dennoch gebe ich offen zu, dass ich im Musikgeschäft immer etwas gesehen habe, womit sich Geld verdienen lässt. Entweder das oder Eis verkaufen – in meinem Fall traf das auch buchstäblich zu. Wäre ich Peter Pan gewesen und mein Leben lang ein kleiner Junge geblieben, hätte ich mich für das Eis entschieden. Aber ich wuchs schnell zu einem großen Jungen heran und stellte rasch fest, dass ich mir für mein Leben mehr Aufregung wünschte.

Meine Mutter brüstete sich gerne damit und erzählte jedem, ich hätte mein musikalisches Talent von ihr geerbt. Aber als sie vor einigen Jahren starb und ich wieder mehr Kontakt zu meinem Vater hatte, fiel mir auf, dass dies nicht unbedingt zutraf. Mein Vater schaute mal bei mir vorbei und ich spielte ihm „Still The One“ von Shania Twain vor – einen wunderschönen Song, bei dem ich immer Gänsehaut bekomme. Sobald das Stück losging, geriet der gesamte Körper meines Vaters in Rotation, was mir auch immer passiert, wenn ich Musik höre, die mir wirklich gefällt. Er reagierte sehr euphorisch und fing an, sich in seinem Stuhl zu winden. Und ich dachte: Aha, daher hab’ ich es also.

Die ersten Songs, die mir gefallen haben und an die ich mich bewusst erinnern kann, waren von den LPs, die meine Eltern zu Hause spielten. Das erste Musikstück, auf das ich total abfuhr, war ein altes italienisches Lied. Es hieß „Papa Piccolino“. Meine Mutter hatte es mal für mich aufgelegt, als sie versuchte, mich zu besänftigen, nachdem ich ausgerutscht und die Treppe hinuntergefallen war. Ich war nicht schlimm verletzt, nur ein wenig unter Schock und verstört, aber sie legte diese „Papa Piccolino“-Platte auf und ich verliebte mich auf Anhieb in den Song. Nicht nur in den Song, sondern in den ganzen Wirbel, den meine Mutter wegen mir veranstaltete. Ich habe das alles so sehr genossen, dass ich mich am nächsten Tag gleich noch einmal die Treppe runterfallen ließ, damit meine Mum noch einmal „Papa Piccolino“ für mich spielte und wieder diesen Zauber veranstaltete. Am Tag darauf probierte ich es erneut, doch diesmal kam sie mir auf die Schliche und drohte, sie würde mir die Platte über den Schädel hauen, wenn ich das noch einmal machte.

Wie viel ich von dieser alten italienischen Musik, die bei uns zu Hause lief, in mich aufsog, bemerkte ich damals nicht, während ich auf die Aufmerksamkeit meiner Mutter hoffte. Jahrelang habe ich mich gewundert, woher diese Faszination für den Shuffle-Rhythmus kam – ob es nun die vom Blues abgeleitete Art war, auf die sich Bands wie Fleetwood Mac und Chicken Shack spezialisiert hatten, oder die Art von Shuffle, wie man sie ziemlich oft in der Country-Musik findet. Woher es auch gekommen sein mag, ich hatte immer eine totale Schwäche für diesen eindringlichen, schaufelnden Beat. Wenn man sich die klassischen Status-Quo-Songs anhöt, die ich geschrieben habe, findet man genau den. Er ist unser musikalisches Markenzeichen geworden, bis zu dem Punkt, dass selbst Ricks bekannteste Songs wie zum Beispiel „Whatever You Want“ eben diesen Shuffle-Rhythmus aufweisen.

Erst Mitte der Siebziger, als ich den ersten Teil von Coppolas Trilogie Der Pate sah und mir bei der Hochzeitsszene am Anfang auffiel, wie im Hintergrund diese alte italienische Traditionsband sägte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen, woher alles kam – von diesem schaufelnden italienischen Rhythmus, den ich die ganze Zeit gehört hatte. Wenn ich heute zurückblicke, dann erscheint es mir offensichtlich, dass ich davon beeinflusst wurde. Aber ich habe lange gebraucht, bis mir das wirklich klar wurde – möglicherweise, weil ich immer so stark damit beschäftigt war, meine italienische Seite komplett zu leugnen. Dass ich genau damit einmal mein Glück machen würde, konnte ja nun wirklich keiner ahnen.

Das erste Instrument, auf dem ich herumhantierte, war eine Mundharmonika; damals war ich vier. Mit fünf bekam ich ein kleines Hohner-Mignon-Akkordeon, auf dem ich auch ein paar Unterrichtsstunden absolvierte. Der Unterricht fand bei uns im Wohnzimmer statt, und so konnte ich die ganze Zeit meinen Bruder und seine Kameraden durch die Balkontür draußen im Garten spielen sehen. Ich konnte mich überhaupt nicht konzentrieren und schmiss den Unterricht schon bald.

Ich war neun, als ich meine erste Gitarre bekam. Ich hatte es doch tatsächlich geschafft, der Mundharmonika und dem Akkordeon ein paar melodische Töne zu entlocken, und nun wollte ich die Sache weiter vorantreiben. Ich hatte die glorreiche Idee, ein Gitarrenduo mit meinem Bruder zu gründen, denn ich war verrückt nach den Everly Brothers. Von ihnen lernte ich, ein ganzes Stück durchzuhalten, ohne einen falschen Ton zu singen. Das muss wohl der Grund gewesen sein, warum ich nie ein verstärktes Interesse an der Leadgitarre entwickelt habe – obwohl es bei Status Quo immer meine hauptsächliche Aufgabe war. Singen und dabei ein bisschen auf der Gitarre schrammeln, das war so einfach, aber auf wundersame Weise effektiv.

Bei der nächsten Teestunde unterbreitete ich Dominic meinen Plan, wie wir die Welt erobern konnten, und fragte ihn, was er dazu meinte. Zu meiner Erleichterung sagte er, dass er das für eine großartige Idee hielt, und so wünschten wir uns in jenem Jahr zu Weihnachten von unseren Eltern Gitarren. Als sie zugestimmt hatten, dachte ich, ja, jetzt kann uns nichts mehr in die Quere kommen! Dann änderte Dominic im letzten Moment seine Meinung und wünschte sich stattdessen eine Eisenbahn. Ich hätte ihn umbringen können! Was ich auch gemacht hätte, wenn meine Mutter nicht gewesen wäre. Denn mein Traum von uns als den neuen Everly Brothers war damit mit einem Schlag geplatzt. (Ein paar Jahre später rächte ich mich aber, indem ich mir von ihm die Eisenbahn auslieh – und sie kurzerhand verkaufte.)

Mein Dad meinte, ich solle den Kopf nicht hängen lassen – immerhin hätte ich ja jetzt eine Gitarre. Und so klimperte ich eine Weile für mich alleine darauf herum, bis sie mich nach Lewisham brachten, wo es einen Laden namens Len Styles Music gab, der nicht nur Instrumente verkaufte, sondern auch Gitarrenunterricht anbot. Len Styles Music war der angesagte Laden am Ort für angehende Musiker, und so knüpfte ich große Erwartungen daran, was ich da lernen konnte. Stattdessen entpuppte sich das Ganze aber als die reinste Farce. Das einzige Mal, als ich dort war, sah mich der Typ, der den Unterricht gab, an und sagte: „Was willst du denn gerne lernen, Junge – Foxtrott oder Walzer?“ „Junge“ – so nannten einen die Sportlehrer. Damit wurden gleich zu Anfang die völlig falschen Signale gesendet. Und ich hatte auch null Interesse daran, irgendwelche Foxtrotts oder Walzer zu lernen. Ich erwiderte: „Nun, ich würde gerne ein paar Stücke von den Everly Brothers lernen und all so was.“ Er stierte mich nur an und meinte: „Diesen Kram machen wir hier nicht, Junge!“ Ich stand auf, ging zur Tür raus und schwor mir: da gehst du nie wieder hin. Damit endete meine Musikerziehung.

Danach erschien es mir lange Zeit so, als sei schon allein der Versuch, etwas zu lernen, dem „Establishment“ zuzuordnen. Als ich erst einmal meine erste Band gegründet hatte, war an Üben gar nicht mehr zu denken. Sobald der Gig vorbei war, stellte ich die Gitarre wieder in die Ecke, irgendwohin, wo ich sie erst gar nicht sah, bis ich sie für den nächsten Auftritt wieder zur Hand nahm. Und das alles nur, weil ich enttäuscht worden war, als ich zum ersten Mal ernsthaft Interesse gezeigt hatte, etwas zu lernen. Was echt traurig war. Heute will ich andauernd etwas dazu lernen, doch diese erste schlechte Erfahrung hatte mich auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte blockiert. Allerdings konnte sie nicht verhindern, dass ich trotzdem ein professioneller Musiker wurde, weil ich das schon vorher beschlossen hatte. Aber ich frage mich, wie vielen Kindern, die in all den Jahren dort hingegangen sind, man total die Freude genommen hat, überhaupt ein Instrument zu lernen.

Das ist ein großer Fehler, den wir aber auch heute noch machen. Sobald ein Kind Interesse an Musik bekundet – wodurch auch immer der Funke übergesprungen sein mag, egal ob durch Britney oder Beethoven – sagen Eltern oft: „Oh, bleib uns damit vom Leib.“ Denn sie können darin keinen direkten Nutzen erkennen. Sie sehen darin keinen Job, der ihnen in Aussicht gestellt wird. Wenn die Eltern sich nicht selbst für Musik oder Kunst interessieren, ermutigen die wenigsten ihre Kinder, überhaupt etwas über Musik erfahren zu wollen. Oder wenn sie es doch tun, dann wollen sie, dass die Sprösslinge „ernste“ Musik machen, was für ein neunjähriges Kind in gleicher Weise abturnend sein kann. Kinder kommen auf die Idee, ein Instrument zu lernen, weil sie denken, dass es unwahrscheinlich viel Spaß macht – was ja auch stimmt. Aber stattdessen müssen sie sehr schnell feststellen, dass sich damit Arbeit verbindet, so als bekäme man zusätzlich Hausaufgaben auf. Kein Wunder, dass so viele Kinder die Sache wieder an den Nagel hängen, noch bevor sie richtig begonnen hat. Bei Kindern, die Foxtrott mögen, ist das selbstverständlich was anderes.

Das andere Extrem ist, wenn Kinder gedrillt werden und man ihnen vermittelt, dass nur die kompliziertesten Sachen auch wirklich gut seien. Was ein anderes schwerwiegendes Missverständnis ist. Da ist zum Beispiel Charlotte – oder Charlie, wie ich sie nenne. Charlie ist Pianistin und hat eine klassische Musikerziehung genossen. Im Moment arbeiten wir auf lockerer Basis zusammen. Ihre Lehrerin, eine sehr gute Freundin von mir namens Mrs. Theobold, hatte sie während der Grundschulzeit und im Gymnasium musikalisch betreut, und vor kurzem kam sie darauf, dass es vielleicht ganz interessant wäre, mal zu sehen, was einer wie ich aus ihrer Schülerin machte.

Ich war glücklich und erklärte mich einverstanden. Und sobald Charlie anfing zu spielen, merkte ich natürlich, dass sie eine brillante Musikerin ist. Aber sie kam mit diesem schrecklichen, aufgeplusterten Stück an, das sie komponiert hatte, und ich musste ihr geradewegs sagen: „Sorry, meine Liebe, aber das ist Bullshit.“ Sie nahm es gelassen hin. Wenn du ein Künstler bist, egal was für einer, musst du immer darauf gefasst sein, dass du auch mal eine volle Breitseite Kritik abbekommst. Ich zähle schon gar nicht mehr, wie oft mir genau das von Kritikern und sogar von meiner eigenen Band vorgehalten wurde, wenn ich mal wieder ein neues Stück geschrieben hatte, von dem ich dachte, es sei großartig oder bedeutsam.

Im Fall von Charlie war das gar kein schlechtes oder gar uninteressantes Stück, das sie da komponiert hatte. Und sie hat es natürlich auch wunderschön vorgetragen. Aber es klang einfach nach etwas Einstudiertem, als versuchte sie, die Erwartungshaltung anderer zu erfüllen, und nicht nach etwas, das sie wirklich fühlte. Ich sagte zu ihr: „Was ich hören möchte, ist etwas, das mehr aus deinem eigenen Herzen kommt, das über dich etwas aussagt, darüber wer du bist – und nicht, was für eine gute Erziehung du am College genossen hat.“

Mrs. Theobold, die nicht so engstirnig ist wie die meisten anderen Leute, die klassisch geschult sind, stimmte mir zu, und später schickte sie mir Charlie noch einmal vorbei, damit sie bei mir Gitarre lernte – und jetzt spielt sie bereits besser als ich! Noch wichtiger aber ist, dass sie jetzt auch viel entspannter am Klavier sitzt und freier spielt. Sie kommt jetzt auch schon mal mit wirklich guten und bewegenden eigenen Stücken an. Wenn sie heute zu mir rüberkommt, bin ich immer schon total gespannt und kann es gar nicht abwarten, zu hören, was ihr wieder alles eingefallen ist.

Um auf meine eigenen ersten Ausflüge auf der Gitarre zurückzukommen: Ich beschritt einen völlig anderen Weg, indem ich niemals wirklich Unterricht nahm. Ich lernte einfach dadurch, dass ich die Songs von den paar Schallplatten, die wir zu Hause hatten, nachspielte, Zeug von Guy Mitchell, auf den meine Mutter total abfuhr, und von Connie Francis, für die ich schwärmte. Mir wird immer noch ganz weich in den Knien, wenn ich eine ihrer alten Platten höre, auf denen sie mit ihrer Stimme all diese herzzerreißenden Töne hervorbringt, die sich anhören, als würde sie weinen. Für mich war das alles einfach Popmusik, wie ich sie von den Everly Brothers kannte. Erst als ich Jahre später zum ersten Mal nach Amerika kam, merkte ich, dass das, was ich mir die ganze Zeit über angehört hatte, eigentlich Country Music war. Das hatte zur Folge, dass ich auch heute noch Country Music mag. Sie berührt mich einfach.

Mit zwölf hatte ich dann aber meine absolute Rock’n’Roll-Phase. Meine Lieblingsmusiker waren Little Richard, Jerry Lee Lewis, Gene Vincent und Eddie Cochran – all die alten amerikanischen Rock’n’Roller. Und dann gab es da noch Cliff Richard and the Shadows, die ich auch sehr mochte. Aber ganz vorne lagen bei mir immer die Everly Brothers. Als ich die entdeckt hatte, war das wirklich ein Wendepunkt für mich. Das ist der Grund, warum viele von den Sachen, die ich geschrieben habe, um drei oder vier simple Akkorde herum aufgebaut sind – und ich schreibe das in vollem Bewusstsein dessen, dass es für einige Leute nur neuer Stoff sein wird, um ihr Bild von Status Quo als „Three Chord Wonders“ zu untermauern. Doch wie ich den Leuten, die meistens selbst noch nie ein Instrument in der Hand hatten, aber trotzdem denken, dies sei ein guter Witz, stets zu erklären versuche: Gewisse Stücke aus der klassischen Musik, die jedem im Gedächtnis haften bleiben, sind vornehmlich auf drei Akkorden aufgebaut. Wird es etwa ein besserer Song, wenn ich einen Finger mehr bewege und noch einen Akkord hinzufüge, was mir ein Leichtes wäre?

Wie viele Akkorde haben die Beatles benutzt? Sie waren die innovativste Pop-Gruppe aller Zeiten und sie haben im Laufe der Zeit sicherlich mehr als drei Akkorde zum Einsatz gebracht. Doch sie konnten von „I Am The Walrus“ bis „Yellow Submarine“ alles machen und niemand zerriss sich das Maul. Egal welchen Wandel sie mit ihrer Musik durchlaufen haben, es war immer diese Einfachheit, die ihre Songs so erinnerungswürdig machte. Und das ist der Grund, warum so viele von uns diese Songs auch heute noch singen und spielen.

Das Bedauerliche ist, dass nach den Beatles jeder in eine Schublade gesteckt wurde – Rock-Band, Pop-Gruppe, Soul-Group oder was auch immer. Man konnte sich einfach nicht mehr vorstellen, dass Deep Purple „When I’m Sixty Four“ spielten oder die Bay City Rollers „Lucy In The Sky With Diamonds“. Obwohl die Beatles den Beweis geliefert hatten, dass man alles machen kann, solange es den Leuten gefällt. Denn am Ende geht es doch nur um Melodien – Songs, die ins Ohr gehen. Das, was den Milchmann am Morgen beim Milchausfahren vor sich hin pfeifen lässt. Wenn einem so etwas gelungen ist, dann hat man es geschafft. Aber ich muss Sie warnen: Es ist nicht so einfach, wie man denkt. In meinem Fall ist es so, dass ich zwar nicht so gut gewesen sein mag im Üben von Tonleitern und im Notenlesen, aber ich war großartig darin, einfach mit der Gitarre herumzusitzen und ihr Harmonien zu entlocken. Um wirklich gut zu sein, muss man sich der Sache voll widmen. Das war für mich offensichtlich. Doch um einfach mal einen Anfang zu machen, bedurfte es keiner großen Anstrengung. Ein paar Grundakkorde auf der Gitarre konnte man in einer einzigen Unterrichtsstunde lernen – und als ich erst einmal den Anfang hatte, kam für mich kein Ende mehr in Frage.

Als die Beatles ihren ersten großen Hit hatten, erinnerten sie mich an die Everlys, nur dass sie eine voll elektrische Band waren und ihr Sound deshalb noch gewaltiger und aufregender war. Als sie auf den Markt kamen, war damit der Beweis erbracht, dass eine britische Gruppe ebenso gut sein konnte wie eine aus den USA. Und dies bestärkte mich noch mehr darin, meine eigene Band zu gründen. Da ich aber damals keinen wirklichen Schimmer davon hatte, wie man so etwas anstellt, schloss ich mich erst einmal dem Schulorchester an.

Unglücklicherweise hatten sie da überhaupt keine Verwendung für einen Gitarristen und so fing ich an, Trompete zu spielen. Womit ich mich vom Rock’n’Roll natürlich so weit entfernte, wie es nicht mehr weiter ging. Allerdings muss ich dazu sagen: Ohne dieses Vorhaben, Trompete lernen zu wollen und ins Schulorchester zu gehen, hätte ich Alan Lancaster und Alan Key, die beiden Jungs, mit denen ich später meine allererste Band gründete, nie kennen gelernt. Dieser Schritt markierte sozusagen den Anfang der allerersten Status-Quo-Besetzung. Was nur zeigt, wie es nun mal kommen kann. Es gibt ein Sprichwort: Strebe nach der Sonne und du kannst dir sicher sein, du landest auf dem Mond. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Wir spielten alle im Schulorchester, aber wir waren alle auch verrückt nach Rock’n’Roll, und darauf gründete unsere Freundschaft. Ich mochte Alan Lancaster, aber er war sehr dominant, sagte immer offen, was ihm passte und was nicht. Er betrachtete die Band immer als seine Band, und wir waren gezwungen, nach seiner Pfeife zu tanzen – um des lieben Friedens willen. Ein oder zwei Mal habe ich opponiert und gesagt: „Guck mal, du bist hier nicht der Anführer. Niemand ist das hier.“ Denn wir hatten schon ganz zu Anfang abgemacht, dass es keinen Bandleader geben sollte. Aber er kapierte das einfach nicht und wir keiften uns deshalb am Ende schrecklich an, wir trugen sogar richtiggehend Kämpfe aus. Ich wusste damals noch nicht, dass Alan Lancaster nie zurücksteckt, egal wobei. Er behauptete sich immer, so war er eben.

In Wahrheit war Alan Key der eigentliche Anstifter. Alles begann damit, dass er und Alan Lancaster neben dem Orchester noch ihre eigene kleine Gruppe zusammenstellten. Sie suchten nach einem dritten Mann, der sich ihnen anschloss, nach einem Typen, der spielen, aber auch singen konnte. Wodurch es mir gelang, mich ins Spiel zu bringen. Mal davon abgesehen, dass ich von jedem einzelnen Hit der Everly Brothers den Text auswendig kannte, hatte ich mich bis dahin nie als Sänger gesehen. Aber ich war geil darauf, in einer Band mitzumachen – egal in welcher, und so beschloss ich damals einfach: Ich bin Sänger. Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass ich kein Frank Sinatra war. Aber da war auch weit und breit kein anderer, der die Rolle hätte übernehmen können, und so hatten sie keine andere Wahl, als mich zu nehmen. Aus dem reinen Nichts heraus war ich plötzlich Sänger in einer Band. Guck mal, Mama. Ich fahr’ freihändig!

Kenner von richtig schwerem Rock werden das Folgende vielleicht aus dem Gedächtnis streichen wollen, aber ganz am Anfang waren wir eigentlich eine Blaskapelle. Alan Key und ich spielten beide Trompete und Alan Lancaster Posaune. Gelegentlich setzte ich die Trompete kurz ab, gerade lange genug, um ein oder zwei Verse zu singen. Wir musizierten im Stil von Kenny Ball & his Jazzmen, die damals ständig im Fernsehen zu sehen waren. Das ging soweit, dass wir sie komplett kopierten, oder so gut wir es eben hinbekamen, sie und ihren großen Hit „When The Saints Go Marching In“.

Über Alan Lancasters Schlafzimmer sind wir allerdings nie hinausgekommen, und so wurde uns schon bald langweilig mit den verdammten „Saints“ und deren ollem „Marching in“. Wir wollten etwas anderes versuchen, eine andere Art von Songs, poppiger sollten sie sein und mehr in Richtung Rock’n’Roll gehen. Wir wussten natürlich, dass uns die Trompeten dabei herzlich wenig nutzten. Und so erwähnte ich, dass ich eine Gitarre besaß. Woraufhin Alan Lancaster sofort loszog, um sich auch eine zu besorgen. Er erstand einen hellgelben Höfner-Bass, der hübsch aussah, es sei denn, er schleppte ihn in einer durchsichtigen Polyäthylen-Tüte überall mit hin, weil er sich den Instrumentenkoffer dazu nicht mehr hatte leisten können. Währenddessen spielte Alan Keys Bruder in einer richtigen Band, in Rolf Harris’ Backing-Group, die The Diggeroos hieß. Alan hatte daher Zugriff auf die Fender Stratocaster seines Bruders – was für ein Dusel. Und da waren wir dann zum ersten Mal eine Rock’n’Roll-Gruppe und spielten all diese großartigen Gitarreneinlagen nach, die wir uns von den Shadows abguckten, Songs wie „F.B.I.“ und „Wonderful Land“.

Wir nannten uns The Scorpions, doch wir hatten eigentlich nie einen richtigen Auftritt. Wir kamen einfach ein paar Mal pro Woche zusammen und probten. Das ging ungefähr ein Jahr lang so, bis wir alle ungefähr 14 waren. Dann, gerade als wir dachten, wir seien jetzt soweit, dass man uns auf die Welt loslassen könnte, verkündete Alan Key, er wolle die Band verlassen. Er sehe ja, wie wir uns der Sache voll und ganz hingaben, um aus der Band echt etwas zu machen, meinte er, aber er für seinen Teil habe beschlossen, das hübsche Mädchen aus der Nachbarschaft zu heiraten, sobald es das Gesetz erlaube. Und daher sei es besser, wenn er jetzt ausstiege, bevor das mit der Musik wirklich ernst würde. Ein Mann seines Schlags hielt natürlich Wort, und sobald er 16 war, heiratete er seine Angebetete, Gott segne ihn. Ich habe später festgestellt, dass dies den meisten professionellen Musikern so ging – dass sie irgendwann vor der Wahl standen, das Mädchen ihrer Träume zu heiraten und sich häuslich niederzulassen oder sich voll und ganz in die Musik reinzuhängen, in der Hoffnung, dass sie irgendwann einmal den Durchbruch schafften. Alan Key entschied sich für die eine Variante, und ich für die andere. Das Wunderbare daran ist: Es sieht so aus, als hätten wir beide die richtige Wahl getroffen. Ich höre gelegentlich von ihm, und er ist immer noch mit dem Mädchen seiner Träume zusammen und so glücklich, wie man nur sein kann. Und ich gehe davon aus, dass man das auch von mir sagen kann. Die meiste Zeit jedenfalls.

Als Alan Key damals wegging, war das ein Schlag für mich. Er war immer einer gewesen, zu dem ich aufgeschaut hatte – einfach ein super netter Typ. Mir war damals jeder willkommen, der freundlich und ruhig und nicht aggressiv war. Ich bin von so vielen Psychopathen umgeben aufgewachsen, dass es für mich die reinste Wohltat war, als ich Alan Key kennen lernte – für mich war er eine Oase in der Wüste. Die Schule, in die wir damals alle gingen, die Segdhill Gesamtschule in Beckenham, beheimatete Kids aus einigen der rauesten Gegenden von London. Das Höchste, wovon die Jungs dort träumten, war, wie man einem Lehrer einen derartigen Knockout verpassen konnte, dass er durchs Klassenzimmerfenster flog. Wer das schaffte, war der King. Jeder, der auch nur die geringsten Anstalten machte, etwas zu lernen, wurde sofort als Streber behandelt. Je wuchtiger und aggressiver man war, desto größere Chancen hatte man, in Ruhe gelassen zu werden.

Alan Lancaster war einer der taffesten Jungs. Er musste so sein, denn in Peckham, wo er aufwuchs, konnte man nur überleben, wenn man sehr taff war. Ich hatte Glück und bin zwischen Italienern aufgewachsen. Bevor ich ein Teenager war, kam ich quasi überhaupt nie raus – und was war das dann für ein Erwachen! Alan Lancaster, ein echter Rowdy, erschien mir wie aus dem Off: hart wie Kruppstahl. In all den Jahren, in denen ich ihn kannte, habe ich es niemals erlebt, dass er zu Boden ging. Und es hatte in all den Jahren einige Keilereien gegeben. Von Alan wollte keiner was. Keiner. Das war schon eine starke Leistung. Als die Zeit weiter voranschritt und wir alle älter wurden, fragte ich mich allmählich, wie viel von alledem eigentlich er selbst war und wie viel davon nur aufgesetzt, weil er glaubte, so sein zu müssen. Dieses permanent aggressive Gehabe schien irgendwann auch auf mich abzufärben, und nachdem das erst einmal passiert war, wurde es natürlich schwieriger, das alles noch so richtig ernst zu nehmen. Er behauptete immer von sich, ein Rudeltier zu sein. Ich bin auch ein Rudeltier, doch es bedeutet nicht, dass ich jemanden gleich k.o. schlagen muss, nur wenn es mal nicht so läuft, wie ich es mir vorstelle.

Nachdem Alan Key den Abgang gemacht hatte, brach für die Band eine harte Zeit an. Nun hieß es wahrlich: Vogel friss oder stirb. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Sache jetzt einfach zu vergessen. Doch da war dann der Moment, wo Alan Lancasters Rowdy-Charakter positiv zum Tragen kam. Alan, der noch nie in seinem Leben einen Kampf aufgegeben hatte, trieb mich dazu an, nicht aufzugeben. Es gab auch schon einen Keyboarder, Jess Jaworski, ein Junge aus der Schule, der eigentlich Akkordeon spielte und den wir mehr oder weniger zwangen, dass er für uns Keyboard lernte. Und wir hatten schon einen Drummer. Er hieß Barry. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wo er herkam. Ich glaube, ich kannte auch nicht einmal seinen vollen Namen. Ich wusste nur, dass er Barry genannt wurde und dass er Schlagzeug spielte.

Wir probten auch nicht mehr in Alan Lancasters Schlafzimmer, sondern in der Lordship Lane in Dulwich, in einer alten Garage gleich um die Ecke vom Süd-Londoner Headquarter des Air Training Corps (ATC) – in der Gegend besser bekannt als Basisstation für Offiziersanwärter der Luftfahrt. Ich glaube, Barrys Vater hatte das irgendwie für uns arrangiert, was echt nett war von ihm. Leider erinnere ich mich auch daran, dass ich mich klammheimlich mit Barrys Freundin eingelassen habe, was wiederum weniger nett war – von mir. Aber ich konnte auch gar nicht viel dagegen machen. Sie war ein gestandenes Frauenzimmer und konnte ganz schön ungemütlich werden, wenn sie nicht bekam, was sie wollte. Ich war in Bezug auf Sex noch gänzlich unbedarft und als sie mir das erste Mal einen blasen wollte, hatte ich gar keine Ahnung, was sie da machte – und rannte weg, weil ich Schiss bekam. Ich dachte, sie wollte mir den Schwanz abbeißen.

Wie auch immer. Eines Tages probten wir jedenfalls in der Garage in der Lordship Lane, als wir plötzlich einen fürchterlichen Lärm von irgendwoher hörten und feststellten, dass da anscheinend noch eine andere Band war, die in der Nachbarschaft spielte. Wir zogen los, um der Sache auf den Grund zu gehen, und stellten fest, dass das Kadetten-Corps von nebenan seine eigene kleine Formation hatte, die sich sinnigerweise The Cadets nannte und im Nachbarraum probte. Darin, dass sie auch noch nicht so viele Auftritte gehabt hatten, glichen uns die Jungs aufs Haar. Aber anders als wir, spielten sie auch schon richtig gut. Insbesondere der Drummer. Als wir so dastanden und ihnen zusahen und zuhörten, merkten wir schnell, dass er derjenige war, der alles zusammenhielt und die Band antrieb. Schnell und gleichmäßig, ohne viel Kinkerlitzchen – das war es. Bis er uns dann seinerseits entdeckte. Da legte er auf einmal los und wollte zeigen, was er drauf hatte. Ich für meinen Teil war jedenfalls schwer beeindruckt. Obwohl er fast noch ein Kind war, spielte er fast schon wie ein Profi.

Nach ihrer Probe stellten wir uns vor. Der Schlagzeuger hieß John Coghlan. Sie waren alle richtige Offizierskadetten. John war damals voll drauf. Als er hörte, dass wir auch eine Band waren, fragte er, ob er mal zu uns rüberkommen könne, nur um zu gucken. Es endete damit, dass er sich mal kurz an unser Schlagzeug setzte – und das war unglaublich. Er war zweifellos der beste Drummer, mit dem wir je gespielt hatten. Nachdem Barry an jenem Abend nach Hause gegangen war, sprachen wir über das Ganze. Armer Barry, er tat mir Leid. Aber als Schlagzeuger spielte er einfach nicht in der gleichen Liga wie John. Und so verrissen wir uns das Maul hinter seinem Rücken, wie das Bands in so einer Situation eben tun – und boten John den Job an.

Wir gingen aber nicht direkt auf John zu, obwohl wir wirklich geneigt waren, das zu tun. Zunächst gaben wir uns recht cool und luden ihn einfach ein, mal zum Vorspielen zu uns rüberzukommen. Aber John war uns in Sachen Coolness noch um Einiges voraus. Und ich werde nie vergessen, wie er zum ersten Mal zu unserer Bandprobe auftauchte: Er fuhr in einem Wagen mit Chauffeur vor. Wie sich später herausstellte, war sein Dad ein total scharfsinniger Typ. Er hatte ihm einen Taxifahrer engagiert, um zu uns zu kommen. „Das macht was her, mein Sohn“, hatte er ihm gesagt – und das tat es wahrlich. Es machte verdammt Eindruck auf uns. Sogar sein Drum-Set war cool: ein Second-Hand-Schlagzeug der Marke Slingerland, das einst Louie Bellson, dem Drummer von Duke Ellington, gehört hatte und bei dem auf zwei der Bass-Becken immer noch dessen Initialen „LB“ blinkten. Wir spielten ungefähr zwei Songs, bevor wir die Katze aus dem Sack ließen und ihn baten, bei uns einzusteigen.

Als Mensch war John gar nicht mal so der Kracher. Wenn man überhaupt etwas über ihn sagen konnte, dann, dass er zuweilen recht still war. Er war so bodenständig, dass man manchmal schon meinen konnte, er befände sich bereits unter der Erde. Wie wir bald merken sollten, war John ein finsterer und bierernster Zeitgenosse, der sich nie dazu hinreißen ließ, über einen Witz zu lachen – es sei denn, er fand ihn wirklich witzig, was aber so gut wie nie vorkam. Er war ein Eigenbrötler, auch als Teenager. Aber er spielte phantastisch Schlagzeug und mit ihm in der Band hatten wir jetzt wirklich das Gefühl, dass es voranging. Wir hatten sogar einen großartigen neuen und der Stimmung angemessenen Namen für uns: The Spectres.

Unser erster Gig als The Spectres, den Alan Lancasters Vater Harry für uns arrangiert hatte, fand auf dem Samuel Jones Sports Ground statt. Das klingt vielleicht großartig, doch es war nur ein kleiner zugiger Verschlag am hinteren Ende eines alten lausigen Sportplatzes. Aber wir spielten dort ein paar Monate lang ziemlich regelmäßig und gewannen allmählich immer mehr Vertrauen in uns. Wir hatten nie sehr viele Zuschauer, aber alle Freunde und unsere Familien tauchten natürlich jedes Mal auf. Mein Vater fuhr uns immer und transportierte auf der Ladefläche seines Eiswagens unser gesamtes Equipment. Die Band durfte nie anfangen, solange ich nicht sicher war, dass wirklich alle da waren, insbesondere Alans Mutter May, die ich einfach wundervoll fand. Harry war auch ein toller Typ. Er hatte früher geboxt, dann aber die Boxhandschuhe wieder an den Nagel gehängt. Ich mochte sie einfach beide sehr. Sie waren immer so gut zu mir und behandelten mich, als gehörte ich zur Familie.

Am Anfang spielten wir fast nur Cover-Versionen, größtenteils Instrumentalstücke von den Shadows und den Tornados – im Grunde einfach das Zeug aus den Charts. Wir spielten gewöhnlich 20 Minuten, und schon waren wir wieder weg. Eines Abends kam ein Typ nach dem Auftritt zu uns auf die Bühne und meinte: „Ich würde euch gerne managen.“ „Wenn Sie das tun wollen“, erwiderten wir. Und so hatten wir auf einmal einen Manager. Sein Name war Pat Barlow. Er war Monteur von Beruf und rackerte so lange, bis er seine eigene kleine Firma hatte. Er war kein Millionär, aber er war auch nicht gerade arm, wie man so schön sagt, und er war verrückt danach, wie er es ausdrückte, „sich ins Geschäft mit dem Rock’n’Roll einzuklinken“. Keiner von uns hatte so etwas je gemacht, aber Pat gab uns mit seinem Geld die Chance dazu, und wir Grünschnäbel, die wir noch ganz am Anfang unserer Karriere standen, bedeuteten für ihn eine Chance. So lief das damals bei vielen Musikgruppen ab. Anfang der Sechziger steckte alles noch in den Kinderschuhen. Die Leute ergriffen jeden Strohhalm, der sich ihnen bot.

Was Pat an Erfahrung fehlte, machte er mehr als wett durch seine Beharrlichkeit. Und er hatte ein dickes Fell. Schon bald wurde er zu einem zweiten Vater für uns. Da er sich schon in seinem eigenen Geschäft bewährt hatte, war er natürlich sehr souverän am Telefon und als Verhandlungspartner. Er hatte ein Gespür dafür, wie er für uns das Letzte herausholen konnte. Auf diese Weise verschaffte er uns nach und nach die verschiedensten Gigs, für die wir gut bezahlt wurden, die aber nicht gerade um die Ecke lagen – wie etwa der Club El Partido in Catford. Sein größter Coup war, dass er für uns eine feste Auftrittsmöglichkeit für die Montagabende im Café des Artistes in Chelsea an Land zog. Wir waren erst 14, aber wir spielten bis zwei Uhr früh. Dann fuhr uns Pat nach Hause, wo wir uns ein paar Stunden Schlaf holten, bevor wir aufstanden, um in die Schule zu gehen.

Ein bisschen Geld kam rein. Nicht so viel, aber genug, um uns ein besseres Equipment leisten zu können. Ich erstand für mich eine halbakustische Guild-Gitarre, während Alan stolzer Besitzer eines knallig aussehenden Burns-Basses wurde. Und wir fingen an, echte Kleider-Freaks zu werden. Es war die Ära der Beat-Gruppen, und man musste sich auch als solche ausweisen, wie die Beatles. Und so trugen wir alle die gleichen blauen Anzüge. Wir ließen sie speziell für uns anfertigen, von einem Typen auf dem Lambeth Walk, der zwölf Pfund für so ein Teil verlangte. Nur für Alan nicht. Der ließ sich ein ganz besonderes Modell schneidern, für 25 Pfund.

Als wir erst einmal ein paar regelmäßige Gigs hatten und unser Look stimmte, stand als nächstes natürlich die Veröffentlichung einer Platte an. Wir hatten noch kein Demo-Tape aufgenommen und versuchten deshalb zuerst, Leute von den Plattenfirmen dazu zu bewegen, bei einem Auftritt vorbeizuschauen. Denkste! Es schien, als würden die Leute von den Plattenfirmen immer nur zu den Bands gehen, die schon einen Namen hatten oder irgendwie gerüchteweise im Gespräch waren. Um diese Hürde zu nehmen, kam Pat auf die Idee, uns als Vorgruppe der Hollies auftreten zu lassen, die damals ganz hoch im Kurs standen. Das Konzert fand in der Orpington Civic Hall in Kent statt, irgendwann Anfang 1965, und man nahm an, dass einige führende Persönlichkeiten aus dem Musik-Business im Publikum sein würden. Zumindest sagte man uns das so, kurz bevor wir auf die Bühne gingen. Grober Fehler! Unsere Nerven lagen blank vor Aufregung, sodass wir einen erbärmlichen Auftritt ablieferten, was uns damals nicht oft passierte. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass sich niemand die Mühe machte, uns am nächsten Tag zu kontaktieren. Oder am übernächsten.

Der große Durchbruch sollte aber kommen, als Pat uns für ein Vorspielen in Butlin’s Minehead in Somerset buchte – jenem Ort, in dem in vielerlei Hinsicht die Story von Status Quo begann. Ich dachte zuerst, wir hätten keine Chance da, denn damals waren alle Bands, die in Butlin’s Minehead spielten, bereits Größeres gewohnt. Aber wir waren damals gar nicht schlecht aufgestellt für einen Haufen Schulkinder – und sieh an, wir bekamen den Gig! Wir konnten es nicht fassen. Es war, als ob wir jetzt endlich eine richtige Band waren, so als hätten wir eine höhere Ebene erreicht. Was wir vermutlich auch hatten.

Jess sah es jedenfalls so und stieg sofort aus. Wie Alan Key damals. Er konnte spüren, wie entschlossen wir anderen waren, entschlossen, es zu schaffen. In Butlin’s Minehead zu spielen, bedeutete, für vier Monate von zu Hause weg zu sein – und dazu war er einfach nicht bereit. Er wollte in der Schule weiterkommen und später studieren, und so schlug er den ehrbaren Weg ein und zog sich von uns zurück. Wir wünschten ihm alles Gute und sahen uns schleunigst nach einem Ersatz für ihn um. Pat fand schließlich jemanden für uns, einen Typen namens Roy Lynes, den er mal in einem Pub hatte Orgel spielen sehen. Roy war Qualitätsprüfer für Autoteile von Beruf und sieben oder acht Jahre älter als wir. Eine riesige Zeitspanne, wenn du selbst gerade mal 15 bist. Aber er hatte sein eigenes Equipment, war sofort verfügbar und konnte spielen. Mit dem drohenden Aus im Hintergrund brauchten wir gar nicht mehr zu wissen. Roy war engagiert.

Wir konnten es nicht abwarten, nach Butlin’s zu kommen. Nicht nur, weil wir regelmäßig Geld für unsere Arbeit erhalten sollten, sondern auch, weil wir uns auf einen unbeschwerten Sommer in einem Ferien-Camp freuten, von dem wir uns erhofften, dass uns viel Zeit bliebe, um Vögeln hinterherzujagen. Fairerweise muss man sagen, dass es uns gelang, auch das irgendwie im Programm unterzubringen, aber schon bald merkten wir, in was für eine Mühle wir uns da hineinbegeben hatten. Wir mussten jeden Nachmittag zwei oder drei Stunden lang spielen und am Abend noch einmal für zwei oder drei Stunden. Am Ende bestand unser Set aus rund 50 Songs – und das zweimal pro Tag, sechs Tage die Woche. Es war der helle Wahnsinn. Ich weiß bis heute nicht, wie wir damit klarkamen. Ab der dritten Woche haben wir wohl einfach den Autopiloten eingeschaltet. Für uns Musiker war das aber eine gute Übung, wir wurden sehr fit. Wenn du jeden Tag solange auf der Bühne stehst, gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder man kriegt einen Kollaps und bricht zusammen, oder man wird wirklich gut. Wir wurden so fit, dass wir eine andere Band waren, als wir einige Monate später wieder nach London zurückkamen.

Als wir ins Butlins-Camp kamen, wies man uns ein Pub auf dem Gelände als Auftrittsort zu – das Pig & Whistle. Es war ein großartiger Ort, es gab auch eine große Bühne, aber dennoch war es ein Pub, vollgestellt mit Tischen und Stühlen. Nicht gerade die Szenerie, die wir uns erhofft hatten. Wir bekamen mit, dass es im Camp auch noch einen anderen Veranstaltungsort gab, den Rock’n’Roll Ballroom, und so machten wir solange Rabatz, bis sie uns dort spielen ließen. Nachdem wir einige Wochen dort aufgetreten waren – die Sommersaison war voll in Gang – dämmerte uns langsam, dass sich kaum einer in diesen Rock’n’Roll Ballroom verirrte. Alle versammelten sich im Pub. Nachmittags war es noch schlimmer. Da hattest du außer ein paar Neugierigen, die einfach nur mal kurz die Nase reinstreckten, gar kein Publikum. Am Abend spielten wir dann meistens vor einem Dutzend Leuten. Erst in den 20 Minuten, kurz bevor das Pub zumachte, füllte sich der Ort schlagartig mit feuchtfröhlichen Campern, die alle sturzbetrunken waren und abrocken wollten.

Selbst da hatten wir einen Job zu erfüllen – wir mussten den Leuten Vergnügen bereiten. Als wir im Camp ankamen, waren wir noch schrecklich naiv und meinten, wir sollten nichts allzu Zeitgemäßes spielen. Wir dachten, es würde uns hipper machen, wenn wir alte Cover-Versionen zum Besten gaben – von den Everly Brothers, Bill Haley, Chuck Berry und so. Was ja an sich alles nette Sachen sind, aber nicht unbedingt das, was sich die Zuschauer in einem Ferien-Camp wünschen: die wollen eher Musik wie aus der Jukebox, die gerade angesagten Hits. Folglich gingen wir an den meisten Abenden wie begossene Pudel von der Bühne. Der einzige Teil der Show, der immer gut funktionierte, war, wenn Roy loslegte und seine absolute Lieblingsnummer „I Can’t Help Falling In Love With You“ brachte. Er sang sie gewöhnlich in dieser sülzigen Elvis-Stimme und erntete damit jedes Mal ohrenbetäubenden Applaus. Wir dachten, okay, wir sind durch, aber bei der nächsten Nummer, egal welcher, und wir probierten wirklich viele aus, war gleich wieder tote Hose.

Auf diese Weise lernten wir, dass das Konzept, einfach Songs zu spielen, die wir mochten, bei einem Live-Publikum nicht unbedingt ein Erfolgsgarant ist. Live vor einem Publikum zu spielen, egal, wie groß es ist, und egal, wo man spielt, ist etwas völlig anderes als Platten aufzunehmen. Da ist eine völlig andere Chemie am Wirken. Wenn du ein Album machst, kannst du dir die Freiheit nehmen, dein Ding zu machen. Live musst du deine gesamten Antennen ausgefahren halten, damit du mitbekommst, was das Publikum in dem Moment gerade braucht. Da gibt es keinen Raum für irgendeinen Quatsch. Du kannst die Leute mit einem Song abturnen, wenn du nicht aufpasst. Dein Bühnen-Set muss ausgewogen sein. Aber das mussten wir damals erst noch lernen, und so gesehen waren die Auftritte im Butlins-Camp wirklich unbezahlbar. Nicht nur, weil wir Erfahrung sammeln konnten mit unseren eigenen Auftritten, sondern auch weil wir andere Bands spielen sahen. Da gab es außer uns noch die Olympic Five, die immer „The Hucklebuck“ spielten, eine Nummer, auf die die durchgeknallten und besoffenen Typen total abfuhren. Als die Sache für uns am Anfang noch nicht so gut lief, sah ich mir ein paar Mal vom Seitenrand der Bühne aus an, wie die Olympic Five ihr bescheuertes „Hucklebuck“ spielten, und dachte nur: Hmmmm …

Bis zum Ende der Saison hatten wir uns auch ein paar Tricks abgeguckt, und ich bin heute davon überzeugt, dass aus uns nicht halb so viel geworden wäre, wenn wir das nicht durchgestanden hätten – ähnlich wie die Beatles, die ja auch mehrmals am Abend im Hamburger Star Club auf der Bühne standen. Wir kehrten nicht nur als eine Band nach London zurück, die total fit war, sondern hatten auch viele Erfahrungen gemacht. Wir wussten jetzt, wie man ein Publikum mitreißt, und fühlten uns zu allen Schandtaten bereit.

Allerdings ahnten wir nicht, dass dies erst der Anfang war.

Die Status Quo Autobiografie

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