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Ich schlüpfe gerade noch durch die sich schließende Haustür hinein, vollbepackt mit Einkaufstüten und stolpere beinahe in den Flur. Jemand packt mich am Arm und verhindert so einen Sturz. Ich blicke auf, sehe in ein freundliches Augenpaar.

„In meinem Job erlebt man ja so einiges, aber dass jemand so scharf auf seine Post ist, habe ich auch noch nicht gesehen.“

Mein Postbote. Ende 20, wirres Haar, ein gutaussehender Bursche.

Ich stelle die Tüten ab und lächele ihn verlegen an. „Sie schickt der Himmel...“, ich senke die Stimme, flüstere ihm verschwörerisch zu.

„...ich habe nämlich meinen Briefkastenschlüssel verloren.“

Er grinst breit. „Schon wieder?“

Ich lächele ertappt und er greift ohne Umschweife in seinen Umhängebeutel, zieht einen kleinen Stoß Briefe heraus und drückt ihn mir in die Hand.

„Ich war sowieso noch nicht so weit. Weiß denn Ihr Hausmeister Schmidt schon von dem Missgeschick?“

Ich schüttele heftig den Kopf und lege sofort mit einer übertrieben theatralischen Geste den Zeigefinger vor den Mund.

„Psst! Er kennt die Version der Wahrheit, die ich ihm erzählt habe. Könnte aber sein, dass die gar nicht wahr, sondern ein bisschen gelogen war.“

Er nickt wissend. „Na dann, viel Glück bei der Suche. Ich möchte auf jeden Fall nicht in Ihrer Haut stecken, falls der Schlüssel nicht wieder auftaucht.“

„Er würde mich in sein Verlies stecken und neben meine unzähligen Vormieter an die Wand ketten.“

Er grinst, senkt die Stimme.

„Mir hat er letztens gesagt, ich solle mir Plastiktüten über die Schuhe ziehen, bevor ich den Hausflur betrete.“

Ich muss lachen, weiß aber genau, dass er nicht übertreibt. Typisch Schmidt.

„Dann sollten Sie das lieber tun. Ihren Vorgänger hat er mit siedendem Öl übergossen, weil er es gewagt hat, ein Päckchen im Hausflur abzustellen.“

„Ich werd’s mir merken.“

Er zwinkert mir zu und wendet sich wieder den Briefkästen an der Wand zu. Ich stecke mir die Briefe zwischen die Zähne, packe meine Einkaufstüten und schleppe sie die Treppe nach oben.

Ich schließe die Tür hinter mir und stelle die Einkaufstüten im Flur ab. Mit schnellen Fingern gehe ich die Post durch und zucke zusammen, als ich zwei vergilbte Postkarten aus dem Stoß hervorziehe.

Beide haben frappierende Ähnlichkeit mit jenen, die ich gestern bereits erhalten habe.

Das Tal. Der Berg. Das große Haus auf der Kuppe des Berges. Auch diese Postkarten sind schwarzweiß. Die Ränder gezackt. Dasselbe Motiv, nur aufgenommen aus einer anderen Perspektive. Erneut keine Nachricht. Keine Anschrift. Auf der Rückseite nur der aufgedruckte Hinweis „Fotohaus v. Schönebeck“.

Ein merkwürdiges Gefühl überkommt mich. Einer dieser Momente, an denen eine diffuse Erinnerung an den Nervenenden zupft, aber man keine Verbindung herstellen kann.

Ich lege die Postkarten beiseite und packe mir meine Einkäufe, die sich nicht von alleine in den Kühlschrank bringen werden. Auf dem Weg in die Küche muss ich durch das Atelier, an meinem Bild vorbei und ich versuche, es nicht direkt anzusehen. Aber etwas drängt sich aus meinem Augenwinkel in mein Blickfeld und ich lasse meine Einkäufe zu Boden fallen.

Mein Herz macht einen Sprung, verdoppelt seine Schlagfrequenz, ich kann es unter meiner Zunge pochen spüren.

Meine Einkäufe rollen in alle Richtungen über den dunklen Parkettfußboden, aber ich habe nur Augen für mein Bild. Ich gehe etwas näher heran, kneife die Augen zusammen.

An der Stelle, an der ich die Ausbesserung vorgenommen habe, prangt wieder ein kleiner roter Fleck.

„Nicht schon wieder!“

Und wieder greife ich zum Pinsel und übertünche den Fleck mit dem Blau des Wassers.

Sommerberg

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