Читать книгу Cannabis und Cannabinoide - Franjo Grotenhermen - Страница 25
2.6 Cannabis in der westlichen Schulmedizin des 19. Jahrhunderts
ОглавлениеNach wie vor wurde auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts vorwiegend (einheimischer) Hanfsamen, ausnahmsweise das Kraut, pharmazeutisch genutzt. Eine erste ausführliche Beschreibung zur Verwendbarkeit des fremdländischen, indischen Hanfs liefert im Jahr 1830 der Apotheker und Botaniker Theodor Friedrich Ludwig Nees v. Esenbeck:
„Mehrere Ärzte, auch Hahnemann, geben das weinige Extrakt gegen mancherlei Nervenbeschwerden, wo man sonst Opium oder Bilsenkraut anwendet, welche Mittel dasselbe ersetze soll, ohne bei grösserer Bitterkeit so sehr zu erhitzen.“ (Nees v. Esenbeck u. Ebermeier 1830)
Trotzdem stellt der gleiche Autor aber klar:
„Wichtiger ist der Gebrauch des Hanfsamens in Emulsionen oder Aufgüssen und Abkochungen, als eines beruhigenden, einhüllenden und reizmindernden Mittels bei Heiserkeit, Husten, Durchfall und besonders bei Krankheiten der Harnwerkzeuge, namentlich des Trippers.“ (Nees v. Esenbeck, Ebermeier1830)
Im Jahr 1839 veröffentlichte der im indischen Kalkutta stationierte irische Arzt William B. O'Shaughnessy eine umfassende Studie über den indischen Hanf. Seiner Arbeit mit dem Titel „On the Preparations of the Indian Hemp or Gunjah“ ist es hauptsächlich zu verdanken, dass der indische Hanf in der Folge auch in der abendländischen Schulmedizin Fuß fassen konnte. Im Hauptteil seiner Arbeit geht der Autor auf seine vielfältigen Versuche am Menschen ein. Er setzte diverse Hanfpräparate mit zum Teil großem Erfolg bei folgenden Indikationen ein: Rheumatismus, Tollwut, Cholera, Starrkrampf, Krämpfe und Delirium. Zu jeder Indikation liefert O'Shaugnessy mehrere Fallbeispiele und hält gemachte Beobachtungen fest. Mit Haschisch fand er ein gutes Mittel, seinen Patienten Linderung zu verschaffen oder sie sogar ganz von den entsprechenden Symptomen zu befreien. Bei vielen Patienten waren Krämpfe ein zentrales Problem, darüber kam er zu folgendem Schluss:
„Die vorliegenden Fälle geben zusammengefasst meine Erfahrungen mit Cannabis indica wieder, und ich glaube, dass dieses Heilmittel ein Antikonvulsium von grösstem Wert ist.“ (O'Shaugnessy 1838–40)
Die westliche Schulmedizin reagierte prompt auf diese neuen Erkenntnisse aus Indien. Dies ist nicht erstaunlich, denn bis dahin hatte man den Symptomen der Infektionskrankheiten wie Tollwut, Cholera oder Starrkrampf relativ hilflos gegenübergestanden. Aus den Ergebnissen von O'Shaughnessy schöpfte man verständlicherweise Hoffnungen, nicht zuletzt deshalb, weil gerade in dieser Zeit in Europa eine große Cholerawelle wütete, die allein in Paris 1.800 Menschen dahinraffte. Der Startschuss zur Karriere der vielversprechenden Medizinalpflanze Cannabis indica war gefallen.
Anfänglich wurden die von O'Shaugnessy bekannten Anwendungsgebiete übernommen, später wurde das Therapiefeld für Haschisch wesentlich erweitert. Insbesondere die Erfolgsmeldungen im Kampf gegen Tetanus veranlasste englische und französische Mediziner, dieses neue Wundermittel bei dieser Indikation einzusetzen. Auch der bulgarische Arzt Basilus Beron befasste sich in seiner Dissertation „Über den Starrkrampf und den indischen Hanf als wirksames Heilmittel gegen denselben“ mit dieser Problematik (vgl. Abb. 3). Die Schlussfolgerung seiner Arbeit:
„Ich war so glücklich, dass, nachdem wir fast alle bis jetzt bekannten antitetanischen Mittel fruchtlos angewandt, nach der Anwendung des indischen Hanfes der mir zugetheilte Kranke vom Starrkrampf ganz geheilt wurde, (…), weswegen der indische Hanf dringend gegen den Starrkrampf zu empfehlen ist.“ (Beron 1852)
Abb. 3 Titelblatt der Dissertation von Basilius Beron 1852
Von Europa fand das vielversprechende Heilmittel seinen Weg nach Amerika. Wie in Europa waren es auch in den Vereinigten Staaten vorerst Künstlerkreise, die dem Haschisch zu großer Popularität verhalfen. Aber bereits im Jahr 1860 verfasste das Medizinische Komitee des Bundesstaates Ohio einen detaillierten Bericht über die Verwendung von Cannabispräparaten in den USA. Viele der erwähnten Ärzte übernahmen die bekannten Indikationen aus Europa, daneben experimentieren einige mit vorerst neuen Anwendungsgebieten wie Asthma und Bronchitis.