Читать книгу Die Augen der Hydra - Ein Ratekrimi aus dem alten Rom - Franjo Terhart - Страница 6

II
Eine Glatze, schnell wie ein Blitz

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Die Schüler ließen sich auf dem Pons Mulvius über dem zweiten Pfeiler nieder, um zu warten. Die sechs Pfeiler der Milvischen Brücke waren so mächtig, dass man tatsächlich darin hätte wohnen können. Ein Meisterwerk der Baukunst! Cornelia bewunderte die aus großen Quadern errichteten Säulen, die so breit waren wie ein Haus. Vermutlich hätte Marcus Antonius darüber viel Spannendes zu erzählen gewusst. Wenn er denn da gewesen wäre. Cornelia seufzte.

Die Sonne brannte. Am liebsten hätten sich die Kinder in den einladenden Schatten der Bäume begeben, die ein wenig stromabwärts am Tiber wuchsen. Aber dann hätten sie die Brücke und den hoffentlich bald kommenden Marcus Antonius nicht mehr im Blick gehabt. Also kauerten sich die Jungen und Mädchen auf den Boden und lehnten sich mit dem Rücken gegen die steinerne Brüstung.

»Wasser!«, rief Gaius wie ein verdurstender Wanderer in der Wüste. »Ich brauche Wasser, sonst gebe ich bald meinen Geist auf.«

Seine Freunde grinsten müde.

»Wenn der Magister nicht bald erscheint, stürze ich mich in den Tiber zu den Fischen«, prophezeite Titus.

»Na, dann pass bloß auf, dass du dabei nicht mit dem Kopf im Sand stecken bleibst«, erwiderte Bella. »Der Tiber ist in diesem Sommer kaum so tief wie ein Eimer frischer Kuhmilch.«

Sie lachte rau und Cornelia musste an das Geklapper von Gerippen denken.

Warum kam der Lehrer nicht? Was hatte das alles zu bedeuten?

Eine Kohorte Soldaten stampfte vorüber. Ihre Stiefel wirbelten Staub und Dreck auf. Einige Schüler husteten und hielten sich die Hand vor Mund und Nase. Eine Kutsche mit Kaufleuten, vier Reiter und unzählige Menschen zu Fuß passierten die Stelle, an der die Kinder stumm in der Gluthitze vor sich hin brüteten.

Cornelia war aufgestanden. Gelangweilt betrachtete sie die steinerne Brüstung, die aus breiten Marmorplatten bestand.

Wie viele Menschen, die hier in all den Jahren vorbei gekommen waren, mochten sich wohl über diese Brüstung gelehnt haben, um hinunter in den Fluss zu schauen? Einige Reisende hatten deutlich ihre Spuren im weißen Marmor hinterlassen: Namen, Danksagungen an Jupiter, aber auch Sterne, Kreise oder Dreiecke waren im Laufe der Jahre dort eingeritzt worden.

»Ich liebe Julia, die Tänzerin«, hatte ein Liebestoller geschrieben. Daneben gab es auch unanständige Symbole, die Cornelia geflissentlich übersah. Dann blieb ihr Blick an einem merkwürdigen in den Stein geritzten Zeichen hängen. Es zeigte ein Oval mit drei nebeneinanderliegenden Augen.

»Da hinten kommt er und hinkt«, rief Bella auf einmal und unterbrach damit Cornelias Überlegungen.

Alle Köpfe fuhren herum und starrten aufgeregt in die angegebene Richtung. Aber da humpelte nur ein weißhaariger Alter die Straße entlang. Die Kinder machten ihrer Enttäuschung Luft: »Bei Jupiter, Bella, das ist nicht unser Magister, verflixt noch mal. Wie kannst du uns so reinlegen?«

»Habe ich doch überhaupt nicht«, gab die Beschuldigte feixend zurück. »Ich habe gar nicht vom Lehrer gesprochen, sondern nur gesagt, da kommt er und hinkt. Was kann ich dafür, wenn ihr mich falsch verstehen wollt?«

Sie freute sich anscheinend über ihren gelungenen Streich.

Ihre Mitschüler stöhnten entnervt. Es musste etwas geschehen. Sie hatten hier jetzt genug Zeit verplempert. Erneut war es Cornelia, die die Initiative ergriff.

»Die Sonne dörrt uns allen das Hirn aus, wenn wir noch länger hier hocken bleiben«, begann sie. »Vermutlich ist Marcus Antonius krank geworden. Also, ich denke, wir sollten umkehren. Der Unterricht findet wohl heute nicht mehr statt.«

Titus musterte seine Schwester anerkennend: »So viel Einsicht hätte ich dir gar nicht zugetraut. Kommt, lasst uns die Gunst des Augenblicks genießen und hier abhauen!«

»Und wie erfahren wir, was mit Marcus Antonius los ist?«, fragte Bella. Für Cornelia klang es, als ob das Mädchen hoffte, dass dem Lehrer was Schlimmes passiert sei.

»Titus und ich werden zu seinem Haus gehen, um dort nach ihm zu fragen«, erklärte Cornelia forsch, als sei es ganz selbstverständlich, dass sie diese Aufgabe übernahm. »Morgen früh treffen wir uns alle wieder an der vereinbarten Stelle auf dem Forum. Dann erstatte ich euch Bericht.«

Titus seufzte. »Muss das sein?«

Doch Cornelia war schon unterwegs, bevor Bella noch auf die Idee kommen konnte, sie zu begleiten.

Am belebten Forum trennte sich die Gruppe. Alle Kinder, selbst Bella, gingen nach Hause – bis auf Titus und seine Schwester.

»Ich kann sie nicht ausstehen, diese Bella stupida«, knurrte Cornelia, als sie der Rothaarigen nachblickte. Noch immer brodelte es in ihr.

»Das merkt ein jeder«, antwortete Titus. »Obwohl sie nicht stupida, also blöd ist, sondern hübsch.«

»Hübsch?« Cornelia klang entsetzt. »Das ist nicht dein Ernst?«

»Doch, Bella ist hübsch, das sagen auch Gaius und Publius.«

»Sie ist blöd und böse und eingebildet und dumm wie Stroh«, fauchte Cornelia.

Ihr Bruder schüttelte den Kopf. »Bloß, weil du sie nicht leiden kannst. Mich hat Bella noch nie beleidigt. Im Gegenteil!«

Cornelia blieb abrupt stehen und stampfte wütend mit dem Fuß auf.

»Klar, weil sie Jungen reizt wie eine ... eine ...«

Ihr Bruder tippte sich vielsagend an die Stirn.

»Jetzt halte aber die Luft an, Schwesterlein. Seit sie bei uns in der Klasse ist, bist du ungerecht und blind gegenüber Bella. Sie hat vielleicht nicht ganz so viel Grips wie du, aber deshalb ist sie noch lange keine ...«

Er biss sich auf die Zunge, weil er angefangen hatte zu schreien. Einige Leute blieben stehen und starrten den Jungen an, als ob er eine seltsame Krankheit hätte.

»Nur zu, du verliebter Hitzkopf«, sagte Cornelia betont ruhig. »Amor hat seine Pfeile verschossen und dabei dein Hirn getroffen.« Aber sie wollte den Bogen nicht überspannen und sagte: »Nein, im Ernst, Bruder, ich mag diese Bella schon deshalb nicht, weil sie glaubt, sie könne sich bei uns einschleichen. Genau das hat sie nämlich vor! Sie will eine von uns sein, eine Spürnase, die in Rom Verbrechen aufklärt und Unrecht ahndet.«

»Ja und?«

»Ja und, sagst du?« Cornelia konnte es kaum fassen. »Das darf doch wohl nicht wahr sein! Wir sind vier und nicht fünf! Wir werden immer vier bleiben. Sonst könnten ja gleich alle mitmachen, die Lust darauf haben.«

Das Letzte hatte sie wie Titus zuvor so laut geschrien, dass erneut Passanten missbilligend den Kopf schüttelten. Titus hielt es für ratsamer, dieses Thema nicht weiter zu vertiefen. Cornelia würde sich schon wieder beruhigen.

»Dort vorne, das kleine Haus mit dem quadratischen Fenster über der Tür, dort muss es sein.« Titus zeigte auf ein Haus mit einer roten Tür. ›Schade nur, dass Marcus Antonius bereits verheiratet ist, nicht wahr, Schwesterlein?‹, dachte er und grinste.

Hätte Cornelia seine Gedanken hören können, wäre sie rot wie eine Erdbeere geworden. Was war denn schon dabei, wenn sie ihren Lehrer mochte?, hätte sie sich zu verteidigen versucht. Nur weil ich von ihm so viel lernen kann? Aber das verstand Titus nicht. Typisch Junge eben!

Das Haus von Marcus Antonius lag in einer Seitengasse der Via Lata. Es war deutlich kleiner als die Villa, die die Geschwister bewohnten. Auffallend war ein einzelnes quadratisches kleines Fenster über der Eingangstür. Niemand sonst in Rom besaß so etwas, dachte Cornelia, als sie sich dem Haus des Lehrers näherten.

Titus klopfte gegen die schwere Holztür und horchte, ob sich drinnen etwas rührte. Wenig später öffnete ein Sklave und starrte die Kinder unwillig an.

»Salve! Ich habe entsetzlich viel im Garten zu tun und nun holt ihr mich nach vorne. Glaubt ihr etwa, dass ich nicht schon genug am Tag laufen muss?«

Cornelia wich erstaunt zurück. Einen Sklaven wie diesen hatte sie noch nie erlebt.

»Übrigens, ich heiße Demetrios, bin Grieche«, plapperte der Mann los. »Haben vielleicht eure Eltern Verwendung für mich? In diesem Hause muss ich einfach zu hart arbeiten. Das sollte bei meinem nächsten Herrn anders werden. Also, fragt euren Vater, ob ich bei ihm eine angenehmere Arbeit finde als in diesem Haus der Geheimnisse und des Schweißes.«

Titus konnte sich eine Lächeln kaum verkneifen. Cornelia aber glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. Was redete der Kerl nur für einen Mist? Haus der Geheimnisse? Haus des Schweißes?

»Ist Marcus Antonius vielleicht krank?«, unterbrach sie den Redeschwall des Sklaven.

Der Sklave starrte sie an wie einen Geist. »Krank? Wie kommst du darauf? Heute Morgen hat er das Haus munter wie ein junger Hund verlassen. Von Krankheit keine Spur. Ist dir vielleicht nicht gut, Mädchen? Bekommt dir die Sonne nicht?«

Cornelia war fassungslos. Was war denn das für einer?

Titus stellte fest, dass es Zeit war, den seltsamen Dialog zu beenden. Höflich fragte er nach der Frau des Hauses. Wie es die Götter bestimmen, trat diese im selben Moment in Erscheinung. Kaliste, die Ehefrau des Lehrers, trug ihr dunkles Haar hochgesteckt, wie es bei den Griechinnen üblich war. Sie und ihr Mann waren vor einigen Jahren von Athen nach Rom gekommen. Fast alle guten Lehrer der Stadt waren Griechen, weil diese als gebildeter galten als ihre römischen Kollegen. Marcus Antonius war Halbgrieche. Sein Vater, der Römer Gaius Antonius, hatte seine Mutter in Athen kennengelernt. Marcus Antonius war somit in zwei Kulturen aufgewachsen: der römischen und der griechischen, was seinem Unterricht, wie Cornelia meinte, gut bekam.

»Ich habe mitbekommen, was du gefragt hast, Mädchen«, sagte Kaliste. »Bist du nicht Cornelia, die Tochter des Marcus Titus Statilius, des stadtbekannten Imkers?«

Das Mädchen nickte.

»Mein Mann hat mir von dir erzählt, und auch, wie interessiert du an seinen Lippen hängst.«

Cornelia wurde rot, während ihr Bruder kichern musste.

Auf einmal blickte Kaliste so ernst, dass die Geschwister sie besorgt ansahen. »Heute Morgen sah ich Seltsames am Himmel. Drei Vögel flogen über unser Haus und einer von ihnen wurde von einem Milan ergriffen. Blut tropfte auf die Fliesen dort vorn. Ein böses Omen.«

Cornelia fiel ein, was sie über Kaliste hatte reden hören: dass sie unermüdlich in allem Zeichen des Schicksals sah. Fiel eine Vase im Haus zu Boden und zerbrach, so betrachtete Kaliste das als Hinweis, dass ein Mensch, den sie kannte, schon bald zu Schaden kommen würde. Sie schluckte hörbar. Dann riss sie sich zusammen: »Marcus Antonius ist heute nicht gekommen, um uns zu unterrichten. Wir wollten uns mit ihm am Forum treffen, um danach gemeinsam zum Pons Mulvius zu laufen, Ich nahm an, er sei erkrankt.«

Die Frau des Lehrers schüttelte den Kopf. »Nein, mein Mann ist gesund und munter. Am Morgen hat er das Haus rechtzeitig verlassen. Dass ihr ihn nicht getroffen habt, verstehe ich nicht. Hoffentlich ist ihm nichts passiert!«

Alle drei dachten an das Zeichen des Schicksals, das Kaliste am Morgen gesehen hatte. Cornelia spürte, wie ihre Mundhöhle trocken wurde. Zugestoßen? Dem Lehrer? Diese Möglichkeit hatte sie bislang noch gar nicht in Erwägung gezogen.

Sie waren ebenso ratlos wie Kaliste. Eines aber war klar: Hier konnten sie nichts ausrichten. Sie wollten sich soeben verabschieden und zum Gehen wenden, als etwas Seltsames geschah: Titus bemerkte aus den Augenwinkeln heraus, dass sich jemand blitzschnell der Haustür des Lehrers näherte. Doch noch ehe er den glatzköpfigen Mann ganz wahrgenommen hatte, war dieser auch wieder in den Gassen verschwunden. Aber vorher hatte der Fremde etwas vor der Tür fallen lassen. Was? Vor allem aber warum? Auch Cornelia erstarrte. Was ging da vor?

Kaliste blickte zu Boden und sah vor sich einen gefalteten Papyrus liegen. Unter Kalistes ängstlichem Blick hob Cornelia ihn auf und reichte ihn der Frau des Lehrers. Diese faltete ihn auseinander und begann zu lesen. Kalistes Gesicht wurde leichenblass. Neugierig schob sich Cornelia neben die Frau, um herauszufinden, was auf dem Papyrus stand. Überrascht starrte sie auf das Schriftstück.

Die Augen der Hydra - Ein Ratekrimi aus dem alten Rom

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