Читать книгу Zoomed - Frank Habbe - Страница 4

Оглавление

1. Kapitel

Diese elende Hitze bringt mich noch um!

Schweißgebadet liege ich in meinem Bett, wälze mich auf dem klammen Laken und verfluche - mich selbst.

Dafür, dass ich noch immer in diesem stickigen Loch inmitten der Asphaltwüste Lower Manhattans hause.

Dafür, dass ich mich noch immer nicht habe aufraffen können, in eine Klimaanlage oder wenigstens einen funktionierenden Ventilator zu investieren.

Selbst schuld, darf ich mich doch dafür jetzt wie ein in der Schwüle verendender Wurm auf meinem Laken kringeln.

Wie bitte, ich könnte ja die Fenster öffnen?!

Damit noch MEEEEHR Hitze, Staub und Gestank hereindringen?

Ganz zu schweigen von dem :::LÄRM:::

- Lieferantenverkehr

- Touristenhorden

- Polizeisirenen

- Müllabfuhr

- Bauwagen

Und all das 24/7/365 - hey, wir sind schließlich in NYf***ingC!

Und deshalb bleiben die Fenster :::ZU:::!

Dabei haben wir erst Anfang Juni. Schöne Aussichten für einen prächtig schweißigen Sommer. Ich, allein mit mir in meinem baufälligen Appartement in einem Beinahe-Abbruchhaus, Mercer Street, New York City 10012, Vereinigte Staaten von was-weiß-ich.

Außerdem, wozu braucht man Klimaanlagen, wenn es auch ein feuchter Schwamm tut?

Mit geschlossenen Augen taste ich tapp, tapp tapp nach dem irgendwo neben mir das Laken einfeuchtenden Waschlappen. Ich lege ihn mir aufs Gesicht, presse ihn mit den Fingern auf die überhitzte Haut, bis ich keine Luft mehr kriege. Die Frage, ob die Gauner unten in Guantanamo fürs Waterboarden wenigstens kaltes Wasser verwenden, schießt mir in den Kopf, als ich den Lappen entnervt gegen die Wand pfeffere und mich am Hintern kratze.

Und dann, unter all dem Krawall, der ungeachtet der verrammelten Scheiben natürlich trotzdem aus der bösen, lauten Welt an mein Ohr dringt, höre ich das beständige

:::PLOPP:::

des Wasserhahns.

Erst :::PLOPP::: gleichmäßig :::PLOPP:::, dann wieder in kurzen Schüben spuckt die poröse Leitung ihr Quantum Wasser :::PLOPP:::PLOPP:::PLOPP::: in das Emaillebecken meiner Küche und beschallt damit die gesamte Wohnung. Ein unterdrücktes Stöhnen begleitet mich, als ich mich zur Seite drehe, den Arm übers Ohr lege und an die fleckige, vielleicht fünfzehn Zentimeter von meinem Auge entfernte Wand starre, auf der der feuchte Lappen eine dunkle, nach unten schleimende Spur hinterlassen hat. :::PLOPP:::PLOPP:::

Ohne auf den Wecker schauen zu müssen weiß ich, dass er mich im Stich gelassen, nicht um neun Uhr fünfundfünfzig wachgeklingelt hat. Nicht, dass ich zu dieser Zeit zwingend aufstehen müsste, mein pünktliches Erscheinen an irgendeinem Ort unbedingt erforderlich gewesen wäre. Ich bin nur der Meinung, dass ein wenig Struktur jedem Leben guttut. Wenigstens hat redet mein Bruder immer so daher.

Jeff, mein so schlauer, effektiver Bruder.

Der mich just in diesem Moment aus meiner Lethargie zu reißen beschlossen hat,

indem

er

einfach

so

anruft.

Vielleicht gerade rechtzeitig. Denn nachdem ich, die Wand fest im Blick und verzweifelt versucht, aus ihren fleckigen Strukturen die Anatomie einer Vulva zu kreieren, mehrere Minuten lang erfolglos gewichst habe, kommt mir ein Anlass zur Beendigung der erbärmlichen Fummlerei nur zu gelegen.

Youporn läuft dir nicht weg, muntere ich mich auf, während ich vom Bett herunterkugele und auf dem pekigen Teppich aufschlage. Einen plötzlichen Schwindel aus dem Kopf schüttelnd, richte ich mich auf und mache mich auf die Suche nach dem verdammten Telefon. Erfolglos hoffend, das der Anrufer entnervt aufgibt, bevor ich das Ding zu Tage fördere.

R-O-H-O-B-E-R-T-O!“, flötet es mir ins Ohr, was mich einen unterdrückten Fluch ausstoßen lässt. Jeff, der sich anhört, wie eine Tunte.

Ist er aber nicht. Wohnt mit Frau, Kindern und Doppelgarage in einem von

Fair-Trade-KaffeeSchokoladeAnanasKlopapier, biodynamischen Erzeuger-Märkten, trendigen und dabei abgrundtief spießigen Einwohnern gebeutelten Hipster-Nest, irgendwo in Upstate New York.

„Was willst du?“

„Dich an den Termin am kommenden Donnerstag erinnern.“

Der TERMIN - als ob ich DEN vergessen könnte!

Vielleicht sollte ich dafür kurz ausholen: Als unsere Mum vor fünf Jahren starb, hinterließ sie uns neben vier Katzen und einer gigantischen, unsortierten Sammlung von Filmplakaten aus den Fünfzigern zwei Dinge, die überraschend nützlich waren: Ein Sparbuch mit immerhin zweihundertfünfzigtausend Dollar und eben diese damals schon arg ramponierte Wohnung.

Jeff in seiner stringenten Lebensplanung war damals

- frisch von der Uni

- frisch in Debbie verliebt

- frisch gewordener Zwillings-Vater

- frischer Besitzer eines ramponierten Altbaus

- und eben aus all diesen Gründen: frisch verschuldet.

Also machten wir einen Deal: Er bekam 200K, ich die restlichen 50 und unbeschränktes Wohnrecht in dem auf hundertvierzig Quadratmetern, im zweiten Stock gelegenen und sich wie ein krummer Knochen durch die gesamte Ebene des Wohn- und Geschäftskomplexes schlängelnden Appartement 2C. Von dem ich seit Jahren nur den vorderen, lauten und staubigen, zur Mercer gelegenen Teil bewohne. Hinten, im Ostflügel lagern all die Plakate und unter ihnen wohl auch Muschis mumifizierte Überreste. Muschi, die letzte, den chaotischen Übergang damals überlebende Katze. Natürlich hatte ich die Viecher als Erstes rausgeworfen, dabei aber eben nicht alle vier erwischt. Irgendwann hatte ich genug von der Jagd, die Tür zu den hinteren Räumen zugesperrt und nicht mehr weiter über ihr Schicksal nachgedacht. Seit Jahren bin ich nicht mehr dort gewesen.

Wozu auch? Die sechzig Quadratmeter vorne reichen mir vollkommen, obwohl die Aufteilung nicht unbedingt optimal zu nennen ist. Da wäre zuerst das erwähnte Schlafzimmer, ein muffiges Kabuff von neun Quadratmetern, das mit dem französischen Doppelbett, einem klotzigen Holzschrank für meine Klamotten und dem auf einem wackligen Plexiglastisch thronenden Zenith-Uraltfernseher recht karg daherkommt. Daneben, wie das Schlafzimmer abgehend von dem breiten, dunklen und die ganze Wohnung durchlaufenden Flur, liegt Zimmer Nummer zwei. Fenster ebenfalls zur Mercer, Lärm und Staub von daher identisch. Statt Bett und Schrank aber Couch, Sessel und ein alter Apothekertisch, bis auf Letzteren alles über und über beladen mit

- alten Zeitungen

- gebrauchten Klamotten

- leeren Pizzakartons und ähnlichem

kurz - es handelt sich um mein Arbeitszimmer.

Das brauche ich, um ab und an das Geld für Zeitungen, Kleidung und Pizza zu verdienen.

Wie, der arbeitet von zu Hause?

Leute, das hat Gründe, auf die ich noch zurückkommen werde.

Und bitte wo arbeitet ein Mann mittleren Alters, mit Bart, Bauchansatz, Brille und geringer Sozialkompetenz?

Genau, in der IT...

Gestatten, Robert Welsh, freiberuflicher Softwareentwickler.

Meine Arbeiten liefere ich per Mail oder FTP ab, das Geld wird mir überwiesen. Keinerlei persönlicher Kontakt zu Auftraggebern, Buchhaltern oder Bittstellern nötig. Besser für alle Parteien, denke ich.

Ob ich an der Uni war?

Selbstverständlich nicht! Ich bin Autodidakt, habe mir mein Wissen mit den Jahren zusammengegoogelt. Was prächtig funktioniert.

Die seltenen Besucher von 2C würden bei all der Unordnung befremdet auf den fast schon klinisch reinen Apothekertisch starren, auf, neben und unter dem ein breitgefächertes Arsenal an Motherboards, Monitoren und Laptops blinkend und sauber nebeneinander aufgereiht steht.

Versteht mich nicht falsch. Ich bin kein programmiergeiler Nerd, der sich auf seine Künste einen abwichst. Ich mag’s nicht mal und setze mich so selten wie möglich vor die Rechner, aber für Drinks und Pizza muss ich halt manchmal doch ran.

Wenn 2C allerdings bald an the donald fällt...

Und genau da kommt der TERMIN ins Spiel. Dazu müsst ihr wissen, dass ich mein Geld quasi im Schlaf verdiene. Leider nicht das Geld, das ich alltäglich zum Leben brauche, sondern das Geld im Sinn.

Geld im Sinn?

Gut, ich versuche, es euch zu erklären: es hängt alles mit Investment-Boni, verwöhnten Central Park West-Kids, Börsen-Rallyes, reichen Russen, Chinesen, Arabern, Irokesen oder Mongolen zusammen.

Was?

Na, der unstillbare Drang in Manhattans Süden. Der Wunsch, dort zu wohnen, abzuhängen, dabei zu sein, zu investieren.

Seit Jahren geht das so. Und deswegen steigt der Wert des Hauses und so auch vom gammligen 2C kontinuierlich an - auf zuletzt 18K pro Quadratmeter. So lautet jedenfalls das Angebot des raffsüchtigen the donald im Kleinstformat, der das ganze Gebäude niederreißen und an der Stelle Townhouses zu je sieben Mio bauen will.

Inzwischen hat er fast das ganze Haus zusammen.

Mit :::AUSNAHME::: von 2C...

Daher dieser irrsinnige Preis, der jeden von uns um eine gute Million schwerer machen würde. Im Schlaf verdient, aber noch nicht auf dem Konto.

Ergo im Sinn. Verstanden?

Aber wie es aktuell aussieht, naht die Transformation des Sinns zu einem :::FETTEN::: Plus auf unseren Konten in atemberaubenden Tempo.

Kein Wunder, dass Jeff da sichergehen will. Erinnert er sich doch sicher mit Schrecken an einen Termin im letzten Jahr, bei dem ich seinen Makler mit gezücktem Brotmesser aus der Wohnung vertrieben hatte. Gut, in der Nacht zuvor war es bei mir etwas länger gegangen, meine Laune von daher nicht die Beste gewesen. Außerdem war ich noch nicht so weit gewesen, 2C so einfach dem schnöden Mammon zu opfern. Immerhin hatte ich Jeff danach Besserung gelobt. Somit sind keine Probleme beim jetzigen TERMIN zu erwarten. Außerdem, bis auf :::EIN::: Detail wird mir dieses Loch nicht fehlen. Aber dazu später mehr.

„Ich weiß Jeff, Donnerstag. Was haben wir heute?“

Ein Grunzen, das wohl ein Lachen sein soll, schnaubt mir aus dem Hudson Valley entgegen. „Montag, Bruderherz.“

Vielen Dank für die Belehrung, Arsch!

Ich lege auf, gehe in die Küche und brühe mir einen Filterkaffee. Die Küche ist neben einem verwinkelten, innenliegenden Bad der einzige weitere Raum, den ich in 2C betrete.

Zoomed

Подняться наверх