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ZWEI

Ruth schläft im offenen Sarg, ich liege auf ihrem Lieblingssofa, das mit den Löwenpranken aus Messing, dem grünen Samtbezug – und starre zur Decke hoch. Stuck. Ein Altbau, hinten ihr Atelier. Auf der anderen Couch schnarcht Johann friedlich vor sich hin. Das Straßenlaternenlicht fällt aufs Parkett, sobald ein Windzug den Vorhang bewegt; das Fenster auf Kipp, die Bäume rauschen, die U-Bahn. Bin schlaflos. Muss an das Mädchen denken. Habe ich aufgepasst? Dann der erste Sonnenstrahl:

Ich ziehe die Decke über den Kopf.

+

Vom Entzug kleben mir Schweißflecken unter den Armen: mein Hemd, maßgeschneidert, von Gucci oder von der Stange, vergessen, riecht nach Zigaretten, Alkohol. Nach Sex. Die Krawatte abgebunden, über einen Stuhl gehängt, aber wo? Stehe ratlos im Raum …

Duft von Kaffee.

Ich ziehe den Perlenvorhang beiseite.

Moin, begrüßt mich Johann in der rustikalen Küche, wie immer als Erster hellwach, wie aus dem Ei gepellt. Ich grunze ein Hallo; er schiebt mir die Tasse rüber, meine Tasse: die mit dem Firmenlogo, und zeigt mit dem Daumen auf die dampfende Kanne. Bedien dich, sagt er, während er im Boulevardblatt raschelt, seine Lesebrille zurechtrückt: der Sportteil, immer nur der Sportteil, dass er mitreden kann auf den Docks, wo er und seine Männer schuften; seit jeher Hafenarbeiter, schwitzende Landratten, die von exotischen Ländern träumen und doch nur die Fracht reinschleppen, rausschleppen – er, seit über hundert Jahren. Heute mit Kränen, mit Computern, und morgen übernehmen Roboter und KIs die Herrschaft.

Brot und Spiele, murre ich.

Alles okay?

Weiß nicht … Das Mädchen hängt mir nach.

Eine blutjunge Schönheit?, grinst er verschmitzt, ohne von den Bildchen aufzuschauen.

Das ist es nicht.

Was dann?

Ich setze mich zu ihm an den Tisch, schütte mir Kaffee ein; nehme und beiße in ein Croissant, das nach Pappe schmeckt, mit einem Hauch von Schweineschmalz und Vanillin. Ich kaue freudlos auf der Masse in meinem Mund. Vergiss es.

+

Ich zupfe den Rest der Zeitung aus seinen Fingern und überfliege die Schlagzeilen, die Artikel über Mord und Totschlag und ein paar Skandale, hier und dort. Korruption. Kein Attentat heute.

Und?, fragt er.

Das Übliche, brumme ich. Ein Promi hat seinen Arsch in die Kamera gestreckt, und ein Diktator dreht gerade durch in –

Ja, ja. Sag mir Bescheid, wenn’s wieder Krieg gibt.

Ich falte die Blätter zusammen. Ist dir alles so egal, was?

Dir etwa nicht?

+

Mau! Ihr mürrischer Kater mit dem räudigen Fell – selbst uralt, weil er Blut wie Milch aus dem Napf schleckt, springt auf den Frühstückstisch und stolziert an mir vorbei, dieses Mistvieh, um von einem Messer die Marmelade oder Butter abzuschlecken oder ein paar Krümel vom Teller; und ich zische ihn an, mit gebleckten Reißzähnen; er zischt zurück, bevor er sich umdreht und aus der Küche stolziert wie ein Rockstar:

Mozart.

+

Hello Boys, gähnt sie verschlafen: dieses zuckersüße Lächeln, für das ich sie heiraten oder erdrosseln könnte. Ungeduscht, ihr Duft, ihr Duft. Sie trägt den ollen Pyjama mit den Fledermäusen, unter dem Stoff sind ihre Nippel steif, und ihr Bauchnabel schaut raus, als sie vom Regal ein Glas runternimmt. Ich hasse sie!

Was denn?, fragt Ruth.

Nichts, stöhne ich. Und doch sieht sie müde aus, die vielen Jahre schimmern durch: diese Bauernmagd von 1648.

Moin, sagt Johann.

Musst du nicht ins Büro?, fragt sie mich.

Welcher Tag ist heute?

Samstag?

Eben.

Als ob ihr eine Gelegenheit auslassen würdet, mehr Geld zu machen, ihr kleinen, fleißigen Bienchen … Sie zwinkert mir zu, und ich verdrehe die Augen. Also, was habe ich verpasst?

Bin irgendwie vom Tisch aufgestanden, starre sie an – bis ich begreife, dass gar nicht ich gemeint war.

Ruth, am Kühlschrank, gießt sich den O-Saft ins Glas wie im Werbevideo, ehe sie mich ansieht. Hast du was angestellt, Marty?

Martin, korrigiere ich; sehe, wie Tropfen am Glas kondensieren, am Rand runterlaufen, fühle die Kälte.

Ja?, hakt sie nach.

Habe vielleicht –

Oh nein, seufzt Johann, nicht schon wieder.

+

Vorhänge filtern das Licht, nur ein Strich auf dem Boden, den sie meidet wie eine Pfütze – Ruth läuft im Atelier auf und ab, noch das Glas in der Hand. Dort stehen ihre schönen, alten Bilder aus verschiedenen Epochen, die sie alle miterlebt hat: die Blüten in schwindsüchtigen Farben auf einer Leinwand; eine Plastik aus Ton, eine aus Bronze, dann abstrakter: eckige Formen und Kanten, ein Puzzle aus Flächen, die ein Gesicht bilden, dann surreal – dann wie Comics oder so; schließlich Neonreklame, mit intelligent dummen Sinnsprüchen, die sich aber gut verkaufen, in roter Leuchtschrift. Man geht mit der Zeit, alle versuchen es. Und jetzt?, fragt sie.

Ich zucke die Schultern.

Nachschauen, schlägt Johann vor. Welches Hotel?

Lieber nicht.

+

Ihr Smartphone klingelt; sie sieht die Nummer, flucht, ehe sie auf den Balkon hinaustritt. Wir beobachten sie durch die Vorhänge: Sie steht da, die nackten Beine überkreuz, das Glas in der Linken, das Gerät rechts, unter dem Sonnenschirm; sehen, wie das Licht durch den Stoff glitzert. Ruth, lässig telefonierend, dann schmerzverzerrt; muss sich aufs Geländer stützen, wo der Rost am grünen Jugendstil nagt.

Verblühte Astern in einem Topf, die Gießkanne. Links eine Hollywoodschaukel mit quietschenden Federn, rechts Bierkästen, leere Weinflaschen – und diese Grabfigur, die sie mit sich rumschleppt wie eine Reliquie, von Stadt zu Stadt zu Stadt. Immer muss es eine Wohnung mit Balkon sein, in Barcelona, Madrid; wo wir auch sind:

Der Vogel im offenen Käfig.

Sie kommt zurück. Santana will dich sprechen. Und legt mir das Ding in die Hand, blickt mich an, mit Sorgenfältchen.

Ja?, hebe ich es ans Ohr.

Ich habe dein neues Kind gefunden, sagt er. Ein hübsches Mädchen.

Was?

Was, was? Hol sie dir ab.

Nein, setz sie ins nächste Taxi; und sag dem Fahrer, er soll sie zur Tür begleiten, weil sie … einen Schwächeanfall hat. Wir bitten ihn dann rein.

Euer Wunsch sei mir –

Danke auch.

Dafür nicht, Kumpel. Echt nicht! Hat aufgelegt.

+

Auf dem Sofa, im Zwielicht, wirkt die Kleine hager – ihre Korsage, ihr verschmierter Lippenstift und ihre Tattoos, wie mit Filzstift auf die Haut gekritzelt. Die Haltung steif wie Puppen sitzen, im Schoß die schwarze, teure Lacktasche. Und traurig verweinte Augen. Keinen Stil, die Kleine.

Hey, flüstert sie. Die Unterlippe zuckt. Na? Wo warst du noch?

Ich schaue weg, wieder hin – mein Blick fliegt über die herzförmigen Risse im Nylon ihrer Strumpfhose. Hab das Interesse längst verloren. Was willst du‽

Nichts.

Hast du gefressen?

Was?

Du weißt, was ich meine …

Ich hab’s versucht. Sie streckt die Hände vor: Unter den Nägeln klebt Blut. War schwierig, so ganz allein.

Wasch dich. Und zieh dir diesen Müll aus! Meine Stimme hallt im Atelier nach. Dann legst du dich in ihren Sarg, ich zeige drauf, und verhältst dich still. Versuch zu schlafen.

Gut, sagt sie.

Muss los. Wir reden später.

Vampirnovelle

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