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Inhaltsverzeichnis

Von nun an ging mir ein großer Teil der Ereignisse verloren. Einerseits lag ich im Schlafzimmer und hatte nur eine unvollständige Übersicht über den anderen Raum; andererseits wurde das Gespräch, das nun folgte, französisch geführt. Ich hatte Laplace leidlich verstanden, wenn er zu mir sprach, da seine Drohungen und Wünsche in der Regel unmöglich mißzuverstehen waren. Aber aus seinem und des Professors Gespräch konnte ich nur abgerissene Worte aufschnappen, und die bezogen sich auf Dinge, die mir völlig fremd waren. Mit Hilfe dessen, was ich später erfuhr, ist es mir jedoch gelungen, die Szene und den Dialog, ungefähr so wie sie waren, zu rekonstruieren.

Den Worten war eine kurze Pause gefolgt. Der Franzose stand mit gekreuzten Armen da und sah auf seinen Gegner herab. Was gedachte er zu tun? Nach seinen Worten zu urteilen, mußte er mit dem Professor etwas ins reine zu bringen haben. Was mich befremdete, war dessen Betragen. Warum hatte er nicht um Hilfe gerufen? Freilich war es nicht wahrscheinlich, daß jemand gekommen wäre, aber man pflegt doch um Hilfe zu rufen, wenn man im Begriff ist, einem übermächtigen Feinde zu erliegen. Aber von dem Augenblick an, als der Professor nach mir gerufen hatte, war kein Wort über seine Lippen gekommen. Jetzt vernahm ich endlich seine Stimme. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen. Es wurde von Laplace verdeckt.

»Herr Laplace!«

»Ja?« Die Stimme des Franzosen war hart und höhnisch. »Haben Sie etwas zu bemerken?«

»Ich habe allerlei zu sagen. Gedenken Sie mich anzuhören?«

»Nein.«

»Nein? Sie beabsichtigen mich ohne weiteres zu ermorden?«

Ich sah ein schwaches Zucken der breiten Schultern.

»Man ermordet Personen wie Sie nicht. Man richtet sie hin.«

»Ich habe schon öfter als heute mein Leben aufs Spiel gesetzt. Mich erschrecken Sie nicht. Ich hoffe auch nicht, Sie umzustimmen, wenn Sie einen Entschluß gefaßt haben. Sie sind nicht der Mann danach.«

»Warum schwatzen Sie also?«

»Erstens bereitet es mir ein gewisses Vergnügen, meine eigene Stimme zu hören.«

»Ich teile dieses Vergnügen nicht.«

»Möglich. Zweitens infolge meines Respekts vor Ihnen.«

»Respekt? Sie meinen wohl Furcht?«

»Nein. Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich nicht hoffe, Sie umzustimmen, wenn Sie zu einem Entschluß gekommen sind. Es ist also nicht Furcht, was mich veranlaßt zu sprechen, da die Furcht gewisse Hoffnungen voraussetzt.«

»Sie treiben Wortspalterei wie ein Jesuit. Was für ein Wort wollten Sie statt Furcht gebrauchen?«

»Respekt. Ich habe Respekt vor Ihnen. Ich stehe nicht an, es zu sagen, wie ich da liege.«

»Unleugbar haben Sie Grund zum Respekt, wie Sie da liegen.«

»Ich meine nicht diese Art von Respekt. Sie schlagen sich gut, aber das kann mir durchaus keinen Respekt vor Ihnen einflößen. Ich war schon öfter nahe daran, getötet zu werden, einmal von einem Griechen und einmal von einem Hafenarbeiter in Marseille.«

»Ah, hatten Sie diese Personen bestohlen?«

»Jetzt kommen wir zu der Sache, über die ich sprechen wollte. Haben Sie Lust mir zuzuhören?«

»Sie sprechen auch jetzt noch nicht in der Hoffnung, an meinem Entschluß etwas zu ändern?«

»Soweit man überhaupt irgend etwas behaupten kann, ohne zu lügen, nein.«

»Gut. Ich bezweifle, daß Sie irgend etwas behaupten können, ohne zu lügen, aber ich akzeptiere Ihre Garantie, wie sie nun einmal ist. Sie wünschten, von Ihrer Karriere als Dieb zu plaudern?«

»Herr Laplace, man sagt so etwas nicht einem Überwundenen. Entweder ist es wahr, dann ist es unnötig und senkt nur das eigene Niveau. Oder aber, es ist nicht wahr, dann fehlt dem Überwundenen die Möglichkeit, auf eine Lüge so zu antworten, wie es sich ziemt.«

Wieder zuckte es leicht in den breiten Schultern unter meiner elektrischen Deckenbeleuchtung. Ich fühlte einen leisen Schimmer von Hoffnung, der Professor könnte etwas gesagt haben, was Laplace zu Herzen ging. Aber im gleichen Augenblicke hörte ich Laplace lachen.

»Sie sind ein vortrefflicher Jesuit! Warum haben Sie sich nicht lieber dem geistlichen Stande gewidmet statt der Diebeslaufbahn? Sie hätten eine glänzende Zukunft als Seelsorger gehabt.«

Es entstand ein sekundenlanges Schweigen. Bis die Stimme des Professors fragte:

»Sie glauben, ich hätte eine Zukunft als Seelsorger gehabt? Auch in Pin-Yang, Herr Laplace?«

Von dem Franzosen erfolgte keine Antwort.

Eine Minute verging unter vollständigem Schweigen – einem Schweigen, währenddessen man buchstäblich eine Nadel hätte fallen hören können. Dann nahm Laplace die Arme von der Brust und bückte sich rasch zu Boden. Da lag ein mattblinkendes Ding auf dem Teppich – der Revolver des Professors, der ihm nach dem furchtbaren Schlag aus der Hand gefallen war. Eine Sekunde, und er lag zwischen Laplaces Fingern, gerade auf den Kopf des Professors gerichtet. Ich wollte nicht mehr hinsehen, und ich konnte dennoch den Blick nicht abwenden. Ich kaute und kaute an dem Knebel, um Luft zu einem Hilfeschrei zu bekommen. Noch immer konnte ich das Gesicht des Professors nicht sehen, nur den mächtigen Rücken und den Arm, der den Revolver hielt. Jede Sekunde glaubte ich den Hahn knacken zu hören. Plötzlich senkte sich der Revolver ein wenig, und ich hörte die Stimme des Professors:

»Ich habe einen Punkt berührt, der Ihnen schmerzlich ist. Ich bitte Sie um Entschuldigung, aber Sie haben es mit mir ebenso gemacht.«

Dumpf wie Donnergrollen kam es von dem anderen:

»Was war das für ein wunder Punkt, den ich berührt haben soll?«

»Sie haben mich einen Dieb genannt, Herr Laplace.«

»Sie sind ein Dieb! Wollen Sie leugnen, daß Sie mich bestohlen haben?«

»Wollen Sie leugnen, daß die Umstände es mit sich bringen, daß aus einer Sache etwas wird, was nicht beabsichtigt war? Wollen Sie leugnen, daß sie einen sogar nach Pin-Yang bringen können?«

Noch einmal flog der Revolver in die Höhe. Dann sank er wieder herab. Mit schlaff hängenden Armen stand Laplace da und blickte auf den anderen hinunter. Meine Muskeln entspannten sich, und ich fühlte, wie der Schweiß auf meinem Kopf hervorbrach.

»Herr Laplace!«

Es erfolgte keine Antwort. Laplace stand regungslos neben dem Diwan.

»Herr Laplace! Ich ahne Ihre Geschichte oder wenigstens einen Teil davon. Wollen Sie meine Erklärung anhören?«

Noch immer kam keine Antwort. Es schien mir, als ob der Kopf noch tiefer zwischen die mächtigen Schultern sank und die Haltung weniger aufrecht wurde.

»Herr Laplace! Vor genau drei Wochen trafen wir uns in Longhams Klub in London. Sie –«

Ein Aufschrei unterbrach ihn.

»Sie lügen! Sie sind sein Freund! Sie jagen mich, um mich daran zu hindern, daß ich ihn treffe.«

»Ich weiß nicht, von wem Sie sprechen. Wollen Sie anhören, was ich –«

»Es ist nicht wahr! Um ihm zu helfen, haben Sie den Brief gestohlen. Ah, aber Sie sollen sterben, und –«

»Ich bestreite, was Sie sagen. Lassen Sie mich alles erklären. Vor drei Wochen –«

Nun erfolgte eine Krise.

Der Franzose begann auf einmal, wie ein Wahnsinniger oder ein gefangenes Tier von Wand zu Wand zu laufen, während ein Strom von Worten aus ihm hervorsprudelte:

»Ah, nom de Dieu! Warum hat man Ehre und Gewissen im Leibe! Warum erschieße ich den Kerl nicht auf der Stelle? Jedes Wort, das er ausspricht, ist eine Lüge. Ich weiß es so sicher, wie daß ich lebe – er ist ein Dieb, und er tritt als Detektiv auf! – Vielleicht ist er beides – Ah, nom de Dieu! Warum knalle ich ihn nicht ohne weiteres nieder? Ich kann nicht – ich bringe es nicht über mich – er ist mutig, er hat vorhin nicht einmal geblinzelt, als er es wagte, mir Pin-Yang ins Gesicht zu schleudern – Pin-Yang! Er sollte nur wissen! Die Hölle der Höllen, zwanzig lange Jahre Pin-Yang! Zwanzig Jahre lang – warum erschieße ich diesen Teufel nicht, der es wagt, davon zu sprechen? Nein, ich kann nicht, er hat mich zermürbt mit seinem Geschwätz und seinem Jesuitismus. Pin-Yang! Ich werde noch verrückt. Ich muß den Teufel knebeln, damit er nicht mehr schwatzen kann, und dann werde ich ihn erschießen – nein – ich kann nicht, es ist ein so unheimliches Licht – ich werde ihm einen Knebel in den Mund stecken und wiederkommen. Pfui Teufel, es ist widerlich, den Henker zu machen, aber notwendig, es ist notwendig –«

Sein rasender Marsch endete. Ich sah, wie er sich mit seinem gebundenen Feinde beschäftigte. Mich schien er gänzlich vergessen zu haben. Plötzlich wurde das Licht abgedreht, die Korridortüre ging auf und schloß sich wieder. Ich hörte den Riegel der Wohnungstür klirren, dann war alles still.

Mein ungebetener Gast war verschwunden, aber, wie er gedroht hatte, nur, um wiederzukommen.

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