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Martin Haberkorn, 10. Februar 1945, Hamburg

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Haberkorns Hände waren wieder in der Lage anzupacken. Das war durchaus wörtlich zu verstehen, denn die Baubelehrung bedeutete auch, bestimmte Apparaturen des Bootes zu bedienen. Die tiefen Schnittwunden waren gut abgeheilt, und er würde, wenn er durchkommen und alt werden sollte, immer diese Zeichen sehen können. Sie würden sich mit der Zeit verändern, ihn aber immer an diesen schrecklichen Luftangriff erinnern. Für ihn mit Mitte der zwanziger Jahre war das alles noch unvorstellbar, dass er möglicherweise dann sehr viel später schlecht laufen können, sehen oder hören würde. Er schob diese Gedanken weg, er lebte im hier und jetzt. Die Erleichterung, dass seine Frau und sein Sohn in Sicherheit waren, war immer mehr der Befürchtung gewichen, dass es ihm nach dem Krieg sehr schwerfallen könnte, sie überhaupt wiederzusehen. Für ihn stand fest, dass die militärischen Auseinandersetzungen noch in diesem Jahr zu Ende sein würden. Deutschland war faktisch schon geschlagen aber es gab nicht den Willen seitens der Verantwortlichen, das sinnlose weitere Blutvergießen zu beenden. Wenn er ehrlich wäre, würde er eine Kapitulation als Vertreter des Staates auch ablehnen, denn er war sich sicher, dass die Sieger wohl nicht viel Federlesens mit solchen Personen machen würden. Hitler würde sich niemals eingestehen wollen, dass seine Pläne für die Neuordnung der Welt krachend gescheitert waren. Das hieß für Haberkorn selbst, bis zum bitteren Ende durchzuhalten, und vor allem auch durchzukommen. Seine Chancen schätzte er als mittelmäßig ein, er war aber in einer weit besseren Situation als etwa die Landser an der Ostfront. Dazu kam, dass er von dem neuen Bootstyp dermaßen begeistert war, dass er unbedingt mit diesem U-Boot noch vor Kriegsende auf Fahrt gehen wollte. Sehr vieles war neu und noch gewöhnungsbedürftig, aber revolutionäre Veränderungen wie die gewaltige Batterieanlage, der zweietagige und in der Form einer Acht gestaltete Druckkörper, neue Anlagen der Horchtechnik, Radar, die automatisierte Torpedo- Nachladeeinrichtung und die Möglichkeit, getaucht geräuschsuchende Aale loszumachen, all das zeigte Haberkorn, wie weit dieser Typ seinen Gegnern technisch voraus war. Nicht zuletzt würde sich die Kampfkraft der Besatzung erheblich erhöhen, denn dafür gab es zwei Gründe. Zum einem würde fast jeder Mann seine eigene Koje haben und nicht in die stinkende Bettwäsche atmen müssen, die der vor ihm dort schlafende Mann hinterlassen hatte, es würde richtige Toiletten und einen Waschraum sogar mit Duschen geben, die Verpflegung könnte durch die viel größeren Kühlanlagen abwechslungsreicher gestaltet werden. Und zum anderen hatten die beeindruckenden technischen Daten des Bootes, vor allem die enorme Unterwassergeschwindigkeit, einen wichtigen psychologischen Aspekt: die Seeleute bekamen wieder das Gefühl, mit einer überlegenen Waffe kämpfen zu können. Das war nach der monatelangen Durststrecke mit schrecklichen Verlusten enorm wichtig.

Haberkorns Boot unterschied sich äußerlich nicht von den anderen auf der Helling liegenden Neubauten. Alle waren gewaltige Maschinen von fast 80 Metern Länge, knapp sieben Meter breit, und ohne den Turm gut acht Meter hoch. Wie viel Arbeit darin steckt dachte Haberkorn jedes Mal, wenn er wieder in das Boot einstieg. Er war lange genug auf verschiedenen Booten gefahren um alle grundsätzlichen Funktionen zu verstehen, aber es gab genug dazuzulernen, und das tat er nach den Stunden auf der Werft im Barackenlager. Er ließ sich zum Abendessen in der Messe sehen, führte ein paar belanglose Gespräche, trank ein, zwei Bier, und verschwand wieder in seiner Kammer. Dort tauchte er wieder in die technischen Handbücher ein und bald war er soweit, alles was er aufgesogen hatte, ohne Mühe herzubeten. Das war nur sinnbildlich gemeint, er könnte schon jetzt mit fast jeder Situation umgehen. Was er bei seinen kurzen Besuchen in der Messe festgestellt hatte erschreckte ihn schon einigermaßen. Der Ton der Männer hatte sich deutlich geändert. Er war langsam immer mehr in leere Sprüche im Stil von Durchhalteparolen abgerutscht und von Bekenntnissen zur Führung durchdrungen. Es waren aber eben auch nicht mehr die Männer von vor fünf Jahren, sondern junge geschniegelte Kommandanten, die schon mit 20.000 Tonnen versenktem Schiffsraum als Aase galten. Die früheren Seemänner waren allesamt eigene Typen gewesen. Selbstverständlich hatte sich auch jeder von ihnen irgendwie inszeniert, wie "Otto der Schweigsame", Kretschmer. Dieser Mann hatte das nicht vordergründig so hingestellt, er war halt so gewesen. Anders hatte sich Prien aufgestellt, der im Jubel der aufgeheizten Menschenmassen beim Empfang durch den Führer regelrecht badete. Jetzt war er schon lange abgesoffen, und Kretschmer in Gefangenschaft geraten. Schepke, einer der zu diesem Dreigestirn der Helden gehört hatte, war auf ziemlich üble Weise ums Leben gekommen. Sein Boot war nach einer langen Wasserbombenverfolgung zum Auftauchen gezwungen und dann von einem Zerstörer gerammt worden, wobei der auf dem Turm stehende Kommandant zwischen Sehrohr und Brücke eingeklemmt worden war. Ihm wurden beide Beine abgetrennt, er fiel über Bord und ging unter. Das war alles schon 1941 passiert, und die Erde hatte sich inzwischen weitergedreht. Das war ein Effekt, den kein Mensch beeinflussen konnte. Aber der Mensch konnte sich gesellschaftlich weiterentwickeln und technische Erkenntnisse hinzugewinnen. Und in letzterer Hinsicht hatten die Deutschen immer noch eine ziemliche Kraft und großen Ehrgeiz. Neue Techniken und Technologien entstanden nicht aus dem Nichts, und es bedurfte schon einer langwierigen Grundlagenforschung. Diese war im Reich im Hochgefühl der ersten schnellen Siege als nicht notwendig mehr oder weniger eingedampft worden, wobei aber einige vorausschauende Leute in den unteren Entscheidungsebenen alles daran gesetzt hatten, gerade diese Forschungen und Entwicklungen trotz aller knappen Ressourcen weiterlaufen zu lassen. Und auf so einem Weg war eben auch so ein technisches Meisterwerk wie der Typ XXI entstanden. Natürlich hatte es Irrtümer gegeben, die Flaktürme zum Beispiel, die zu regelrechten Fallen für die Bedienungen werden konnten. Letztlich sollten 2-Zentimeter-Flak in gepanzerten Türmen an der Brücke angebracht werden, aber diese Lösung war gerade nicht so durchdacht, um im Krieg zu bestehen, und fiel dann auch später weg.

In der Summe der Verbesserungen zu den vorherigen Mustern von U-Booten war der neue Typ aber absolut überzeugend. Haberkorn fieberte dem Fertigstellungstermin entgegen, denn er wollte unbedingt mit seinem Boot noch in den Kampf gehen. In solchen Momenten vergaß er vollkommen, dass er eine Frau und einen Sohn hatte.

Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 22

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