Читать книгу Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 22 - Frank Hille - Страница 5
Fred Beyer, 10. Februar 1945, Ungarn
ОглавлениеDiesmal war es selbst für den abgebrühten Fred Beyer zu viel gewesen, denn das eigentlich recht kurze Gefecht hatte für die deutsche Einheit eine schlimme Niederlage zum Ergebnis gehabt. Der in diesen Tagen typische "Null-Acht-Fünfzehn" Befehl, Stellung halten, Vorstoßen und so weiter, war innerhalb von zehn Minuten von der Wirklichkeit zerrissen worden. Den sieben Panzern V hatten sich ungefähr 40 T 34 gegenübergestellt, die ihre Feinde mit großem Mut, Draufgängertum und Todesverachtung attackierten. Die russischen Tankisten wussten sehr genau, dass sie für einen vernichteten deutschen "Panther" mit fünf bis sieben abgeschossenen eigenen Kampfwagen zahlen mussten. Sie wussten auch, dass dann etwa 30 Männer nicht mehr am Leben sein würden aber, und das trieb Beyer den Angstschweiß auf die Stirn, dass dann andere Kämpfer mit ihren Fahrzeugen nachrücken würden.
Fred Beyer hatte sein Abitur nicht geschenkt bekommen, und er hatte im Vorfeld der Prüfungen sehr viel geübt. Er war aber ehrlich zu sich selbst gewesen und hatte sehr schnell verstanden, dass er mit Weber oder Haberkorn nicht mithalten konnte, wenn es um irgendwelche mehr abstrakte und wissenschaftliche Dinge ging. Das spielte jetzt gar keine Rolle mehr, es ging um das blanke Davonkommen. Er war ein ziemlich verschlossener und misstrauischer Mann, ein Ergebnis seines Aufwachsens in einer problematischen Familie. Liebe im besten Sinne hatte er nie erhalten, er war eben einer von fünf Söhnen, der Jüngste, und der Schwächste. Der Sport, das Boxen, hatte ihm geholfen den Kopf oben zu lassen, und so war in ihm auch etwas Widerspenstiges und Rebellisches gewachsen, er ließ sich eigentlich von Niemandem etwas sagen, weil er das Waffenhandwerk perfekt beherrschte. Seine ihm zurechenbaren Abschüsse als Kommandant waren erwiesenermaßen bislang 58 feindliche Panzer, 27 zerstörten Panzerabwehrkanonen, 13 Feldgeschütze, 18 MG-Stellungen und hunderte von feindlichen Soldaten, die von den MG des Panzers getötet worden waren. Er hatte niemals darüber nachgedacht, wie viele Menschen er indirekt durch sein Handeln umgebracht hatte. Tatsächlich könnte er als Kommandant weiße und unbefleckte Handschuhe vorzeigen, vielleicht wie auf einem Tanzstundenball junger Adliger. Das Töten hatte er drei Männern seiner Besatzungen übertragen: dem Ladeschützen für die Bereitstellung der richtigen Munition im Rohr, dem Richtschützen für das Anrichten und Abfeuern der Kanone und des Turm-MG, und dem Funker, für die Bedienung des Bug-MG. Selbst der Fahrer hatte in Momenten der allergrößten Wut auf den Gegner, wenn wieder einmal einer der eigenen Panzer explodiert war, feindliche Soldaten zu überrollen versucht. Es war öfter gelungen.
Beyer selbst hatte wie ein Dirigent von seiner erhöhten Position im Turm aus das Geschehen kalt und schnell analysiert, und dann die richtigen Befehle gegeben. In Bezug auf den Panzerkampf war er ein besonderes Talent. Er hatte die Eigenschaft, das Gefechtsfeld schnell übersehen zu können, die Positionen der eigenen und der feindlichen Kampfwagen zu erkennen, und ein untrügliches Gespür für die wahrscheinlichen Handlungen der einzelnen Fahrzeuge. Das betraf auch die eigenen Panzer. Neue Besatzungen waren entweder zu ängstlich, oder zu überheblich. Er selbst konnte genau unterscheiden, wann er sein Fahrzeug zurückziehen musste, oder wann er aggressiv angreifen konnte. Das hatte rein gar nichts mit Ängstlichkeit zu tun, sondern bewies Überlegung. Außerdem berücksichtigte er den großen Vorteil seines modernen Panzers, der vor allem in einer erfolgreichen Feuereröffnung auf größere Distanz lag. So konnte er sich den Gegner möglichst lange vom Leib halten, was er nicht nur sprichwörtlich, sondern tatsächlich so verstand. Beyer war vielleicht von seinem Intellekt her gesehen nur gutes Mittelmaß, aber keineswegs ein tumber Geselle. Er hatte zwar nur wenige Interessen, aber im Krieg gab es ja auch kaum Möglichkeiten, die eigene Person weiter zu qualifizieren. Er war mit dem zufrieden, was das Ergebnis der Erfüllung seines Auftrages war.
Fred Beyer war einsichtig, wenn er einen Befehl für richtig hielt, er handelte nach seinem Ermessen, wenn er dachte, dass die Anweisung falsch oder zumindest nicht sinnvoll wäre. Dass er sich damit bei der jeweiligen Führung keine Freunde machte war ihm klar, aber absolut egal. Schließlich war er es, der mit seinen Männern in dem engen Stahlkasten seine Haut zu Markte trug. Wenn er sich mies fühlte erinnerte er sich gern an ein Gespräch mit einem neu zur Einheit gekommenen Leutnant, der noch keinerlei Kampferfahrung hatte.
"Sie können gern mal bei uns mitfahren um Pulverdampf zu schnuppern" war sein Angebot gewesen, "allerdings ist der Heldentod bei so einem Ausflug nicht ganz ausgeschlossen" hatte er dem Leutnant noch zynisch erklärt. Der andere junge Mann war kein Drückeberger gewesen und hatte sofort eingewilligt. Es war absoluter Zufall gewesen, dass sich das Gefecht auf recht weite Distanz entwickelt hatte, und die gut postierten vier "Panther" auf einer kleinen Anhöhe die gute Reichweite ihrer Kampfwagenkanonen hatten ausspielen können. Immerhin waren die Russen mit einigen Fahrzeugen ziemlich nah herangekommen und hatten zwei der deutschen Panzer abschießen können, aber in der Endabrechnung hatte es dann zwei Panzer V gegen 13 T 34 geheißen. Fritz Kwasnik, der Richtschütze, hatte kurz vor dem Rückzug der russischen Panzer wie immer die Ruhe bewahrt, und weil er die Lage gedanklich trotz seines begrenzten Sichtfeldes sehr gut einschätzen konnte so lange gewartet, bis sich zwei T 34 fast quer zum Standort des "Panther", und kaum 300 Meter entfernt, vorgewagt hatten. Beyer hatte ihn später einmal gefragt, ob er dieses Abwarten und Lauern auf den Feind provoziert hätte um den Leutnant zu beeindrucken, und Kwasnik hatte mit einem breiten Grinsen erklärt, dass er so etwas natürlich nie tun würde. Der Leutnant war auf Bergners Sitz des Funkers sozusagen als Gast platziert worden, und da Friedrich, der Fahrer, wie schlafwandlerisch immer den gut gepanzerten Bug des Fahrzeuges in die erwartete Richtung des Beschusses drehte, konnte der Mann das Geschehen gut verfolgen. Fritz Kwasnik war ein guter Selbstdarsteller, aber in erster Linie Richtschützen. Ihm gelang es, innerhalb von drei Minuten zwei der vorgerückten T 34 zu vernichten. Der junge Leutnant war sichtbar beeindruckt gewesen, aber er hatte auch den Abschuss zweier eigener Fahrzeuge miterleben müssen.
Bei einem Treffer in den Panzer gab es für die Besatzungen einige mögliche Szenarien. Der Beschussschaden betraf nur die Technik, wie zum Beispiel den Motorenraum, alle Besatzungsmitglieder überlebten zunächst, und konnten ausbooten. Die Granate schlug außen am Kampfraum ein, ging durch die Panzerung hindurch, aber explodierte nicht, oder aber hatte gar keine explosiven Bestandteile. Das war in den meisten Fällen vollkommen unerheblich, denn diese Wuchtgeschosse waren tödlich. Günther Weber hätte Beyer dies vermutlich haarklein mathematisch-physikalisch erläutern können, vor allem, was kinetische Energie bedeutete, aber letztlich war Fred Beyer klug genug zu verstehen, dass schon allein ein winzig kleiner Klumpen Metall töten konnte. Das tat er bei der Infanterie mit fünf Gramm schweren Projektilen, das reichte aus, menschliches Gewebe zu zerfetzen und einen Soldaten zu töten. Bei den Panzern war naturgemäß mehr Masse und Kraft gefragt.
In Bezug auf die Panzerentwicklung hatte es international immer bestimmte Leitlinien gegeben. Mitte der dreißiger Jahre sah man den Panzer als extrem schnelles Fahrzeug mit leichter Bewaffnung und dünner Panzerung zur Unterstützung von Offensiven der anderen Teilstreitkräfte an. Dem hatte auch die deutsche Panzerentwicklung dieser Zeit Rechnung getragen. Das schwerste Modell, der Panzer IV, hatte nur die berüchtigte Stummelkanone mit einer 7,5-Zentimeter Hauptbewaffnung mit einer L/24 langen Kampfwagenkanone an Bord gehabt. Wie sich die Zeiten geändert hatten bewiesen die aktuellen KwK. Der Panzer V verfügte über eine 7,5-Zentimeter Hauptbewaffnung mit 70 Kalibergrößen Länge, also 7,5 Zentimeter mal 70 gleich 525 Zentimeter. Dieses lange Rohr gab dem Geschoss eine enorme Mündungsgeschwindigkeit von 935 Metern in der Sekunde, und dies mit der üblichen Granatpatrone. Mit den kaum verfügbaren Panzergranaten 40/42 wären sogar 1.120 Meter pro Sekunde zu erzielen gewesen. Das hieß, dass diese Geschosse die Schallgeschwindigkeit von ungefähr 340 Metern in der Sekunde mehrfach übertrafen, und der Einschlag vor dem Abschlussknall erfolgte. Wenn so ein Geschoss beispielsweise eine Turmpanzerung durchdrang, wurde die kinetische Energie des Geschosses in Druck umgesetzt und erzeugte eine sehr hohe Temperatur. Die Reibung des Geschosses mit den Panzerblechen erzeugte nach innen gerichtet einen Splitterregen des brennenden Materials, welcher in den Kampfraum sprühte. Bei so einem Wuchtgeschoss war es ziemlich egal was stärker wirkte: der Explosionsdruck, die umherfliegenden Splitter der Panzerung, oder die große Hitze. Die Männer im Panzer wurden entweder durch die Metallteile durchsiebt, ihnen platzten die Lungen, oder sie verbrannten. Letzteres war die übliche Todesursache. Fred Beyer tröstete sich damit, dass er im Falle eines direkten Treffers nicht einmal mehr "Muff" sagen könnte, dann wäre er schon hinüber.
Schlimmer wäre es, wenn es einen Treffer geben sollte, der das Fahrzeug in Brand setzte. Es gab die Tanks, Benzinleitungen, Vergaser, die den Treibstoff beinhalteten, transportierten und zerstäubten. Benzin war im Gegensatz zu Diesel sehr schnell entflammbar und es gab unter den Besatzungen durchaus weit auseinandergehende Meinungen, welcher Betriebsstoff nun besser für ein Kampffahrzeug wäre. Das konnte nie abschließend geklärt werden, und die deutschen und russischen Panzerentwickler mussten wohl ihre Gründe gehabt haben, warum sie auf der einen Seite Benzinmotoren, und auf der anderen Dieselmaschinen den Vorzug gegeben hatten. Wenn es brannte war es egal, ob es Benzin oder Diesel war. Es war wohl der Alptraum jedes Panzersoldaten, in einem angeschossenen und brennenden Fahrzeug eingeschlossen zu sein. Die meisten Besatzungen verriegelten die Luken nicht.
Das Leben als Panzermann war meistens kurz, und im schlechtesten Falle mit einem besonders grausamen Tod verbunden.