Читать книгу Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 15 - Frank Hille - Страница 5
Fred Beyer, 4. August 1943, bei Tomarowka
ОглавлениеBereits gegen 8 Uhr waren die Russen wieder angetreten und Fred Beyer hatte den Eindruck, dass der Gegner diesmal weniger Panzer in den Angriff geschickt hatte. Es war auch schnell zu erkennen gewesen, dass die T 34 jetzt nicht wieder blind gegen das Zentrum der Abwehrfront anrannten, sondern die Sowjets ihre Kräfte aufgeteilt hatten und nun auch die nördlich und südlich stehenden deutschen Einheiten attackierten. Dort befanden sich unter anderem etliche Marder II, die mit erbeuteten russischen 7,62-Zentimeter-Kanonen ausgerüstet waren und als wirksame Panzerjäger galten. Nachteilig bei diesen Fahrzeugen waren der hohe Aufzug und die vollkommen unzureichende Panzerung. Dennoch war diese Übergangslösung unverzichtbar, weil es gegenwärtig schlichtweg keinen für diese Aufgabe geeigneten Jäger gab. Beyer vermutete, dass die Russen den Abwehrriegel mit Teilkräften umgehen würden und dann aus dem Westen heraus den deutschen Panzerdivisionen in den Rücken fallen wollten. Dies schien auch der Stab erkannt zu haben, denn er gruppierte zwei Kompanien um, die dann nach Westen sichern würden. Vor den deutschen Stellungen standen die zerfetzten und ausgebrannten Wracks der gestern zerstörten russischen Panzer. Die beiden Panzerdivisionen mit ihren Panzern IV und den wenigen „Panthern“ würden die Russen nicht aufhalten, sondern nur bremsen und schwächen können. Die Deutschen hatten wieder den Vorteil ihrer weitreichenden und durchschlagkräftigen Kampfwagenkanonen genutzt und einige T 34 schon bei 2.000 Meter Entfernung außer Gefecht setzen können. Die anderen waren wie immer mit hoher Fahrt nähergekommen. Die Sowjets verfolgten stur ihre übliche Taktik: möglichst schnell an die feindlichen Panzer herankommen, und diese an den Flanken bekämpfen. Beyer schaute durch die Winkelspiegel der Turmkuppel und hatte Lahmann ein neues Ziel zugewiesen. Die Plaine war eben und die T 34 erreichten eine Geschwindigkeit von mehr als 30 Kilometern in der Stunde. Zumindest hatte der Gegner jetzt seine Angriffsweise etwas modifiziert. Die Fahrzeuge kurvten nicht mehr ungeordnet über das Schlachtfeld, sondern zeigten ihre günstig abgeschrägte Front. Der Gedanke an sich war richtig, aber daraus ergab sich auch, dass die drei Meter breiten Panzer trotz der Bewegung ein recht statisches Ziel abgaben. Lahmann hatte das Ziel im Visier und feuerte die Kanone ab. Das Geschoss traf die Bugplatte an der linken Seite neben der Fahrerluke, es prallte aber ab.
Die deutschen Panzer hatten sich in Abständen von ungefähr 30 Metern nebeneinander aufgestellt. Die T 34 waren bis auf 100 Meter herangekommen und bei dieser Entfernung wurden nochmals 4 Panzer außer Gefecht gesetzt. Noch hielten aber ungefähr 15 Kampfwagen auf die deutschen Fahrzeuge zu und Beyer sah jetzt, dass sie den Kurs geändert hatten und genau auf die Lücken zwischen den deutschen Panzern zusteuerten. Keine 10 Sekunden später befanden sie sich dort. Links neben Beyers „Panther“ hatte ein T 34 seine Kanone nach rechts gedreht und schoss auf die Seitenpanzerung des neben ihnen stehenden Fahrzeuges, es war ein Panzer IV G. Die aus dieser kurzen Entfernung abgefeuerte Granate durchschlug die 30 Millimeter Stahl mühelos und ließ die im Inneren gelagerte Bereitschaftsmunition hochgehen. Die Luken flogen hoch und aus allen schlugen meterhohe Flammen. Im gleichen Augenblick gab es eine dumpfe Explosion, und der Turm wurde vom Tragring gehoben. Lahmann hatte auf einen Befehl Beyers hin den Turm des Panzers nach links geschwenkt. Der T 34 war aber schon weitergerollt und erst nach 10 Sekunden hatte Lahmann das Heck des Fahrzeuges in der Optik. Er schoss sofort und traf den Motorraum. Der T 34 blieb abrupt stehen, dann gingen die Luken auf und die Besatzung bootete aus. Die MG des „Panther“ feuerten wie rasend und die russischen Panzersoldaten wurden alle getötet. Plötzlich erschütterte ein gewaltiger Schlag den Panzer. Beyer ahnte, was passiert war. Von der anderen Seite wurden sie jetzt beschossen.
„Friedrich“ brüllte er „vorwärts! Lahmann, Turm auf 3 Uhr!“
Jetzt hing ihr Leben davon ab wie schnell der Ladeschütze in dem feindlichen Panzer war, wie lange es dauern würde bis sie ihre Position verlassen hätten, und in welcher Zeit der Turm dem Gegner zugedreht war. Beyer wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte, der sie das Leben kosten konnte. Ganz auf die Bekämpfung des Panzers neben ihnen konzentriert, hatte er nur diese Seite beobachtet. Jetzt sah er mit Schrecken, dass das Rohr eines anderen T 34 rechts neben ihnen direkt auf ihren Panzer und dessen Turm ausgerichtet war. Sie kamen noch einmal davon. Friedrich hatte blitzschnell reagiert und den „Panther“ ungefähr 3 Meter nach vorn bewegt, als der russische Richtschütze die Kanone abfeuerte. Diese war in der Höhe und der Seite auf die rechte Turmseitenwand gezielt gewesen, aber raste jetzt über den Motorraum hinweg. Wenn dieses Geschoss getroffen hätte, wäre Häber zerfetzt worden und alle anderen auch. Der Turm ihres Panzers drehte sich immer noch, aber dann konnte Lahmann schießen. Diese Granate durchschlug die rechte Turmseite des T 34 und explodierte im Inneren.
Auf dem Gefechtsfeld herrschte Durcheinander. Einige der Kommandanten der russischen Panzer hatten erkannt, dass ein Umkehren sinnlos gewesen wäre und rollten weiter nach Westen, um sich hinter dem deutschen Abwehrriegel irgendwie durchzuschlagen und eventuell wieder nach Osten kommen zu können. Sie wussten von den deutschen Umgruppierungen nichts und so hielten noch sieben T 34 auf die in drei Kilometer Entfernung stehenden und nach Westen sichernden zwei Panzerkompanien zu. Auf ihrem Weg dorthin sorgten sie für Chaos bei den deutschen Einheiten. Eine Trosskolonne wurde komplett zusammengeschossen, 20 brennende LKW mit Munition und anderen Gütern ließen gewaltige Qualmwolken aufsteigen. In eine Gruppe von Kradschützen setzten die Panzer Sprenggranaten, einige Gespanne kippten um. Die anderen überrollten die Panzer und ließen einen Brei aus Metallschrott und menschlichen Überresten zurück. Dieses ungestüme Vorgehen hatte allerdings zur Folge, dass eine Alarmmeldung bei den Panzerkompanien einging. Die Männer wendeten ihre Panzer nach Osten, und als die T 34 in ihr Schussfeld kamen, wurden innerhalb von fünf Minuten alle Gegner vernichtet.
Fred Beyer hatte die Turmluke geöffnet und hielt das Fernglas vor den Augen. Aus dem Inneren des Panzers stiegen Pulvergaswolken nach oben und er wusste, dass sein Gesicht sicher schwarz gefärbt war. Natürlich hatten die Konstrukteure für eine Entlüftung des Kampfraumes gesorgt, aber die im Turmdach angebrachte Vorrichtung war nach Beyers Empfinden viel zu schwach dimensioniert. Die Anbringung des Absaugschlauches hielt er auch für nicht gelungen. Dass sie während des Gefechts viel ungesunde und giftige Gase einatmeten war ihm klar, aber das war eben so und das Risiko, im Panzer nach einem Treffer zu verbrennen, viel größer. Vor sich sah er einige brennende und Rußwolken erzeugende abgeschossene feindliche Panzer. Links von ihrem Fahrzeug und keine 20 Meter entfernt stand das Wrack des abgeschossen Panzer IV aus dem auch Qualm aufstieg. Vor dem Gefecht hatte er sich mit dem Kommandanten dieses Panzers noch besprochen, um mit ihm ihre Schusssektoren abzustimmen. Der junge Feldwebel war Anfang 20 und hatte seinen Vorschlägen in bestem Hochdeutsch zugestimmt und dann noch gesagt:
„Die kommen hier nicht durch. Ihr mit eurer tollen Kanone könnt sie ja schon weit entfernt erwischen. Aber unsere Puste ist auch nicht von schlechten Eltern. Endlich hat der Panzer eine Langrohrkanone. 48 Kaliberlängen sind 3 Meter 60 für das Rohr. Die erste Ausführung hatte nur 24 Kaliberlängen, also ganz genau die Hälfte, 1 Meter 80. Die Mündungsgeschwindigkeit lag bei gerade mal 385 Metern in der Sekunde. Bei unserer sind es 790. Und wenn ich richtig informiert bin, bei eurer Kanone sind es wohl so um die 950.“
„935. Mit der Panzergranate 40 wären es 1.120, aber diese Hartkerngeschosse aus Wolframcarbid gibt es ja so gut wie gar nicht. Außerdem haben sie keine Sprengladung. Wo kommst du her, dein Deutsch ist ja vorbildlich.“
Der Mann lachte.
„Aus einem kleinen Ort bei Wolfsburg wo der Volkswagen gebaut wird. Dort bin ich in der Getriebefertigung. Meine Frau arbeitet in der Verwaltung, in der Buchhaltung. Vielleicht hat man mich auch deswegen zu den Panzern eingezogen weil ich Maschinenschlosser bin. Ist auch egal, uns geht es jedenfalls doch viel besser als den Fußlatschern. Wir werden gefahren, müssen unser Gepäck nicht schleppen, wenn es regnet werden wir nicht nass und sitzen geschützt hinter dicken Panzerplatten. Bei dir höre ich ein bisschen Sächsisch durch.“
„Stimmt. Ich bin aber ein harmloser Dialektfall. Du solltest mal hören, wenn die Leipziger oder Chemnitzer loslegen. Da brauchste n Wörterbuch oder n Übersetzer. Aber red mal mit nm Bayern, da versteht man ja nur Bahnhof.“
Der Feldwebel lachte wieder.
Die Männer seiner Besatzung standen neben ihrem Panzer und rauchten. Beyer musterte sie verstohlen.
„Da hast du ja n richtigen Kindergarten an Bord“ sagte er zu dem anderen Mann.
„Ja, zufälligerweise sind sie alle 19 Jahre alt, aber haben doch schon eine ganze Menge Erfahrung. Das sind schon gute Leute auf die ich mich verlassen kann. Mit meinen 23 Lenzen bin ich der Opa für sie.“
Fred Beyer war dann zu seinem Fahrzeug gegangen und hatte noch gesehen, dass die Männer des Panzers IV zwischen dem MG des Funkers und der Sehöffnung für den Fahrer auf der Stirnplatte „Helga“ hingepinselt hatten. Das musste der Name der Frau des Kommandanten sein. Jetzt war auf dem verkohlten Stahl nichts mehr zu erkennen, die enorme Hitze des verbrennenden Benzins hatte die Panzerplatten schwarz gefärbt. Die fünf Männer die im Panzer gesessen hatten waren erst durch die extrem heißen Flammen getötet und dann durch die Explosion der Munition zerrissen worden. Beyer hatte zu Beginn des Russlandfeldzuges einmal neugierig durch die Turmluke in einen ausgebrannten T 34 hineingesehen und im Inneren unförmige pechschwarze Gegenstände erkennen können. Erst nach und nach war ihm klar geworden, dass das die verkohlten Überreste der Männer der Besatzung waren. Die Erkenntnis, dass er selbst eines Tages so enden könnte hatte ihn wie eine Keule getroffen aber in den langen Monaten des Krieges war diese schreckliche Vorstellung einem gewissen Fatalismus gewichen, er hatte sein Schicksal nur zum Teil selbst in der Hand. Von den jungen deutschen Panzersoldaten würde man in dem zerstörten Panzer keine Überreste mehr finden können, sie waren pulverisiert worden. Ihren Angehörigen würde man mitteilen, dass sie im heroischen Kampf und in voller Pflichterfüllung für Führer und Vaterland gefallen wären und man ihr Angedenken stets in Ehren halten würde.
Helga würde das in ihrem Schmerz nicht weiterhelfen.