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Martin Haberkorn, 17. Februar 1944, zur Biskaya

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Die Detonationen von drei Torpedos waren im Boot deutlich zu hören gewesen. Anders als früher dröhnte kein Jubel durch die Stahlröhre denn die Männer wussten, dass der Gegner sie bald jagen würde. Die Anzahl der auf das Geleit angesetzten Boote war viel zu gering gewesen, als dass die Alliierten sie nicht hätten abwehren oder verfolgen können. Es war jetzt kurz nach sieben Uhr morgens und bis jetzt hatte Haberkorn registriert, dass schon drei Boote versenkt, aber auch zwei Schiffe des Konvois getroffen worden waren. Außerdem hatten drei Torpedos seines Bootes ihre Ziele gefunden, mit welchem Erfolg war allerdings nicht bekannt. Wenn er sich jetzt als Buchhalter fühlen würde könnte er eine einfache Rechnung aufmachen: drei U-Boote mit jeweils 50 Männern an Bord waren verloren gegangen, und vielleicht vier Frachter mit weniger Besatzung. Die von seinem Boot angegriffenen Schiffe schätzte er auf 15.000 und 8.000 Tonnen. Ein Tanker hatte lichterloh gebrannt, ein wertvolles Schiff. Von der Warte eines Kaufmannes aus gesehen könnte man vielleicht von einem Gleichstand reden, aber die Wahrheit war eine andere. Jedes versenkte U-Boot stellte für die Deutschen eine Schwächung der Kampfkraft dar, die bei der Zahl der in See stehenden Boote erhebliche Auswirkungen hatte, die Lücken in der Überwachung wurden immer größer. Natürlich waren die vernichteten Schiffe und die ums Leben gekommenen Männer der Besatzung auf der gegnerischen Seite eine bittere Quittung für die Alliierten, aber sie konnten für Ersatz sorgen. In den amerikanischen Werften liefen Schiffe im Fließbandverfahren vom Stapel, und hohe Prämien lockten auch Matrosen auf die Frachter. Die Ausbildung einer U-Bootbesatzung war jedoch eine langwierige Angelegenheit.

Das Boot war zirka 15 Minuten lang vom Geleit abgelaufen, dann hatte der Horcher Haberkorn ein Zeichen gegeben, und dieser war zu dem Mann gegangen.

„Peilung“ sagte der Horcher leise „in 165 Grad, 2.500 Meter, Turbinenmaschine, wird lauter.“

Haberkorn überlegte einen Moment.

„20 Grad“ befahl er „auf 160 Meter Tiefe gehen, Schleichfahrt.“

Er wollte dem Verfolger das Heck ziemlich genau zudrehen, um nur die schmale Silhouette des Bootes zu zeigen.

„Zwotes Geräusch in 240 Grad“ zischte der Horcher erschrocken.

Haberkorn erstarrte.

Jetzt war das eingetreten, was er gern vermieden hätte. Die Reaktion des Gegners hatte er zwar vorausgesehen aber gehofft, dass sie sich noch davonschleichen könnten. Den Männern auf den Kriegsschiffen war natürlich klar gewesen aus welcher Richtung der Angriff gefahren worden war, nämlich von der Backbordseite des Geleits her. Dem Boot blieben dann nur zwei Fluchtrichtungen: weiter mittschiffs fahren und die Schiffsherde untertauchen, oder nach Backbord oder Steuerbord abdrehen. Da die alliierten Kriegsschiffe trotz des schlechten Wetters ihr Asdic nutzen konnten hatten sich zwei Zerstören zunächst mit entgegengesetzten Kursen voneinander getrennt und Suchstreifen schlagend das Boot zu entdecken versucht. Einem war es nach relativ kurzer Zeit gelungen, da Haberkorns Boot nur wenig vom Geleit entfernt stand. Die beiden Kommandanten hatten dann einen „Schleichangriff“ eingeleitet. Das eine Schiff ortete, und das andere bleib in der Nähe, um dann auf eine Übermittlung des vermuteten Standortes zu warten. Diese beiden Zerstörer waren noch nicht mit Hedgehogwerfern ausgerüstet und mussten die Wasserbomben über das Achterschiff ins Wasser bringen. Mehrere Male war der Kontakt abgerissen, da Haberkorn inzwischen auf 180 Meter Tiefe hatte tauchen lassen und ständig den Kurs wechseln ließ. Obwohl er wusste dass es wenig sinnvoll war, hatte er vor dem Tiefergehen noch sechs der zylindrischen Drahtkäfige ausstoßen lassen. Die Verfolger waren nur kurz auf die Täuschkörper hereingefallen, da dessen Wirkung mit zunehmender Tiefe immer mehr abnahm. Haberkorn hatte nach dieser Aktion sofort durch Hartruderlage einen rigorosen Kurswechsel durchführen lassen der ihm noch etwas Luft verschafft hatte. Nach 30 Minuten pingten die Ortungsstrahlen wieder auf das Boot.

Martin Haberkorn stand in der schwach beleuchteten Zentrale neben dem Schacht für die Ausfahrgeräte. Der LI hatte ihm mit leiser Stimme gemeldet, dass sowohl die Batteriekapazität als auch der Luftsauerstoff ausreichend wären und man noch geraume Zeit unter Wasser bleiben könnte. Sicherheitshalber hatte er noch angefügt, dass auch die Pressluftvorräte keinen Anlass zur Sorge geben würden. Um die Männer auf andere Gedanken zu bringen war Haberkorn zum Obersteuermann am Kartenpult gegangen und hatte ohne zu flüstern gefragt:

„Na, Obersteuermann, das waren doch zwei, oder?“

„Ganz sicher, Herr Oberleutnant. Nach dem Schiffskatalog könnte der Große 14.000 Tonnen haben, der andere 8.000. Kein schlechtes Ergebnis.“

Haberkorn hatte das auch getan um den Männern zu zeigen, dass sie Erfolg gehabt hatten und es ganz zwangsläufig zu einer Verfolgung durch den Gegner kommen musste, der diese Verluste rächen wollte.

„Die werden jetzt ziemlich sauer auf uns sein“ war vom Zentralemaat leise zu hören gewesen.

Haberkorn dachte einen Moment über diese Redensart nach.

„Auf jemanden sauer sein“ kannte er als Ausdruck von Verärgerung, Wut und Enttäuschung. „Jemandem etwas übel nehmen“ passte auch dazu. Aber warum sauer? Er dachte darüber nach welche Lebensmittel sauer waren. Sauerkraut, klar. Saure Gurken. Essig. Allesamt Sachen, die zwar einen kräftigen Geschmack hatten, aber die man nicht mal eben so in großen Mengen ohne Probleme vertilgen konnte. Als Junge hatte er mal auf einem Jahrmarkt im Sommer einige saure Gurken gegessen, und dann bald furchtbare Magenschmerzen bekommen und alles wieder würgend erbrochen. Auf der anderen Seite war Sauerbraten eines seiner Lieblingsgerichte. Wenn er die Wahl zwischen Süß oder Sauer haben würde gäbe es keine Frage, er wäre für Sauer. Ganz schrecklich waren ihm manche Sonntage bei einer seiner Tanten in Erinnerung. Er bekam zwar gut schmeckenden Apfelsaft, aber auch immer riesige Stücke von penetrant süßer Sahnetorte. Da bei der Tante die Devise galt, „es wird aufgegessen, was auf den Tisch kommt“, kaute er schon mit Brechreiz auf dem Gebäck herum. Irgendwie schaffte er es aber immer diese süße Zeitbombe bis nach Hause in seinem Magen zu behalten, um sie dann dort erleichtert in mehreren Schwällen in die Toilette zu kotzen. Seitdem war er von Süßspeisen kuriert und rührte gar nichts mehr in dieser Geschmacksrichtung an. Sonst machte ihm das durchaus deftige Essen an Bord nur wenig aus. Als U-Bootfahrer durfte man in Bezug auf die Mahlzeiten allerdings nicht sonderlich empfindlich sein. Nicht umsonst wurden vor allem Dauerwurstwaren als Proviant geladen, diese trotzen den ständigen Temperaturschwankungen im Boot noch am besten. Je nach Einsatzgebiet war es im Boot brütend heiß oder bitter kalt. Bei Reisen in die Südsee hatten die Männer anfangs noch vom stillliegendem und vorgefluteten Boot zum Baden ins Wasser springen können und sich an Oberdeck gesonnt. Mützelburg von U-203 war dies aber zum Verhängnis geworden, denn bei einem Sprung vom Turm kam er mit dem Kopf auf dem Oberdeck auf und starb noch am gleichen Tag. Das Eichenlaub zum Ritterkreuz nutzte ihm dann nichts mehr, und auch nicht die 23 versenkten Schiffe mit 97.000 Tonnen und der eine vernichtete Zerstörer. Unter diesen klimatischen Bedingungen im Süden entstand im Boot eine extrem hohe Luftfeuchtigkeit und alles gammelte. Die Boote verfügten zwar über einige Kühlmöglichkeiten, aber deren Fassungsvermögen war für Lebensmittel für 50 Mann Besatzung lächerlich gering. Im Nordatlantik hingegen mit seinem unwirtlichen Wetter war im Boot alles klamm, Kondenswasser lief überall im Boot von den Wänden und lediglich die bei Überwasserfahrt hämmernden Diesel sorgten für etwas Wärme. Jetzt war es kalt in Inneren des Bootes.

„Wie peilen sie“ fragte Haberkorn den Horcher.

„Momentan ein schwaches Geräusch in 210 Grad, 1.200 Meter Entfernung, kleine Fahrt, anderes Geräusch nicht mehr zu hören.“

Für Haberkorn war die Strategie des Gegners klar. Die Sicherungsschiffe des Konvois schienen davon auszugehen, dass die Anzahl der in dem Gebiet stehenden U-Boote vergleichsweise gering sein musste. Sie hatten nachweislich schon drei Boote versenkt, und schätzten ein, dass die große Anzahl der Eskortschiffe das Herauslösen von zwei Verfolgern rechtfertigen würde. Diese beiden Fahrzeuge waren Haberkorns Boot jetzt auf der Spur. Obwohl er es natürlich nicht mit Sicherheit wusste, zeichnete sich in seinem Kopf ein mögliches Bild von dem Geschehen an der Oberfläche ab. Da die Ortungsstrahlen des Asdic permanent auf den Bootskörper trafen mussten ihm die Schiffe wie an einer Schnur folgen. Dass es zwei waren konnte verschiedene Gründe haben. Erstens konnten so in gleicher Zeit mehr Überläufe gefahren werden, zweitens war der Wasserbombenvorrat höher, und drittens, das war seine Vermutung, hatten die Kriegsschiffe wohl noch keine Wasserbombenwerfer an Bord. Das bedeutete eine Arbeitsteilung zwischen den beiden Fahrzeugen. Beide würden wohl gleichzeitig orten, um ein besseres Bild von der Position des U-Bootes zu bekommen, aber das war nicht das Entscheidende. Vielmehr rechnete er damit, dass das jetzt noch langsam laufende Schiff dann die Rolle des Angreifers übernehmen, das andere das Boot aber weiter in der Ortung halten würde. Dann würden sie die Rollen tauschen, und das Spiel von neuem beginnen. Es war gar nicht so wichtig das Boot mit den Wasserbomben zu knacken, wenn das nicht gelingen sollte, wäre bei den Verfolgern nur Geduld erforderlich. Alle, die Männer unter Wasser im Boot, als die auch auf den Schiffen, wussten, dass die schlechte Luft in der Stahlröhre noch ein kleines Übel war, welches aber keineswegs Zwang zum Hochkommen auslösen würde. Einzig und allein die schwache Batteriekapazität und die Schneckengeschwindigkeit bei Tauchfahrt waren das Kriterium, welches die Alliierten im Blick hatten. Selbst wenn das Boot in große Tiefe verschwinden sollte waren die Wasserbomben nunmehr so weiterentwickelt worden, dass sie bis auf 270 Meter Tiefe eingestellt werden konnten. Die Deutschen kannten den „Squid“ noch nicht, der ähnlich wie der Hedgehog funktionierte, und dessen Wasserbomben immerhin 13 Meter in der Sekunde sanken. Zum Glück für das Boot waren diese Werfer nicht an Bord der Kriegsschiffe, denn selbst wenn das Boot in über 200 Meter Tiefe fuhr, würde so ein Sprengkörper in gut einer viertel Minute bis dahin sinken, zu knapp für das Boot, um noch ausweichen zu können.

Haberkorn hatte sich für ein langes Geduldsspiel eingerichtet. Flüsternd war er mit dem Obersteuermann noch einmal ihre Optionen durchgegangen. So wie sie es auch drehten, es gab keine neue und für den Gegner überraschende Taktik. Es hieß also wieder, mit ständigem Hakenschlagen und wechselnden Tiefen irgendwie unter den geworfenen Wasserbomben wegzukommen. Haberkorn würde die Batteriekapazität nicht schonen und auch mit hohen Fahrtstufen manövrieren, diesmal hatte es keinen Sinn, sich Reserven aufsparen zu wollen. Es war 7 Uhr 28, als der eine Zerstörer anlief.

Entweder konnten sie sich letztlich noch einmal absetzen, oder sie würden von den Jägern an der Oberfläche zu Tode gehetzt werden.

Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 18

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