Читать книгу Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 9 - Frank Hille - Страница 3
Fred Beyer, 12. November 1942, Russland
ОглавлениеVor fast genau 4 Wochen war die Panzerkompanie zur Sicherung eines Munitionslagers im Hinterland verlegt worden und am folgenden Tag nach ihrer Ankunft dort in heftige Gefechte mit russischen Luftlandeinheiten geraten. Gefangenaussagen hatten vorher Anhaltspunkte für diese Operation geliefert, und obwohl die deutsche Führung dies als relativ unwahrscheinlich ansah, waren die Kräfte doch verstärkt worden. Um das unterirdisch angelegte Lager waren Stacheldrahtzäune gezogen worden und an den Eckpunkten des rechteckigen Areals standen 2-Zentimeter-Vierlingsflaks. Infanteristisch waren drei Kompanien vor Ort, die sich jeweils im Dienst abwechselten. Rings um den Bereich hatten Pioniere Minengürtel gelegt. Lediglich am Haupteingang war eine Lücke von 20 Metern gelassen worden, damit die LKW dort ungehindert ein- und ausfahren konnten. Dort waren 2 MG Bunker aus Beton errichtet worden. Auch innerhalb des Lagers standen etliche Maschinengewehre in gut ausgebauten und geschützten Unterständen. An den Flanken des Objektes waren 7,5 Zentimeter PaK eingegraben worden. Um das Lager für die Russen nicht zu auffällig zu machen und noch extra Bezugspunkte zu bieten, war auf die Aufstellung von Wachtürmen verzichtet worden. Nur ein flaches Steingebäude stand in dem Areal, dort wohnten die Offiziere.
„Was soll der Unsinn“ hatte Bergner gesagt „wo sollen wir denn Stellung beziehen? Hinter dem Zaun? Vor dem Minengürtel? Ich verstehe das nicht.“
„Warte doch den Befehl ab“ hatte Lahmann beschwichtigt „dann wirst du‘ s schon erfahren. Wo würdest du uns denn postieren? Na?“
„Was weiß ich denn, bin doch nicht aus dem Generalstab“ motzte Bergner „frag‘ doch Fred, der ist der Kommandant.“
Fred Beyer hatte sich vom Panzerturm aus mit dem Gelände vertraut gemacht. Die Gegend war eben, kaum bewachsen und weit einsehbar, in ungefähr 2 Kilometern Entfernung sah er ein Waldstück. Da sich das Lager in sicherer Entfernung von der Front befand war auf die Stationierung schwerer Waffen verzichtet worden, denn falls Partisanen angreifen sollten, würden die MG und die Flakvierlinge im Erdkampf verheerende Wirkung haben. Die Heranführung von Panzern erschien Beyer auch nicht einleuchtend, denn die Fallschirmjäger würden nur ihre Handfeuerwaffen und Sprengstoff mitführen können. Allerdings wären die Panzer IV in der Lage, mit ihren Sprenggranaten und den Bord-MG die Angreifer vernichtend zu schlagen. Da aber niemand wusste, ob die Luftlandeoperation überhaupt und wo ausgeführt werden würde, konnten nur Vermutungen aufgestellt werden. Die Panzer hatten sich nach ihrer Ankunft im Gelände verteilt, um kein konzentriertes Angriffsziel für die russische Luftwaffe zu bilden. 15 Minuten später befahl der Kompaniechef die Kommandanten zu sich und erläuterte ihnen den Auftrag. Fred Beyer sprach danach mit seinen Männern darüber.
„Wir sollen also mit unseren 12 Panzern im Wald Stellung beziehen und im Fall der Fälle dann in den Kampf eingreifen. Im Wald sind wir vor der feindlichen Aufklärung verborgen und die Strecke bis zum Munitionslager schaffen wir in etwas mehr als 5 Minuten. Wir sollen uns ständig in Alarmbereitschaft halten und nachts ist Licht verboten. Falls der Iwan kommt werden wir in zwei Gruppen vorgehen, und je nach Entwicklung der Lage noch weiter aufteilen. Aber wir wissen eben rein gar nichts, also lassen wir uns eben überraschen.“
Am nächsten Tag um 3 Uhr ließen 160 Kilometer hinter der Front 23 Tupolew TB 3 Bomber ihre jeweils 4 wassergekühlten 12 Zylinder V-Motoren M 17 – ein Lizenzbau des BMW VI - warm laufen, 20 Kilometer südlich noch einmal 18 Maschinen. Sämtliche Bewaffnung war aus den Maschinen ausgebaut worden und in den Rümpfen hockten 40 Fallschirmjäger auf Holzbänken. An den Tragflächen waren Haltekabel angebracht worden, an denen sich auf jeder Seite nochmals 5 Luftlandesoldaten abenteuerlich festgehakt hatten. Nachdem die Motoren auf Betriebstemperatur gekommen waren rollten die 17 Tonnen schweren Maschinen langsam an. Die Graspiste war lang, und erst nach mehr als 500 Metern hoben sie mühsam ab. Das Muster war seit Mitte der 30iger Jahre im Einsatz und total veraltet, sowohl vom Konzept als auch von den Leistungen her gesehen. Dennoch setzten die Russen diese Maschinen weiter ein, denn sie waren noch in großer Zahl vorhanden, da sie zu Beginn des Krieges weit hinter der Grenze stationiert gewesen waren und so nicht den Luftschlägen der Deutschen am ersten Angriffstag zum Opfer fallen konnten. Wie schwerfällig diese Flugzeuge waren zeigte sich auch darin, dass sie 9 Minuten benötigten, um auf 1.000 Meter steigen zu können. Nach ungefähr 40 Minuten hatten sich die Maschinen formiert und krochen mit 150 Kilometern in der Stunde über den Himmel. Der frühe Startzeitpunkt war gewählt worden, um deutschen Jägerattacken zu entgehen. Darin lag aber auch eine große Gefahr, denn es fehlte jegliche Einrichtung in den Maschinen, die sie nachtflugtauglich gemacht hätten. Aus diesem Grunde waren sehr große Abstände zwischen den Maschinen vorgeschrieben worden und der russischen Führung war durchaus bewusst, dass das Absetzen der Fallschirmjäger zum Problem werden könnte, da am Boden keinerlei Markierungen für die Absprungzone vorhanden waren. Man ging aber davon aus, dass die ganze Sache irgendwie gelingen würde, und die 40 Maschinen immerhin 2.000 Männer absetzen könnten, die, selbst wenn sie zerstreut wären, in Gruppen auf das Lager vorgehen könnten. Beim Anflug selbst sollten die zu Transportern umgebauten Bomber möglichst tief gehen, um so visuell den günstigsten Absetzpunkt zu finden. Alles in allem war das ein Vabanquespiel, das rein auf das Glück setzte. Für die Fallschirmjäger war es ein Himmelfahrtskommando, denn sie sollten sich nach Abschluss des Unternehmens zu Fuß durch die Front zu den eigenen Truppen durchschlagen.
Die Bedienungen der 2-Zentimeter-Flak-Vierling 38 saßen frierend in ihren Unterständen, es wurde nachts jetzt schon empfindlich kalt. Am Zaun patrouillierten Doppelposten und ansonsten schien alles so, wie es auch die Wochen vorher gewesen war, nichts passierte. Nur einmal, nach Errichtung des Munitionslagers, hatten Partisanen einen Angriff unternommen, aber die Flakkanoniere hatten ihre Waffen für den Erdkampf vorbereitet und die eingespielten Bedienungen kamen auf eine Schussfolge von 800 Patronen pro Minute. Die Russen wurden in diesem Feuerhagel regelrecht zerrissen, und es gab keine weiteren Versuche mehr, das Lager einzunehmen. Die Deutschen hatten also eine gewisse Garnisonsmentalität angenommen, aber das Wachregime funktionierte weiterhin ohne Probleme und wurde streng durchgeführt. Die Männer eines der Doppelposten drehten bedächtig ihre Runden in dem ihnen zugewiesenen Bereich.
„So eine Scheiße“ sagte der eine „bald wird es wieder arschkalt werden und in unseren Erdbunkern wird es ja nie so richtig warm. Ich kann nicht sagen, dass ich mich auf einen weiteren Winter hier freue. Außerdem würde ich Weihnachten gern bei meiner Frau und den Kindern sein.“
„Vergiss‘ es“ erwiderte der andere „jetzt wird erst einmal gesiegt, dann kannst du vielleicht mal nach Hause fahren. Paulus scheint in Stalingrad ganz gut voran zu kommen, und wenn er über die Wolga übersetzen könnte wäre das ein entscheidender Schritt, um weiter nach Osten vorrücken zu können. Du wirst sehen, nächstes Jahr wendet sich das Blatt und wir machen dem Iwan wieder Beine, so wie 1941. Außerdem geht’s uns doch hier nicht schlecht, oder? Oder hast du Lust, dir an der Front die Knochen zerschießen zu lassen?“
„Nee, natürlich nich. Als wir auf Moskau in unseren dünnen Sommeruniformen vorgerückt sind und der Iwan uns dann in Schnee und Eiseskälte zurückgetrieben hatte, hab‘ ich mir am linken Fuß zwei und am rechten Fuß eine Zehe erfroren. Die hat man mir dann ohne großes Federlesens im Lazarett amputiert. Der Arzt hat die einfach in einen Blecheimer geworfen, wie Abfall! Da dachte ich mir, jetzt ist der Krieg für dich vorbei. Denkste! Sagt mir doch son arroganter Kerl auf dem Wehrkreisamt, dass ich weiterhin frontdiensttauglich bin und für Führer und Vaterland kämpfen kann, allerdings nicht bei der Infanterie, weil ich ja die langen Märsche nich mehr schaffen würde. Also bin ich hier gelandet. Aber hast ja recht, schlecht geht‘s uns hier nicht.“
Die beiden Posten begaben sich wieder auf den Rückweg, nachdem sie das Ende ihres Abschnittes erreicht hatten.
„Hörst du das auch“ fragte der eine Soldat gespannt nach einer Weile.
„Was?“
„Na da ist so was wien fernes Brummen.“
„Ich höre nichts.“
„Sag mal, machst du dir ab und zu mal die Ohren sauber? Oder wasch dir ab und zu mal die Füße, da rutscht der Dreck besser nach. Hör‘ mal genau hin.“
Der andere Mann lauschte, dann sagte er:
„Stimmt, ich hör‘ auch was. Das wird auch lauter. Was kann das sein?“
„Flugzeuge?“
„Um diese Zeit, Quatsch! Ist doch noch viel zu dunkel. Die sehn doch gar nichts.“
„Du, da is was. Ich informiere mal den wachhabenden Offizier.“
Der Mann ging zu einem Feldfernsprecher, drehte die Kurbel und meldete dann:
„Unklare Geräusche, näherkommend.“
Kurze Zeit später war ein Oberleutnant bei den Posten, auch er lauschte.
„Alarm auslösen“ befahl er, einer der Posten drehte die Kurbel einer Sirene.
Ein heulender Ton zog über das Gelände, nach 3 Minuten hatten die Soldaten ihre Positionen eingenommen. Die Flakkanoniere hatten die Munitionsmagazine in die Waffen eingeführt, die MG-Schützen die Gurte in die Waffen eingelegt. Die PaK Bedienungen hockten hinter den Schutzschilden ihrer Geschütze. Die in dem Wald verborgenen Panzer wurden über Funk informiert, dass höchste Alarmbereitschaft ausgerufen sei, sie sollten die Motoren warm laufen lassen.