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Günther Weber, 12. November 1942, Russland

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Vor fast genau 4 Wochen hatte das SS-Bataillon mit anderen deutschen Einheiten Novosil nach einem kurzen aber heftigen Kampf eingenommen. Für Günther Weber war es unverständlich geblieben, warum die Russen den Ort nicht besser geschützt und dort nur leichte Waffen und einige PaK stationiert hatten. Die deutschen Panzer waren relativ schnell durch die Verteidigungslinie durchgestoßen und die anderen Truppen hatten einen Ring um den Ort gebildet. Erstaunlicherweise gaben die Russen schnell auf, aber dann stellte sich heraus, dass sie trotz der strategisch interessanten Lage des Ortes weder ausreichend mit Munition noch mit Verpflegung versorgt worden waren und sich demzufolge schnell verschossen hatten. Einigen kleineren Gruppen war es gelungen aus der Umklammerung durch die Deutschen auszubrechen, aber der größte Teil der Russen, ungefähr 1.200 Mann, ging in Gefangenschaft. Weber war mit den Männern seiner Kompanie in einem Teil einer leeren Werkhalle untergekommen. Auch die anderen beiden Kompanien waren dort untergebracht worden und die Soldaten hatten sich so gut es ging Schlafstätten aus Stroh gebaut. Seit der Einnahme des Ortes hatten die Männer die Aufgabe einer Garnisonsbesatzung übernommen. Nur einige Panzer waren im Ort verblieben und nur ein paar PaK waren an den Rändern der kleinen Stadt in Stellung gegangen, weil man momentan nicht von gegenwärtig zu erwartenden Operationen der Russen ausging. Die Kämpfe waren ohnehin abgeflaut, denn noch herrschte die Schlammperiode, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis es wieder heftig kalt werden würde. Schon jetzt waren die Temperaturen auf 5 Grad gesunken aber das reichte nicht aus, den Schlamm erstarren zu lassen. In der Halle waren einige Kanonenöfen aufgestellt worden aber durch die Höhe des Gebäudes wurde es so gut wie nie warm, und die Männer schliefen in ihren Winteruniformen. Günther Weber versuchte, so wie die anderen auch, die Zeit totzuschlagen, aber es gab natürlich wenige Gelegenheiten dazu. Er schrieb öfter an seine Eltern und Karla. Sein Vater hatte berichtet, dass die Bombenangriffe in der letzten Zeit an Intensität zugenommen hätten, aber ihr relativ kleiner Ort stand noch nicht im Visier der Engländer und Amerikaner, obwohl dort doch einige Industrie angesiedelt war. Die Produktion wäre immer weiter hochgefahren worden aber es würde sich nun sehr deutlich zeigen, wie viele Männer einberufen worden waren, und auch bestimmte Materialien würden knapp. Dennoch sei er zuversichtlich, dass der Russe nach dem Fall von Stalingrad dann endgültig aufgeben würde. Karla hatte Weber geschrieben, dass sie jetzt von Montag bis Samstag jeweils 10 Stunden am Tag arbeiten müsste und schon merken würde, wie sehr sie das anstrenge. Aber für sie als Nationalsozialistin gäbe es gar keine Diskussion darüber, es sei erforderlich und damit richtig.

Novosil war mit dem deutschen Hinterland über einige Straßen verbunden, aber das große Waldstück blieb weiterhin eine Gefahrenquelle. Kurz nach der Einnahme des Ortes war der Befehl ergangen, die beim Vormarsch durch den Wald gefallenen deutschen Soldaten zu bergen. Für die Wehrmacht und SS war es selbstverständlich, ihre Toten auch unter der Inkaufnahme weiterer Verluste ordentlich zu bestatten. Günther Weber hatte mit seiner Kompanie den Auftrag erhalten zu der Stelle vorzurücken, wo die Russen den Panzer IV vernichtet hatten und einige Soldaten in den Minenfeldern ums Leben gekommen waren. Ein Zug Pioniere, die Minen räumen sollten, würde die Einheit verstärken. Allen war klar, dass sich versprengte Rotarmisten und Partisanen in dem weitläufigen Gebiet aufhalten könnten und den Vorteil der genauen Geländekenntnis hatten. Aufklärungsflüge über dem Gebiet hatten keine Erkenntnisse darüber erbracht, wo mit dem Gegner zu rechnen war. Es war eine denkbar schwierige Aufgabe bis zu der Stelle zu gelangen, und nicht in Hinterhalte zu geraten. Einige der Männer der SS-Kompanie, die schon länger bei der Truppe waren, hatten Erfahrungen in der Partisanenbekämpfung und wussten genau, wie gefährlich der Einsatz werden konnte. Insgesamt sah der Plan so aus, dass die Männer mit ihren Schützenpanzerwagen bis an den Waldrand vorrücken, dann absitzen und in weit auseinandergezogenen Schützenketten und sich gegenseitig Deckung gebend das Zielgebiet erreichen sollten. Dazu sollten sie rechts und links neben dem Waldweg marschieren und zwei der Schützenpanzerwagen würden ihnen folgen, sie sollten dann die Toten aufnehmen und transportieren. Wenn es möglich wäre sollten Gefechte vermieden werden, für das Ausräuchern des Feindes dort würde demnächst eine größere Operation stattfinden.

Günther Weber hatte seinen Männern eingeschärft, sprungweise, und immer in Deckung von Bäumen vorzurücken. Auf besonders leises Vorgehen sollten sie nicht achten, die beiden SPW auf dem Waldweg wären ohnehin nicht zu überhören. Der Gedanken der dieser Vorgehensweise zugrunde lag war der, den Russen eine größere Einheit vorzugaukeln und sie zu veranlassen, einem Gefecht aus dem Weg zu gehen. Die Männer saßen ab und bewegten sich neben dem Waldweg in einer lockeren Kette vorwärts. Das Gelände war überwiegend mit Nadelbäumen bestanden, die in teils sehr engen Abständen voneinander standen. Der Blick in die Umgebung war dadurch ziemlich eingeschränkt, man konnte ungefähr 15 Meter weit sehen. Weber lief in der ersten Reihe der Männer mit. Diejenigen, die ganz vorn gingen, sollten sich auf den Boden konzentrieren und nach Anzeichen von verlegten Minen suchen, die anderen sie decken. Bis zur Stelle des Gefechtes waren es nach Webers Erinnerung knapp 1.500 Meter. Die Soldaten kamen unbedrängt voran und erreichten den abgeschossenen Panzer und die Minenfelder schnell. Jetzt rückten die Pioniere vor und die übrigen Männer gaben ihnen Feuerschutz. Mit langen Metallstangen stocherten die Soldaten vorsichtig im Erdreich herum. Die Russen hatten auf dem Waldweg Panzer-, und im Wald Personenminen verlegt. Vorsichtig und mit bloßen Händen gruben die Pioniere die Sprengkörper aus, und nach bangen 45 Minuten konnten sie einen Zugang zum Panzer und den in den Minenfeldern getöteten Soldaten herstellen. Vor dem Wrack des Panzers lagen die beiden erschossenen Männer der Besatzung, die anderen 3 mussten in dem Fahrzeug verbrannt sein. Die toten Panzersoldaten und die gefallenen Infanteristen wurden von jeweils 2 Männern zu den Schützenpanzerwagen getragen und dort abgelegt. Insgesamt wurden 7 Leichen geborgen. Die in den Minenfeldern Umgekommenen hatten schreckliche Verletzungen davongetragen. Allen waren Füße oder Beine abgerissen worden, einigen auch Hände und Arme.

Weber hatte den Auftrag erhalten, alle Gefallenen zu bergen. Das bedeutete auch, sofern es überhaupt möglich sein sollte, die drei Männer aus dem Panzer heraus zu holen. Das Fahrzeug war ausgebrannt und er ging davon aus, dass die Soldaten als Gestalten nicht mehr zu erkennen sein würden. Weber hätte einen seiner Männer in das Wrack schicken können, aber er wollte es selbst auf sich nehmen, diese Situation auszuhalten. Fahrer-, Funker- und Turmluke standen offen. Er kletterte auf den Turm und schaute in das Innere des Fahrzeugs. Alles war rußverkrustet und die Farbe an den Innenwänden durch die Hitze abgeblättert. Günther Weber ließ sich vorsichtig in den Innenraum herab und suchte mit den Füßen nach einem Halt. Es war dunkel und er konnte nichts erkennen. Als er sich etwas bewegte knirschte es unter seinen Füßen, so, als würde er auf einen durchgebrannten Ast in einer Feuerstelle treten. Tastend fand er die Verschlusshebel der seitlichen Turmeinstiegsklappe des Richtschützen, entriegelte diese und konnte die zweigeteilte Klappe öffnen. Jetzt sah er besser. Günther Weber ahnte, welcher Anblick ihn jetzt erwarten würde. Wäre er darauf nicht vorbereitet gewesen, hätte er wohl von Schreck laut aufgeschrien. Er stand hinter dem Verschluss der Kanone auf der Turmbühne und links von ihm war eine verkohlte Gestalt auf dem Richtschützensitz festgebacken. Das Feuer hatte den Mann in eine unförmige schwarze Gestalt verwandelt, am Schädel waren Haare, Fleisch und Haut abgesengt worden und hatten einen scheinbar grinsenden Totenkopf freigelegt. Im Panzer roch es seltsamerweise eigentlich nach nichts. Weber riss sich zusammen und schaute sich den Toten genauer an. Die Uniform hatte sich in dessen jetzt schwarzes Fleisch eingebrannt und Weber hoffte, dass der Soldat bei der Minenexplosion verwundet worden und schnell gestorben war. Er zwang sich, die um den Hals des Mannes baumelnde Erkennungsmarke durchzubrechen, und steckte die Hälfte in seine Uniformtasche. Rechts, auf dem Boden der Turmbühne, sah er einen unförmigen schwarzen Haufen liegen, das war alles, was vom Ladeschützen übrig geblieben war. Fleisch und Knochen waren so verschmort und zusammengebacken, dass er in dieser Masse keine Erkennungsmarke finden konnte. Günther Weber kletterte aus dem Turm heraus und sprang vom Panzer herunter. Dann ging er zu der durch den Explosionsdruck aufgeflogene Luke des Funkers. Das durch die Luken hereinscheinende Licht ließ ihn die Leiche des Mannes erkennen. Auch er war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Weber sah aber auch, dass nur noch ein kopf- und gliederloser Torso auf dem Sitz hockte. Die Panzermine war unter der rechten Kette explodiert und hatte die gerade einmal 10 Millimeter starke Wannenbodenpanzerung aufgerissen und den Funker regelrecht zerfetzt. Eine Erkennungsmarke würde er hier nicht mehr finden können. Er wandte sich ab und stellte fest, dass seine Hände schwarz waren. Es war Ruß, aber dieser Ruß war entstanden, als der Richtschütze vielleicht bei lebendigem Leib verbrannt war. Diese Art des Sterbens kam Weber grausam vor, aber welcher Kriegstod war schon so etwas vorzuziehen. Er dachte an seinen Freund Martin Haberkorn, der jederzeit in seinem absaufenden U-Boot jämmerlich ertrinken könnte. Er selbst als Infanterist war ständig der Gefahr ausgesetzt, von einer Mine zerfetzt zu werden, oder von Granaten und Kugeln getötet zu werden. Das tägliche Sterben war Alltag geworden und Weber sah ganz genau, dass seine Generation die höchsten Opfer brachte. Dennoch glaubte er, schon allein um dem Tod der vielen bisher gefallenen Kameraden einen Sinn zu geben weiterhin fest daran, dass Deutschland diesen Krieg um jeden Preis gewinnen musste und auch würde.

Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 9

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