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2. Perspektiven auf 1989/90

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30 Jahre danach hat sich in den Auseinandersetzungen mit den Ereignissen von 1989/90 in der DDR das Wortpaar „friedliche Revolution“ bzw. der Eigenname Friedliche Revolution als gültiger Begriff vorerst durchgesetzt.19 Obwohl der Revolutionsbegriff bis heute unter den damals beteiligten Akteuren der Bürgerrechtsbewegung stärker noch als unter den Historikern umstritten ist,20 konnte dieser sich mit seinem auf Gewaltlosigkeit abhebenden Adjektivzusatz im öffentlichen Sprachgebrauch etablieren. Die Charakterisierung der Ereignisse als „friedliche Revolution“ geht wohl auf den damals Regierenden Bürgermeister West-Berlins, Walter Momper, zurück, der in seiner Rede vor dem Schöneberger Rathaus am Tag nach dem Mauerfall „die Bürgerinnen und Bürger der DDR zu ihrer friedlichen und demokratischen Revolution“ beglückwünschte. Nachdem auf den Protestveranstaltungen des Herbstes 1989 viel von der „friedlichen Revolution“ geredet worden war und sich der Resonanzrahmen des Begriffs in ost- und westdeutschen Medien erheblich ausgeweitet hatte, nahmen auch führende bundesdeutsche Politiker wie Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Bundeskanzler Helmut Kohl die Wendung Mompers in ihren umjubelten Ansprachen auf und etablierten damit die Identität eines gewaltlosen und revolutionären Umbruchs.21 Nachfolgend bezeichnete selbst DDR-Ministerpräsident Hans Modrow das „zu Ende gehende Jahr 1989“ in seiner Neujahrsansprache „als das Jahr der friedlichen Revolution“ und auch das erste frei gewählte Parlament der DDR stellte im April 1990 in einer ersten Erklärung fest: „Die Bevölkerung der DDR hat durch ihre friedliche Revolution im Herbst 1989 die trennende Wirkung der menschenverachtenden innerdeutschen Grenze beseitigt.“22

Die Verankerung eines von den politischen Akteuren der Zeit geprägten Revolutionsbegriffs mit dem Adjektiv „friedlich“ als charakterisierendes Auszeichnungsmerkmal im historisch-politischen Sprachgebrauch der Gegenwart ist insofern historisch vereinfachend, als vom SED-Regime noch bis zum Tag des erzwungenen Nichthandelns auf der Leipziger Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989 Gewalt in Form von „Zuführungen“, Prügeleien und Drangsalierungen gegen Teilnehmer der von staatlicher Seite zunächst als „Konterrevolution“ kategorisierten Proteste ausging.23 Auch nach diesem „Tag der Entscheidung“,24 der die „Kapitulation der Staatsmacht“25 einläutete, war die Furcht der Demonstrierenden vor Gewalt und Repression nicht plötzlich verflogen, sondern bis in den Winter hinein handlungsleitend präsent.26 Obwohl das Wortpaar „friedliche Revolution“ das Gewalthandeln des Regimes verdrängt und das über den 9. Oktober hinaus bestehende Drohpotential vernachlässigt, trifft das Adjektiv „friedlich“ andererseits bedeutende Aspekte der Entwicklung. Es hebt nicht nur auf das Abrücken der sowjetischen Staatsführung unter Michail Gorbatschow von der seit 1968 gültigen Breschnew-Doktrin als einer wichtigen Bedingung für das Ausbleiben einer „chinesischen Lösung“ in jenen in Bewegung geratenen Peripherien des Imperiums ab, sondern vor allem auf die Gewalt ächtenden Demonstrationsformen und die Protestparole „Keine Gewalt!“, die als Hoffnung, Selbstanspruch und Handlungsstrategie der Opposition im Herbst 1989 omnipräsent war.27

In einem von staatlichen wie nichtstaatlichen Akteuren geförderten Selbstverständnis bundesdeutscher Erinnerungskultur wirkt die Friedliche Revolution heute als positiv besetzter Erinnerungsort der jüngsten deutschen und europäischen Zeitgeschichte. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert symbolisiert dieser Begriff den im Gewaltverzicht der Proteste liegenden Erfolg einer von unten herbeigeführten Revolution in Deutschland gegen Diktatur, für die liberale Demokratie und staatliche „Einheit in Freiheit“.28 Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 ist das Schlüsselereignis, die Bilder des friedlich-emotionalen Grenzübertritts zahlreicher DDR-Bürger die übliche Visualisierung dieser Erzählung. Mompers Glückwunsch an die friedlichen Revolutionäre in der DDR war ja bereits unmittelbar auf die Ereignisse und Bilder dieses Datums bezogen und auch Kohl wandte sich in seinen Reden über die „friedliche Revolution“ stets an diejenigen Demonstrierenden, die seit dem Mauerfall und seiner Zehn-Punkte-Initiative Ende November vermehrt dem politischen Programm einer staatlichen Vereinigung folgten. Die spätere Aufladung des Begriffs ist also bereits in seiner zeitgenössischen, politisch motivierten Verwendung als Wortpaar „friedliche Revolution“ angelegt. Eingebettet in die Meistererzählung eines „langen Weges nach Westen“ oder einer „geglückten Demokratie“,29 dient die Friedliche Revolution als historisches Schlüsselereignis und erzählerischer Fluchtpunkt der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. In der zeitlich längeren Perspektive enden mit ihr die deutschen Sonderwege;30 in der zeitlich kürzeren fungiert sie als Meilenstein der erfolgreichen politischen und kulturellen Westintegration Deutschlands nach 1945. Insofern irrt Andreas Rödder in seiner als „deutsche Revolution“ gedeuteten „Geschichte der Wiedervereinigung“, wenn er in dem Begriff der Friedlichen Revolution das Wirken „der Opposition bzw. der Bürgerbewegung […] als verursachende Kraft für das Ende des SED-Staates“ überbetont sieht.31 Vielmehr hat sich die Friedliche Revolution zu einem Integrationsbegriff im Pathos einer nationalen Freiheits- und Einheitsbewegung entwickelt,32 der – zeitgenössische Zielvorstellungen marginalisierend – Akteure und Ereignisse der Jahre 1989/90 zu umschließen versucht und aufgrund seiner narrativen Reichweite gewiss normativ aufgeladen ist, aber nicht, wie Rödder meint, im Sinne der politischen Ideen der „Bürgerbewegung“, sondern im Geiste eines nationalen historischen Fortschritts hin zu einer freiheitlichen Demokratie westlicher Prägung in Deutschland.33

In Deutungskonkurrenz zur Friedlichen Revolution steht der Begriff der Wende, der sich im alltäglichen Sprachgebrauch der meisten ostdeutschen Zeitgenossen bis in die Gegenwart hinein etablieren konnte. Die Wende geht in ihrer für die Ereignisse von 1989/90 ausschlaggebenden Bedeutung als gesellschaftlicher Reformbegriff auf Michail Gorbatschow, im deutschen Kontext auf den Dresdner Schriftsteller Volker Braun und schließlich auf eine Titelseite des Magazins Der Spiegel vom 16. Oktober 1989 zurück.34 SED-Generalsekretär Egon Krenz, der heute meist als Urheber des Begriffs gesehen wird, versuchte diesen zu einem Zeitpunkt machtkalkulierend zu besetzen, als der Partei nach der Abdankung Erich Honeckers im Oktober 1989 keine andere Option mehr blieb, als zumindest rhetorisch auf einen Kurs der „Umgestaltung“ einzuschwenken. Heute betont die Wende weniger das Wie und Wofür der Demonstrationen im Herbst 1989, als vielmehr die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der staatlichen Vereinigung in den 90er Jahren und die damit verbundene Erfahrung eines tiefgreifenden sozialen Wandels. Diese Feststellung ist umso erstaunlicher, als damit die Protagonisten der Friedlichen Revolution zur Beschreibung ihres Verständnisses von den Ereignissen der Jahre 1989/90 nicht etwa das positiv besetzte Angebot, mit eigener Kraft die SED-Diktatur überwunden und die Voraussetzungen für Demokratie und nationale Einheit geschaffen zu haben, bedienen, sondern stattdessen mehrheitlich die gesellschaftlichen Folgen des Zerfalls der DDR und der staatlichen Vereinigung, die Zeit der Transformation in den Mittelpunkt ihrer Erinnerung stellen. Gegen das Geschichtsbild der Friedlichen Revolution mit seiner Perspektivierung auf den von unten herbeidemonstrierten und von oben realisierten politischen Verfassungswandel, dient einer Mehrheit der Ostdeutschen die Wende heute als unmittelbar lebensweltlicher Erfahrungsbegriff, der die Jahre um 1989/90 als einen kollektivbiographischen Wendepunkt definiert. Dieser Wendepunkt trennt eine historische von einer bis in die Gegenwart reichende Lebenswelt in Ostdeutschland: das Erleben von relativer Eindeutigkeit und Stabilität in der spätsozialistischen Gesellschaft der „Konsensdiktatur“35 einerseits und die postsozialistische Erfahrung eines grundschürfenden Wandels der sozialen und kulturellen Verhältnisse andererseits.36 Die erinnerungsmäßige Konzentration auf den Systemwechsel in den 90er Jahren schiebt den Topos der Friedlichen Revolution in den Hintergrund, auch weil die „lange Geschichte der ‚Wende‘“37 von vielen Ostdeutschen selbst im Rückblick nur schwer mit dem Adjektiv „friedlich“ assoziiert werden kann. Gleichzeitig erlaubt der im Vergleich zur Revolution schwächere Bewegungsbegriff der Wende, den Systemwechsel in der Erinnerung durchlässiger für kulturelle Kontinuitätslinien zu gestalten. Während der Revolutionsbegriff zur kritischen Auseinandersetzung und Abgrenzung mit der vorrevolutionären Vergangenheit auffordert, hilft der Begriff der Wende, die Frage der eigenen Rolle in der „heilen Welt der Diktatur“38 nicht in den Kategorien von persönlicher Verstrickung und Verantwortung zu verhandeln. Der Bruch mit der DDR fällt im Sprechen über die Wende weniger stark aus, wie diese überhaupt vieles Diktatorische und Repressive verschleiert. Enttäuschte, womöglich überzogene „Wende-Erwartungen“39 – mögen sie früher oder später auch erfüllt worden sein – speisen bis heute eine vor allem in Ostdeutschland identitätsstiftende Gerechtigkeitsdebatte.

Wende und Friedliche Revolution zeigen aber nur die zwei deutungsmächtigsten Perspektiven auf die Ereignisse von 1989/90 an. Einen dritten Standpunkt nehmen zahlreiche Akteure der DDR-Bürgerrechtsbewegung ein. Sie sahen und sehen bis heute ihr Denken und Handeln weder mit einem auf die bundesrepublikanischen Verhältnisse zielenden Revolutionsbegriff noch mit der von den alten Machthabern korrumpierten und einer vermeintlichen vox populi nach dem Mund redenden Wende adäquat beschrieben. Christa Wolf stellte bereits in ihrer Demonstrationsrede am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz fest:

„Mit dem Wort Wende habe ich meine Schwierigkeiten. Ich sehe da ein Segelboot, der Kapitän ruft: ‚Klar zur Wende!‘, weil der Wind sich gedreht hat und die Mannschaft duckt sich, wenn der Segelbaum über das Boot fegt.“40

Dieses Bild bemühte die Schriftstellerin gegen die personell erneuerte SED-Führung unter Egon Krenz, der noch im Juni die gewaltsame Niederschlagung des Studentenaufstandes in Peking begrüßt hatte und von dem die Opposition nun fürchtete, seine Ankündigung zur „Wende“ vom 18. Oktober sei der bloß verschleierte Auftakt zur Stabilisierung alter SED-Herrschaft durch neuerliche Disziplinierungsmaßnahmen gegen die gerade „mündiggewordenen Mitbürger“.41 Mit dem unbedingten Anspruch an das eigene Handeln demokratisch legitimiert zu sein und mit dem generell positiven Bezug auf einen „richtigen“ und „schöpferischen Sozialismus“,42 verstanden sich zahlreiche Akteure der Bürgerrechtsbewegung zunächst als Gesellschaftsreformer für eine „friedliche und demokratische Erneuerung“43 und weniger als machtstürzende, an einer Alternative zum Sozialismus orientierte Revolutionäre mit eigenem Herrschaftsanspruch.44 Ihre Vision eines demokratisierten Sozialismus in der DDR zielte „nach all den Jahren der Stagnation, der geistigen, wirtschaftlichen, politischen, den Jahren von Dumpfheit und Mief, von Phrasengedresch und bürokratischer Willkür, von amtlicher Blindheit und Taubheit“45 auch auf eine „sozialistisch inspirierte Alternative zur Konsumgesellschaft in der Bundesrepublik.“46 Nahezu alle oppositionellen Gruppierungen, die seit September 1989 über verschiedene Wege in die Legalität gedrängt waren, legten in ihren Gründungsaufrufen ein mehr oder weniger klares Bekenntnis zur „Vision einer sozialistischen Gesellschaftsordnung“47 ab. Wenn es für diese Akteure rückblickend etwas wirklich Revolutionäres im Verlauf der Ereignisse von 1989/90 gegeben hat, dann liegt dieses nicht in der „nationalen Freiheits- und Einheitsbewegung, die folgerichtig in das Ende der über vierzigjährigen Teilung Deutschlands mündete“, wie es die „erfolgsgeschichtliche Revolutionserzählung“ einer Friedlichen Revolution kolportiert,48 sondern in dem zeitlich vorgelagerten Engagement gegen die politischen und gesellschaftlichen Zustände in der DDR – ein Prozess, den sie als Überwindung von Sprachlosigkeit, als „Aufbruch einer ganzen Generation, einer ganzen Gesellschaft aus selbst mitverschuldeter innerer Unmündigkeit und Feigheit“49 sowie als Erlernen und Praktizieren des „aufrechten Gangs“ begriffen.50 Bärbel Bohley, Mitbegründerin des Neuen Forums, äußerte sich im April 1990 auf den Herbst des Vorjahres zurückblickend:

„Dieses Land war anders. Da gab es immer die schweigende Masse. Das große Schweigen in diesem Land. Und ab September haben die Leute wirklich andere Augen gekriegt. Denen war egal, ob da noch jemand am Tisch saß, der von der Staatssicherheit war. Die haben geredet. Die haben sich zum erstenmal frei geredet. Und haben anders geguckt. Und waren sehr stolz auf ihren Mut. Und hatten auch Grund dazu, stolz zu sein. Weil sie irgendwas in sich überwunden haben, was sie jahrelang gehemmt hat. Von diesem ‚aufrechten Gang‘ ist jetzt schon so oft gesprochen worden, daß man es gar nicht mehr hören kann, aber es war eine Befreiung, eine innere Befreiung. Aber dann kam die Berührung mit dem bunten Laden Bundesrepublik. So einfach ist das. Ich sage das, weil ich festgestellt habe, daß sehr viele Dinge wirklich ganz einfach sind.“51

Die hier in den letzten Sätzen greifbare Enttäuschung über die programmatische Wende der Proteste von einem als „Selbstbefreiung“52 erfahrenen „Aufbruch“ der vormundschaftlichen Verhältnisse und von einem „Aufbruch“ in eine „deutsche demokratische Republik“ zu einer Orientierung auf das Wohlstandsversprechen des Verfassungs- und Wirtschafssystem im „Westen“, mündete in der Folge in eine „trotzige oder melancholische Gegenerinnerung ehemaliger Protagonisten“, die „resigniert mit dem Verlauf des Umsturzes von 1989/90 ins Gericht gehen“.53 Dieses Deutungsmuster lässt sich auch bei Konrad Weiß, einem Mitbegründer von Demokratie Jetzt, wiederfinden, der in seinen Worten – den Ausgang der Volkskammerwahl im März 1990 zugunsten der vereinigungsorientierten Allianz für Deutschland vor Augen – zugleich den Gesamtprozess der Entwicklung von 1989/90 tendenziell negativ beurteilt:

„Auch die Revolution vom vergangenen Herbst ist mißglückt. Ich selbst gebrauche eigentlich das Wort ‚Revolution‘ in diesem Zusammenhang gar nicht, sondern ich sage ‚Umbruch‘. Es hat sich viel verändert. Wir haben es geschafft, das SED-Regime und den ganzen Mechanismus, der damit verquickt war, zumindest in Ansätzen aufzulösen. Diese Arbeit ist noch lange nicht beendet. Aber wir haben es wieder nicht geschafft, etwas wirklich Neues zu beginnen. Diese Chance ist vertan worden, und ich denke, daß daran nicht zuletzt der 9. November 1989 schuld ist. […] Ich denke, der Umbruch, die Revolution, wenn Sie so wollen, ist von den Warenbergen, die die darauf unvorbereiteten DDR-Bürger zu Gesicht bekommen haben, erdrückt worden.“54

In zahlreichen weiteren Wortmeldungen der Akteure, seien sie mit den unmittelbaren Ereignissen verflochten oder als näher an der Gegenwart liegende Erinnerungen oder Reflektionen formuliert, lässt sich diese zwiespältige oder gar negative Bewertung der Revolution bzw. ihres Ausgangs im Beitritt der neuen Länder zur Bundesrepublik nachvollziehen.55 Wolfgang Templin, Gründungsmitglied der Initiative Frieden und Menschenrechte, schreibt in seinem 2010 veröffentlichten Essay über das „unselige Ende der DDR“:

„Im Bewusstsein, auf ihre Weise zum glücklichen Ausgang des kurzen 20. Jahrhunderts beigetragen zu haben, halten die meisten Beteiligten von 1989/90 an der Vorstellung von der Befreiungsrevolution fest – als Teil einer Kette von Befreiungsrevolutionen, in welcher für die DDR die Mauer fiel und für die Länder des Ostblocks der Eiserne Vorhang.“56

Die Formulierung „Befreiungsrevolution“ knüpft in ihrem Wortlaut und ihrer Symbolkraft unmittelbar an den Paradigmenwechsel des bundesdeutschen Umgangs mit der NS-Vergangenheit an, den 8. Mai 1945 nicht als Tag der militärischen Niederlage, sondern als „Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ zu erinnern, den Bundespräsident Richard von Weizsäcker mit seiner vielbeachteten Rede zum 40. Jahrestag der Kapitulation einzuläuten begann. Wenn nun das Ende der Diktaturen von 1945 und 1989 durch Templin gleichermaßen mit „Befreiung“ assoziiert wird, spiegeln sich darin zugleich seine persönlichen Erfahrungen mit dem Repressionsapparat des SED-Staates – er wurde Opfer von „Zersetzungsmaßnahmen“ des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), 1988 verhaftet und ausgebürgert – und der Einfluss totalitarismus-theoretischen Denkens in der Bürgerrechtsbewegung. Die DDR erscheint in dieser Deutung nicht nur als autoritäres Regime, sondern als totalitärer, Staat und Gesellschaft homogenisierender Ordnungsentwurf, der sich bloß in Farbe und Radikalität, nicht aber im Prinzip von der NS-Diktatur unterschieden habe.57 Für die Revolution von 1989/90 fallen Befreier und Befreite in der Perspektive einer „Befreiungsrevolution“ in eins. Die demonstrierenden Bürger der DDR hätten sich in einem Akt der „Selbstbefreiung“ den entfremdenden Implikationen und repressiven Strukturen der SED-Diktatur entledigt und damit „die Freiheit“, die die Freiheit von staatlicher Bevormundung und die Freiheit zum selbstbestimmten Leben meint, bereits gewonnen, als von nationaler Einheit noch gar keine Rede war. Der Mitbegründer von Demokratie Jetzt und Abgeordnete von Bündnis 90 in der frei gewählten Volkskammer, Wolfgang Ullmann, betonte in seiner Rede auf der Gründungsversammlung des „Kuratoriums für einen demokratisch verfassten Bund deutscher Länder“ im Juni 1990 diesen Sinnmoment der „Befreiung“, indem er die Bedeutung der Alexanderplatz-Demonstration vom 4. November 1989 für das politische und historische Selbstverständnis der Bürgerrechtsbewegung unterstreicht:

„Man stellte die Frage, welches Datum ich für einen künftigen Nationalfeiertag aller Deutschen vorschlage. Zur Auswahl standen der 8. Mai, der 17. Juni und der 9. November. Für keines dieser drei Daten konnte ich mich so recht erwärmen. […] Am nächsten läge mir, den 4. November vorzuschlagen, weil an jenem Tage in Berlin die Volkskammer vom Volk der friedlichen und gewaltlosen Demokratie besetzt worden ist. […] Es könnte die Antizipation eines noch nicht festliegenden Nationalfeiertages sein, an dem wir die Inkraftsetzung einer neuen, von den Deutschen aller Länder beschlossenen Verfassung feiern.“58

Die von Ullmann hier vorgenommene Interpretation des 4. November als vor allem symbolische Inbesitznahme des Staates und seiner Repräsentationen durch die demonstrierenden Bürger der DDR59 beschreibt den Höhepunkt in der bei Bohley, Weiß und Templin greifbaren Erzählung der Revolution von 1989/90 als Akt gesellschaftlicher und individueller „Befreiung“.60 Bis heute ist für die Gesellschaftsreformer der DDR-Bürgerrechtsbewegung daher nicht der 9. November 1989 oder der 3. Oktober 1990 zentraler Bezugspunkt und Erinnerungsort, sondern jene Demonstration der „Kunst- und Theaterschaffenden“ Ostberlins.61 Dieses Datum steht in den Augen der Akteure wie kein anderes Ereignis der Revolution für den kurzzeitigen Rückhalt der Bürgerrechtsbewegung in der Bevölkerung und für ihr politische Selbstverständnis einer „zivilen Gesellschaft“ abseits von Staatssozialismus und Kapitalismus.62 Der Wunsch Ullmanns nach einer gesamtdeutschen Verfassungsdiskussion entsprach dabei dem Versuch, das prozessorientierte Politik- und Demokratieverständnis der Bürgerrechtsbewegung in den seit dem Mauerfall einsetzenden und rasch an Bedeutung gewinnenden Wiedervereinigungsdiskurs einzubringen.63 Dass sich die Ereignisse überhaupt in diese Richtung entwickelten bzw. die Zielvisionen der Bürgerrechtsbewegung weder in der Verfassungsdiskussion der staatlichen Vereinigung noch im weiteren Verlauf des Vereinigungsprozesses breitere Gestaltungskraft erlangen konnten, ließ Akteure wie Konrad Weiß von einer „missglückten“, andere von einer „gezähmten“, „unvollendeten“ oder „abgebrochenen“, wiederum andere gar von einer „geklauten“ oder „abgetriebenen Revolution“ schreiben.64 „Wir konnten die Demokratie nicht selbst entwickeln, das Bonner Nilpferd hat die kleine Pflanze totgetreten“,65 lautete das Urteil Jens Reichs, Koautor und Erstunterzeichner des im September 1989 veröffentlichten Gründungsaufrufs des Neuen Forums.

Diese konkurrierenden Perspektiven auf die Revolution von 1989/90 zeigen an, dass der „demokratische Aufbruch“ in der DDR nicht einheitlich motiviert und nicht zielgerichtet auf die staatliche Vereinigung orientiert gewesen war, sondern von verschiedenen Akteursgruppen mit unterschiedlichen politisch-ideologischen und habituellen Dispositionen initiiert und getragen wurde. Die sich in Begriffen manifestierenden und in Deutungskonkurrenz zueinanderstehenden Sichtweisen auf die Ereignisse und Entwicklungen sind das Ergebnis unterschiedlicher, zum Teil widerstrebender oder konvergierender Problemdeutungen und Selbstverständnisse, Zielperspektiven und Handlungsstrategien, die während des Zusammenbruchs der SED-Diktatur im Herbst und Winter 1989/90 als historisch gewachsene oder spontan entstehende, sich verschränkende oder einander gegenüberstehende und sich abstoßende Konstellationen aufeinandertrafen.66 Wende, Friedliche Revolution und „Befreiungsrevolution“ sind Begriffe bzw. begriffsähnliche Beschreibungen, die im unmittelbaren Kontext des Geschehens als reine Darstellungen, erste Reflektionen und politische Programmbegriffe entstanden und daher aufs Engste mit den Akteuren der Zeit, ihren Weltdeutungen, Interessen und Handlungsstrategien verbunden sind. Die Erinnerung an die Revolution von 1989/90 in Publizistik und öffentlichem Bewusstsein, die wie kein anderes Ereignis der jüngsten deutschen Zeitgeschichte bis heute in beachtlichem Ausmaße von direkt oder indirekt am Geschehen Beteiligten geprägt wird, aber auch die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex haben diese Quellenbegriffe zu konträren, normativ aufgeladenen Deutungskomplexen fort- und festgeschrieben. Es scheint, als sei bis heute keine adäquate Analysesprache gefunden, um die Geschehnisse von 1989/90 über die zeitgenössischen Selbstdeutungen hinaus zu beschreiben und zu analysieren.

19Bernd Lindner: Die demokratische Revolution in der DDR 1989/90, 5. Aufl., Bonn 2010, S. 175 meint, dass der Begriff Friedliche Revolution spätestens seit dem 20-jährigen Mauerfalljubiläum im Jahr 2009 allgemeingültige Verwendung gefunden hat. Vgl. dazu auch die Ausführungen bei Philipp Ther: 1989 – eine verhandelte Revolution, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 11.02.2010, URL: http://docupedia.de/zg/1989, Stand: 19.01.2018.

20Vgl. Konrad H. Jarausch: Der Umbruch 1989/90, in: Martin Sabrow (Hg.): Erinnerungsorte der DDR, Munchen 2009, S. 526-535, hier S. 532f.

21Vgl. dazu und für die entsprechenden Zitate: Bernd Lindner: Begriffsgeschichte der Friedlichen Revolution. Eine Spurensuche, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 2014/24-26, S. 33-39.

22Hans Modrow: Neujahrsansprache 1990, zit. nach: Lindner: Revolution, S. 148; Gemeinsame Erklärung aller Fraktionen der Volkskammer vom 12. April 1990, zit. nach: Helmut Herles/Ewald Rose (Hg.): Vom Runden Tisch zum Parlament, Bonn 1990, S. 393-396, hier S. 395.

23Vgl. etwa der Leserbrief eines Kampfgruppenkommandeurs in der Leipziger Volkszeitung vom 6. Oktober 1989 oder die Maßgaben der SED-Bezirksleitung Leipzig, beide abgedruckt in: Lindner, Revolution, S. 176; außerdem dazu Ehrhart Neubert: Geschichte der Opposition in der DDR 1949-1989, 2. Aufl., Bonn 2000, S. 851-853.

24Ilko-Sascha Kowalczuk: Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR, 3. Neuausg., München 2015, S. 403-406.

25Andreas Rödder: Deutschland einig Vaterland. Die Geschichte der Wiedervereinigung, München 2009, S. 85-89.

26Dass die Gefahr einer gewalttätigen Eskalation noch bis in den Dezember hinein durchaus real war, zeigt beispielsweise der „Aufruf zum Handeln“ des Bezirksamtes für Nationale Sicherheit Gera „gegen die Anstifter, Anschürer und Organisatoren dieser haßerfüllten Machenschaften“ vom 9. Dezember 1989, abgedruckt in: Uwe Thaysen: Der Runde Tisch oder: Wo blieb das Volk? Der Weg der DDR in die Demokratie, Opladen 1990, S. 60f.

27Vgl. Martin Sabrow (Hg.): 1989 und die Rolle der Gewalt, Göttingen 2012, S. 101-105. Deshalb sprachen nicht nur westdeutsche Politiker, sondern auch die oppositionellen Gruppierungen von einer „friedlichen Revolution“, wie etwa das Neue Forum: Erklärung vom 12. November 1989, zit. nach: die tageszeitung (Hg.): DDR Journal zur Novemberrevolution. August bis Dezember 1989, 2. Aufl., Berlin 1990, S. 132: „Bürgerinnen und Bürger der DDR! Eure spontanen furchtlosen Willensbekundungen im ganzen Land haben eine friedliche Revolution in Gang gesetzt […].“

28Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen, 2. Deutsche Geschichte vom Dritten Reich bis zur Wiedervereinigung, München 2000. Vgl. dazu auch die öffentliche Debatte um ein Einheitsdenkmal: Peter Carstens: Oder doch lieber ein Reiterstandbild mit Helmut Kohl?, in: zeitgeschichte-online.de, Oktober 2017, URL: http://www.zeitgeschichte-online.de/kommentar/oder-doch-lieber-ein-reiterstandbildmit-helmut-kohl, Stand: 19.01.2018.

29Edgar Wolfrum: Die geglückte Demokratie. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Bonn 2007.

30Vgl. Andreas Wirsching: Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert, 2. Aufl., München 2005, S. 117-122.

31Rödder: Deutschland, S. 116f.; Wolfgang Schuller: Die deutsche Revolution 1989, Berlin 2009.

32Vgl. etwa Ehrhart Neubert: Unsere Revolution, München 2008, S. 13: „Für die Deutschen ist sie schon deshalb etwas Einzigartiges, da es die erste Revolution war, die erfolgreich die Ideen von Freiheit und Nation miteinander verband.“

33Vgl. dazu Martin Sabrow: Der vergessene „Dritte Weg“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 2010/11, S. 6-13.

34Vgl. Lindner: Begriffsgeschichte, S. 37f. Auch in der sogenannten „Böhlener Plattform“, einem Aufruf „für eine Vereinigte Linke in der DDR“ vom 4. September 1989 taucht der Begriff bereits als Beschreibung der Dringlichkeit “linker alternativer Konzepte“ auf, abgedruckt in: Gerhard Rein (Hg.): Die Opposition in der DDR. Entwürfe für einen anderen Sozialismus, Berlin 1989, S. 105-111.

35Vgl. Martin Sabrow: Der Konkurs der Konsensdiktatur. Überlegungen zum inneren Zerfall der DDR aus kulturgeschichtlicher Perspektive, in: Konrad H. Jarausch/Martin Sabrow (Hg.): Weg in den Untergang. Der innere Zerfall der DDR, Göttingen 1999, S. 83-116.

36Vgl. Rödder: Deutschland, Kap. VI.

37Vgl. die Projektskizze zum Forschungsprojekt „Die lange Geschichte der „Wende‘. Lebenswelt und Systemwechsel in Ostdeutschland vor, während und nach 1989“ am ZZF Potsdam, URL: http://zzf-potsdam.de/sites/default/files/lange_geschichte_der_wende_2017.pdf, Stand: 19.01.2018.

38Stefan Wolle: Die heile Welt der Diktatur. Herrschaft und Alltag in der DDR 1971-1989, 3. Aufl., Berlin 2009.

39Richard Schröder: Deutschland schwierig Vaterland. Für eine neue politische Kultur, Freiburg i.B. 1993, S. 35-51.

40Christa Wolf: Rede auf der Alexanderplatz-Demonstration am 4. November 1989, zit. nach: Deutsches Historisches Museum (Hg.): Dokumentation 4. November 1989 Berlin/Alexanderplatz, URL: http://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/4november1989/cwolf.html, Stand: 18.01.2018.

41Christoph Hein: Rede auf der Alexanderplatz-Demonstration am 4. November 1989, zit. nach: ebd., URL: http://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/4november1989/hein.html, Stand: 18.01.2018.

42Stefan Heym: Rede auf der Alexanderplatz-Demonstration am 4. November 1989, zit. nach: ebd., URL: http://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/4november1989/heym.html, Stand: 18.01.2018; Friedrich Schorlemmer: Träume und Alpträume, Berlin 1990, S. 49f.

43Demokratie Jetzt: Aufruf zur Einmischung in eigener Sache vom 12. September 1989, zit. nach: Rein: Opposition, S. 59-61.

44Überhaupt scheint der Revolutionsbegriff erst nach dem Mauerfall und mit der zunehmenden Durchsetzung des Vereinigungsdiskurses präsenter geworden zu sein. Auf den Transparenten des Herbstes dominierten jedenfalls die Reform- über die Revolutionsforderungen. Vgl. Lindner: Revolution, S. 178 und auch die Resolution der Rockmusiker, Liedermacher und Unterhaltungskünstler: „Wenn wir nichts unternehmen, arbeitet die Zeit gegen uns“ vom 18. September 1989, zit. nach: Rein: Opposition, S. 150f.: „Es geht nicht um Reformen, die den Sozialismus abschaffen, sondern um Reformen, die ihn weiterhin in diesem Lande möglich machen.“

45Heym: Rede am 4. November 1989.

46Hubertus Knabe: Die deutsche Oktoberrevolution, in: ders. (Hg.): Aufbruch in eine andere DDR. Reformer und Oppositionelle zur Zukunft ihres Landes, Reinbek 1989, S. 9-20, hier S. 19.

47Vorläufige Grundsatzerklärung und Diskussionspapier des Demokratischen Aufbruch vom 30. Oktober 1989, zit. nach: Charles Schüddekopf (Hg): „Wir sind das Volk!“ Flugschriften, Aufrufe und Texte einer deutschen Revolution, Reinbek 1990, S. 163.

48Vgl. Sabrow: Dritte Weg, S. 6.

49So Jens Reich vom Neuen Forum in einem Interview mit Christel Degen: Politikvorstellung und Biografie. Die Bürgerbewegung Neues Forum auf der Suche nach der kommunikativen Demokratie, Opladen 2000, S. 112.

50Die Rede vom „aufrechten Gang“ ist ein häufig wiederkehrendes Bild in den Äußerungen der Akteure über ihr Erleben des Herbstes 1989, vgl. etwa Heym, Rede am 4. November 1989.

51Bärbel Bohley: An den Widerständen in diesem Land bin ich ICH geworden, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 2010/10, S. 72-77, hier S. 73.

52Friedrich Schorlemmer: Worte öffnen Fäuste, München 1992, S. 295: „Wir schwebten noch im Traum einer Selbstbefreiung. Wir meinten, nun würde eine deutsche demokratische Republik möglich, eine revolutionäre Frucht des gemeinsamen aufrechten Gangs […].“ Die Kleinschreibung der Nation in der offiziellen Staatsbetitelung der DDR war ein gängiges Stilmittel der Akteure, um auf ihre allgemeine Ablehnung des Einparteienstaates, auch auf ihr Desinteresse an der nationalen Frage aufmerksam zu machen.

53Sabrow: Dritte Weg, S. 6; Jarausch: Der Umbruch 1989/90.

54Konrad Weiß: Ich habe keinen Tag in diesem Land umsonst gelebt, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 1990/5, S. 555-558, hier S. 555.

55Vgl. exemplarisch und gesammelt: Bernd Gehrke/Wolfgang Rüddenklau (Hg.): …das war doch nicht unsere Alternative. DDR-Oppositionelle zehn Jahre nach der Wende, Münster 1999.

56Wolfgang Templin: Das unselige Ende der DDR, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 2010/11, S. 3-5, hier S. 5.

57Jedenfalls stellt Poppe: Selbstverständnis fest, dass die Abhandlungen von Hannah Arendt, die Dystopien von George Orwell und die Tagebücher von Victor Klemperer unter den Akteuren der Bürgerrechtsbewegung kursierten, auch wenn diese teilweise verboten waren. Vgl. auch: Eckhard Jesse: Die Totalitarismusforschung und ihre Repräsentanten. Konzeptionen von Carl J. Friedrich, Hannah Arendt, Eric Voegelin, Ernst Nolte und Karl Dietrich Bracher, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1998/B 20, S. 3-18, hier S. 4-9.

58Wolfgang Ullmann: Für einen demokratisch verfaßten Bund deutscher Länder, zit. nach: Thaysen: Der Runde Tisch, S. 213.

59So wurde beispielsweise das Emblem der Volkskammer am Palast der Republik mit der Losung „Demokratie Jetzt + Hier“ überklebt.

60Vgl. Sabrow: Dritte Weg, S. 8: „Die Kundgebung blieb vielen Beteiligten als „das zentrale Erlebnis der Wendezeit“ im Gedächtnis, und der Schulterschluss zwischen Opposition, SED-Reformern und Bevölkerung ließ die Verwirklichung der alten Utopie des ‚Dritten Wegs‘ zum Greifen nahe erscheinen […].“

61Die Emotionalität dieser Ereignisse fand auch ihren literarischen Niederschlag, vgl. etwa: Stefan Heym/Werner Heiduczek (Hg.): Die sanfte Revolution. Prosa, Lyrik, Protokolle, Erlebnisberichte, Reden, Leipzig 1990 und ziert im metaphorischen Sinne bis heute Buchdeckel, vgl. Peter Wensierski: Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution. Wie eine Gruppe junger Leipziger die Rebellion in der DDR wagte, München 2017.

62Sabrow: Dritte Weg, S. 6 bezeichnet mit „Drittem Weg“ die „Vision eines demokratischen Sozialismus zwischen Markt- und Planwirtschaft“ als Zielvorstellung der Bürgerrechtsbewegung.

63Diese Orientierung auf die Prozesshaftigkeit von politisch-gesellschaftlichen Veränderungen, die sich auch im positiven Bezug auf eine „zivile Gesellschaft" ausdrückt und die Poppe: Selbstverständnis im Titel ihres Aufsatzes anspricht („Der Weg ist das Ziel. „) ist für die Zielvision der Bürgerrechtsbewegung m. E. wichtiger, als die stets vage Formulierung eines „Dritten Weges“ zwischen zwei scheinbar monolithischen Gesellschaftsformationen.

64Vgl. etwa die Übersicht bei Konrad H. Jarausch: Implosion oder Selbstbefreiung?, in: Dietrich Papenfuss/Wolfgang Schieder (Hg.): Deutsche Umbrüche im 20. Jahrhundert, Köln 2000, S. 543-565 oder die Aufzählung bei Karsten Timmer: Vom Aufbruch zum Umbruch. Die Bürgerbewegung in der DDR 1989, Göttingen 2000, S. 15.

65Zitat in: „Es gibt keine DDR mehr“, in: Der Spiegel 1990/12, S. 20-33, hier S. 30.

66Detlef Pollack: Politischer Protest. Politisch alternative Gruppen in der DDR, Opladen 2000, S. 243-252 spricht von „interagierenden Handlungslinien“.

Demokratie und Sozialismus und Freiheit

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