Читать книгу Ausbeutung - made in Germany - Frank Mehler - Страница 6
Unter dem Wert
Оглавление»Guten Tag!«, sage ich und versuche, recht heiter zu wirken.
»Gleichfalls, guten Tag!«, sagt die junge Personalerin gegenüber.
»Die werte Dame vom Empfang sagte mir, dass ich mit Ihnen vor zwei Stunden telefoniert hätte.«
»Ah, dann müssen Sie wohl der Herr Frank sein …?«
»So ist es«, sage ich.
»Schön. Sie müssen ja förmlich hierher geflogen sein! Aber es freut mich sehr, Herr Frank, dass Sie so schnell kommen konnten« Die junge Personalerin reibt sich die Hände. »Ich hoffe doch, Sie hatten eine angenehme Fahrt?«
»Alles bestens …«, sage ich.
»Na dann, wir können gleich dort drüben.« Sie deutet zu einem Tisch, an dem es zur Sache gehen soll.
Im flüchtigen Rundblick wirken die Räumlichkeiten und die Inneneinrichtung sauber und gepflegt. Ich sehe lächelnde Gesichter auf einem riesigen Plakat direkt gegenüber. Ebenso sind strahlende Gesichter auf Broschüren und anderweitigem Informationsmaterial zu sehen. Selbst aus einem Bilderrahmen an der Wand lässt das strahlende Leben grüßen. Dem Augenschein nach muss ich in einer Branche gelandet sein, in der es offenbar überwiegend zufriedene Mitarbeiter gibt.
»Nun ja, Herr Frank, Sie haben sich bei uns als Koch beworben, und ich würde doch dazu gerne einmal etwas aus Ihrem bisherigen Berufsleben erfahren.«
Sie lächelt ganz nett. Es ist dasselbe Lächeln, das ich auch hinter ihr auf dem Werbeplakat bewundern kann. Ich leiere grob einige Eckdaten aus meinem Berufsleben herunter.
Es ist nicht unbedingt schwierig, sich positiv zu präsentieren, wenn man tatsächlich jahrelang in einer gewissen Richtung gearbeitet hat und ein durchschnittliches Selbstvertrauen besitzt, noch dazu ein wenig reden kann.
»Schön«, sagt die Personalerin nach meiner persönlichen Darstellung, »Sie kennen sich quasi bestens mit der Materie aus.«
Ich nicke und sage: »Das möchte man schließlich nach all den Jahren der Küchenerfahrung meinen.«
Sie wirft noch einmal einen Blick auf meinen Lebenslauf und den Facharbeiterbrief, und offenbar hat sie auch schon etwas auf Lager für mich. »Gut«, sagt sie. »Nur leider ist es derzeit im Gastronomiebereich so, dass über uns nicht allzu viele Köche ausgeliehen werden. Deshalb frage ich Sie jetzt, ob Sie vorübergehend erst einmal als Küchenhilfe für uns arbeiten würden?«
Ich schaue sie an und sehe, wie sich ihr scheinbar »netter« Blick allmählich verändert. Ich kann ihr Angebot nicht gerade als Begeisterung auffassen, nur ist mein Problem, dass auf meinem Bank-Konto derzeit totale Ebbe herrscht. »Und für wie lange wäre dann bei Ihnen vorübergehend?«, frage ich etwas genauer.
»Also, Herr Frank, Sie müssen das so sehen: Wir befinden uns gerade im Winterloch und es wäre natürlich nur für die Anfangszeit, aber sobald wieder mehr Kochaufträge zu uns reinkommen, dann kochen Sie auch wieder, schließlich haben Sie ja fachliche Kompetenzen.«
Habe ich das? frage ich mich. Ich gebe mir einen Ruck, oder ehrlicher gesagt: Nach mindestens 300 Bewerbungen ist ihr Angebot so ziemlich das Einzige, was ich habe. »Okay«, sage ich breitgeschlagen, »vorübergehend kann ich auch Hilfsarbeiten machen.«
»Super! Das nenne ich doch ein Wort!« Sie grinst.
Sie mimt mir »echte« Überzeugung entgegen, und ich versuche, so etwas wie Optimismus zu versprühen.
»Wann kann ich bei Ihnen durchstarten?«, will ich wissen.
»Ja, wenn Sie eventuell schon ab morgen könnten …?«
»Okay«, sage ich wiederum, um gleich von Anfang an meine Einsatzbereitschaft zu zeigen.
»Oh, das wäre ja echt super! Zuvor jedoch müssen wir noch einen Arbeitsvertrag dazu abschließen. Sie geben mir bitte einmal Ihren Personalausweis und Ihre Bewerbermappe mit …«
Ich reiche ihr beides.
»Entschuldigen Sie kurz …« Sie steht auf und verschwindet im Nachbarzimmer.
Ich kann kurz Luft holen und denke mir: Von wegen Köche werden wie Sand am Meer gesucht – höchstens von windigen Gastronomen (schnell rein – schnell wieder raus, oft ohne Bezahlung und Versicherung). Oder eben der »Vermittler« sucht den Koch. Eigentlich jeden Arbeitslosen, der nur irgendwie den Vermittlungsgutschein über 2000 € vom Amt mitbringt. Im Grunde boomt für diese Leute geradezu die Arbeitslosenbranche, das ist ganz ähnlich wie Wachstum und expandieren! Sind Vermittler überhaupt daran interessiert, dass es immer weniger Arbeitslose oder ganz und gar keine Hartz-4-Empfänger mehr gibt? Sie wären am Ende selbst bankrott. Und eigentlich wundere ich mich, dass die Personalerin nicht ebenfalls nach diesem Geld-Gutschein gefragt hat, denn schließlich vermittelt die Zeitarbeit ja genauso in den Arbeitsmarkt. Mann, ich bekomme tatsächlich einen Arbeitsvertrag! Nur, wo geht die Reise dann für mich hin? Ich werde mich einfach überraschen lassen …
Die Personalerin kehrt zurück. »Sie entschuldigen bitte«, sagt sie, »ich musste leider noch ein wichtiges Telefonat führen.« Sie setzt sich wieder und legt für mich und für sich jeweils die Hälfe des Vertrages bereit. »Wir gehen das jetzt einmal schrittweise durch. Ach ja, ich hoffe doch, Sie haben Ihren Sozialversicherungsausweis und die Krankenkassenkarte mit dabei, oder …?«
»Ja.« Ich zeige ihr den Ausweis und die Kassenkarte.
»Toll! Die rote Kontrollkarte für Küchenpersonal haben Sie auch?«
»Alles dabei«, bestätige ich und schaue auf den Vertrag. Meine groben Eckdaten sind sogar schon eingetragen! Ich habe noch nicht einmal ja gesagt, denke ich.
»Also, wie Sie sehen, fangen Sie morgen schon als Küchenhilfe bei uns an. Sie haben ein halbes Jahr Probezeit und das Arbeitsverhältnis ist vorerst für ein Jahr befristet. Sie haben stets Hygienebekleidung und feste Arbeitsschuhe mit Stahlkappe mitzuführen. Ihren Personalausweis, den SV-Ausweis, die rote Kontrollkarte und einen Schulungsnachweis für den Arbeitsschutz. Den machen wir aber gleich noch.« Sie lächelt wieder, als ob dies wohl keine sonderlich große Sache wäre. »Gut. Dann wären wir beim Verdienst: Sie bekommen 6 Euro und siebzig Cent die Stunde gemäß der Entgeltgruppe 1 laut Haustarif.«
Ich schlucke. Es ist nicht einmal die Hälfte von dem, was ich eigentlich kriegen müsste, um später irgendwie auch nur annährend auf eine Mindestrente zu kommen.
»Allerdings«, fährt sie fort, »wenn Sie für den Auftraggeber kochen, dann bekommen Sie auf jeden Fall die Zuschläge für den Koch und natürlich auch Sonn- und Feiertagszuschläge bezahlt … Na ja, reich werden Sie bei uns wohl nicht, aber es ist zumindest ein kleiner Anfang.« Sie zwinkert.
Es ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel, denke ich. Ich bin definitiv unten im Hungerlohnsektor angekommen. Ich schaue sie an: »Wenn ich fragen darf, steigert sich meine Entgeltgruppe später dann auch?«
»Oh ja!«, versichert sie strahlend. »Schon gleich nach der Probezeit bekommen Sie die erste Lohnsteigerung.«
Fast klingt es wie ein kleiner Hoffnungswecker in meinen Ohren, damit ich nicht gleich wieder die Ruder über Bord werfe, und doch treibe ich auf dem weiten Meer der Armut dahin. »Nun ja«, sage ich, »wenn Sie das so sagen …«
»Ja.«
Ich lasse es einfach. Ich bin nicht in der Position, um andere Forderungen zu stellen. Sie ist die Personalerin und führt das Kommando an, muss ich mir eingestehen.
»Gut. Dann können wir jetzt zu den Schutzbelehrungen übergehen. Ich gebe Ihnen hier eine Broschüre zu den Sicherheitsregeln am Arbeitsplatz, eine zu hygienerelevanten Gesichtspunkten und einen kleinen Fragebogen, den Sie mir bitte nach Ihrem derzeitigen Wissensstand kurz einmal beantworten werden. Dies ist wichtig für alle Mitarbeiter und frischt das Wissen entsprechend wieder auf.«
Es wird sicher seine Gründe haben, sage ich mir.
»Na ja, Sie müssen verstehen«, fügt sie noch an, »aber der Arbeitsmarkt, gerade im Bereich Personalleasing, hat sich in den letzten Jahren rasant verändert. Falls jedoch irgendein Gesichtspunkt nicht ganz klar sein sollte, dann fragen sie uns einfach.«
Sie hakt etwas auf ihrer Liste ab. Es scheint ganz einfach für sie zu sein. Und in der Tat – offensichtlich geht es im Arbeitsleben tatsächlich nur um machen oder eben nicht machen.
»Ach ja, Herr Frank«, kam sie wieder darauf zurück. »Ich benötige nun Ihre Krankenversicherungskarte oder die Mitgliedsbescheinigung von einer Kasse. Den SV-Ausweis bitte, Ihre Kontodaten natürlich und noch einmal die rote Kontrollkarte für Küchenpersonal zum Kopieren.«
Ich krame die gewünschten Papiere hervor und reiche sie ihr. Von ihr bekomme ich einen Kugelschreiber mit Firmenslogan, um mich dann an die Beantwortung des Fragebogens zu machen. Zuversichtlich verschwindet sie wieder, und irgendwie scheint schon vorher alles klar zu sein, obwohl ich den Vertrag noch gar nicht unterschrieben habe. Aber im Grunde habe ich im Gespräch bereits meine mündliche Zustimmung gegeben, denn jetzt wieder einen Rückzieher machen, das wäre wie den Schwanz vor der Lady einziehen. Die Personalerin ist sichtlich routiniert im Geschäft. Auch scheint sie genau darauf zu bauen, dass die Mehrheit der Kandidaten gar nicht erst großartig darüber nachdenkt, worauf man sich bei den Geschäftspraktiken von der Zeitarbeit einlässt.
Der Testbogen zu den Hygienefragen und Arbeitsschutzbestimmungen lässt sich ziemlich leicht beantworten, besonders wenn man schon einmal in der Küchenbranche gearbeitet hat. Vieles erscheint logisch und im Nu bin ich durch die vier fliegenden Blätter hindurch. Ich widme mich den Broschüren mit den ausführlicheren Verhaltensregeln und merke am Umfang des Themas, dass dies hier auf die Schnelle durchzuarbeiten wohl nicht mehr als eine oberflächliche Sache wird. Selbst der vorliegende Arbeitsvertrag ist gespickt mit fragwürdigen Bestimmungen, Regeln und Pflichten; ich entdecke haufenweise Zusatzklauseln, die so bis vor ein paar Jahren noch in keinem durchschnittlichen Arbeitsvertrag standen. Und dass ein Arbeitsvertrag neuerdings zwischen Tür und Angel aufgesetzt wird, macht mich dann doch etwas stutzig. Auch die Personalerin scheint sich im Nachbarzimmer vor lauter Arbeitseifer zu überschlagen. Sie telefoniert gleich auf mehreren Kanälen und redet nebenher mit einer weiteren Person – ihrer Vorgesetzten vielleicht? Sie kommt wieder und bringt zwei weitere Formulare mit.
»Ah, wie ich sehe, sind Sie schon so weit …«
»Na ja, nicht ganz«, sage ich, »es ist ziemlich umfangreich.«
»Alles in allem das Geläufige für den Gastronomiebereich …«, sagt sie.
Alles in allem viel undurchsichtiges Neues, denke ich.
»Den Testbogen?«
Ich reiche ihn ihr.
»Sie sind gut«, bemerkt sie auf Anhieb.
Ich hebe wenig geehrt die Schultern.
»Sie müssten diese beiden Formulare hier noch unterschreiben. Das bestätigt, dass die jährliche Arbeitsschutzbelehrung durchgeführt wurde und Sie auch das Merkheft zu den betrieblichen Arbeitsrichtlinien erhalten haben. Ähm, allerdings«, fiel ihr ein, »müssen wir natürlich erst einmal den Arbeitsvertrag gegenzeichnen, bevor wir weitermachen können.« Sie schmunzelt wieder.
Ich schmunzele zurück. Ich dachte es mir bereits, es geht einfach nicht schnell genug. Zeit ist eben Geld. Und arbeiten für die Zeitarbeit bedeutet gleich kein Zuckerschlecken, sondern Arbeitsstunden erbringen für Geld. In erster Linie natürlich für die Zeitarbeit selbst – dem Verkäufer meiner Arbeitskraft. In zweifacher Ausfertigung zeichnen wir einander gegen.
Sie schiebt mir die Empfangsbestätigungen zu. »Hier und hier unten bitte auch unterschreiben …«
Der Skeptiker in meinem Gehirn hat inzwischen abgeschaltet, oder eben einfach kapituliert. Ich unterschreibe bedingungslos und weiß noch nicht einmal zur Hälfte, was in den speziellen Vertragsrichtlinien geschrieben steht. Verdammt! Alles nur, weil ich muss, denke ich. Von wegen Freiheit! Friede – Freude – Marktwirtschaft! Ich bin gar nicht frei. Ich bin hier gezwungenermaßen … Und mein Gegenüber kann sich sicher denken, dass ich arm dran bin. Wer geht auch schon freiwillig zur Zeitarbeit, wenn er noch andere Möglichkeiten hat? Nicht besonders glücklich schiebe ich die Formulare wieder über den Tisch und bekomme meine persönlichen Papiere zurück.
»Schön, Herr Frank. Wie Sie sehen, kann es heutzutage auch ziemlich schnell mit einer neuen Arbeit gehen«, sagt sie recht zufrieden und wirft einen Blick zur Uhr.
Oh ja, denke ich, von nun an werde ich wohl ihr kleiner Arbeitssklave sein.
»Nun«, fährt sie fort, »da Sie ohnehin Koch von Beruf sind, gehe ich davon aus, dass Sie bereits Arbeitsbekleidung besitzen. Wenn Sie aber noch etwas benötigen, Arbeitsschuhe vielleicht, können Sie diese selbstverständlich genauso von uns bekommen. Allerdings müssten Sie diese bezahlen.«
Nichts wird einem mehr geschenkt! Ich erinnere mich: Der letzte Arbeitgeber hatte Bekleidung und Schuhe noch betrieblich gestellt. Zwei Paar intakte Arbeitsschuhe hatte ich gestern erst herausgekramt. »Alles da«, sage ich.
»Okay. Jetzt müssen wir nur noch …« Klingeling! – ihr Handy klingelt. »Entschuldigen Sie kurz …« Schon spricht sie in den zweiten Kanal: »Ja, Lehmann, Personalleasing …, ja, ich verstehe …, bla, bla, bla …«
Es klopft an der Tür. Die Tür zum Büro geht auf. Der Kopf eines jungen Mannes lugt um die Ecke. Er schaut an mir vorbei und sagt im gebrochenen Deutsch: »Ich kommen wegen Arbeitsvertrag …«
»Bitte noch einen Moment«, sagt die Personalerin, lächelt kurz und spricht sogleich weiter auf Kanal 2: »Kommen Sie doch am besten morgen, sagen wir so gegen Vormittag, ins Büro, dann können wir das hier klären. Bla, bla, bla …«
Der Kopf des jungen Mannes verschwindet wieder. Dafür kommt aus dem Nebenbüro eine andere junge Dame und legt der Personalerin einen Zettel auf den Tisch. Die Personalerin sagt: Danke! und nickt in meine Richtung, woraufhin auch die zweite Dame mir ein nettes Lächeln schenkt, uns dann aber schnell wieder alleine lässt.
»So, Herr Frank, wo stehen wir gerade?« Sie starrt auf den Zettel. »Ah ja! Sie müssen natürlich noch wissen, wohin morgen Ihr erster Einsatz geht.«
»M-hm«, bemerke ich kleinlaut und doch voller Erwartung.
»Das wäre dann bei Frisch & Lecker, Industriestraße 100 in Sonnenfelde. Es ist nahe der Autobahn, oder vom Bahnhof aus nur zwei Busstationen entfernt. Ein Katzensprung quasi. Ihr Dienst beginnt 900 Uhr und endet um 1600 Uhr, und der Ansprechpartner wäre: Frau Meier. Sie wird Sie dann entsprechend am Arbeitsplatz einweisen. Ich nehme an, Sie haben eine Monatsfahrkarte für Bus und Bahn?«
»Ähm, noch nicht. Aber ich werde mir gleich nachher eine besorgen.«
Sie schaut kurz zum Fenster. Es schneit gerade draußen. »Tja, Herr Frank, Sie sehen ja selbst, was draußen los ist. Da sind öffentliche Verkehrsmittel wohl immer noch die beste Lösung.«
Ich nicke. Denke jedoch: Glaubt sie etwa, dass ich mir bei der Bezahlung ernsthaft noch ein Auto leisten kann? Natürlich bin ich auf Bus und Bahn angewiesen …
»Ach, und vergessen Sie nicht, Sonnenfelde liegt bereits im C-Bereich. Bitte führen Sie auch stets Ihren Personalausweis und die arbeitsrelevanten Nachweise mit, das ist wichtig!«
»Gut. ABC-Bereich für den Nahverkehr lösen und stets die Papiere mitführen. Wie lange bin ich überhaupt an diesem Einsatzort?«
»Erst einmal für den Rest der Woche, einschließlich nächste Woche. Sie bekommen dann rechtzeitig von uns Bescheid, wie es weiter geht. Günstig wäre natürlich, wenn Sie ihr Handy immer am Mann behalten, da sich auch zwischenzeitlich schnell wieder etwas ändern kann.« Sie steht auf und geht zum hinteren Aktenschrank. Ihr scheint zu meiner Arbeitsaufnahme noch etwas eingefallen zu sein.
Ich stehe ebenfalls auf. Ich warte und sage nur so: »Na, hoffentlich wird das Wetter bis morgen ein wenig besser.«
»Aber ganz bestimmt, wir müssen hier immer optimistisch denken.« Sie zieht eine rote Mappe hervor und einige Zettel. Damit kommt sie wieder zu mir an den Tisch. »So, fast hätten wir doch das Wichtigste vergessen«, sagt sie. »Sie müssen diese Stundenzettel hier führen, damit Sie pünktlich Ihr Geld bekommen, und eine schöne rote Mappe für Ihre Unterlagen bekommen Sie außerdem mit dazu. Schauen Sie bitte kurz!«
Sie hält mir ein Musterbeispiel unter die Nase. Idiotensicher, denke ich.
»Wie Sie ja sehen, ist es eigentlich ganz einfach: Ihr Name hier oben, die Anschrift des Vertragspartners, Datum und Uhrzeit von wann bis wann gearbeitet wurde. Und natürlich die Unterschrift des Vertragspartners nicht vergessen. Die Stundenzettel müssen dann wöchentlich abgegeben werden, das gilt auch für den letzten Tag des laufenden Monats. Aber dies steht alles noch einmal ausführlich hier hinten drauf.« Sie schiebt die Stundenzettel in die Mappe und reicht diese mir. »So, Herr Frank, und jetzt kann ich Ihnen nur noch einen guten Start in den neuen Job wünschen.« Lächelnd streckt sie mir ihre Hand entgegen.
Ich greife zu. »Danke!«, sage ich. »Das kann ich wirklich gebrauchen …«
»Gut. Dann einen schönen Tag noch …«
»Ebenfalls …«
Ich versuche, den Strahlemann zu mimen. Ich bin optimistisch. Nur eben – sie hat sich bereits abgewandt.
Ich verlasse das Büro und sehe draußen zwei weitere Kandidaten sitzen. Ein junger Schwarzafrikaner und das Gesicht, das ich schon zuvor gesehen hab. Im Gesamtbild wirkt er ein wenig abgefackt und er sieht auch nicht mehr so freudestrahlend aus, als er kurz zur Tür bei der Personalerin reingeschaut hat.
Im Treppenhaus kommt mir ein weiterer Mann entgegen, der offensichtlich gleichermaßen auf dem Weg ins Personalbüro ist. Ich erkenne das an seiner halb geöffneten Tasche, aus der eine knittrige Kochhose lugt. Fast bin ich mit den Gedanken selbst schon in der Küche angekommen. Aber dennoch komme ich mir irgendwie überrumpelt vor.
Der 1. Tag: Es ist kalt und noch ziemlich dämmerig. Windig ist es und es schneit. Aber das wirklich Ätzende ist, dass die Uhr heute Morgen so verdammt schnell laufen will. Ich sehe zu, dass ich flinke Füße bekomme.
Von wegen die Arbeitsstelle ist gleich um die Ecke vom Bahnhof, und alles kein Problem mit dem Bus, wenn nur einer fahren würde. Außerdem fährt der Bus nur stündlich, wie ich an der Haltestelle dem Fahrplan entnehmen kann, und leider ist es auch so, dass, wenn der Zug ankommt, der Bus dann quasi schon weg ist. Tolles Timing! sage ich mir. Eben ideal für Rentner.
Ich bin seit gut 2 Stunden unterwegs – extra früh aufgestanden –, und seit einer halben Stunde stapfe ich mit Sack und Pack durch 20 Zentimeter tiefen Schnee. Doch denke ich: Ein Glück, gleich habe ich es geschafft! Ich höre die Autobahn, sehe riesige Lagerhallen, und ich sehe die Kantine. Mit ungefähr 5 Minuten Verspätung hetze ich hinein.
»Guten Morgen!«, sage ich zum erstbesten Mitarbeiter des Kantinenpersonals.
»Ah, die Aushilfe ist da! Guten Morgen!« Er, vielleicht knappe 30, schaut zur Uhr, dann kurz zum Fenster, sieht das Schneetreiben dort draußen und sagt dann weiter nichts wegen der inzwischen 8 Minuten. »Gut, Sie müssen sich eh in der Männerumkleide umziehen. Kommen Sie!«, fordert er mich auf.
Ich folge ihm und nicke nacheinander vier älteren Damen zu, die hier und da an verschiedenen Speisekomponenten werkeln.
Er schließt die Tür auf und zeigt mir einen Schrank. »Den können Sie nehmen«, sagt er und geht gleich wieder.
Wiederum 5 Minuten später stehe ich in voller Kochbekleidung in der Küche und spähe nach meiner heutigen Erstbekanntschaft, doch leider ist er gerade nicht zu sehen. Ich trete an eine ältere Dame heran – ein Mütterchen an die Sechzig vielleicht. Sie lächelt ganz nett und ich versuche, den motivierten Küchenhelfer zu mimen. Ich frage: »Nun, wo kann ich mich bei Ihnen am besten nützlich machen?«
»Na, aber junger Mann!«, sagt sie erstaunt. »Etwa das erste Mal heute in der Küche?«
»Nein«, sage ich. »Ich war schon in so einigen Küchen gewesen.«
»Gut. Dann zeige ich Ihnen gleich mal unsere Geschirrspüle.«
Was auch sonst? denke ich. Ich tapse der werten Dame brav hinterher.
Zwei Türen weiter: »So, das ist sie, unsere gute Spülküche. Sie kennen sich mit solchen Maschinen aus?«
»So ungefähr …«
»Na ja …« Sie deutet auf die Schaltfläche an der Maschine. »Also, hier wird sie eingeschaltet, hier läuft das Band schneller und Null ist der Ausschalter. So weit alles klar?«
»Klar«, sage ich.
»Ach, und dort ist noch ein Notausschalter, wenn mal etwas stecken bleibt.« Sie schaut sich um. »Nun, wie Sie sehen, es hat sich bereits einiges an Geschirr angesammelt. Warten Sie kurz …« Sie wirft einen Blick zum Speisesaal hinaus … »Ja, und hier um die Ecke stehen zusätzlich noch zwei volle Wagen vom Frühstücksgeschäft. Die bitte nicht vergessen. Und das saubere Geschirr kommt dann dort drüben auf den leeren Wagen. Das müssten Sie später in der Küche und im Ausgabebereich verteilen. Aber fangen Sie erst einmal an, und alles andere kommt dann später …«
Schon verlässt sie mich wieder und ich bin von Anfang an mit Arbeit voll eingedeckt. Eine Begrüßung durch die Küchenchefin? – vorerst Fehlanzeige. Es scheint auch nicht unbedingt so wichtig zu sein, und selbst ich verpasse es zwischen Tür und Angel, mich ordnungsgemäß vorzustellen. Ich bin halt nur die Aushilfe – irgendeine von irgendwoher. Aber was soll's, denke ich. Ich schalte die Spülmaschine ein und fange an, das Durchlaufband mit Geschirr zu bestücken.
So gegen elf Uhr werde ich mit allerlei benutzten Töpfen und schmutzigen Pfannen zugestellt. Ich muss mich beeilen, dass ich zurande komme.
Der junge Koch bringt mir noch mehr verkrustete Bleche und Edelstahleinsätze, die zwischenzeitlich in Gebrauch waren. »Alles okay?«, fragt er, als er seine Fracht abgeladen hat.
»Ja, es geht so«, sage ich, und mein Blick taucht aus dem riesigen Vorspülbecken auf. »Wie viele Leute kommen eigentlich mittags bei euch zum Essen?«
»Na ja, so im Durchschnitt drei-, vierhundert Gäste … (?), schwer zu sagen. Heute vielleicht nicht ganz so viele.«
»Und von wann bis wann geht immer das Mittagsgeschäft?«
»Von 1130 bis 1500 Uhr. Ach ja, wo wir gerade dabei sind: Sie müssen Ihre Pause von halb zwölf bis zwölf machen, weil Sie später wahrscheinlich keine Zeit mehr dafür haben werden. Wie gesagt, und zu essen … Haben Sie vielleicht selbst etwas mitgebracht?«
»Nein. Das habe ich leider vergessen.«
»Macht nichts. Es sind noch ein paar belegte Brötchen vom Frühstück übrig, da können Sie ruhig zwei von nehmen. Sie können sich auch eine Flasche Wasser holen, das steht hinten im Gang. Den Pausenraum finden Sie ebenfalls dort. Rauchen ist aber nur draußen erlaubt, hinten bei den Müllcontainern.«
»Alles klar«, sage ich, »dann weiß ich ja Bescheid.«
Er geht und ich halte mich ran, dass ich noch das Gröbste bis zum Mittagsgeschäft sauber bekomme.
»Hallo, ich bin die Karin!«, überrascht mich kurz vor halb zwölf eine Frau, mit der ich bisher nichts weiter zu tun hatte.
»Ja, und ich bin der Frank.« Ich stelle die Bleche ab und will eigentlich gerade Pause machen. Aber …
»Ach, könntest du vielleicht noch schnell über die Tische im Speisesaal wischen, bevor der Ansturm der Gäste kommt?«
»Kann ich machen«, sage ich und mime Begeisterung.
»Ach, das wäre aber wirklich nett …«
Sie verschwindet wieder.
Dann eben 5 Minuten weniger Pause, denke ich.
Aus den vermeintlichen 5 Minuten werden dann schnell 10 Minuten.
Im Pausenraum sehe ich einen Dienstplan hängen. Ich sehe, dass bei zwei Mitarbeitern für die laufende Woche K-Zeichen eingetragen sind – K = wie für krank. Auch eine Frau Meier scheint gerade Urlaub zu haben. Aber eigentlich ist alles, was ich im Pausenraum sehe, nicht sonderlich wichtig für mich.
Später dann: Die Teller stapeln sich inzwischen zu hohen Türmen auf. Man bringt etliche Pfannen und Töpfe zu mir in die Spülküche herein, und draußen sind immer noch 3 volle Wagen abzuräumen. Nicht einmal zum Abtrocknen des Bestecks bin ich bisher gekommen. Nun muss ich es aber tun, weil sämtliche Besteckkästen ziemlich leer aussehen, zudem noch einige Nachzügler zum Essen kommen. Zwischendurch überschlage ich grob, wie lange ich vermutlich für alle Arbeiten brauchen werde und komme zu dem Schluss, dass ich allein bis 1600 Uhr es wohl nicht ganz packe.
Wiederum später: »Na, junger Mann, kann es sein, dass Sie ein wenig Hilfe benötigen?«, fragt lächelnd die »älteste« Mitarbeiterin der Küche. Zumindest sieht sie so aus, als ob sie bereits an der Schwelle zum Rentenalter stehen würde. »Sie brauchen Hilfe«, entschied sie. »Ich werde jetzt bei Ihnen hier mitmachen, und Sie schnappen sich am besten schon mal Eimer und Lappen und fangen draußen an, die Tische abzuwischen. Danach müssen gleich die Müllsäcke sowie alle Speisereste nach draußen. Die Mülltonnen haben Sie bestimmt schon gesehen, oder?«
»Ja«, sage ich.
Sie lädt weiter das Geschirr auf das Band und ich gehe nach draußen. Auch gut, denke ich.
Auf dem Hinterhof inspiziere ich kurz vor Feierabend die Müllcontainer etwas genauer. Es hat aufgehört, zu schneien, dennoch liegt eine ganze Menge Schnee oben auf. Ich schiebe den Schnee von den Deckeln und werfe getrennt Pappkartons, Hausmüllsäcke und Blechbüchsen ein. Und dann geht es weiter zum berüchtigten »Pumabunker«, wo ich das Leckerste des Tages entsorge – die Sabberreste von den Tellern! Ob das immer noch die Schweine vom Bauern fressen? frage ich mich. Ach so! Das Schweinefleisch kommt ja nun gedopt aus dem EU-Massenlabor, erinnere ich mich wieder. Ich gebe Gas, damit ich den Feierabend nicht verpasse.
Der 2. Tag: In der Nacht hatte ich einen bösen Traum gehabt. Töpfe mit Armen und Beinen bedrängten mich. Teller tanzten um mich herum, und auch Tassen mit grinsenden Mündern, die in einem fort so ein ätzendes Lied aus der Spülküche sangen. Das klang wie: Spül, spül, spül …, als Spüler ist es cool. Hier ein Klecks und da ein Klecks, Sabber kratzen ist ganz nett, spül, spül, spül …, als Spüler ist es cool …
Und auch jetzt, wo ich wieder in der Spülküche stehe, will mir der Ohrwurm nicht wirklich aus dem Kopf gehen. Egal …, sage ich mir, damit muss ich leben. Ich denke daran, dass es ja nur vorübergehend ist, und nicht für die nächsten 20 Jahre. Ich denke einfach nur positiv.
Der junge Koch hat sich bei mir mit Florian vorgestellt, kurz Flori. Ich brauche nun nicht mehr so förmlich Sie zu ihm zu sagen, er fühle sich noch nicht ganz so alt wie die werten Kolleginnen, wie er vorhin zu mir meinte. Er brachte mir ein Mineralwasser mit, das ich jetzt trinke. Anscheinend wollte er nur ein bisschen auf kumpelhaft erscheinen.
Gegen Mittag werde ich dann mit Geschirr wieder voll eingedeckt. Ich halte mich ran und komme dennoch mit dem Abräumen, dem Abkratzen der Teller und dem Auflegen auf das Maschinendurchlaufband kaum hinterher. Mir fallen fast schon die Teller aus der Hand, den letzten konnte ich gerade noch so retten. Ein ganzer Wagen voll mit Sondergeschirr wird zu mir hereingeschoben – Geschirr vom hauseigenen Konferenzservice oder irgendeiner anderen Sonderveranstaltung.
»Sie müssen heute schneller arbeiten!«, drängelt eine der Damen aus der Küche.
»Ja, ich mache ja schon!«, rufe ich zurück.
»Es kommt gleich noch ein Wagen voll …«
Scheiße! denke ich. Wie soll ich da bloß mit dem Abräumen hinterherkommen? Ich versuche, systematisch ranzugehen. Ich spüle einfach nur weiter.
Zwei Stunden später dann: Die Sache ist nun definitiv klar – ich stehe mittendrin im Spülküchenmodder! Das ganze Grobe vom Mittagsgeschäft kommt zu mir herein: Pfannen und Töpfe, zwei angebrannte Töpfe, Schneidebretter und haufenweise verkrustete Auflaufschalen. Ich kratze beflissen die Speisereste ab und sehe ziemlich befleckt bei der Arbeit aus. Mir fällt ein, dass eine Gummischürze gleich um die Ecke am Haken hängt. Fix ziehe ich mir diese über.
Zum Feierabend bin ich richtig geschafft, ich habe wohl mindestens 150 Prozent über dem Durchschnitt gegeben. Geredet hat großartig keiner mit mir. Auch hat sich niemand bedankt, dass ich sogar 10 Minuten länger gespült habe. Sicherlich hatte auch keiner Zeit dazu gehabt.
3. Tag: Voll im Bilde schaue ich über Töpfe, Pfannen und Schüsseln hinweg. Alles Mögliche wird heute gebracht. Teller stapeln sich meterhoch und eigentlich ist der Ablauf im Spülbereich so ziemlich immer derselbe. Quasi bin ich nun so gut wie eingearbeitet – kurz und schmerzlos im Schnellverfahren. War auch nicht sonderlich schwer gewesen, zumindest was das Geistige anbetrifft. Aber noch etwas merke ich laut Dienstplan und vom Hören und Sagen: Ich bin weiß Gott nicht der erste Zeitarbeiter in dieser Küche. Das betrifft insbesondere das Spül- und Reinigungspersonal!
In der zweiten Arbeitswoche: Ich spüle und spüle und bilde mir ein, weil ich nicht sitze, nicht gelangweilt umher stehe und weniger Pause mache, als mir zusteht, dass ich mich normalerweise ganz gut eingebracht habe. Zwar muss mir nach wie vor im dicksten Mittagsgeschäft mit unter die Arme gegriffen werden, doch allein bei 300 Essern ist es einfach nicht zu packen. Nebenher liebäugle ich mit den Töpfen und Pfannen und denke an meine alten Kochzeiten zurück; ich hoffe ein wenig, oder eben ich gebe die Hoffnung noch nicht ganz auf.
»Also, junger Mann«, kommt die stellvertretende Küchenchefin zur Sache, »das muss hier jetzt alles ein bisschen schneller gehen!«
Kühlen Blickes lädt sie ihre schmutzigen Mitbringsel ab, und ich schaue sie erstaunt an. Dabei dachte ich schon, aber ich habe wohl falsch gedacht.
»Wissen Sie, eigentlich müssen Sie hinten noch die Kühlhäuser wischen und letzten Freitag haben Sie auch die Friteuse nicht sauber gemacht. Das Trockenlager wurde nicht gereinigt, das Getränkelager, und in den oberen Fettabzügen über der Kochstraße und der Ausgabe befinden sich spezielle Gittereinsätze, die müssen ebenso mit durchgelassen werden …«
»Nun ja«, sage ich, »Sie haben mir bisher auch nicht gesagt, dass dies zu meinen Aufgaben gehört.«
»Na schön, dann wissen Sie es eben jetzt!«
»Hm!«, mache ich. »Soll ich nun erst einmal die Kühlhäuser wischen?«
»Ja, ich bitte darum …, und vergessen Sie nicht, die Regale mit Desinfektionsmittel abzuwischen. Die Rollwagen können Sie solange in den Flur hinausschieben.«
»Okay, wie Sie wünschen …«
Ich bin bedient. Nein. Ich hätte es mir irgendwie denken können.
Im Kühlhaus gebe ich mir ganze Mühe. Doch entdecke ich auch Dreck, der gewiss nicht von den letzten paar Tagen herstammt. Es sind die Ecken in den Regalen und besonders die dunklen Ecken hinter den Regalen, wo sich der Dreck festgesetzt hat. Weil ich mich in der Sache gut auskenne und über die Wirklichkeit in Verbindung mit Oberflächlichkeit Bescheid weiß, ist mir auf jeden Fall klar: Ich bin ihr neues Aschenputtel, das jetzt hier ran muss.
Ich kratze den Keim aus den Ritzen und schrubbe ganz beflissen über die Fliesen, wische dann nach, und selbstverständlich spare ich mir jede kleinliche Bemerkung. Es steht einem Leiharbeiter nicht zu, die Betriebswirtschaft des Entleihers zu kritisieren.
2 Tage später: »Wenn Sie hier mit dem Besteck fertig sind, können Sie noch die zwei Kühltruhen im hinteren Lagerraum reinigen. Abgetaut sind sie schon, und bitte auch dort das Desinfizieren nicht vergessen. Na ja, Sie wissen ja ungefähr …«
Ich nicke nur und trockne die restlichen Bestecke ab. Ich kann es kaum erwarten, mich auf meine neue Aufgabe zu stürzen.
Überrascht bin ich nicht, als ich in die zwei Kühltruhen blicke. Der blanke Keim grinst mich an, und ich sage mir: Na ja, sonst müsste ich sie wohl auch nicht sauber machen. Nur frage ich mich genauso, was das dann für eine fleißige Spülkraft sein muss, die ich hier gerade vertrete. Und wieso hat die aufgeblasene Köchin es ausgerechnet auf mich abgesehen? Aber nach gut einer Woche brauche ich als Spülmann mir keine großen Illusionen mehr zu machen: Arbeitsmäßig bin ich nun die unterste Schiene und selbst die drei fest angestellten Küchenhilfen im Haus sind besser dran als ich. Vermutlich weil sie immer so fleißig waren, und ich offenbar im Leben nicht richtig aufgepasst habe, was aus mir wird, und wo ich dann lande, absolut freiwillig zum Leiharbeiter geworden bin, und deshalb dürfen mich jetzt sogar die Küchenhilfen kommandieren. Nichtsdestotrotz behalte ich all den geistigen Dreck für mich. Ich schlucke quasi den Spül- und Putzmannfrust hinunter. Es ist leider so: Ich darf beim Auftraggeber laut Leihvertrag keinesfalls etwas bemängeln.
Eine Unterschrift bitte! Ich lege meinen Stundenzettel vor. Alles darauf ist fein säuberlich ausgefüllt. Noch nicht einmal die 10 Minuten weniger Pause tagtäglich habe ich abgezogen. Es sollte ein letztes Entgegenkommen meinerseits sein.
»32, 5 Stunden wären es dann diese Woche«, sage ich.
Die stellvertretende Chefin schaut nach und rümpft die Nase. Es zeugt von nicht wirklicher Zufriedenheit.
»Also, wissen Sie«, sagt sie, »ich weiß nicht, ob es mir nur so vorkommt, aber irgendwie seid ihr Zeitarbeiter alle ein bisschen langsam oder vielleicht nicht richtig bei der Sache. Ist das so eine Art Berufskrankheit bei euch?«
Ach, du hast sie doch nicht alle! denke ich. Sage jedoch: »Ich weiß es nicht, ich bin noch nicht so lange dabei.«
»Aha! Na, wenn das bei Ihnen am Anfang schon so ist, dann weiß ich ja nicht …« › … was das werden soll‹, wollte sie wohl sagen. »Bei Ihrem letzten Kollegen ließ auch schon die Gründlichkeit zu wünschen übrig und er hat mehr Pause gemacht, als ihm eigentlich zustand. Ich denke, wir sollten uns langsam mal nach einem neuen Vertragspartner umsehen.« Sie unterschreibt und trennt den Beleg für den Kunden heraus.
Zu den Pausen sage ich nichts, ich nehme nur stillschweigend den Durchschlag vom Stundenzettel zurück. Aber es ärgert mich jetzt, dass ich die Pausenzeit nicht regulär voll ausgeschöpft habe.
»Ist noch was?«, fragt sie.
»Nein.«
»Na dann, schönen Tag noch …«
»Tschüss!«, sage ich.
Und trotzdem: Es gibt Vorteile in der Küche, die andere Brachen im Winter gewiss nicht so zu bieten haben: Es ist warm und es gibt immer etwas zu essen und zu trinken.