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Unterwegs in Sachen Metall 1

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Das Büro des Produktionsleiters wirkt weit weniger gepflegt, als man es von klassischen Verwaltungsbüros her gewohnt ist. Kein Wunder, sieht es doch im ganzen Metallbetrieb eher nach einer groben Männerwirtschaft aus. Lediglich zwei Frauen konnten wir auf dem Weg durch die langen Produktionshallen entdecken. Dafür aber stehen mindestens 40 kräftige Typen draußen an den Maschinen und bearbeiten die unterschiedlichsten Metallteile. Es ist sehr laut, überall surrt, tackert und hämmert es. Aber es ist neu und deshalb interessant, und wir beiden Leihkräfte im Büro des Chefs warten nun darauf, dass uns jemand erklärt, wozu wir hier in der Produktion zu gebrauchen sind.

Wir sprechen nicht miteinander, wir schauen nur von Zeit zu Zeit zur Tür, ob schon jemand kommt und grinsen uns ab und zu gegenseitig an. Denn so richtig wissen wir noch nicht, was heute auf uns drauf zukommt, die Zeitarbeit konnte es uns nicht wirklich verraten. Wir wissen nicht einmal, ob wir von derselben Firma sind. Wir vermuten es nur.

»Na, meine Herren!«, sagt der Produktionsleiter, als er dann zur Tür hereinkommt. »Hat ein bisschen gedauert, aber ich hoffe, das Warten ist Ihnen nicht allzu lang geworden.« Er streckt meinem »Kollegen« die Hand entgegen und sagt: »Also, dann noch einmal, Müller, ist mein Name. Aber das wissen Sie wohl bereits …«

»Hermann, heiße ich«, sagt mein »Kollege«. Doch wirklich erfreut sieht er nicht aus.

Auch ich stehe auf und reiche ihm die Hand. »Frank«, sage ich.

Wir setzten uns wieder und er wirft einen Stoß Papiere auf den Tisch. Dann zieht er eine Personalmappe hervor und blättert nach den entsprechenden Formularen. Es sind keine Bewerbungsbögen von uns, die dort zum Vorschein kommen, es sind formelle Zusammenfassungen der Daten über Zeitarbeiter für den Fall des Einsatzes in der Produktion.

Jetzt sehe ich, dass mein »Kollege« von derselben Firma ist, und ich sehe auch das Delegierungsformular für den Vorleihvertrag, das ich neulich erst bei meiner eigenen Personalerin unterschrieben habe.

»So, meine Herren!«, sagt der Produktionsleiter, um zur Sache zu kommen. »Wie sieht es denn bei Ihnen aus? Einer von euch schon mal in der Metallverarbeitung gewesen?«

»Nein«, sage ich.

»Ich komme aus der Autobranche«, sagt mein »Kollege«.

»Was sind Sie von Beruf?«

»KFZ-Mechatroniker.«

»Ah, dann bringen Sie also etwas Erfahrung mit. Und Sie?«

»Ich bin Koch.«

»Ein Koch?!« Er rümpft die Nase. Sicher wird er sich fragen, was ausgerechnet ein Koch in der Metallbranche zu suchen hat. »Na ja …«, sagt er, »eine Kantine haben wir zwar nicht hier, aber alle Arbeiten, die von Zeitarbeitern erledigt werden, sind fachlich auch nicht ganz so anspruchsvoll. Es geht um Bohr- und Schleifarbeiten sowie das Arbeiten an einer Presse. Abkanten, Tiefziehen und so weiter … Sie werden von einem Vorarbeiter ordnungsgemäß eingearbeitet. Ich nehme an, Arbeitsbekleidung und die Schuhe mit Stahlkappe haben Sie bereits von Ihrer Firma bekommen, oder?«

Der »Kollege« nickt.

Ich nicke ebenfalls. Bekommen? frage ich mich. Wir mussten sie kaufen!

»Gut«, sagt der Produktionsleiter und hakt diesen Punkt ab. »Nun liegt es natürlich bei Ihnen: Wollen Sie hier in der Produktion mit eingesetzt werden?«

Er schaut dabei mehr den »Kollegen« an, aber dennoch sage ich schon mal: »Ja, ich will.«

»Das ist doch ein Wort, und Sie?«

»Hm …«, macht der »Kollege«. Er scheint noch zu überlegen. »Ich weiß nicht, schwer zu sagen, ob mir das hier wirklich liegt.«

»Wie jetzt, ob Ihnen das liegt?« Die Mimik des Produktionsleiters verfestigt sich.

»Ich meine, ich müsste die Arbeit zunächst einmal sehen. Zum Beispiel die Maschine, die ich bedienen soll. Welche Teile bearbeitet werden müssen, wie viel und was genau passiert. Dann kann ich erst sagen …«

»Ach, eiern Sie doch nicht rum!«, stoppt der Produktionsleiter ab. »Interessiert Sie die Arbeit oder interessiert Sie das nicht?« Der Blick des Produktionsleiters wird herausfordernder.

Viel schlechter als die Spülküche wird es wohl nicht sein, sage ich mir. Vielleicht eine ganz neue Erfahrung?

»Gut, ich mache es«, sagt jetzt auch der »Kollege«.

»Schön, dann nehmen Sie also die Herausforderung an. Sie werden gleich ab morgen in der Spätschicht eingesetzt, das heißt: Beginn ist 1345 Uhr und Ende um 2200 Uhr. Sie haben natürlich eine halbe Stunde Pause, und da richten Sie sich am besten nach den Kollegen. Sie brauchen bei uns keine Stundenzettel zu führen, die Abrechnung läuft dann direkt mit Ihrer Firma. Dafür bekommen Sie eine Zeit-Chipkarte, aber das erklären Ihnen die jeweiligen Schichtführer später genauer.«

Er meint sicher die Stechuhr, die anzeigt, wann wir kommen und gehen.

Jemand kommt zur Tür herein und fragt: »Wann sollen wir heute mit dem Verladen anfangen?«

»Na, wenn ihr fertig seid!«, sagt der Produktionsleiter erstaunt. »Aber ich komme gleich …«

»Okay.«

Der Mitarbeiter verschwindet wieder.

»Nun, das wäre noch sehr wichtig: Wurde bei Ihnen bereits die Arbeitsschutz- und Sicherheitsbelehrung für die Produktion durchgeführt?«

»Ja, in der Firma.«, sage ich.

Auch der »Kollege« nickt zur Bestätigung.

»Gut. Sonst noch irgendwelche Fragen?«

»Nein.«

»Nein.«

»Ach so! Eh ich das vergesse: In der Spätschicht müssen Sie natürlich Ihr Pausenbrot selbst mitbringen. Wenn Sie aber Frühschicht haben, kommt zwischen halb- und drei viertel neun immer ein Cateringservice bei uns vorbei. Da können Sie dann belegte Brötchen, Sandwichs und andere Kleinigkeiten käuflich erwerben. Kaffee und so weiter gibt es am Automaten, 40 Cent der Becher. So, und jetzt kann ich Ihnen beiden nur noch einen guten Start für morgen wünschen.«

Er schließt die Personalakte und steht auf.

Wir stehen ebenfalls auf.

Er weist zur Tür und lässt uns den Vortritt. Ein kräftiger Händedruck besiegelt die mündliche Vereinbarung.

Auf dem Weg nach draußen bin ich recht zuversichtlich und frage den »Kollegen«, bei welchem Autohersteller er früher gearbeitet hat.

»Bei Opel«, sagt er kurz und knapp.

»Die haben wohl wieder Stellen abgebaut?«, frage ich weiter.

»Ja«, sagt er und legt einen Schritt zu. Offenbar will er nicht wirklich darüber reden.

Es geht los: Die Uhr zeigt genau 1345 an und der Kollege und ich warten in einer riesigen Werkhalle – links von uns stapeln sich Bleche aus Edelstahl in Regalen. Wir sind neugierig darauf, was kommt. Gegenüber stehen Zuschnitt- und Stanzmaschinen, die jetzt zum Schichtbeginn gerade neu eingerichtet werden. Der Schichtführer kommt auf uns zu.

»Nun, wie mir mitgeteilt wurde, seid ihr beide heute für die Laufer-Presse eingeteilt«, gibt er zur Kenntnis.

Wir schauen uns an und ich sage: »Ja, wenn Sie das sagen …«

»Also, einer von euch beiden kann aber nur an der Presse arbeiten, das heißt: Einer geht rüber in den Zuschnitt und einer bleibt hier. Wer von euch geht heute als Erster an die Presse?«

Wir zucken mit den Schultern.

»Gut, dann gehst du zuerst«, legt er für den Kollegen fest. »Und du, du meldest dich am besten gleich mal beim Einrichter dort hinten. Das ist der Tätowierte mit den großen Muckis! Siehst du ihn?«

Ich sehe ihn – ein großer Kerl, der nicht zu übersehen ist.

Der Schichtführer geht mit dem »Kollegen« und ich gehe geradewegs zum Einrichter. Die Arbeit, denke ich, kann eigentlich gar nicht so schwer sein.

»Ich soll mich bei Ihnen melden …«

»Ah, du bist sicher einer von den Neuen, nicht?«

Ich nicke.

»Siggi!«, ruft er sofort lauthals um die Ecke.

»Jahaaa!«, ruft Siggi zurück.

»Kommst du mal her?«

Ein kleiner, aber dennoch kräftig wirkender Typ taucht hinter einer Raumabgrenzung auf. »Ah, die Aushilfe ist da!«, sagt er erfreut und kommt näher.

»Ja, nimm den Neuen hier erst einmal mit zum Drehmeln.«

»Geht klar«, sagt Siggi und grinst. »Drei volle Aufträge haben wir noch stehen.«

»Hm!«, macht der Einrichter und runzelt die Stirn. Auf jeden Fall scheint es viel Arbeit zu bedeuten.

Siggi, der Mann vom Fach, führt mich dann zum Ort des Geschehens. Wir stellen uns nicht weiter einander vor. Es geht auch so seinen Weg in Metall, als dass wir jedes Mal förmlich sein müssen. »Schon mal gedrehmelt?«, fragt er und zeigt mir das Werkzeug dazu.

»Nein.«

»Okay. Ist aber nicht allzu schwer.« Er nimmt ein gelochtes Tablett und das Werkzeug in die rechte Hand, er schaltet es ein und sagt dann: »Schau her! Das Werkzeug stets im 45° Winkel zur Tablettkante halten und dann mit Gefühl gleichmäßig entlangziehen, siehst du?«

»Ja.«

»Und so fährst du mir vorsichtig an allen vier Seiten um das Werkstück herum, und nicht zu doll aufdrücken, ja, sonst gibt es schnell Unregelmäßigkeiten. Dann probierst du das jetzt.«

»Gut.« Irgendwie wird es schon gehen, denke ich.

»Ach so! Zuerst das Wichtigste noch: Hier an der Seite geht das Werkzeug ein- und auszuschalten.« Er schaltet es ein und wieder aus. »Alles klar so weit?«

»Ja«, sage ich. Ich nehme das Werkzeug und ein Tablett, schalte das Werkzeug ein und setze es im gezeigten Winkel am Werkstück an, und ich drehmle natürlich gleich viel zu viel Material weg. Mist! denke ich.

»Etwas weniger Druck!«, sagt er.

Ich mache weiter, aber der Drehmelkopf scheint einfach zu viel von der Kante wegzufressen. Ich denke, ich bin zu verkrampft.

»Noch etwas sanfter«, rät er mit leicht schwingender Handbewegung.

Schließlich bin ich rundherum. Es ist mein erstes Metallwerkstück und ich sage dazu: »Na ja …«

»Na ja, es ist eben noch kein Meister vom Himmel gefallen. Schau, das ganze noch mal von vorn.« Er nimmt ein neues Tablett. »Siehst du, an der Kante hier ganz leicht entlangziehen. Es soll quasi nur der scharfe Grat dabei entfernt werden, verstehst du das?«

»M-hm«, mache ich.

Er legt das Tablett beiseite und meint: »Eigentlich ist es ganz einfach …« Er reicht mir das Werkzeug mit einem neuen Tablett. »Jetzt du wieder.«

Ich gebe mir Mühe und es wird besser, zumindest so in der Richtung.

Er hingegen schaut skeptischen Blickes und sagt: »Ja, das war jetzt aber ein bisschen zu wenig gewesen. Fahre noch mal leicht darüber …« Er schaut jetzt genauer. »Okay«, sagt er. »Dann mach gleich das nächste Tablett.«

Ich konzentriere mich und so einigermaßen wird es – irgendwie denke ich an den Werkunterricht in der Schule zurück.

Drei Tabletts später: »Na ja, mit der Zeit wird das schon werden«, sagt er halbwegs zufrieden. »Wir haben hier drei Gitterboxen voll a zirka 1000 Stück. Wenn du die alle durch hast, hast du es sicherlich blindlings drauf.« Er grinst. »Die fertigen Tabletts packst du mir dann in die leere Box dort drüben.« Er schaut sich kurz um … »Ja, und dort am Haken hängt eine Lederschürze, die bindest du dir am besten um, und …« Er öffnet einen Schrank und holt eine Schutzbrille und noch etwas anderes heraus. »Also, die Schutzbrille hier musst du auf jeden Fall aufsetzen, wegen der Späne. Der Atemschutz, na ja, das musst du schon für dich selbst wissen …«

Ich nehme die Sachen, binde die Schürze um, setze die Brille auf und verpasse mir auch den Atemschutz – ich bin quasi voll einsatzbereit.

»Steht dir echt gut!«, sagt er und grinst wiederum.

Ich sehe wahrscheinlich lächerlich aus, denke ich in die Richtung, wie er sicherlich denkt.

»Und wie gesagt, du musst hier nicht unbedingt alles in dieser Schicht schaffen. Du machst einfach so weit, wie du kommst, und du kannst dich dabei auch hinsetzen.«

»Geht klar«, sage ich und fange an, mir die Tabletts auf die Werkbank zu stapeln.

Siggi verschwindet in der weiten Halle und ich bin allein, weshalb ich mich zunächst auf meine vier Buchstaben setze. Auch gut, denke ich. Aller Anfang ist eben schwer.

Die Zeit plätschert dahin und allmählich kommt bei der Arbeit so etwas wie Routine auf.

Ssssssiii … ssssssiii …, macht das Drehmelgeräusch, dann schalte ich das Gerät kurz aus. Gut drei Stunden bin ich jetzt schon dabei und sehe aus wie ein silbergraues Männchen aus Metallstaub! Ich stehe auf und schüttele tausende Späne von mir ab. Es schaut kein Mensch nach mir, nur ab und zu huschen ein paar Mitarbeiter an einer Plexiglaswand vorbei. Ich hole mir neue Tabletts. Es sind noch so verdammt viele.

Zur Pause treffe ich nicht den »Kollegen« von der Zeitarbeit an. Er muss wohl drüben im Zuschnitt geblieben sein. Ich esse meine Stullen und stelle fest, dass der Pausenraum so einiges zu bieten hat. Manch ein Metallarbeiter macht sich Essen in einer Mikrowelle oder auf dem kleinen Herd heiß. Es gibt zwei Toaster, zwei Kühlschränke, zwei Kaffeemaschinen und sogar einen kleinen Grill zum Aufbacken von Pizza zum Beispiel. Großartig erklären tut mir keiner was, ich frage auch nicht weiter. Offenbar geht es am Anfang mehr darum, dass die Arbeitseinstellung beobachtet wird. Ob ich das hier durchhalte und zur nächsten Schicht wieder antrete, oder eben halt nicht.

Tablett nehmen – vom scharfen Grat befreien – wieder ablegen. Ich dürfte so ungefähr beim 600. Werkstück angekommen sein und irgendwie habe ich mittlerweile auch mächtige Verspannungen im Rücken. Die Lederschürze, meine Handschuhe und genauso die Hemdsärmel, selbst die Schuhe von mir sind topdreckig. Ich schüttle erneut die Späne vom Leib, und doch kommt mir die Arbeit jetzt sogar eine Idee besser vor: Ich kann Radio hören und außerdem habe ich in gut einer Stunde Feierabend.

Später dann – zirka 100 Tabletts weiter: »Komm, Junge!«, sagt plötzlich mein Einrichter für den Arbeitsplatz. »Lass gut sein, hast für heute genug geschafft.«

Ich schaue zur Uhr und bin im Grunde ganz seiner Meinung, und sage dennoch: »Aber es ist doch erst 2144 Uhr.«

»Ach«, sagt er und winkt ab. »Das ist schon okay. Sag, wie viele hast du geschafft?«

»Na ja, 700 vielleicht …?«

»Das reicht. Geh du jetzt mal lieber in den Waschraum und mache dich ein wenig sauber.«

»Waschraum? Wo befindet der sich?«

»Den Mittelgang entlang bis kurz vor die Montagehalle, dann rechts. Du siehst das schon …«

»Okay.« Ich schalte das Werkzeug aus und stapele die restlichen Tabletts beiseite.

»Ach«, fiel ihm noch ein. »Aber ausfegen tust du hier noch, ja.«

»Geht klar«, sage ich und lege endlich die dreckige Schürze ab. Handschuhe und Brille fliegen auf den Tisch. Späne fallen aus meinen Haaren.

Auf dem Weg zum Waschraum grinst mich so ziemlich jeder an, der mir entgegen kommt. Ich frage mich, was die nur haben. Aber ich sage mir: Es ist sicher die gute Feierabendstimmung, die ein bisschen lustig macht.

Ich schaue in den Spiegel und sehe nun, warum die Männer so amüsiert waren. Wo bei mir zuvor die Schutzbrille saß, ist meine Haut hell geblieben. Ansonsten ist mein Gesicht staubig und schwarz. Ich räuspere mich und spucke in das Waschbecken vor mir – meine Spucke sieht ungefähr wie nach 100 Zentnern Kohlenschaufeln aus.

»Na, bist wohl durch den Schornstein gekrochen, oder was?«, fragt ein Typ, der neben mir auftaucht, um sich die Hände zu waschen.

»Nein, ich habe nur gedrehmelt«, gebe ich zu verstehen.

»Na ja, ist ja fast dasselbe«, sagt er und grinst genauso breit wie alle anderen.

Ich bin der Clown zum Feierabend, stelle ich fest und schaue wieder in den Spiegel. Definitiv! Ich kann es ganz deutlich sehen. Was habe ich auch erwartet? frage ich mich. War doch klar, dass ich den Job machen darf, den hier wahrscheinlich keiner sogerne macht.

Mein Kollege von der Zeitarbeit kreuzt auf und hat die Hände in den Taschen. Es sieht nicht so aus, als ob er sich sonderlich tot gemacht hätte.

»Wie war's?«, frage ich.

»Ach, es ging so …«, sagt er.

Ich glaube ihm nicht wirklich und sehe hinter ihm, den Schichtführer auf uns zukommen.

»Wahrscheinlich wisst ihr es noch nicht, aber einer von euch beiden muss gleich morgen die Frühschicht antreten«, teilt er mit. »Die Produktion wurde hochgefahren, und deshalb muss die Laufer-Presse voll ausgelastet werden. Also, wer kommt freiwillig von euch?«

Der Kollege hebt die Brauen.

»Dann werde ich einfach kommen«, biete ich an. »Welche Uhrzeit muss ich da sein?«

»Die Frühschicht beginnt 0545 Uhr. Wenn du zehn Minuten früher da bist, ist das okay. Ja, und du kommst dann wieder zur Spätschicht.«

Der Kollege nickt unmerklich und ich schaue zur Stechuhr rüber, wo sich bereits einige Männer versammelt haben.

»So, Jungs, Feierabend!«, sagt der Schichtführer und lässt uns stehen.

»Gehst du anschließend zum Bahnhof rüber?«, frage ich den Kollegen.

»Man, natürlich gehe ich zum Bahnhof!«

Er weicht meinem Blick aus. Er ist knurrig und offenbar gedanklich weit weg. Ich merke, dass ihm die Arbeit nicht sonderlich schmeckt, und er merkt umgekehrt, dass ich es ihm anmerke. Eigentlich gefällt mir der Job bis jetzt ebenso nicht.

Einsatz an der Presse: Ich stehe neben der großen Hydraulik-Presse im Zuschnitt und warte auf den Einrichter, der mir gleich heute Morgen so einiges zu zeigen hat. Die Presse ist riesig, vielleicht an die vier Meter hoch, und doch kann nur 1 Mann daran arbeiten. Daneben steht eine Gitterbox, in der dieselben gelochten Tabletts liegen, die ich bereits gestern Abend bearbeitet habe. Dann ist das Drehmeln faktisch der nächste Arbeitsschritt, schlussfolgere ich. Und sogleich ist der Gedanke an das Metallstaubmännchen wieder da. Ganz zu schweigen von all dem Schmutz, der bei mir aus sämtlichen Poren kam, als ich dann zu Hause unter der Dusche stand.

Der Einrichter, so heißt der Vorarbeiter und Mechaniker in der Branche, kommt um die Ecke gefegt. »Guten Morgen!«, sagt er.

»Guten Morgen!«, sage auch ich.

»Wie ich sehe, wartest du schon, dass es so richtig losgehen kann.«

»Na ja, ich warte halt nur …«

»Gut.« Er schaut sich kurz um. »Wo stehen wir heute? Ah, am Anfang!«, beantwortet er sich selbst die Frage. »Wir fangen heute wieder mit Ecken beschneiden an.«

»Aha …?!«, sage ich und habe dennoch keine Ahnung. Ich weiß nicht genau, was er damit meint. Aber ich lasse mich gern überraschen.

»Ist die Presse schon an?«

»Nein.«

»Also, hier hinten an der Seite ist der Hauptschalter …«

Ich folge ihm und er legt ihn um.

»Hier dann das Arbeitslicht einschalten und hier daneben die Presse einschalten.«

Frrrummm …, macht die Presse. Dann summt ein gleichmäßiger Ton.

»So, und ganz wichtig«, sagt er, »hier oben das Wasser andrehen! Das ist eine wassergekühlte Presse, und wenn der Hahn zu ist, läuft sie natürlich irgendwann heiß. Zum Feierabend, ich meine nach der Spätschicht, wird das Wasser selbstverständlich wieder abgedreht. Hier oben läuft nicht gerade wenig durch …«

»Okay.« Die Wasserrechnung, denke ich.

»Ja, und hier haben wir noch eine Beleuchtung für die Werkbank. Dort drüben steht eine zweite Werkbank, da kannst du zum Beispiel deine Jacke hinhängen, und wenn du mal das Fenster kippen willst, dann bitte nicht, wenn es draußen regnet. Die Werkzeuge hier sind richtig teuer. Das ist zwar guter Stahl, wenn da aber zuviel Feuchtigkeit rankommt, auch nur hohe Luftfeuchtigkeit, dann fangen die schnell an, zu rosten.«

»Hab verstanden. Also nicht bei Regen.«

»Genau. Dann werde ich jetzt zuerst das Werkzeug auswechseln, und du fährst solange die Gitterbox mit den fertigen Teilen dort rüber und bringst auch gleich wieder eine leere mit zurück. Die neu zugeschnittenen Bleche stehen dort hinten unter dem Regal auf einer Euro-Palette. Die kannst du ebenfalls gleich mit dem Hubwagen herfahren. Der Auftragszettel liegt oben drauf.«

Er fängt an, die Presse hochzufahren, und auch ich setze mich in Bewegung – ich gehe davon aus, dass es nicht ganz so staubig wie in der gestrigen Spätschicht werden wird.

AL Mg 3 lese ich. Sicherlich ist dies die Zusammensetzung der Metalllegierung, aus der die Bleche bestehen, um beim Gebrauch gewisse Eigenschaften zu erfüllen. Stückzahl: 1008, steht darunter. Ich frage mich, wie ich 1000 Bleche in einer Schicht schaffen soll. Doch dann verdränge ich das lieber und riskiere hier und da einen Blick, um mich besser mit den Gegebenheiten vor Ort vertraut zu machen. Andere arbeiten bereits emsig an modernen Maschinen, die ich im Leben noch nie gesehen habe. Eine Laseranlage arbeitet direkt vor meinen Augen, es rumpelt und zischt, und auch ziemlich viele Funken wie bei einer Trenn-Schleifmaschine sprühen nach unten. Ich kann nicht sehen, was der Laser genau zuschneidet, aber ich vermute, dass es ebenso Metallbleche sind.

Hinter einer Maschine hebt ein Mann den Kopf und grinst mich aus breiten Mundwinkeln an. Ich nicke ihm freundlich zu, aber ich sage nichts zu ihm. Auch er sagt nichts zu mir, und ich ziehe dann schnell weiter.

Die Hydraulik-Presse ist eingerichtet: Der Werkzeugblock steht direkt in der Mitte auf der Arbeitsplatte – es ist das Schneidwerkzeug zum Beschneiden der vier Ecken vom Blech. Die Bleche messen 35 x 50 cm und sind 2,5 mm stark.

»So, dann nimm dir gleich mal einen Stoß her und setze dich hier ran«, sagt der Einrichter. »Das Einlegen der Bleche hat genau im rechten Winkel zu erfolgen. Ist eigentlich ganz einfach …«

Ich nehme ein Blech und lege es wie gesagt ein.

»Und jetzt«, verdeutlicht der Einrichter, »mit beiden Händen hier an den Seiten gleichzeitig die roten Knöpfe drücken. So kannst du während des Pressvorgangs niemals die Hände dazwischen haben.«

Ich drücke. Wumm! macht die Presse. Die Ecke vom Blech liegt daneben.

»Siehst du, und jetzt das Blech weiterdrehen und die nächste Ecke abschneiden.«

Wumm!

»Weiterdrehen …«

Wumm! Und noch einmal … Wumm!

»Immer schön im 90° Winkel ansetzen, ja. Dann probiere gleich das Nächste …«

Ich jage das Blech durch.

»Gut. Weiter so«, sagt er.

Wumm! – Wumm! – Wumm!

Irgendwie einfach, denke ich. Aber auch irgendwie laut …

»So, du könntest jetzt ebenso mit der Lichtschranke arbeiten, damit es schneller geht. Das sind die beiden rechts und links von dir angebrachten Sensoren. Aber ich denke, für den Anfang machst du so weiter wie bisher. Wenn du gut bist, schaffst du den Auftrag bis zum Mittag.«

»Okay«, sage ich. Wie gut ich in der Sache tatsächlich bin, weiß ich natürlich nicht.

Er geht und ich stecke mir ein paar Ohrstöpsel ein, die in einem Karton auf der Werkbank liegen.

Zwei Stunden später: Ich arbeite in einem gewissen Takt und bilde mir ein, dass ich allmählich immer schneller werde. Ein Drittel, schätze ich, habe ich bereits geschafft. Doch ist mir klar, dass ich jetzt auch nicht allzu sehr nachlassen darf.

Es ist Frühstückspause und ich sehe, dass die Mitarbeiter hier unten lieber unter sich bleiben, als in den Pausenraum nach oben zu gehen. Ich tue dem gleich und frühstücke quasi gleich neben der hydraulischen Presse.

Später: Wumm! – Wumm! – Wumm! – meine Presse.

Tack! – Tack! – Tack! – die Maschine von nebenan.

Zzzzzzt … zzzzzzt … zzzzzzt! – eine Bandsäge sägt sich durch das Blech.

Es ist laut, und auch mit Ohrstöpseln drinnen ist es ziemlich laut. Es ist so ein alles durchdringendes Wummern, das einem die Gehirnmasse erbeben lässt. Doch sage ich mir: Nun muss ich da durch, auch wenn ich heute mit Kopfschmerzen nach Hause gehe.

Der Einrichter schaut nach mir.

»Na, wie ich sehe, bist du ja ganz gut dabei«, sagt er und schaut auf die Einstellungen und Druckanzeigen an der Presse. Seiner Mimik nach scheint alles in Ordnung zu sein.

Ich nehme die Ohrstöpsel heraus und nicke. »Ist halt laut!«, schreie ich fast, weil ich mir selbst so leise vorkomme.

»Das ist reine Gewohnheitssache«, entgegnet er. »Aber du kannst dir auch die großen Ohrschützer hier überstülpen, manch einer findet die besser.«

Er reicht sie mir, und ich setze sie auf.

Wumm! – Wumm! – Wumm! Es kommt mir nicht sonderlich besser vor als mit den Stöpseln. Ich zucke mit den Schultern.

»Na ja, Hauptsache du trägst eines von beiden«, sagt er. »Ich schätze, du schaffst noch den Rest bis zum Feierabend …«

Ich nicke bejahend und mache gleich weiter. Wumm! – Wumm! – Wumm!

Der Einrichter geht, bleibt dann aber stehen und schwatzt kurz mit einem Kollegen. Im Allgemeinen scheinen die Stammmitarbeiter an weit moderneren Maschinen zu arbeiten als ich. Die meisten von denen sind mit einem Computer gekoppelt und somit programmierbar. Die Maschine arbeitet dann fast von alleine. Bei mir hingegen geht es noch rein mechanisch zu. Es ist körperlich harte Arbeit ganz nach der klassischen Art.

Der Kollege kommt zur Spätschicht und ich schaue zur Uhr – Punkt 1345 zeigt sie an. Er ist pünktlich. Ob er aber ein echter Kollege ist, kommt mir nicht wirklich so vor. Er wirkt eher ein wenig seltsam auf mich. Umgekehrt muss es ihm wohl ähnlich vorkommen, wenngleich wir von derselben Firma sind.

»Hallo!«, sage ich.

Er nickt nur unmerklich und sagt nichts.

Die 1.000 Bleche habe ich geschafft und ich fühle mich beinahe gut dabei, auch wenn der Rücken etwas schmerzt und der Schädel brummt, doch als Herausforderung sage ich mir, war es das irgendwie wert. Ich kann also auch noch etwas anderes in Sachen Handwerk leisten.

»Ich habe dir bereits eine neue Palette mitgebracht«, bemerke ich zum Kollegen und ziehe nebenbei die Handschuhe aus.

»Hm …«, brummt er nicht unbedingt begeistert. Dann geht er schnell in Richtung Toilette.

Und nun? frage ich den, der nicht da ist. Ich schnappe mir einen Besen und kehre solange um die Presse herum. Etwas später taucht endlich der Einrichter auf.

»Dein Kollege schon da?«, fragt er.

»Ja, er ist auf dem Klo«, sage ich.

»Gut. Ich werde die Presse jetzt für das Tiefziehen umbauen. Die Palette mit den Blechen steht hier aber im Weg, die muss am besten dort rüber.«

Ich schnappe mir den nächsten Hubwagen und er holt sich einen elektrisch betriebenen Hubwagen (die so genannte Ameise). Er nimmt verschiedene Einstellungen an der Presse vor, während ich ihm über die Schulter schaue. Ich schaue zur Uhr, sehe andere kommen und die Frühschicht bereits gehen, und dann sehe ich den Kollegen wiederkommen.

»Na, fit und munter heute?«, fragt der Einrichter ihn, obwohl es inzwischen fast 1400 Uhr ist.

»Geht so«, lautet die Antwort des Kollegen. Jedoch sagt sein Gesicht so ziemlich alles aus.

»Ach, übrigens, du hast jetzt Feierabend«, erinnert der Einrichter mich.

»Okay. Dann bis morgen«, sage ich und schnappe mir Rucksack und Jacke.

Obwohl gleichzeitig sehr viele aus der Frühschicht gehen, gehe ich gewissermaßen allein. Ich drängle mich den anderen nicht auf, und sie wissen vermutlich, dass ich einer von den Neuen bin, und trotzdem bin ich ganz guter Dinge. Diese Schicht war immerhin besser als die letzte Schicht, denke ich.

Das A und O des Beschneidens: Ich lege das Werkstück präzise ein und drücke: Wumm! macht die Presse. Ich greife das Tablett und löse es vom Werkzeug, drehe das Tablett und setze dann neu an. Wumm! macht wieder die Presse. Ich kann das beschnittene Tablett auf den Tisch zu den anderen legen. Dort staple ich exakt in 10er Türmen, und wenn ich dann fünfzig zusammen habe, staple ich sie alle in die große Gitterbox. Ich soll immer gut aufpassen, dass das Tablett korrekt auf der Form des Werkzeuges sitzt. Die überstehenden Ränder, die ich abschneide, fallen dabei direkt unter den Bodenaufbau vom Werkzeug. Ich muss sie spätestens nach siebzig Beschneidungen entsorgen. Das heißt im eigentlichen Sinne, das hochwertige Material in die entsprechende Wertstofftonne werfen. Es wird später für neue Bleche recycelt. Dabei trage ich dicke Handschuhe, denn die Tablettränder sind nach dem Beschneiden teilweise sehr scharfkantig. Doch im Großen und Ganzen komme ich gut voran. Ich hatte es mir anfangs schlimmer vorgestellt. Das einzige Problem – egal ob mit Gehörschutz oder Ohrstöpsel – ist, dass es ständig laut wummert.

Tack! – tack! macht die Finn-Power-Stanzmaschine gleich um die Ecke. Tack, tack – tack, tack, tack! Ich denke dabei immer an Finnland, wenn ich den Namen auf der Maschine lese. Eine Frau arbeitet daran – eine etwas ältere Dame mit Brille. Ich kenne sie natürlich nicht. Ansonsten bin ich in meiner Ecke überwiegend für mich allein. Ich, der Auftrag und die riesige Presse. Von Zeit zu Zeit wird neues Material an Blechen geliefert. Manchmal laufen irgendwelche Leute vorbei, manchmal auch, den Äußerlichkeiten nach, ein Chef. Ich bin ganz gut im Rennen, denke ich.

Nun ist es bereits fünf vor zwei und es sieht fast so aus, als ob mich heute keiner ablösen will. Doch dann kommt der Einrichter schnellen Schrittes dahergelaufen.

»Sag mal, dein Kollege hat wohl heute keine Lust, oder wie?«

Ich zucke mit den Schultern.

»Eigentlich müsste er schon längst hier sein …« Sein Blick wandert zu den gestapelten Blechen. »Na ja, wie weit bist du so?«

»Ich bin so weit durch.«

»Gut. Dann ist jetzt Längsseiten beschneiden dran, zumindest theoretisch.« Er geht kurz nach hinten und spricht mit jemand anderem. Wenig später kommt er mit dem Hubwagen zurück und schaut zur Uhr. »Mist!«, sagt er. »Wenn du jetzt keine Leihkraft wärst, könntest du heute auch eine Doppelschicht fahren. Aber du darfst ja nur höchstens zehn Stunden am Stück arbeiten.« Er fährt die Presse hoch und löst das Werkzeug vom Werkzeugtisch. »Sag mal, hast du vielleicht eine Telefonnummer von deinem Kumpel?«

»Seine Nummer? Ich kenne den doch gar nicht privat«, sage ich erstaunt, warum er mich das fragt.

»Na, ich dachte immer ihr seid Kollegen und kommt von derselben Firma. Zumindest steht das so in der Personalkartei für Leihkräfte geschrieben.«

»Das mag ja sein. Ich kenne den trotzdem nicht, und auch bei früheren Einsätzen habe ich den noch nie gesehen.«

Verständnislos schüttelt er den Kopf, dann bockt er das Werkzeug auf den Hubwagen.

Dass er ein Problem hat, ist mir klar. Nur kann ich ihm dabei nicht helfen. Ich darf ihm nicht einmal laut Leihvertrag und Arbeitszeitgesetz helfen.

»Willst du nicht Feierabend machen?«, fragt er und schaut wieder zur Uhr.

»Oh ja, das hätte ich fast vergessen.«

Ich greife nach Rucksack und Jacke und denke mir meinen Teil.

Die Arbeit ist liegen geblieben: Ich lege den Hauptschalter um, schalte das Arbeitslicht ein, das Licht über der Werkbank und greife mir gleich die nebenstehende Leiter. Ich muss den Wasserhahn oben an der Wand aufdrehen. Den darf ich niemals vergessen, wurde mir eingeschärft, denn es geht hier um eine wassergekühlte Hydraulik-Presse, und wenn die kein Wasserzulauf bekommt, dann läuft sie heiß. Die Wasseruhr dreht sich und ich kann sogar ein leichtes Rauschen in der Leitung vernehmen. Ich steige wieder ab und erst jetzt schalte ich an der Vorderfront die Presse ein.

Arbeitstechnisch ist nichts weiter passiert. Alles ist so liegen geblieben, wie ich gestern Nachmittag gegangen bin. Lediglich der Einrichter hatte noch das neue Werkzeug mittig auf dem Arbeitstisch installiert und fest verankert. Längsseiten beschneiden scheint an der Reihe zu sein, weshalb ich mir eine leere Gitterbox rüberziehe. Ich sage mir: Im Grunde müssten es fast dieselben Arbeitsschritte wie gestern sein, nur eben, dass ich das Werkstück zum korrekten Beschneiden dieses Mal quer einsetzen muss.

Den Ablagetisch platziere ich gleich neben der Presse und hole mir noch einige Baumwoll-Lappen, da etliche Tabletts ziemlich ölig aussehen. Beim Tiefziehen wird stets Spezialöl verwendet, damit das Blech unter dem Stempeldruck nicht reißt – das Metall besser in die Ecken (im Fachjargon) fließen kann. Einige Tabletts reißen dennoch. Es zeigt, dass eben keine Maschine 100%ig perfekt arbeiten kann.

Nach zirka 30 Tabletts taucht plötzlich der Einrichter auf. »Ah, du bist ja schon dabei!«, sagt er erfreut. »Hast gut mitgedacht. Dein Kollege kommt ja nun nicht mehr …«

»Ach so!«, sage ich erstaunt. »Ich denke, der kommt aus der Metallbranche …?«

»Weißt du, manche erzählen viel, wenn der Tag lang ist. Wie auch immer, eure Firma will uns jetzt einen Ersatzmann schicken. Du machst erst mal den Auftrag weiter, und dann werden wir sehen. Hast du auch oben das Wasser angedreht?«

»Ja, habe ich.«

»Okay. Dann bis später …«

Ich bin wieder allein – ich mit meiner Maschine. Irgendwie ist im Zuschnitt so ziemlich jeder separat mit seinem Arbeitsgerät beschäftigt. Man ist akustisch und gedanklich ohnehin isoliert – im Grunde kein Wunder bei der Lautstärke.

Das mit der Tablettfertigung ist eine handfeste und vermutlich auch lukrative Sache – ich habe gehört, die Tabletts wären für die Medizinbranche bestimmt. Benutzte Skalpelle, Scheren und medizinische Klammern werden darauf gelegt, um sie dann später im Sterilisationsofen keimfrei zu neutralisieren. Und jetzt erinnere ich mich wieder, ich habe solche Tabletts im Krankenhaus schon einmal gesehen.

So gegen Vormittag kommt der Produktionsleiter schnellen Schrittes auf mich zu und tippt sich dabei ans Ohr – das Kommunikationszeichen.

Ich nehme die Ohrstöpsel raus und bin voll auf Empfang.

Er schreit dennoch: »Schon mitgekriegt? Eure Zeitkarten hängen drüben gleich neben der Stechuhr! Der Name steht drauf, und jedes Mal wenn ihr kommt und wieder geht, scannt ihr mit eurer Karte die An- und Abmeldung ein. Ach, und übrigens, dort drüben neben dem Laser-Zuschnitt hängt ein Schichtplan an der Wand. Danach könnt ihr euch jeweils richten.«

»Alles klar«, sage ich.

Er hebt freundlich die Hand und geht dann weiter seine Runde.

Ich komme gut durch die Schicht, nur am Ende tun mir ein wenig die Finger vom vielen Zugreifen und Hin- und Herbewegen des Materials weh. Selbst meine Ablösung kommt heute überpünktlich. Mein neuer »Kollege« von der Zeitarbeit sozusagen, oder besser gesagt der nächste Kandidat!

Die haben einen Riesenkerl geschickt – vielleicht an die 2 Meter groß, schätze ich, und ich sage zu ihm: »Guten Tag! Du bist sicher die Ablösung …?«

»Ja, ich soll hier unten an der Laufer-Presse auf den Einrichter warten. Tag auch …«

»Er wird sicher gleich kommen. Dort drüben sind Handschuhe, da sind Baumwolllappen, und die Jacke hänge ich immer einfach ans Fenster. Na ja, und rauchen kannst du hier auch, wenn du willst.«

»Ach ja!«, sagt er erfreut und packt sogleich sein Päckchen Tabak aus.

»Ja, und der Chef hat gesagt, dass dort hinten an der Wand ein Dienstplan hängt. Ich schaue ihn mir gleich mal an.«

Mein Name ist tatsächlich auf dem Dienstplan eingetragen, als ob ich bereits ganz normal mit zur Belegschaft gehören würde. Sogar den ganzen Januar hindurch, wie ich schwarz auf weiß sehen kann, hat man mich direkt hierher entliehen. Laufer-Presse, steht da, und der Name des Ersatzmannes ist: Andreas Laufer!

Passt irgendwie zur Hydraulik-Presse, denke ich. Ich grinse mir einen. Dann habe ich also nächste Woche Spätschicht und er hat Frühschicht, und dann wieder umgekehrt und so weiter und so weiter …

Ich gehe zurück zur Presse. »Ähm, ich habe jetzt Feierabend«, sage ich zum neuen Kollegen. »Haben sie dir gesagt, dass drüben eine Stechuhr hängt, an der wir uns an- und abmelden müssen?«

»Ja, ich weiß.«

»Wahrscheinlich müssen die Tabletts jetzt gelocht werden. Aber egal, du wirst schon sehen. Ich wünsch dir was …«

Eine neue Woche ist angebrochen: Ich habe Spätschicht und mein Kollege hat heute die Frühschicht gefahren. Die Arbeit läuft ganz gut von den Händen, gleich wenn einiges nach wie vor sehr gewöhnungsbedürftig ist. Dass es nun besser läuft, liegt wohl auch daran, dass der Kollege und ich selbst die Herausforderung annehmen – wir sammeln quasi neue Erfahrungen. Wir arbeiten einander zu, da betriebsbedingt die Hydraulik-Presse nur im Wechselschichtsystem optimal ausgelastet werden kann.

Unsere Personalerin hatte versprochen, wir würden demnächst eine Wattejacke und eine Thermo-Arbeitshose als Zugabe von der Firma bekommen. Grund: Schräg gegenüber der Hydraulik-Presse befindet sich gleich die Laderampe, und weil das Rolltor mindestens 30x am Tag hoch und runter geht, entsteht nicht selten ein Durchzug. Der Wind bläst uns Leiharbeitern dann eiskalt in den Rücken.

Da es nun ziemlich frostig geworden ist und ich überwiegend im Sitzen arbeiten muss, habe ich inzwischen schon zwei Pullover an und mir vorerst eine dicke Unterhose unter die Arbeitshose gezogen. Ich sage mir: Na ja, die Thermo-Hose wird bestimmt diese Woche noch kommen …

In der Pause sitze ich heute mit den anderen vom Zuschnitt, den fünf »Altmetallern« zusammen. Der aus Polen stammende Mitarbeiter hatte mich mit zur Runde gewunken. Ich sage nicht viel und esse nur so vor mich hin, denn wirklich mitreden bei den Fachleuten aus der Metallbranche kann ich als Leihkraft nicht, jedenfalls noch nicht. Allerdings merke ich, dass die werte Dame, die gleich um die Ecke an der Finn-Power arbeitet, sich mehr wie ein Kerl unter Kerlen benimmt, obwohl sie rein objektiv als Frau eigentlich ziemlich gut aussieht. Ich stelle mir vor, sie hätte eine andere Verkleidung an und das entsprechende Arbeitswerkzeug in der Hand, dann würde sie vermutlich genauso gut in die Welt der Züchtigungen passen. Irgendwie wirkt sie so dominant auf mich.

Nebenbei bemerkt: Der Kollege sagt nie ›Guten Tag!‹, er nickt immer nur unmerklich. Er spricht auch so kaum anregend viel mit mir, gewissermaßen nur das Allernötigste zur Arbeit. Am liebsten aber sagt er: ›Ach, ich rauche erst mal eine … ‹ Manchmal raucht er in der Viertelstunde, in der sich unsere beiden Schichten überschneiden, ganze drei Zigaretten. Er kommt quasi mit Zigarette im Mund, raucht und raucht …, und er geht ebenso mit Zigarette.

Ich bin nun wieder beim Längsseiten beschneiden angekommen und schaue auf die Uhr, wie viel ich in einer Minute schaffe: Manchmal sind es drei, manchmal auch vier Tabletts. Bei vier Tabletts wären das rein theoretisch 240 Stück in einer Stunde. Dann müsste ich genauso theoretisch nach 4 Stunden und 10 Minuten mit den 1.000 Teilen schon fertig sein. Nur sagt die Wirklichkeit: Denkste! Ich muss zwischendurch auch aufstehen und mir spätestens nach dreißig Teilen Nachschub holen. Ich muss den Nachschub auf dem Arbeitstisch stapeln und nach dem Beschneiden wieder ordentlich ablegen. Obendrein muss ich stark verölte Tabletts mit Baumwoll-Lappen abwischen. Am Ende müssen dann alle Werkstücke noch einmal neu in eine Gitterbox für den nächsten Arbeitsschritt eingestapelt werden.

Das Mineral-Öl, das beim Tiefziehen benutzt wird, ist eine Art Oberflächen- und Spezialfließöl. Es ist tief durchdringend, insbesondere was die Handschuhe anbetrifft, obwohl diese schon mit Kunststoff beschichtet sind, so dass eigentlich kein Öl mehr durchkommen sollte. Aber: Na ja, sage ich mir, auch wieder nur rein theoretisch gesehen.

Später schaue ich mir den Öl-Kanister etwas genauer an, die Gebrauchsanweisung ist leider nur in Englisch und Französisch geschrieben. Zumindest erkenne ich an der roten Kennzeichnung mit dem schwarzen Kreuz in der Mitte, dass das Zeug reizend ist. Ich besorge mir neue Handschuhe.

Wenn draußen die Sonne scheint und die S-Bahn vorbeifährt, reflektieren die Scheiben der S-Bahn das Licht der tief stehenden Sonne. Es fällt dann genau zu mir herein und wirkt wie ein kleiner Lichtzauber mitten im Winter.

Auch Radio kann ich während der Arbeit hören, ich hatte mich am Anfang nur nicht so getraut. Doch bei dem Lärm und mit Stöpseln in den Ohren höre ich ohnehin nicht viel von der Musik. Das Radio dudelt trotzdem vor sich hin. Vielleicht ist es Einbildung oder es ist so, dass die Arbeit nicht ganz so eintönig dabei wirkt. Das ist wie so ein beschwingendes Gefühl.

Im zweiten Monat: Es ist Februar geworden und alles geht seinen Gang. Ich habe gleich Feierabend und der Kollege wird wie üblich die Spätschicht übernehmen. Der Einrichter installiert derweilen das neue Werkzeug auf der Arbeitsplattform. Es geht mit dem Lochen der Tabletts weiter – der letzte Arbeitsschritt hier unten an der Presse. Dabei muss besonders Obacht gegeben werden, denn schnell ist das Werkstück leicht schräg angesetzt und das Werkzeug locht dann gewissermaßen nicht korrekt. Wenn das passiert, ist das ganze Tablett nur noch etwas für den Ausschuss und wandert in die Tonne. Genauso müssen wir auf Sprenkel und kleine verpresste Splitter achten, die die Oberfläche des Tabletts nicht gerade verschönern. Um diese Unschönheiten zu mindern, müssen wir das Stanzwerkzeug regelmäßig mit Baumwolllappen von unten her säubern. Das kostet natürlich jedes Mal Zeit. Doch noch mehr Zeit kostet es, die Sprenkel mit Schleifpapier wieder zu entfernen. Und selbst wenn man noch so gewissenhaft arbeitet, ist es manchmal verflixt.

»Ich habe die Presse jetzt auf Lichtschranke umgestellt, damit wir im Durchlauf noch schneller werden«, sagt der Einrichter zu uns. »Allerdings müsst ihr jetzt genau aufpassen, dass ihr die Tabletts exakt in die Fassung einpasst. Ihr wisst ja, sonst habt ihr hier schnell Ausschuss produziert.«

Mein Blick kreuzt sich mit dem des Kollegen, und im Grunde wissen wir ja, was wir davon zu halten haben. Aber wir sagen nichts. Es ist auch so klar für uns. Wir werden wohl qualitativ und quantitativ noch viel besser werden müssen.

»Sagt mal, Jungs«, will der Einrichter wissen, »als Zeitarbeiter ist es doch manchmal auch gar nicht so schlecht. Ich meine, ihr kommt doch viel rum und habt bestimmt immer so eure Abwechslung, nicht?«

»Na ja«, sage ich, »das mit der Abwechslung kann man jetzt so oder so sehen. Nur ab einem bestimmten Punkt steigt jedem Menschen die Flexibilität zu Kopf. Und als Zeitarbeiter ist es leider so: Wir müssen uns ständig aufs Neue beweisen und fangen mit jeder Arbeitsstelle faktisch wieder von vorne an. Das macht oft Kopfschmerzen!« Es sollte eine Anspielung auf die Kopfschmerzen sein, die bei mir durch das ständige Wummern der Hydraulik-Presse herrühren. Fast könnte ich schon wieder eine Tablette gebrauchen.

»Ähm, ich habe gehört«, spricht der Einrichter nun direkt mich an, »dass du normalerweise Koch bist. Stimmt das?«

»Ja, so ist es«, bestätige ich.

»Wieso haben sie dich dann ausgerechnet hierher geschickt?«

»Keine Ahnung. Vermutlich hatten sie gerade keine Kochaufträge gehabt. Aber ich denke, hier an der Presse kann ich mich ebenso gut neu beweisen.«

»Stimmt auch wieder …«, sagt er. »Jungs, es ist nur wichtig, dass ihr die richtige Einstellung habt. In Metall ist das nämlich so: Bla, bla, bla …«

Am nächsten Morgen: Der Kollege ist natürlich nicht fertig geworden. Ich hatte schon damit gerechnet, weil das Lochprogramm in einer Schicht einfach nicht zu schaffen ist. Jedes Tablett muss 3x gelocht werden, 3 x neu angesetzt und ausgerichtet werden, ganz zu schweigen davon, dass man sehr genau arbeiten muss.

Ich schaue in die Wertstofftonne neben der Presse. Mindestens 20 Tabletts an Ausschuss liegen bereits drin. Weitere 20 hat mein Kollege auf den Tisch gepackt, die ich offenbar für ihn auf die Schnelle nachschleifen soll. Ich schaue genauer und sehe etliche Sprenkel und Kratzer auf dem Blech, was zusätzlich Arbeit bedeutet. Außerdem ist es ringsherum schmutzig und irgendwie will mir das alles gleich den frühen Morgen verderben. Zirka 400 Tabletts, schätze ich, muss ich selbst noch lochen. So beginne ich, zuerst das Lochwerkzeug von unten her mit einem Lappen zu reinigen.

Die Zeit rast dahin: Wumm, wumm, wumm!

Erst lochen, dann schleifen und schließlich schmirgeln …

Nach gut 5 Stunden ranklotzen bin ich dann endlich fertig. Auch ich habe Ausschuss produziert. Aber eben nur ein Drittel von dem, was der Kollege fabriziert hat. Seine Tabletts, die er mir hingelegt hat, habe ich ein wenig mit nachgearbeitet, und ich sage mir: Ach, vielleicht hat er nur einen schlechten Tag gehabt.

Ich gehe durch zwei Werkhallen und dann hinauf in einen Bereich, wo etliche Drehmaschinen stehen. Hier arbeiten diejenigen Metaller, die so richtig Ahnung von der Materie haben, und nicht solche Laien wie ich und der Kollege. Außerdem, wie ich inzwischen mitbekommen habe, sollen noch mindestens 3 Dutzend weitere arme Teufel vom Leihbudenverein im Betrieb tätig sein. Im Grunde sieht man die Unterschiede allein schon an der Bekleidung: Festangestellte haben bessere Blaukombis, besseres Schuhwerk, dazu erhellte Gesichter – fast jeder kommt mit dem Auto gefahren. Ich denke an die magere Bezahlung als Leiher. Den Rest kann sich dann jeder alleine denken. Ich warte heute noch auf die versprochene Wattehose und die Thermoweste von der Zeitarbeit. Was stattdessen kam, war ein lächerlicher Regenschirm mit Firmenslogan und eine Packung harte Müsliriegel, damit wir entsprechend mehr ranpowern können. Doch sage ich mir: Wenigstens habe ich ein Paar neue Arbeitsschuhe mit Stahlkappe bekommen. Na ja, ich habe sie nur bekommen, weil sie in der Metallbranche Pflicht sind. Schöne billige Arbeitsschuhe …, scheiß harte Botten!

»Ah, bist wohl schon fertig geworden«, sagt mein Einrichter zu mir, als er an einer Drehmaschine gerade einen neuen Drehmeißel justiert.

»Ja, eben gerade. Ich musste zwar noch etliche Tabletts nachschleifen, aber es ging so voran.« Das großartige Lamentieren darüber spare ich mir lieber.

»Gut. Ich komme dann gleich rüber, ich muss hier nur noch kurz die Feineinstellungen vornehmen.«

»Alles klar«, sage ich und gehe wieder.

Während ich durch die Halle laufe, schaue ich links und rechts, was so passiert. Und plötzlich kommt mir das wie eine Abwechslung von der monotonen Arbeit vor, vom ewigen Hin- und Herbewegen der Bleche. Auch hier sind werktypische Geräusche zu vernehmen: Es wird gebohrt, gefräst und getackert, geschliffen und gebürstet. Arbeiter nieten irgendwelche Teile zusammen. Sie schweißen auch mit Lichtbogen-Geräten an speziell gefertigten Gehäusen. Ich vermute, dass es sich dabei um die Gehäuse der Sterilisationsöfen handelt. Und noch etwas habe ich bereits mitbekommen: Hier im Dreher- und Fräserbereich (in der so genannten Werkstatt) sind überwiegend mehr ostdeutsche Arbeitnehmer beschäftigt. Im Zuschnitt hingegen schaffen außer mir fast ausnahmslos »Altbundesbürger« ran. Die meisten Maschinen im Zuschnitt sind computergesteuert, und angeblich soll man dort auch einiges mehr an Geld verdienen. Allerdings wären dazu entsprechend höhere Qualifikationen erforderlich – uns Leihkräfte an der alten Hydraulik-Presse mal ausgenommen. Es gibt sogar einige böse Zungen, die behaupten, dass es bei den Ostlern genau an diesen Qualifikationen mangeln würde, und so höre ich selbst in diesen Tagen, im Jahre 2011 noch: ›Was habt ihr im Osten schon groß vollbracht? Die »Ruinen« der Ex-DDR haben deutlich gezeigt, wohin Sozialismus und Mangelwirtschaft führt. In den Untergang!‹

Sind es nun tatsächlich die angeblich mangelnden Qualifikationen oder geht es hier nach wie vor um das Prinzip in einer ohnehin geteilten Tariffrage? Wie gut, dass wenigstens mein Einrichter, der ebenfalls oststämmig ist, noch mit einem Taschenrechner umgehen kann. Kann ich es überhaupt?

Ich kehre zurück in den Zuschnitt und sehe sogleich, was man noch so alles mit einer guten Software und den vielen West-Qualifikationen anfangen kann.

Dem Mannsweib an der Finn-Power scheint es gerade recht gut zu gehen – ihre Maschine hämmert und tackert vollautomatisch nach dem Programm. Meine Nachbarin sieht kein bisschen gestresst aus, sie sitzt in ihrem Sessel und spielt ganz entspannt Karten am Computer. Das ist so eine Art Zeitvertreib, damit es offenbar nicht zu langweilig wird. Auch ihr Kompagnon daneben, der den Laserzuschnitt programmiert hat, lässt es sich gerade bei Kaffee und Kreuzworträtsel ziemlich gut gehen. Der Kollege dahinter ebenso, der daneben, und der rechts von mir …

Im Grunde ist es kein Wunder, denn ich habe gehört, dass der Leiter der Produktion gerade Urlaub macht. Aber eigentlich soll ich all diese Annehmlichkeiten des Stammpersonals gar nicht sehen und noch viel weniger dürfe ich darüber reden, was so vonstatten geht, wenn man gewissermaßen mehr Privilegien hat. Außerdem stehe ich gerade selbst umher und warte im Leerlauf, weshalb ich wohl auch zu viel Zeit zum Nachdenken habe. Und ich warte und warte …

Nachdem der Einrichter das neue Werkzeug installiert hat, sagt er zu mir: »Jetzt geht der Durchgang wieder von vorne los. Wie viel Zeit hast du noch?« Er schaut zur Uhr und beantwortet sich dann selbst die Frage: »Na ja, zwei Stunden sind es dicke noch. Ich denke, da schaffst du gut den halben Auftrag.«

Ich sage nichts weiter dazu.

1 Monat später: Ich schaue auf meine Abrechnung von der Zeitarbeit und kann genau ersehen, was dabei rauskommt, wenn man Volltags für einen Stundensatz von 6,70 € schuften geht. Ich kann es drehen und wenden wie ich will, es werden einfach nicht mehr als knappe neunhundert Euro Netto. Selbstverständlich sind da alle Schichtzuschläge bereits mit inbegriffen. Mir wird ganz komisch im Bauch und irgendwie habe ich noch in Erinnerung, dass das Stammpersonal der Metallhandwerker in derselben Firma, oft sogar für dieselbe Arbeit, so ungefähr das Doppelte an Lohn dafür rausbekommt. Das ist natürlich nicht besonders schön für uns Leihkräfte. Jedoch haut es dann das Fass zum Boden raus, wenn sich obendrein einige Spezies extra vor uns damit brüsten, was sich doch ein »fleißiger« Arbeiter so alles für fantastische Dinge leisten kann: Schicke Markenklamotten, der neue Golf, die extra Reise nach Las Palmas darf nicht fehlen …

Ich selbst scheine Lichtjahre davon entfernt zu sein, und es sieht auch nicht unbedingt danach aus, dass ich in absehbarer Zeit mal selbst auf die Überholspur gelangen würde. Auch mein Einrichter gehört zu denen, die den Mund des Öfteren ganz schön voll nehmen – einerseits den Sozialen predigen, dann aber plötzlich wieder den Antreiber spielen. Ich habe den Eindruck, dass er sich mehr und mehr als eine Art Kleinkapitalist entpuppt. Und überhaupt scheint die Ideologie des Geldes einigen Menschen in den Kopf zu setzen, dass man auf Gott und Verderb immer mehr kontrollieren und besitzen muss – das schließt die Ausbeutung des Menschen mit ein. Es ist Kapitalismus. Es ist eben das, was ihn definiert. Und die feine über alles krönende Demokratie wird jedes Mal sagen: ›Liebe Menschen, liebe Bürger, so wolltet ihr die Geldwirtschaft haben. Das habt ihr gewählt!‹

Tatsache ist auch: Der globale Finanzkapitalismus hat sich bis heute nicht mit einer Ideologie von Maßhaltung und einer Wirtschaft in Nachhaltigkeit vertragen, und es dürfte sehr fraglich sein, dass die jetzige Weltwirtschaft erkennt, sich als Teil der Natur zu verstehen. Wie auch, wenn ein genereller Grundwiderspruch besteht: Das Wesen des Kapitals liegt in der Profiterzielung. Diese basiert auf Wachstum – sehr viel Wachstum! Und oft kommen hohe Profite nur durch Plünderei der umliegenden Landschaften zustande.

Oder anders herum: Ich als kleiner Zeitarbeiter bin einfach nur neidisch, wenn ich auf meine magere Abrechnung schaue und mir deshalb eben nicht all die schönen Dinge in dieser kapitalistischen Konsumwelt leisten kann.

Aber egal ob im Kleinen oder auf den globalen Wirtschafts- und Klimabarometern im Großen gesehen, es sagt nur aus: Der moderne Turbo-Kapitalismus hat die Gier ganz klar nicht im Griff.

Wiederum 1 Monat später: Für mich liegen 1000 neu zugeschnittene Bleche bereit. Daraus sollen am Ende möglichst genauso viele Tabletts werden. Auch das Werkzeug zum Beschneiden der Ecken ist bereits installiert. Ich kann also ohne Verzögerung gleich voll loslegen.

Als ich mir den ersten Stapel Bleche zum Arbeitstisch hole, sehe ich, dass sie diesmal anderweitig zugeschnitten worden sind. Irgendwie sauberer, viel glatter, zumindest was die Schnittfläche anbetrifft. Dafür liegen heute umso mehr Späne zwischen den einzelnen Blechen, oder vielleicht ist es auch eine Art gesprühtes Material. Ich kehre die Bleche einfach ein bisschen ab.

Später schaut der Pole um die Ecke und fragt: »Na, alles okay bei dir?«

»Ja«, sage ich und staple mir nebenher neue Bleche.

»Hab diesmal den Zuschnitt am Laser getätigt«, sagt er und kommt ein Stück näher. »Das kommen aber von den Büroleuten oben. Sehen doch ganz gut aus, oder?«

»Ja, echt saubere Schnittfläche! Es liegen nur mehr Späne drauf als sonst.«

»Späne? Na ja, der Laser halt ein wenig sprühen. Aber du hast ja einen Handfeger, wie ich sehen. Und sonst, machen es Spaß?«

Er fragt das nicht zum ersten Mal, und ich sage ihm wie jedes Mal: »Es ist ziemlich monoton, aber das weißt du ja selbst.«

»Schönes Wetter heute draußen, es scheinen Frühling zu werden …«

»Ja …« Ich drehe mich kurz um und schaue ebenfalls zum Fenster, und tatsächlich sehe ich erst jetzt, wie schön es draußen geworden ist. Ich bin aber auch nicht blöd und merke genau, dass er eigentlich ein wenig Kontakt knüpfen möchte, weil ohnehin die Unterhaltung im Zuschnitt eher dürftig ist. Er scheint offenbar gerade ein wenig Luft zu haben. Ich höre, dass der Laser im Hintergrund arbeitet. Was er gerade ausbrennt, verrät er mir nicht. Ich frage auch nicht. Stattdessen frage ich: »Lohnt es sich immer noch in Polen zu tanken?«

»Ja, aber nur in Grenznähe. Am besten man hat eine Autogasanlage installiert.«

»Du wohnst in Grenznähe?«

»Nein. Früher haben in Cedynia gewohnt. Jetzt ich wohnen hier.«

»Aber du fährst doch zu Besuch zu deinen Eltern?«

»Nicht so oft …« Er lächelt über irgendwas. »Du klingen auch nicht wie von hier.«

»Ja, ich bin aus Sachsen«, sage ich, weil der Preuße das immer denkt, dass ich das bin, obwohl ich selbst ein Preuße bin.

Ich schalte die Presse ein und er hebt die Hand – wir müssen wieder. Einen Blick werfe ich noch aus dem Fenster, es ist die kräftige Märzsonne, die so fasziniert.

Der Pole ist mit Abstand der netteste Mitarbeiter im Zuschnitt. Eigentlich kein Wunder, wenn er ein Gastarbeiter aus Polen ist, zumindest wäre das nach seinem polnischen Autokennzeichen so zu vermuten. Und im Gegensatz zu mir kann er sich wenigstens ein Auto leisten, ein ziemlich neues sogar. Bei mir hingegen reicht es derzeit nicht einmal für ein gut gehendes Fahrrad. Doch eines verbindet uns dennoch: Wir beide wollen arbeiten, etwas bewegen, auch wenn unsere heimatlichen Wurzeln vom Lande herstammen.

Es geht zur Sache: Ich schlage voll rein …, das heißt, ich bin gerade beim Lochen der Tabletts angekommen und will nun unbedingt meine Quantität etwas steigern. Zwar könnte ich mich genauso gut fragen, warum ich das bei der mageren Bezahlung überhaupt tue, aber genau diesen Punkt versuche ich heute, zu verdrängen. Es muss wohl vielmehr so sein: Ich hab schon die Taschen voller Geld – zumindest in den Träumen. Ich tue es, um mir selbst etwas zu beweisen, so eine Art Test. Nein. Damit der Einrichter nicht wieder rumnölt, dass wir zu langsam sind. Verdammt! Ich will einfach nur ordnungsgemäß den Auftrag erledigen.

Nach gut fünf Stunden ist jedoch klar, dass ich ganz sicher keine neuen Rekorde aufstellen werde. Wie auch, wenn ich erst bei Tablett 430 bin. Scheinbar habe ich mir zu viel vorgenommen. Zwar ist es schön, wenn der Wille da ist. Nützt aber wenig, wenn der Motor die ganze Zeit über stottert.

Warum suche ich überhaupt die Schuld bei mir, dass es nur schleppend voran geht? Soll ich das vielleicht sogar, damit andere es einfacher im Leben haben?

Tatsächlich sieht die Sache nämlich so aus: Fast jedes 10. Tablett hat einen sichtbaren Sprenkel (eingepressten Metallsplitter) beim Lochen abbekommen, weshalb ich nun wie ein Blöder die Tabletts nachschleifen muss. Und obwohl ich das Werkzeug inzwischen nach jedem zweiten Lochdurchgang mit einem Öl-Lappen reinige, wird es nicht viel besser. Ich kotze voll ab, und irgendwie schleicht sich auch die Einbildung heran, dass ich es bin, der hier in der Metallverarbeitung pfuscht. Aber mehr wie Mühe geben, kann ich mir nicht. So versuche ich, das Beste daraus zu machen.

Mit der Zeit, nach viel Schleifarbeit und einigen Überlegungen habe ich so einen Verdacht: Der viele »Ausschuss« entsteht, weil sie neuerdings die Bleche mit dem Laser zuschneiden. Der Laser sprüht, und er sprüht so feines Material auf die Oberflächen der Bleche, dass ich fegen und mit dem Lappen wischen kann wie ich will, es bleiben dennoch fast unsichtbar feine Metallblättchen zurück, die sich dann mit verpressen.

Es ist kurz nach 1930 Uhr und ich beschließe, es vorerst zumindest dem Polen zu sagen.

Es geht richtig zur Sache: Ich trete meine Spätschicht an und schaue als Erstes in die Tonne der Wahrheit. Die Tonne ist bis oben hin voller Ausschuss. Mich wundert es nicht. Mein Kompagnon, der Kollege, hat noch nie gerne Tabletts nachgeschliffen. Stattdessen raucht er gerade umso genüsslicher seine Feierabend-Zigarette.

»Also, Jungs«, sagt der Einrichter, als er unser Arbeitspensum einmal genauer durchrechnet. »Wir ziehen hier ständig einen Faden hinterher, und der Faden wird dann von Woche zu Woche immer länger. Es muss so gearbeitet werden, dass die nächste Schicht, also du jetzt, einen ganzen Auftrag bewältigen kann.« Gemeint ist natürlich: Ihr seid zu langsam und wenn ihr nicht schneller werdet, dann hat das Konsequenzen. Er schaut nun konkret mich an: »Zum Beispiel hat dein Kollege vor zwei Stunden den neuen Auftrag angefangen, und wenn du jetzt gut weiterarbeitest, dann bist du wahrscheinlich so gegen 1900 Uhr schon fertig. Dann ist aber keiner mehr da, der die Presse für den nächsten Arbeitsschritt umbauen kann. Versteht ihr, ein Auftrag pro Schicht! Übrigens schaffen das unsere Leute hier ganz locker, und ihr beide müsst euch einfach nur richtig ins Zeug legen.«

»Ja, weißt du«, bemerke ich, »neuerdings werden die Bleche auch mit dem Laser zugeschnitten, und komischerweise verpressen wir seitdem viel mehr kleine Metallblättchen als früher. Ich meine, wir schleifen uns dann dumm und dämlich …«

»Dann müsst ihr das Werkzeug eben sauberer abwischen, und die 60 oder 70 Tabletts mit den Sprenkeln werft ihr halt gleich in die Tonne.«

»Wie jetzt? Ich denke, wir sollen nicht so viel Ausschuss produzieren?«

»Hm!«, macht der Einrichter und schaut nun ernster. »Du sollst nicht so viel denken, du bist nämlich schneller, wenn du noch 400 Teile mehr durch die Presse jagst, anstatt den Schrott 2 Stunden lang akribisch zu schleifen. Kapiert?!«

Nun ist es soweit und ich lasse es heraus: »Weißt du, wie du redest, und weißt du überhaupt, was ich für die Maloche hier bekomme? Ich habe bei Vollzeit letzten Monat knappe neunhundert Eier auf die Hand gehabt, und jetzt soll ich noch einen Zahn mehr auf die Tube drücken? Hier unten bekommt man Kopf- und Rückenschmerzen, und von der kalten Zugluft, der wir ausgesetzt sind, will ich gar nicht erst reden …«

»Schon mal mitbekommen, dass im Zuschnitt nach Akkord gearbeitet wird?«, fragt der Einrichter dagegen.

»Bei uns kommt aber kein Akkordlohn an! Der kommt nur bei eurer Stammbelegschaft an. Die bekommen nämlich mehr als das Doppelte für vergleichbare Arbeiten gezahlt.«

»Mag sein. Ich bin aber nicht die Personalabteilung! Das mit der Bezahlung müsst ihr schon mit eurer Zeitarbeit klären. Ich habe hier einen Auftrag zu erfüllen, und da habt ihr beide gefälligst mitzuspielen!«

»Klingt für mich wie nach Ausbeutung. Von wegen einig Ossiland, sozialer Zusammenhalt und so ein Gelabere …«

»Ach, halt doch die Klappe!«

Die Wut steigt in ihm auf, und ich kann es deutlich in seinen Augen sehen.

Der Kollege dagegen sagt nichts. Er raucht einfach nur seine nächste Zigarette. Fast scheint es so, als ob ihn das geforderte Arbeitspensum und die Bezahlung nicht sonderlich anheben tut.

Der Einrichter deutet nun gezielt mit dem Finger auf mich und spricht Klartext: »Entweder du machst mit, oder du bist raus!« Er lässt uns stehen und geht kopfschüttelnd hinaus.

»Und du, wie siehst du das eigentlich hier?«, frage ich den Kollegen. »Hast du auch eine Meinung dazu?«

Er hebt die Brauen und sagt: »Ja, weißt du …, das mit dem Hungerlohn, das stimmt natürlich schon. Nur was sollen wir alleine dagegen tun?«

»Na, wir müssen uns mit den anderen zusammenschließen!«, sage ich klar heraus. »Wir müssen uns organisieren, eine einheitliche Richtung strukturieren, uns formieren, und dann unsere Forderungen mit vereinter Kraft vor den Arbeitgebern demonstrieren.«

»Ach, das ist doch alles viel zu anstrengend, das bringt höchstens nur noch mehr Ärger ein.« Darauf muss er erst einmal einen kräftigen Zug Nikotin nehmen. »Du müsstest doch selbst am besten wissen, wie viele Rechte du bei der Zeitarbeit hast. Glaub mir, niemand wird dir zuhören wollen, einen Betriebsrat gibt es nicht wirklich, geschweige denn eine Gewerkschaft. Was willst du da organisieren? Du hast ja selbst gehört: ›Entweder du machst mit, oder du bist raus.‹«

»Also, würdest du niemals an einer Kundgebung für eine gerechtere Bezahlung mit teilnehmen, wenn dich andere Zeitarbeiter darum bitten würden?«

»Ich sage dir, damit erreichst du nichts!«

»Und ich sage dir, es wird noch viel schlimmer werden, wenn wir gar nichts dagegen tun!«

»Okay. Geh du demonstrieren, ich mache solange hier …«

»Ich war schon auf drei Kundgebungen gewesen und habe sogar einige Flyer mit verteilt.«

»Und, hat dich jemand erhört?«

Ich lege die Stirn in Falten. Zumindest hört er mir gerade zu und ich sage ihm: »Du wirst es nicht glauben, aber einige interessiert das schon.«

»Ich gehe mal davon aus, dass es nach wie vor einige viel zu wenige sind.«

»Ist gut«, sage ich. »Wir lassen das einfach im Raum hier stehen. Ich merke schon, Solidarisierung ist nicht so dein Ding. Und trotzdem prophezeie ich dir: Die da oben werden nicht aufhören, dir und mir, uns allen Arbeitern noch mehr Rechte wegzunehmen.«

Er winkt nur ab und holt sich einen Stapel neuer Bleche ran. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als nach Hause zu gehen.

Mehr Quantität? Denkste! Wir sind kein bisschen schneller geworden – am allerwenigsten der Kollege. Wir reden kaum noch miteinander, eigentlich so gut wie überhaupt nicht mehr. Dafür hat der Kollege sich neuerdings viel mit den Stammmitarbeitern zu erzählen, und es sieht ganz danach aus, als ob er jetzt richtig gute betriebliche Kontakte knüpfen will. Meine Wenigkeit grüßt er zur Schichtübergabe nur flüchtig, aber fast allen anderen Maschinenbedienern drückt er extra die Hand. Offensichtlich ist das seine Art der Solidarisierung. Unter uns Zeitarbeitern hingegen – wie er schon sagte: ›Viel zu anstrengend der ganze Ärger!‹ Demnach bin ich der Querulant und er derjenige, der nun umso mehr Vitamin B aufbaut, oder so in der Richtung …

Aus meiner Sicht ist er eben nicht der fleißige Arbeiter, für den er sich ausgibt. Er tut nur so, wenn gerade ein Vorarbeiter in der Nähe ist. In Wirklichkeit aber ist er faul und oberflächlich. Jedoch ist er auch einer, der andere ganz gut blenden kann. Fakt ist: In den letzten 3 Wochen hat er niemals mehr Stückzahlen erbracht, niemals sauberer gearbeitet und keineswegs weniger Ausschuss produziert. Er labert nur um den heißen Brei herum und hat für eigene Verfehlungen tausend Ausflüchte parat. Wenn ich schon allein in den Aschenbecher schaue und die 20 Kippenstummel sehe, die er pro Schicht raucht, sehe ich die Wirklichkeit, wie es tatsächlich mit seiner Arbeitseinstellung aussieht. Im Grunde sind wir auch gar keine richtigen Kollegen, wir sind vielmehr Einzelkämpfer, wenn nicht gar Konkurrenten. Das zeigt sich nun umso deutlicher, seitdem neulich ein paar ernste Worte gefallen sind.

Mir ist klar, dass der Kollege versucht, sich bei den Einrichtern einzukratzen, damit er in das vermeintlich feste Arbeitsverhältnis kommt. Ich dagegen versuche, so gut wie möglich weiterzumachen. Ich sehe das so: Es sind nur rein die Aufträge in Metall wichtig, die abzuarbeiten sind. Hier wird nicht wirklich jemand von uns Zeitarbeitern fest eingestellt, hier wird lediglich mit einer Festanstellung gelockt, damit trotz Dumpinglohn dann auf akkordähnliche Weise gearbeitet wird.

Wie mir längst zu Ohren kam, soll es bereits 3 Jahre her sein, wo der Metallbetrieb einen Zeitarbeiter übernommen hat. Altmetaller reden nur hinter vorgehaltener Hand darüber. Viele haben inzwischen selbst Angst um ihren Job – um die Metalltarifklasse, nach der sie derzeit noch ganz gut bezahlt werden. Manch einer traut sich dennoch und sagt uns Leihkräften ganz klar: Echte Perspektiven am deutschen Arbeitshorizont sind mit EU-Freizügigkeit und noch mehr Werkverträgen wohl eher nicht in Sicht.

Und am Ende dann: Man hat eingesehen – sowohl die grauen Theoretiker aus dem Planbüro als auch der stellv. Produktionsleiter –, dass der Zuschnitt mit dem Laser eben doch nicht der effektivste Schritt vor der Bearbeitung mit der Hydraulik-Presse ist. Nun ist alles wieder beim Alten, und es wäre auch nicht das erste Mal gewesen, wie ein Insider an der Bandsäge verlauten ließ, dass die BWLer versuchen, die solide Praxis in Frage zu stellen.

Ich bin dann mal schnell weg …

Wenn der Hausherr nicht da ist, tanzen die Mäuse ein Fest auf dem Tisch! heißt es so schön aus der deutschen Literatur her. Oder anders herum: Die einen legen die Beine hoch, und die anderen sind plötzlich schnell verschwunden, um gewisse Wege zu erledigen, wie sie selbst zu sagen pflegen. So ist es meistens am Wochenende und an den Feiertagen, wo ich als Leiharbeiter dann ab und an die hochehrenvolle Aufgabe habe, die Stellung zu halten. Davon abgesehen kann es mir auch ziemlich egal sein, was das Stammpersonal in der Beziehung macht. Für mich selbst gilt: Der Leiher hat sich strickt an die Anweisungen des Entleihers zu halten und darf ohne ausdrückliche Genehmigung (Ausnahme im Brandfall) während der Arbeitszeit niemals seinen Arbeitsplatz verlassen!

Es ist Samstagabend so gegen 1900 Uhr und viel geht nicht zur Sache: Der Pole scheint ein verlängertes Abendbrot zu machen, er isst süße Riegel und spielt nebenher Karten am Computer. Nein, jetzt steht er auf – ihm muss wohl gerade etwas »Sinnvolleres« eingefallen sein, um die verbleibende Zeit irgendwie rumzukriegen. Offenbar hat er heute so schnell vorgearbeitet, dass er blank noch einen Auftrag durch den Laser jagen könnte, wenn dies arbeitstechnisch unbedingt erforderlich wäre.

»Na, seien alles klar bei dir?«, fragt er mich, als ich gerade die nächste Palette Alu-Bleche rankarre.

»Ja«, sage ich. »Der eine Auftrag ist erledigt, und jetzt fange ich den nächsten an.«

»Hm!«, macht er und rümpft nachdenklich die Nase. Er weiß schon ungefähr, wie die Produktionsleitung gerade verfährt. Das wäre dann Plan B zur Produktionssteigerung. Quasi zweimal hintereinander denselben Auftrag durch die Presse jagen, damit fünfmal das Umbauen der Maschine eingespart werden kann, und wir somit durchgängig fließender arbeiten können. »Man, es ist Wochenende!«, erinnert er mich daran. »Du müssen hier nicht ständig wie ein Blöder ackern … Ähm, sag mal, brauchen du irgendwas aus dem Supermarkt? Vielleicht was zu trinken, oder was zu rauchen?«

»Ach, eigentlich nicht«, sage ich, weil ich aus meiner Sicht alles mithabe, was ich für die laufende Schicht brauche.

»Gut. Ach so, du wissen ja bestimmt Bescheid. Was hier am Wochenende passiert, bleibt natürlich unter uns.«

»Ist schon klar …«

Er wollte es nur noch einmal sagen, damit ich nicht auf dumme Gedanken komme.

Eine halbe Stunde später: Der Pole ist unterwegs. Vetter scheint hinten ›Indiana Jones‹ zu gucken, der Musik nach zumindest, und Schulze, der an der Finn-Power, putzt gerade keine 10 Meter von mir entfernt sein heiß geliebtes Rennrad. Das sagt mir: Hier wird offensichtlich bereits auf den Feierabend gewartet. Und es sagt mir noch: Ich müsste mich normalerweise eine Idee mehr anpassen. Scheiße nur, dass die Laufer-Presse eben nicht automatisch per Mausklick arbeiten kann. Ist auch kein Wunder, mein Gefährt ist bereits seit 1982 im Einsatz. Ich schaue dennoch für die nächsten 10 Minuten aus dem Fenster und dann auch kurz vor das Waren-Annahmetor – es ist die abendliche Maisonne, die mich für einen Moment so wunderbar entspannen lässt.

Eine junge Dame kommt über den Hof gelaufen und steuert geradewegs auf mich zu. »Hallo!«, sagt sie mit freundlicher Stimme. »Ich möchte nur mal schnell den Herrn Vetter überraschen.«

»Aber immer hereinspaziert«, sage ich ebenso freundlich, »… er muss hinten an der Bandsäge sein.«

»Schön …« Sie grinst verschmitzt und geht rein, und ich grinse ihr hinterher. Ich kenne sie bereits, sie ist nicht das erste Mal zum »Zeitvertreib« hier.

Wenig später kommt ein nagelneuer Insignia direkt vor die Laderampe gefahren. Es ist der Pole, der gerade vom Supermarkt-Ausflug zurückkehrt.

»Ah, du beschneidest ja immer noch die Ecken«, sagt er, als er mit zwei 6er-Packs Cola an mir vorbeimarschiert.

Ich sage nichts und beschneide meine Bleche weiter im gewohnten Takt.

Wiederum nicht viel später: Vetter stolziert guter Dinge mit seiner schicken Freundin vorbei, grüßt lässig ab und sagt: »Ich bin dann mal schnell weg …«

MC Doof! vermute ich. Sie gehen jetzt essen … Auch das wäre am Wochenende keineswegs neu für mich.

Ich weiß nicht so recht, aber irgendwie haben die mich angesteckt, und ich erinnere mich plötzlich wieder an die Worte, die Vetter bereits Ostern zu mir gesagt hat: ›Immer mit der Ruhe. Als Leiharbeiter musst du hier keine Rekorde brechen.‹ Und er als Vorarbeiter und Einrichter aus dem »goldenen« Westen muss es eigentlich noch am allerbesten wissen.

Ausbeutung - made in Germany

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