Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 654 - Frank Moorfield - Страница 7
2.
ОглавлениеAn jenem Apriltag im Jahre 1599 wölbte sich der Himmel strahlend blau über dem Indischen Ozean. Die Sonne hatte trotz der frischen Brise, die über die glitzernde Wasseroberfläche strich, viel Kraft, und die Wärme kroch angenehm über die Haut.
Dagegen hatte die dreiköpfige Besatzung der kleinen Jolle, die mit achterlichem Wind gute Fahrt lief, nichts einzuwenden – vor allem jetzt nicht, da die Südwestküste der Insel Madagaskar bereits in Sicht war.
Old Donegal Daniel O’Flynn blickte zu dem schwarzen Strich hinüber, der an der Kimm aufgetaucht war. Dann verzog er das braungebrannte, von Wind und Wetter gegerbte Gesicht zu einem zufriedenen Grinsen.
„Hab ich euch nicht gleich gesagt, daß die Jolle in Ordnung ist? Seit Tagen sind wir gut vorangekommen und wenn es sein muß, segeln wir mit diesem Schiffchen bis nach Indien. Ein besseres Abschiedsgeschenk hätten uns die Schnapphähne gar nicht überreichen können.“
Hasard junior, einer der Zwillingssöhne des Seewolfs, zwinkerte mit den Augen.
„Jetzt trägst du aber reichlich dick auf, Admiral“, erwiderte er. „Soweit ich mich erinnern kann, hat man uns diese Jolle – noch dazu unsere eigene – nicht gerade auf einem silbernen Tablett serviert. Wenn wir nicht kräftig zugelangt hätten, wären unsere Klamotten reichlich naß geworden.“
Hasard spielte damit auf die harte Auseinandersetzung an, die sich nahe dem Kap der Guten Hoffnung auf der Karavelle der Deserteure abgespielt hatte.
Sobald die drei schiffbrüchigen Seewölfe bei der Atlantikinsel Ascension notgedrungen als Arbeitssklaven an Bord gegangen waren, hatte der Ärger begonnen. Während sich das verluderte Piratenpack reichlich dem Suff und dem Faulenzen widmete, mußten Old Donegal, Philip und Hasard im Schweiße ihres Angesichtes schuften, bis Hasard beim Holzhacken der Kragen platzte.
Der junge Riese hieb zu, daß die Fetzen flogen, und als die Kerle den Wassereinbruch bemerkten, war es schon zu spät. Die Karavelle war nicht mehr zu retten, und die drei Arwenacks hatten bei einer wilden Prügelei im wahrsten Sinne des Wortes alle Hände voll zu tun gehabt, um sich ihre eigene Jolle zu sichern.
„Hähähä!“ Old Donegal bedachte den Einwand Hasards mit einem meckernden Lachen. „Bei nassen Klamotten wär’s da nicht geblieben. Beim Schwimmen hätten wir mit den Ohren ganz schön vor den Wind gehen müssen, um Fahrt aufzunehmen.“
„Und mit unseren Achtersteven womöglich auch noch“, ergänzte Hasard, „was sonst hätte uns als Besan-Segel dienen sollen?“
Philip, der seinem Bruder zum Verwechseln ähnlich sah, schüttelte den Kopf. Das sonnengebräunte Gesicht unter dem pechschwarzen Haar wirkte etwas mißmutiger.
„Ihr habt ein Gemüt wie Nilkrokodile“, sagte er. „Mir knurrt der Magen, weil wir so gut wie nichts mehr zum Beißen an Bord haben, und unsere letzten Tropfen Wasser sind voller Algen und schmecken abscheulich. Trotzdem treibt ihr beide eure Späßchen, als hättet ihr gerade ein festliches Bankett bei der Königin hinter euch gebracht.“
„Ein festliches Bankett bei der alten Lissy?“ fragte Old Donegal und kriegte einen träumerischen Blick. „Das wäre jetzt gerade das Richtige. Aber ein Dutzend Speckpfannkuchen, vom Kutscher an Bord unserer Schebecke frisch zubereitet, wäre auch nicht zu verachten.“ Er seufzte. „Man kann jedoch nicht alles haben. Eine Jolle und Speckpfannkuchen – das ist zuviel auf einmal. Und bis jetzt war mir, ehrlich gesagt, die Jolle lieber.“
„Mir auch“, warf Hasard ein. „Auf einem Speckpfannkuchen kann man nämlich nicht nach Madagaskar segeln, nach Indien schon gar nicht. Trotzdem ist dir mein Mitgefühl sicher, Bruderherz. Mir hängt der Magen auch schon bis auf die Stiefelspitzen.“
„Dann paß gut auf, daß du nicht aus Versehen drauftrittst.“ Das Gesicht Old Donegals ließ erkennen, daß er gut gelaunt war. „Bald sehen wir uns auf Madagaskar ein bißchen um. Und natürlich segeln wir erst dann weiter, wenn wir uns so richtig kugelrund angenudelt haben, und die Jolle vor lauter erlesenen Speisen und edlen Getränken bis zum Dollbord im Wasser liegt.“
„Dein Wort in Gottes Ohr, Admiral“, meinte Philip. Jetzt huschte sogar ein Lächeln über sein Gesicht. „Einem großen Festschmaus steht dann ja nichts mehr im Weg, falls wir irgendwo auf unsere Leute treffen sollten.“
Er sprach damit die Hoffnung aus, die sie alle hegten, seit sie bei den Kapverdischen Inseln durch einen von der mauretanischen Küste heranfegenden Sandsturm von ihrem Schiff und den Kameraden getrennt worden waren. Ihre Erwartungen waren noch gestiegen, seit sie mit der Jolle Kurs auf Madagaskar genommen hatten.
Immerhin war es möglich, daß die Schebecke der Seewölfe ebenfalls irgendwo an der Westküste dieser Insel ankerte, um Trinkwasser und Proviant zu ergänzen. Doch unabhängig von einem solch zufälligen Zusammentreffen, waren die drei Arwenacks in der Jolle fest entschlossen, die Augen offenzuhalten.
Notfalls würden sie den Törn nach Indien mit der Jolle fortsetzen, um dort, am eigentlichen Ziel der Schebecke, wieder auf die anderen zu stoßen.
Bombay, Surat und Madras hießen die Stationen, die die Seewölfe im Auftrag der Königin anlaufen sollten, um dem Boden für künftige Handelsbeziehungen vorzubereiten. Old Donegal und seine beiden Enkel würden auf jeden Fall alles daransetzen, die Kameraden zu finden. Zunächst aber galt es, auf Madagaskar frische Vorräte an Bord zu nehmen.
Der Wind blähte das Segel, die Jolle glitt leicht und mit einem Hauch von Eleganz durch das Wasser. Der schwarze Strich am Horizont hatte längst deutlichere Konturen angenommen, die große Insel im Indischen Ozean wuchs vor ihnen aus dem kristallklaren Wasser.
Philip legte die flache Hand über die Augen und blickte nach Backbord. Dann deutete er auf einige dunkle Schatten, die sich dicht unter der Wasseroberfläche auf die offene See zubewegten.
„Das sieht vielversprechend aus“, sagte er. „Wo es solch große Wasserschildkröten gibt, braucht so schnell niemand zu verhungern. Wer weiß, vielleicht segeln wir direkt auf das Paradies zu.“
Hasard grinste. „Vielleicht sitzt unser Stammvater Adam drüben am Strand, um uns willkommen zu heißen.“
„Eva wäre mir lieber“, entgegnete Philip, „nur dürfte die Lady inzwischen auch nicht mehr die Jüngste sein.“
Old Donegal, das alte Rauhbein, schüttelte tadelnd den Kopf. „Laß bloß die Weiber aus dem Spiel, du Grünschnabel, die haben uns hier gerade noch gefehlt.“
„Na, na, was sind das für Töne?“ entgegnete Hasard. „Was glaubst du, was los wäre, wenn das eine gewisse Missis Mary O’Flynn, geborene Snugglemouse, wohnhaft auf der wunderschönen Karibikinsel Great Abaco, gehört hätte?“
„Mein Eheweib habe ich damit nicht gemeint“, erklärte Old Donegal. „Meine Mary ist nämlich eine anständige Frau. Die stiehlt nicht dem Herrgott den Tag und nascht von verbotenen Früchten. Aber diese – diese Eva, damals im Garten Eden, das war ein regelrechtes Luder, das kann ich euch sagen. Die mogelte sich nicht nur an den Befehlen des Großlords vorbei und naschte von einem Baum, der sie gar nichts anging, sondern führte auch noch Adam an der Nase rum, indem sie ihn dazu überredete, ebenfalls nach den verbotenen Früchten zu greifen. Und was war die Folge?“
„Der Großlord hat sie aus dem Paradies rausschmeißen lassen“, erwiderte Philip.
„Richtig.“ Old Donegal nickte. „Und deshalb sind auch wir außerhalb des Gartens Eden geboren worden und müssen all die Nachteile in Kauf nehmen, die sich diese Lady damals eingehandelt hat. Und was lernen wir daraus, Leute?“
„Wie wir dich kennen, wirst du es uns sicherlich gleich sagen, Granddad“, entgegnete Philip.
„Na schön“, fuhr Old Donegal fort, „ich kann ja meine Herren Enkel nicht ein Leben lang dumm herumlaufen lassen, nicht wahr? Also, ähem, das ist nämlich so: Wenn der Großlord im Himmel seine Befehle erteilt, hat man gefälligst darauf zu hören, statt in einen süßen Honigtopf zu tappen, den einem verführerische Ladys vor die Füße stellen. Wenn man’s trotzdem tut, bleibt man darin kleben und hat verdammt viel Mühe, wieder aus diesem Topf rauszusteigen …“
Hasard unterbrach die Erklärungen Old Donegals mit einem verblüfften Ausruf.
„Was ist denn das? Wie ein Honigtopf sieht das wohl nicht aus, sondern eher wie ein Fischerboot.“
Old Donegal und Philip gingen blickmäßig auf den Kurs, den Hasards Zeigefinger anlag. Und siehe da, Steuerbord voraus hoben sich tatsächlich die Konturen eines Bootes mit einem großen quadratischen Segel vor den Landmassen der Insel ab.
Jetzt vergaß sogar Old Donegal den Garten Eden.
„Mir scheint“, sagte er, „wir segeln wieder mal genau zum richtigen Zeitpunkt auf den richtigen Ort zu.“ Er kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. „Ich lege nicht gerade Wert darauf, mich gleich irgendwelchen Eingeborenen vorstellen zu müssen. Wenn die nämlich gerade schlecht gelaunt sind, wird’s so schnell nichts mit all den Leckerbissen, die wir an Bord nehmen möchten.“
„Das erzähl mal meinem knurrenden Magen“, sagte Philip. „Ich glaube nicht, daß er das einsieht.“
Die drei Arwenacks ließen das vermeintliche Fischerboot nicht mehr aus den Augen, und schon bald stellten sie fest, daß es sich um ein Auslegerboot handelte, dessen Segel viele Löcher aufwies. Das seltsame Gefährt schien ohne Ziel im Wasser zu treiben. So sehr sie ihre Augen auch bemühten, ein menschliches Wesen war nirgends zu entdecken.
„Das ist ja ein regelrechtes Geisterschiffchen“, sagte Old Donegal und schielte mit einem Auge auf das längliche Paket, das achtern in ihrer Jolle verstaut war.
Säuberlich in ein Stück Segeltuch eingewickelt, befanden sich darin außer den Pulvervorräten einige erbeutete Musketen und Pistolen. Wenn es also irgendwelchen Ärger geben sollte, würden sie dem nicht hilflos gegenüberstehen. Zunächst aber sahen sie keine Veranlassung, nach den Waffen zu greifen.
„Vielleicht ist das Boot bei einem Unwetter abgetrieben worden“, meinte Philip. „Es muß ja nicht aus der Küstengegend dort drüben stammen. Ich sehe jedenfalls keinen Grund, wegen einer halbwracken Nußschale auf unseren Landgang zu verzichten.“
In diesem Punkt herrschte absolute Übereinstimmung. Die Arwenacks setzten ihren Kurs unbeirrt fort.
Schon wenig später glitt die Jolle an dem Steuerbord querab dümpelnden „Geisterschiffchen“ vorbei. Die Entfernung betrug jetzt kaum noch den vierten Teil einer Kabellänge. Das quadratische Segel war arg mitgenommen, an der Steuerbordseite des Bootes klaffte in Höhe des Dollbords und zwei Handbreiten darunter ein zersplittertes Loch im Holz. Sonst schien das Boot kaum beschädigt zu sein. Auch an dem weit herausragenden Ausleger der Steuerbordseite war kein Schaden festzustellen.
„Segel und Bordwand sehen aus, als seien sie mit einer kleinen Kanone beschossen worden“, sagte Old Donegal. „Weiß der Teufel, was sich da abgespielt hat.“
Der geschwungene Bug, der den rückwärts gebogenen Hörnern eines Ziegenbocks glich, wies zahlreiche Schnitzereien auf. Hölzerne Streben verstärkten das Boot, um ihm mehr Stabilität zu verleihen.
„Vielleicht leben dort drüben an der Küste Fischer, die von Piraten überfallen wurden“, sagte Hasard. „Wie sonst wurde das Holz aus der Bordwand gefetzt? Ein Aufprall auf irgendwelche Klippen scheidet aus, sonst wären als erstes die Ausleger zerstört worden.“
„Mit dieser Vermutung könntest du recht haben“, entgegnete Philip, und mit einem schiefen Seitenblick zu Old Donegal fügte er hinzu: „Womöglich ist das erwartete Paradies gar keins, und wir segeln direkt in die finsteren Schlünde der Hölle.“
Old Donegal legte die Stirn in Falten.
„Willst du wohl damit aufhören, den Teufel an die Wand zu malen, du gepökelter Hering? Schließlich ist es nicht das erste Mal, daß wir ein verlassenes oder beschädigtes Boot sichten. Trimm lieber das Segel etwas nach, damit wir nicht die herrliche Bucht dort drüben verfehlen.“
Die Küstenlandschaft und der Sandstrand, der die großzügige Bucht säumte, boten in der Tat einen paradiesischen Anblick, Scharen von Reihern, Sturmtauchern und Feenseeschwalben erhoben sich lärmend in den tiefblauen Himmel oder zogen sich in die Wipfel der hochaufragenden Takamaka-Bäume zurück.
Diese Giganten mit ihrer grauen Rinde und den großen, dunkelgrünen Blättern reichten an die beachtliche Größe der Palmen heran und gaben dem bis dicht an den Strand reichenden Regenwald ein majestätisches Aussehen.
Die Jolle segelte zunächst an üppigem Mangrovendickicht vorbei, dessen Luftwurzeln bizarr über das Wasser hinausragten. Philip und Hasard bargen das Segel, kurz darauf schob sich der Bug knirschend auf den weißen Sandstrand.
Tatsächlich hatte es den Anschein, als seien die Seewölfe weit und breit die einzigen menschlichen Wesen. Nirgends waren weitere Boote zu sehen, und nichts wies auf das Vorhandensein eines Fischerdorfes hin.
Da die Platzverhältnisse in einer kleinen Jolle bei einem längeren Törn doch recht beengend waren, tat es den drei Mannen gut, wieder mal festen Boden unter den Füßen zu spüren. Old Donegal behauptete sogar, daß der warme, weiche Sand seinem Holzbein guttäte.
Dies wiederum gab den beiden jungen Burschen erneut Anlaß zum Grinsen, obwohl sie wußten, daß der alte Haudegen und sein Holzbein schon immer ein besonderes Verhältnis zueinander hatten.
„Zunächst werden wir uns wohl die Umgebung ein bißchen anschauen müssen“, sagte Old Donegal. „Vor allem müssen wir feststellen, wo es Wasser und jagdbares Wild gibt. Danach können wir uns immer noch dem Fangen und Räuchern von Fischen widmen. Einer von euch sollte allerdings hier am Strand bleiben und auf die Jolle aufpassen.“
„Muß das sein?“ fragte Philip. „Ich meine, wer sollte sich hier in dieser einsamen Bucht für unsere Jolle interessieren?“
Old Donegal setzte sein „Kapitänsgesicht“ auf. „Es muß sein“, entschied er. „Das Schiffchen ist für uns zu kostbar, um es leichtsinnig aufs Spiel zu setzen. Und der Fußweg nach Indien – zum Teufel, der ist mir um einige Meilen zu weit.“
Jung Philip erklärte sich, wenn auch nicht gerade mit Begeisterung, bereit, die Bootswache zu übernehmen. Er zog sich zu diesem Zweck mit einer Muskete bewaffnet in den Schatten einer Gruppe von Palmen zurück, von wo aus er den Strand gut überblicken konnte.
„Vergeßt bei eurer Rückkehr nicht, mir mindestens ein Dutzend gebratener Täubchen und wenigstens ein kleines Fäßchen Rotwein mitzubringen“, trug er den anderen grinsend auf.
„Kein Problem, Bruderherz“, erwiderte Jung Hasard, „wir werden ausschließlich knusprig gebratene Tauben vom Himmel schießen. Hast du sonst vielleicht noch irgendwelche Wünsche? Darf es statt Rotwein der edelsten Sorte notfalls auch eine Kanne Dünnbier sein, wenn die Quelle gerade nichts anderes hergeben sollte?“
Old Donegal hingegen murmelte etwas vom „Hintern in den warmen Sand stecken und auch noch Ansprüche stellen“, danach folgte er Hasard mit einer Beweglichkeit, die ihm mit seinem Holzbein niemand zugetraut hätte, in das üppige Grün des Regenwaldes. Beide waren mit je einer Muskete und mit Messern bewaffnet.
Keiner der drei Arwenacks hatte jedoch bemerkt, daß sie seit ihrer Ankunft an der Südwestküste Madagaskars von einem hochgewachsenen, dunkelhäutigen Mann beobachtet wurden, der regungslos im Dickicht verharrte und dessen Hände sich kraftvoll um den Schaft eines Speeres schlossen.