Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 304 - Frank Moorfield - Страница 4
1.
ОглавлениеHasard junior ballte die Hände zu Fäusten.
„Wenn du deine Futterluke nicht sofort abschottest, kriegst du was aufs Haupt!“ kündigte er mit hochrotem Gesicht an.
„Und das Gepiepse soll ich ernst nehmen?“ fragte Philip junior keck. „Dich heb’ ich allemal noch mit einer Hand in die Höhe und lasse dich da oben verhungern!“
Hasard reagierte noch fuchtiger.
„Ha! Schau dir mal diese Faust hier an. Hinter ihr steckt die Wucht einer Kanonenkugel! Allein bei ihrem Anblick müssen dir ja schon die Klüsen aus dem Kopf fallen.“
Philip bemühte sich, ein betont überlegenes Gesicht zu ziehen.
„Das soll mich wohl beeindrucken, was? Schnuppere lieber mal an meinen Fäusten, die riechen nämlich nach Friedhof!“
„Alter Angeber!“
„Selber einer!“
„Bin ich nicht!“
„Bist du doch!“
Die zwölfjährigen Zwillingssöhne des Seewolfs standen sich wie zwei Kampfhähne gegenüber. Jeder schien nur darauf zu warten, daß der andere das Gefecht eröffnete. Schließlich war das Anfangen eine wichtige Sache, weil es mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit das spätere Donnerwetter des Seewolfs dämpfte, wenn man mit treuherzigem Blick darauf verweisen konnte, daß es der andere gewesen war, der den Streit begonnen hatte.
Wenn es darauf ankam, hielten die Bengels wie Pech und Schwefel zusammen. Trotzdem ließ sich ab und zu eine handfeste Keilerei nicht vermeiden, dafür sorgte schon der Alltag auf der Dreimastgaleone. Wenn es manchmal tage- oder gar wochenlang nichts anderes zu sehen gab als Wasser, Himmel und die geheimnisvolle Linie der Kimm, dann wirkte das mitunter auf die Gemüter wie eine brennende Fackel auf die Pulverkammer. Am schlimmsten war es, wenn man sich – wie auch jetzt – nicht darauf einigen konnte, wessen Meinung wohl die absolut richtige war.
Al Conroy, der schwarzhaarige und stämmige Stückmeister, schüttelte den Kopf. Er hatte den letzten Teil der hitzigen Debatte mitgekriegt, weil er auf der Kuhl erschienen war, um die Musketen und Pistolen zu begutachten, die von den Zwillingen gereinigt, worden waren.
„He, ihr beiden“, sagte er grinsend, „ihr wollt wohl einen Krieg anfangen, was? Verzupft euch lieber mal zur Kombüse und schaut nach, was Mac und der Kutscher in ihren Pfannen bruzzeln haben. Mein Magen rumort wie ein mittlerer Vulkan.“
Aber so schnell waren die „Rübenschweinchen“, wie der Profos der „Isabella IX.“ die Zwillinge zu nennen pflegte, nicht zu besänftigen.
„Ist doch wahr!“ maulte Hasard. „Der Kerl macht vielleicht einen Wind wegen der verdammten Schnappschloßpistolen! Er behauptete doch glatt, die seien besser als die altbewährten Radschloßwaffen.“
„Das sind sie auch!“ fauchte Philip.
„Das sind sie nicht!“ tönte es sofort zurück.
„Schluß jetzt!“ Al Conroys Stimme klang so, als dulde sie keinerlei Widerspruch. Dennoch gelang es ihm nur mühsam, ein Lächeln zu unterdrücken. „Solange ihr euch noch nicht um blondgelockte Mädchen streitet, läßt sich die Sache wohl noch geradebiegen. Und was die Radschloß- und die Schnappschloßpistolen betrifft, so hat jede der beiden Arten ihre Vor- und Nachteile. Aber nur, was die Handhabung und die Funktionsweise betrifft, denn die Wirkung der Schüsse dürfte absolut gleich sein. Derjenige, der die Ladung unter die Haut kriegt, wird sich kaum für die Art der Waffe interessieren.“
„Das sag ich doch die ganze Zeit“, erklärte Hasard mit verkniffenem Gesicht.
„Jetzt dreh bloß nicht den Spieß um!“ schimpfte Philip. „Du hast behauptet, die Radschloßpistolen seien besser!“
Al Conroy, der eine ganze Menge von Waffen verstand, beendete die Diskussion.
„Keine von beiden ist besser“, sagte er. „Die Pistolen werden, wie ich bereits erwähnte, nur unterschiedlich gehandhabt. Das Radschloß gibt es allerdings schon länger. Wie ihr wißt, wird bei ihm der Funken gerissen, während er bei den verschiedenen Flintschloß- oder Schnappschloßpistolen geschlagen wird. Der Hahn steht dabei unter Federspannung, und in seinen Klemmbacken ist der Stein festgeschraubt. Wenn der Hahn nun nach vorn schnellt, trifft er mit diesem Stein im Gleitwinkel auf eine kleine Stahlfläche, von der dann die Funken in die darunterliegende Zündpfanne fallen. So wird der Schuß ausgelöst.“
„Das Radschloß ist aber nicht so primitiv“, sagte Hasard junior und versuchte, seine Meinung zu retten. „Die Mechanik ist wesentlich komplizierter.“
„Was einfach ist, muß deshalb nicht primitiv sein“, erwiderte der Waffen- und Stückmeister der neuen „Isabella“. „Der Auslösemechanismus des Radschlosses bewirkt, daß das Rad zur Drehung frei wird. Der Hahn, der ebenfalls unter Federspannung steht, drückt dann ein Stück Schwefelkies gegen das zurückschnellende Rad, wobei die Funken entstehen und den Zündvorgang einleiten. Von da ab unterscheiden sich die beiden Pistolenarten in nichts, wenn man einmal von reinen Äußerlichkeiten absieht. So, und jetzt bringt ihr das ganze Zeug am besten wieder in die Waffenkammer, denn es wird bald dunkel.“
Old O’Flynn, der hinzugetreten war und einen Teil der Unterhaltung mitgekriegt hatte, blickte Al Conroy tadelnd an.
„Du mußt den Burschen aber auch jeden Spaß verderben! Irgendwie müssen sie sich doch auch austoben. Statt der Natur ihren Lauf zu lassen, bremst du ab und redest so geschwollen wie der Kutscher, nur um meine Enkel von einer herzhaften Keilerei abzuhalten. Soll ich dir mal erzählen, wie wir früher auf der guten alten ‚Empreß of Sea‘ solche Meinungsverschiedenheiten bereinigt haben, he?“
„Nicht nötig, Donegal“, erwiderte der Stückmeister. „Ich kann es mir lebhaft vorstellen. Ihr habt euch gegenseitig die Köpfe mit Beulen verziert, und hinterher wart ihr so schlau wie vorher.“
Der rauhbeinige Alte mit dem Holzbein und dem verwitterten Gesicht schluckte.
„Soll das vielleicht heißen, daß du kalfaterter Wassermann die Qualitäten anzweifelst, die hinter unserer Kimm …“
Al Conroy unterbrach ihn.
„Das soll heißen, daß es jetzt höchste Zeit ist, das ganze Zeug in die Waffenkammer zurückzuschaffen. Der Tau feuchtet die Waffen an und bringt sie womöglich noch zum Rosten. Nichts wie weg damit!“
Wenige Augenblicke später verließ der Stückmeister, der gleich den Zwillingen mit Pistolen und Musketen beladen war, die Kuhl – einen brummelnden Old Donegal Daniel O’Flynn zurücklassend.
Man schrieb den 8. Februar im Jahre des Herrn 1593. Es war kalt und dunstig, und die Abenddämmerung hatte sich bereits über das Kattegat und den Öresund gesenkt, der die Nordostküste der dänischen Hauptinsel Seeland von Schweden trennt.
Die „Isabella IX.“, die neue, von Hesekiel Ramsgate in Plymouth erbaute Galeone der Seewölfe, stand direkt im Eingang zum Öresund, etwas querab von Höganäs, das an der schwedischen Küste liegt.
Die Seewölfe waren mächtig stolz auf ihr neues Schiff, das 52 Yards in der Länge und 10 Yards in der Breite maß. Durch den Bau dieser Galeone hatte der alte Ramsgate wieder einmal gezeigt, was er konnte. Nicht umsonst hielten ihn die Seewölfe für den besten Schiffsbauer Englands.
Auch an der Armierung hatte man nicht gespart. Außer je zwei Drehbassen vorn und achtern verwandelten insgesamt 26 Culverinen die Galeone in eine schwimmende Festung, die etwaigen Angreifern Gewichtiges zu bieten hatte: teils 17pfünder und teils 25pfünder.
Aber die Seewölfe hatten sich nicht nur im Hinblick auf ihr Schiff und die Schlagkraft seiner Geschütze vergrößert, sondern auch die Crew war um etliche Köpfe angewachsen. So hatte man bereits im Mittelmeer Jack Finnegan, Paddy Rogers und Roger Brighton aufgefischt. In Plymouth hatte der Seewolf Mac Pellew an Bord genommen, nachdem er ihn aus dem Schuldturm geholt hatte. Mac war wegen der betrügerischen Machenschaften eines Zinswucherers dort gelandet. Und schließlich hatte Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, noch Nils Larsen, Jan Ranse und Piet Straaten aus der Crew Jean Ribaults übernommen. Alles in allem waren die Seewölfe, die als Korsaren der englischen Königin Elisabeth I. die Weltmeere befuhren, noch schlagkräftiger geworden, als sie ohnehin schon waren.
Nach wie vor hielt die für ihre Fairneß bekannte Crew wie Pech und Schwefel zusammen. Und jetzt, da sich die Männer auf der neuen „Isabella“ befanden, waren auch die wehmütigen Gedanken an die alte „Isabella VIII.“ seltener geworden, die im Wüstensand im fernen Ägypten ein trockenes Grab gefunden hatte.
Seit diesem Schlag, der die Crew samt ihrem Kapitän, Philip Hasard Killigrew, hart getroffen hatte, war einige Zeit vergangen. Und in dieser Zeit hatte sich viel ereignet.
Nach Durchführung des von Easton Terry verratenen Geheimauftrages der Königin, der die Seewölfe an die Küste der Bretagne geführt hatte, und nach einem erneuten Zwischenaufenthalt in Plymouth, während dem der Stapellauf der neuen „Isabella“ erfolgte, hatte man sich von den Wikingern und ihrem Schwarzen Segler getrennt und war nach Norden aufgebrochen. Und damit waren die Seewölfe wieder mit einem geheimen Auftrag der königlichen Lissy unterwegs.
Diesmal sollten sie prüfen, ob es nicht ratsam sei, den bisherigen Handel Englands mit den Ostseeanliegern allein und unter Ausschluß der Hanse zu betreiben. Es sollten neue Möglichkeiten gefunden werden, Pelzwerk, Bernstein und Holz aus den Ostseeländern zu beziehen, und dazu mußten zunächst einmal neue Handelsbeziehungen angeknüpft werden.
Bisher hatte sich das Unternehmen als ein Weg ins Ungewisse erwiesen, als eine Reise voller Gefahren und Hindernisse. Unter anderem war den Seewölfen auch noch die sogenannte „Friesenfalle“ in Erinnerung, die ihnen beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Es handelte sich dabei um eine raffiniert konstruierte Schiffsfalle der auf Norderney und Baltrum lebenden Sippen der verfeindeten Brüder Groot-Jehan und Lütt-Jehan. Auch die Ereignisse, die sich in Schweden in Verbindung mit dem Landgang ihres Crew-Mitgliedes Stenmark zugetragen hatten, würden die Männer so schnell nicht vergessen. Nun aber galt es, sich erneut auf das eigentliche Ziel des Unternehmens zu konzentrieren.
An Bord der „Isabella IX.“ ging alles seinen gewohnten Gang. Die Männer, die gerade Freiwache hatten, hielten sich der Februarkälte wegen im Mannschaftslogis auf. Sir John, der bunte Ara-Papagei, und Arwenack, der Bordschimpanse, leisteten ihnen dabei Gesellschaft, denn auch sie hielten nicht allzu viel von dem rauhen nordischen Klima.
Der übrige Teil der Crew war auf Stationen, und jeder von ihnen wußte, wo sein Platz war. Die Seewölfe, die dem Teufel schon mehr als zwei Ohren abgesegelt und schon so manchen Sturm zusammen abgewettert hatten, waren perfekt aufeinander eingespielt.
Und wenn Edwin Carberry, der Profos mit dem zernarbten Gesicht und dem gewaltigen Rammkinn, trotzdem durch lautstarkes Gebrüll und seine deftigen Flüche für Leben an Bord sorgte, dann wußte jeder, wie das gemeint war. Es gehörte ganz einfach dazu. Der Profos, der im Grunde genommen ein butterweiches Herz hatte, brauchte das – und die anderen eigentlich auch.
Pete Ballie, der kleine, aber stämmige Rudergänger, ließ auf dem Achterdeck das fortschrittliche Steuerrad, das bei den Seewölfen längst den Kolderstock abgelöst hatte, durch die mächtigen Fäuste gleiten.
Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann werkte in der Zimmermannslast, und Batuti, der herkulische Gambia-Neger aus dem Stamme der Mandingo, ging ihm dabei zur Hand. Er war von Kindheit an Sonne und Hitze gewohnt, deshalb ging er der nordischen Kälte, wo immer es ging, aus dem Weg.
Will Thorne hatte in der Segellast zu tun. Er hatte bereits viele Jahre auf dem Buckel und fiel besonders durch seine grauen Haare auf. Die neue „Isabella“ bot auch ihm ein umfangreiches Betätigungsfeld, und gerade heute gab es mit Roger Brighton, der wegen seiner hervorragenden Kenntnisse im Seilschlagen und Aufriggen als Takelmeister fungierte, einiges zu besprechen.
Philip Hasard Killigrew hielt sich zusammen mit Ben Brighton, seinem Stellvertreter und Ersten Offizier, und Nils Larsen auf dem Achterdeck auf. Das markante Gesicht des schwarzhaarigen und mehr als sechs Fuß großen Mannes wirkte nachdenklich. Seine eisblauen Augen überblickten prüfend die Wasserfläche.
„Wir haben den Sundeingang zu einem ungünstigen Zeitpunkt erreicht“, sagte er. „Die Dunkelheit wird bald hereinbrechen.“
Der ruhige und stets besonnene Ben Brighton nickte.
„Wir sollten uns überlegen, ob wir heute überhaupt noch weitersegeln wollen.“
„Ich würde es nicht tun“, sagte Nils Larsen. Der breitschultrige, blonde Däne kannte die Gegend.
„Und warum nicht?“ fragte Ben Brighton.
„Dafür gibt es verschiedene Gründe“, fuhr Nils Larsen fort. „Der Wind weht aus südlichen Richtungen und das bedeutet, daß wir durch den Sund kreuzen müßten. Das aber ist bei Nacht noch wesentlich gefährlicher als bei Tage. Es gibt einige sehr enge und auch flache Stellen im Sund, die uns schnell gefährlich werden könnten. An seiner engsten Stelle, zwischen Helsingör und Hälsingborg, wo übrigens auch das Schloß Kronborg liegt, ist der Sund nur zwei Seemeilen breit. Hinzu kommt noch die Strömung, die bei den derzeitigen Windverhältnissen gegenansteht. Ich würde es nicht riskieren.“
„Nils hat recht“, sagte der Seewolf. „Da wir sowieso keine Eile haben, sollten wir keine unnötigen Risiken eingehen. Schließlich fühlen wir uns alle wohl auf unserer neuen ‚Isabella‘, so daß bestimmt niemand ein Interesse daran hat, sie in einem engen und unbekannten Fahrwasser auf Grund zu setzen. Es wird besser sein, wenn wir südlich von Höganäs unter der Küste vor Anker gehen, um den morgigen Tag abzuwarten.“
„Dazu würde ich auch raten“, erklärte der blonde Däne. „Vielleicht haben wir morgen günstigere Windverhältnisse. Der Strom setzt zwar meist nordwärts durch den Sund, aber wenn der Wind drehen sollte, könnten wir auch mit einer Versetzung nach Süden rechnen.“
Auch Ben Brighton ließ sich von den Argumenten Nils Larsens überzeugen.
„Bist du dir schon darüber im klaren, welchen Handelshafen du zuerst anlaufen willst?“ fragte er Hasard.
Dieser schüttelte etwas unschlüssig den Kopf.
„Ganz genau weiß ich das noch nicht“, antwortete er. „Ich denke jedoch an Wisby auf Gotland. Von dort aus könnten wir Stockholm anliegen und noch weiter in den Finnenbusen eindringen – bis nach Reval und Narwa. Dann könnten wir an der deutschen Ostseeküste entlang zurücksegeln. Ich denke, daß wir uns darüber geeinigt haben werden, wenn wir den fünfundachtzig Seemeilen langen Öresund hinter uns gebracht haben.“
Ben Brighton nickte zufrieden, während der Seewolf Nils Larsen einen fragenden Blick zuwarf. Der Kapitän der „Isabella“ wußte, daß man sich auf den Dänen verlassen konnte, denn er kannte wie kein anderer diese Gegend. Bereits nachdem sie von Göteborg weggesegelt waren, hatte sich Hasard mit Nils Larsen darüber beraten, welchen Weg sie durch das Kattegat in die Ostsee nehmen sollten – den Großen Belt oder den Öresund. Larsen hatte den kürzeren Weg durch den Öresund empfohlen, aber gleichzeitig auf die Engpässe hingewiesen.
Der stets gutgelaunte, blauäugige Mann schien die Vorstellungen des Kapitäns hinsichtlich des weiteren Fahrtverlaufes ebenfalls nicht schlecht zu finden. Auch er nickte zustimmend, während er sich nach Edwin Carberry umdrehte, der gerade vom Quarterdeck zum Achterdeck aufenterte.
„Die Route ist nicht schlecht“, sagte Larsen dann nach kurzer Überlegung. „Die Gegend ist interessant, und langweilig wird es uns dort auch nicht werden.“
„Nur die Witterung könnte ein bißchen freundlicher sein“, warf Ben Brighton ein. „Bei der lausigen Kälte, die hier oben herrscht, wird sich selbst unser Arwenack noch seinen – äh – seinen Achtersteven wegfrieren.“
„Du meinst wohl seinen Affenarsch?“ fragte Edwin Carberry geradeheraus.
„Genau den meine ich“, erwiderte Ben Brighton trocken. „Du hast eine ungewöhnlich rasche Auffassungsgabe, Ed.“
Die Männer grinsten sich an, und das Gesicht des bulligen Profos’ sah dabei wahrlich zum Fürchten aus.
Stolz wie ein Schwan rauschte die „Isabella“ dicht unter der schwedischen Küste durch das kabbelige Wasser des Kattegats. Die dunklen Schatten der Nacht vollzogen gerade den Übergang von der Abenddämmerung zur Dunkelheit. Eine frische Brise ließ die Männer auf den Decks der Galeone frösteln.
Smoky, der bereits unter Francis Drake als Decksältester gefahren war, sang aufmerksam die Tiefe aus. Dazu hatte er sich mit einem breiten Ledergurt auf der Galeonsplattform abgesichert, um beide Hände frei zu haben. Zum wiederholten Mal warf er die Lotleine mit dem pfundschweren Bleizylinder aus und ließ dann die mit Lederstreifen markierte Leine durch die Hände gleiten, bis das Lotblei den Grund berührte. Die so ermittelte Wassertiefe brüllte er mit donnernder Stimme zum Achterdeck.
„Knapp zwanzig Faden, Sir!“
„Gut, Smoky!“ rief Ben Brighton zurück. Gleich darauf sah er den Seewolf fragend an. „Wir sind jetzt dicht unter der Küste und haben zwanzig Faden unter dem Kiel. Der Anker dürfte gut fassen.“
Hasard nickte.
„Fallen Anker“, sagte er dann, und der untersetzte Ben Brighton gab den Befehl weiter. Gleich darauf rasselte der schwere Backbord-Buganker in die Tiefe.
Wie erwartet, faßte er gut.
Hasard ließ sofort eine zweiköpfige Ankerwache aufziehen. Dabei handelte es sich um Bob Grey und Bill.
Die Aufgaben, die einer solchen Ankerwache oblagen, schlossen eine ganze Reihe von Funktionen ein. In erster Linie galt es natürlich, das Schiff vor unliebsamen Überraschungen zu bewahren. Wenn Gefahr drohte, mußte die Crew zum „Alle-Mann-Manöver“ gewahrschaut werden. Des weiteren mußte ständig die Ankerpeilung überprüft werden, was meist durch Kreuzpeilung zu mindestens zwei festen Objekten an Land geschah. Dadurch wurde ständig überprüft, ob das Schiff vertrieb. Hinzu kam schließlich noch das Nachstecken der Trosse, wenn der Anker schlierte, sowie eine wachsame Rundum-Ausschau.
Die „Isabella“ lag bei dem Wind aus Süden und dem nach Norden setzenden Sundstrom parallel zu der etwa achtzig Yards entfernten Küste, die hier fast in Nord-Süd-Richtung verlief und zahlreiche Steilhänge aufwies.
Backbord voraus peilte ein hoher spitzer Fels als Landmarke und Backbord, etwas achterlicher als dwars, diente eine riesige Tanne als Peilobjekt. Beide Landmarken konnten vom Ruderhaus aus gut gepeilt werden.
Der nun fast fünfundzwanzigjährige Bill, der seine Laufbahn bei den Seewölfen einst als Schiffsjunge begonnen hatte, hob schnuppernd die Nase. Der Wind trug himmlische Wohlgerüche zu ihm herüber, und zwar aus jener Richtung, in der sich die Kombüse befand.
„Diese Düfte verursachen bei mir Magenkrämpfe“, sagte er zu Bob Grey. „Dabei dachte ich schon, mein Magen sei bei dieser lausigen Kälte längst eingefroren. Jetzt aber taut er überraschend schnell auf.“
Bob Grey lief ebenfalls das Wasser im Mund zusammen.
„Ausgerechnet jetzt, wenn es Zeit zum Backen und Banken ist, müssen wir Wache gehen“, maulte er. „Und gerade heute abend will uns der Kutscher mit einer dänischen Spezialität verwöhnen.“
Bill rieb sich die Hände.
„Und was ist das für eine Spezialität?“
„Es gibt gebratenen Dorsch und gekochten Lachs – beides nach dänischer Art zubereitet. Das Rezept stammt von Nils.“
„Ogottogott!“ Bill seufzte mit lüsternen Augen, und er sah in diesem Augenblick aus, als habe er seit Tagen erbärmlichen Hunger gelitten.