Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 304 - Frank Moorfield - Страница 5
2.
ОглавлениеDer graue Dunstschleier hatte sich bei Einbruch der Dunkelheit verzogen und war einer kalten, klaren Nacht gewichen. Das abendliche Backen und Banken war seit mehr als zwei Glasen vorüber und allmählich wurde es etwas ruhiger auf der neuen Galeone der Seewölfe. Die Decks leerten sich, was nicht zuletzt auf die Kälte zurückzuführen war.
Nur die beiden Ankerwachen harrten dick vermummt und mit einem zufriedenen Gefühl in der Magengegend auf ihren Plätzen aus. Der Kutscher und Mac Pellew, die beiden Köche und Feldschere, waren an diesem Abend ohne Zweifel an die oberste Stelle der Beliebtheitsskala gerückt. Die dänischen Fischgerichte, die sie aus ihren Pfannen gezaubert hatten, waren einsame Spitze gewesen.
Bill, der da, wo bei anderen Menschen der Magen sitzt, ein endloses Loch zu haben schien, rülpste satt und zufrieden wie ein Säugling, dem man einen Topf Brei verabreicht hat.
Bob Grey stieß ihn an. „Was ist das?“
„Das war ich“, antwortete Bill verlegen. „Verdammt, ich habe wohl doch zuviel …“
„Quatsch!“ unterbrach ihn Bob. „Ich meine nicht die Geräusche deines Wohlbefindens, sondern den dunklen Schatten, der achteraus zu sehen ist.“
Bill blickte angestrengt in die Dunkelheit, dann stieß er einen kurzen Pfiff aus.
„Ich sehe nicht nur einen dunklen Schatten, sondern auch Lichter. Das muß wohl ein Schiff sein.“
„Du merkst aber auch alles“, sagte Bob. „Ich dachte schon, es handele sich um eine schwimmende Seekuh, der man eine Laterne zwischen die Hörner gehängt hat.“
Bill ging nicht auf die Bemerkung ein. Er wirkte plötzlich konzentriert.
„Es scheint eine Schaluppe zu sein“, sagte er. „Und da die Kerle Lichter brennen haben, liegt es wohl nicht in ihrer Absicht, uns bei Nacht zu überraschen.“
„Trotzdem“, sagte Bob Grey, „irgend etwas haben die vor. Wir müssen sofort unsere Leute wahrschauen. Los, Bill, sag Hasard Bescheid.“
„Bin ja schon unterwegs“, erwiderte Bill. Schnurstracks begab er sich auf den Weg zur Kapitänskammer.
Philip Hasard Killigrew beugte sich gerade über eine Seekarte, als Bill ihm die Meldung brachte.
„Und die Schaluppe hält auf uns zu?“ fragte er.
„Ohne Zweifel, Sir!“
„Gut, Bill“, fuhr Hasard fort, „dann wahrschaue unsere Leute. Wir wollen kein Risiko eingehen.“
„Aye, Sir!“ Bill verschwand augenblicklich, um die übrigen Seewölfe hochzupurren.
Das alles geschah ohne jeden Lärm. Die Männer, die sich größtenteils im Mannschaftslogis aufhielten, gingen sofort auf Stationen, ohne daß laute Befehle gebrüllt werden mußten. Der Besatzung der heransegelnden Schaluppe bot sich nach wie vor ein friedliches Bild. Dennoch war die „Isabella“ in sehr kurzer Zeit darauf vorbereitet, jedem Angreifer kräftig auf die Finger zu klopfen.
Auf der Schaluppe schien man jedoch keine unlauteren Absichten zu hegen. Zumindest waren solche bis jetzt nicht zu erkennen.
Der kleine Segler näherte sich bis auf Rufweite, dann wurden die Segel eingeholt. Ein Mann, der auf dem Achterdeck stand, preite die Seewölfe an.
Ohne daß es einer besonderen Aufforderung bedurfte, begann Nils Larsen, der neben den Seewolf getreten war, zu dolmetschen.
„Es handelt sich um ein Schiff, das Wachdienst für den Öresund versieht“, übersetzte er aus dem Dänischen. „Es ist vom Hafenkommando in Helsingör beauftragt, nach dem Woher und Wohin zu fragen und bei beabsichtigter Sunddurchquerung auch gleich den Sundzoll zu kassieren.“
„Da haben wir’s“, brummte Edwin Carberry. „Die Kerle sind hinter dem Geld her wie der Teufel hinter einer armen Seele. Selbst bei Nacht und Nebel stöbern sie arme Leute auf, um ihnen in den Geldbeutel zu langen. Bei allen triefäugigen Kakerlaken – da sollte man doch mit einem Besen dreinschlagen! He, Nils, sind die Blondköpfe hier oben im Norden alle so verdammt geldgierig, was, wie?“
„Ed übertreibt zwar“, fügte Hasard lächelnd hinzu, „aber ein bißchen eilig haben die es schon.“
Nils Larsen hörte das als Däne gar nicht so gern. Besonders Carberrys geharnischte Bemerkung trieb ihm die Röte ins Gesicht.
„Für dich sollte man noch eine Maulsteuer einführen, Mister Carberry“, sagte er gereizt.
„Eine was?“
„Eine Maulsteuer! Jedesmal, wenn einer wie du sein Schandmaul aufklappt, sollte er dafür eine Golddublone an Steuern bezahlen, das wäre nicht mehr als recht und billig, wenn man an die gepeinigten Ohren anständiger Christenleute denkt!“
„Ha!“ rief Ed. „Unser Blondschopf kann wohl die Wahrheit nicht vertragen, was, wie? Sag diesen Rübenschweinen aus Helsingör lieber, daß sie sich verholen sollen, denn wir hätten die Angewohnheit, Steuern jeder Art mit Eisenkugeln zu bezahlen, und zwar mit solchen, die hübsch rund sind und siebzehn bis fünfundzwanzig Pfund wiegen.“
„Jetzt reg dich wieder ab, Ed“, sagte Hasard. „Um den Sundzoll kommen wir nicht herum. Bezahlen müssen wir ihn so oder so. Also tun wir es lieber gleich, dann brauchen wir uns morgen nicht mehr damit aufzuhalten.“
Der Seewolf dachte praktisch, zumal er aus den Segelanweisungen für die Ostsee, die in der versiegelten Order enthalten waren, wußte, daß der Sundzoll eine legale Sache war.
Schon seit Anfang des 15. Jahrhunderts erhoben die dänischen Könige den sogenannten Sundzoll von allen den Sund passierenden Schiffen, und zwar von Helsingör aus. Die Berechtigung dazu war durch Verträge mit den seefahrenden Nationen anerkannt worden. Eine Ausnahme bildeten lediglich die sechs Hansestädte Lübeck, Hamburg, Rostock, Stralsund, Wismar und Lüneburg sowie die Städte Stettin, Kolberg und Kammin. Sie waren vom Sundzoll völlig befreit, während einzelnen Staaten wie Schweden, Holland, England und Frankreich eine Ermäßigung bewilligt worden war.
Der Sundzoll setzte sich aus einer Schiffsabgabe von durchschnittlich zwölf Speziestalern und dem Warenzoll zusammen, der ein bis eineinhalb Prozent des Ladungswertes betrug. Auf diese Weise flossen in die Kassen des dänischen Königshauses ansehnliche Summen.
Auf Anweisung des Seewolfs stand Nils Larsen Rede und Antwort, indem er das Herkunftsland der „Isabella IX.“ sowie den Namen ihres Kapitäns nannte. Außerdem wies er darauf hin, daß man beabsichtige, am nächsten Morgen den Öresund zu passieren.
Die Antwort der Dänen erfolgte prompt, und Nils Larsen übersetzte.
„Der Kapitän der Schaluppe heißt Aage Svensson. Er möchte an Bord kommen, um die Formalitäten zu erledigen.“
„Einverstanden“, sagte Hasard, „er soll kommen.“
Nils Larsen gab die Antwort des Seewolfs weiter.
Während dessen rümpfte Edwin Carberry die Nase.
„Woher wissen wir eigentlich, daß das alles stimmt, was die Beutegeier da erzählen? Vielleicht wollen sich die Rübenschweine nur bei uns einschleichen, um dann plötzlich über uns herzufallen.“
„Solange nicht die ganze Besatzung zu uns an Bord steigt, habe ich in dieser Hinsicht keine Bedenken“, erwiderte der Seewolf. „Ich nehme an, daß der Kapitän in angemessener Begleitung auf der ‚Isabella‘ erscheinen wird. Und solange er sich in unserer Mitte befindet, werden seine Leute gewiß nicht auf dumme Gedanken verfallen. Oder würdest du mit einer winzigen Schaluppe ein gut armiertes Schiff unserer Größenordnung zu entern versuchen?“
„Genaugenommen nicht, Sir. Und wenn du mit diesem Schiff unsere ‚Isabella‘ meinst, dann würde ich lieber gleich die Flucht ergreifen.“
„Na also. Bringen wir die Sache hinter uns. Wenn wir den Sundzoll bezahlt haben, wird man uns nicht mehr behelligen, und wir können morgen unseren Weg fortsetzen.“
„Aye, Sir“, sagte der Profos und behielt trotzdem sein mißtrauisches Gesicht bei.
Die Schaluppe schor längsseits, und wenig später enterte ihr Kapitän, ein blonder Kleiderschrank mit hellen, harten Augen, an Bord der „Isabella“. In seiner Begleitung befanden sich zwei Männer, die einander glichen wie Tag und Nacht. Der eine war klein und dick, der andere glich einer abgebrochenen Bohnenstange und trug ein Tintenfaß sowie Federkiele und Papier bei sich. Wahrscheinlich handelte es sich um den Schreiber, der dafür zu sorgen hatte, daß alles „von Amts wegen“ über die Bühne ging.
Edwin Carberry stieß Old Donegal an, der am Steuerbordschanzkleid lehnte und die Männer wortlos musterte.
„Und solche Affenärsche setzen ihre ungewaschenen Füße auf die Planken unserer Lady“, raunte er. „Ich würde den Kerlen eine Ladung Pulver in die Stiefel füllen und dann einige Funken hineinfallen lassen. Auf diese Weise könnten wir diesen verdammten Sundzoll gleich mit dem Fersengeld, das sie geben müßten, verrechnen.“
Hasard, der diese Bemerkung gehört hatte, warf dem Profos einen tadelnden Blick zu, was diesen dazu veranlaßte, einen unschuldsvollen Blick gen Himmel zu schicken.
Aage Svensson, der Kapitän der Schaluppe, trug eine schmucke Uniform. Nachdem er sich dem Seewolf vorgestellt hatte, musterte er aufmerksam das Schiff.
„Ein stolzer Segler, Kapitän Killigrew“, sagte er mit einem verbindlichen Lächeln. „Mein Kompliment!“
„Das heißt Sir Hasard!“ ließ sich der Profos laut und deutlich vernehmen. Offenbar gelang es ihm immer noch nicht, seine Antipathien, die er gegen die Geldeintreiber hegte, zu unterdrücken. „Die englische Königin hat unseren Kapitän nämlich zum Ritter geschlagen!“
Edwin Carberry hatte das in englischer Sprache gesagt, trotzdem schien ihn Aage Svensson verstanden zu haben, denn er vollführte eine entschuldigende Geste.
„Ed – bitte!“ sagte der Seewolf mit scharfer Stimme. Und zu dem dänischen Kapitän gewandt, fuhr er fort: „Ich bin nicht titelsüchtig, nennen Sie mich ruhig so, wie es Ihnen beliebt.“
Svensson lächelte.
„Ehre, wem Ehre gebührt! So steht es schon in der Bibel. Ich freue mich jedenfalls, ein solch hervorragendes Schiff inspizieren zu können, Sir Hasard.“
In Begleitung des Seewolfs, Nils Larsens und des immer noch mürrischen Edwin Carberrys besichtigte er dann die „Isabella“. Dabei ließ er sich auch die Laderäume der großen Galeone zeigen. Nur wegen der Zollfestsetzung, versteht sich.
„Sie führen keine Ladung mit sich?“ fragte er erstaunt.
„Nein“, erwiderte Hasard. „Wir sind bestrebt, Handelsbeziehungen mit den Ostseeanliegern anzuknüpfen. Und da wir keine Ware verkaufen, sondern kaufen möchten, führen wir keine Ladung mit uns.“ Daß die „Isabella“ im Auftrag der englischen Königin unterwegs war, verschwieg er wohlweislich.
Aage Svensson nickte.
„Ich verstehe. Und wer ist der Schiffseigner? Ich meine, in wessen Auftrag sind Sie unterwegs?“
„Ich segle auf eigene Rechnung“, erklärte Hasard.
„Nun gut“, sagte der Schaluppenkapitän. „Da Sie keine Handelsware mit sich führen, muß ich die Schiffsabgabe nach Größe und Ausstattung Ihrer Galeone berechnen.“
„Walten Sie Ihres Amtes“, forderte ihn Hasard auf. „Und bedenken Sie, daß für englische Schiffe eine Ermäßigung vertraglich vereinbart ist.“
„Aber selbstverständlich, Sir“, sagte Svensson und setzte nun eine amtliche Miene auf. „Die Zollabgabe wird in ihrer Höhe den vertraglichen Vereinbarungen angepaßt sein. Schreiber“, wandte er sich an die dürre Bohnenstange, die würdevoll mit dem Tintenfaß einherschritt, „bist du bereit, das amtliche Dokument auszufertigen?“
„Natürlich, Kapitän.“
„Also“, fuhr Svensson fort, „dann setze ich hiermit im Namen und im Auftrag des dänischen Königs den Sundzoll für die ‚Isabella IX.‘ auf achtzig Silbertaler fest. Stelle bitte die Zahlungsbestätigung aus. Sir Hasard wird sie erhalten, sobald die Zollabgabe entrichtet ist.“
Ein bißchen happig, dachte Hasard. Die nehmen es auch von den Lebendigen, weil es bei den Toten nichts zu holen gibt. Aber er sagte nichts, denn er wollte keinen Ärger haben. Im Hinblick auf seinen Geheimauftrag war er darum bemüht, die Fahrt möglichst ungestört fortsetzen zu können. Außerdem war dieser Sundzoll eine festgeschriebene Sache, an der kein Weg vorbeiführte.
„Hier ist es nicht hell genug“, meinte er. „Folgen Sie mir doch bitte in meine Kammer, dort können wir die Angelegenheit bei guter Beleuchtung erledigen.“
Damit waren die Dänen einverstanden. Kurze Zeit später hielt Hasard die Zahlungsbestätigung über 80 Silbertaler in Händen. Auf dem Schriftstück wurde gleichzeitig versichert, daß die „Isabella“ nunmehr berechtigt sei, den Öresund zu passieren. Und das war Hasard recht so, weil er weitersegeln konnte, ohne vorher noch die Zollbehörde in Helsingör anlaufen zu müssen.
Nach einer höflichen Verabschiedung gingen Aage Svensson und seine Begleiter von Bord. Bald darauf segelte die Schaluppe südwärts und verschwand schließlich in der Dunkelheit.
Die schlechte Laune Edwin Carberrys hatte sich immer noch nicht gebessert. Sein Gesicht wirkte düster, und sein mächtiges Kinn war wie ein Rammklotz nach vorn geschoben.
„Diese Rübenschweine würden selbst nackten Männern noch in die Tasche greifen“, knurrte er. Offenbar ging es ihm nicht in den Kopf, daß man eine solche hohe Summe bezahlen mußte, nur um weitersegeln zu dürfen. „Das sind Schnapphähne“, fuhr er grollend fort. „Jawohl, richtige Beutelschneider sind das!
Die knöpfen anständigen Seeleuten das Geld ab, und ihr König, dieses blonde Lockenköpfchen, futtert sich dafür einen drallen Bauch an!“
Die Seewölfe grinsten über diese sachkundige Feststellung ihres Zuchtmeisters. Nur Nils Larsen warf ihm noch einen giftigen Blick zu, bevor er ins Mannschaftslogis zurückkehrte.
Dort hielt der Kutscher für jeden eine Muck mit heißem Wasser und Rum bereit. Und das wirkte bei der lausigen Kälte wahrhaftig Wunder.