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A uf der Suche nach Entcodierungsmöglichkeiten für die Symbole des Wolfskultes stieß ich auf ein Weiheritual der Chorezm. Das Orginalmanuskript stammte etwa aus dem Jahr 1260 n. Chr., also vor dem Einfall der Mongolen nach Kleinasien. Die Schrift handelte von gewissen Initationshandlungen von Schamanen der obersten Kriegerkaste der Chorezm. Das Emblem der Schamanen zeigte deutlich das Wolfszeichen des TALI-Kultes. Außerdem gab es Parallelen zwischen diesem Fund und einem Manuskript aus Aleppo aus der Zeit der Eroberungszüge von Timur, zu dem in den Ruinen von Samarkand eine teilweise Übersetzung ins Arabische gefunden worden war. Ich konnte damit zum ersten Mal einige Zeichen des TALI-Kultes deuten und entdeckte das zweite Heilige Tier der Talismanen, das Heilige Rosa Kaninchen, das von den Anhängern des Geheimkultes TANA genannt wurde.

Die Verbindung des TALI-Kultes mit den Kriegerkasten der Mongolen und Tartaren muss in bestimmten Bereichen sehr eng gewesen sein. Ich fand Spuren, die über die Herrschaftszeit der Goldenen Horde um 1250 und dem Abbasiden-Kalifat in Bagdad bis zum Mogulsultan Abu Said im Jahr 1462 führten. Unter rätselhaften Beteiligung des TALI-Kultes wurde Abu Said von der turkmenischen ›Horde der Weißen Hammel‹ besiegt. Der erste Schah des daraufhin gegründeten Neupersischen Reiches, das bis 1722 existierte, war eindeutig ein hoher Priester von TALI.

Nachdem Ismail I 1502 in Täbris gekrönt wurde, gründete er sofort die ›Wölfe der Horde der Weißen Hammel‹, der Geheimdienst des Heeres mit der Aufgabe der Gegenspionage und mit Verantwortung für die Ordnung im Heer. Die Symbolik des Wolfskultes war inzwischen bis ins Unkenntliche verzerrt, aber mithilfe des Double-Mind-Programs konnte ich weitere Rückschlüsse auf den TALI-Kult ziehen. TALI rekrutierte seine Soldaten aus einer traditionellen Kaste, die seit der Geburt des Kriegertums diese Aufgabe innehatte. Einmal Spion, immer Spion. Damals schon als TALISMANEN bekannt, führten sie ihre Tradition der Observierungstechnik weiter. Ohne die Hilfe von High-Tech-Augen ermöglichten Drogen ihnen ihren Dienst zu erfüllen.

Es gelang mir Bruchteile der Zeichentrapeze auf den Labyrinthwänden des Wolfstempels zu entziffern. Anscheinend wurden Mythen und Märchen des Kultes erzählt. Aber ich versuchte, die Rätsel ernster zu nehmen, nicht nur als Ausdruck einer fremden Kultur. Keine Macht hält sich Jahrhunderte, ohne irgendeine Form des Wissens zu praktizieren.

TANA, das Heilige Rosa Kaninchen, ähnelte ein wenig Ptah, dem altägyptischen Krokodil, obwohl TANA doch recht niedlich aussah, wären da nicht die riesigen Schneidezahnhauer gewesen, die das Plüschtier in die Zeit der Dinosaurier versetzte. Der Widder als altägyptisches Symbol der Zeugungsfähigkeit erinnerte mich an die ›Horde der Weißen Hammel‹, aber hier fehlte eindeutig verwertbares Quellenmaterial, obwohl meine Fantasie mit den wenigen Fakten sofort die Verbindung zu den TALISMANEN schlagen konnte. Dies aber gelang mir mit empirischer Eindeutigkeit mit dem Wissen um den Totengott Anubis, dem Schakal.

Die Priester des alten Ägyptens trugen bei der Einbalsamierung ihrer heiligen Toten eine Schakalmaske. Die Priester des TALIKultes schmückten sich mit Wolfsmasken während der Menschenopfer. Der Ablauf beider Rituale gliederte sich in beiden Fällen in je drei Teile. Anrufung der Götter, Zurückgabe der Körper in das göttliche Plasma, Einbeziehung der Gemeinde in das Ritual. Ich entdeckte, dass je nach Größe des Opfers die Ägypter die Einbalsamierung mit Binden ausführten, die zweiundfünfzigmal oder in einem Vielfachen davon um den Leichnam gewickelt wurden und zweiundfünfzig Zeichen und Symbole hatte ich im TALI-Kult entdeckt. In der riesigen Tempelhöhle entdeckte ich später Reste von Natron, Asphalt und Zedern, die gleiche Zusammensetzung wie die Tinktur, mit der die ägyptischen Mumien getränkt waren. Im TALI-Tempel selbst konnten wir keine Mumien entdecken, dafür Schmuckstücke aus dem Reich Pharaos Amasis, der ca. 550 v. Chr. Ägypten zur Seemacht erhob, bevor sein Sohn Psammetich III vom Perserkönig Kambysis geschlagen wurde. Alexander der Große gab Ägypten dann den Rest und dies wahrscheinlich wieder mithilfe der TALISMANEN. Wenigstens gab es Geschichten, die beschrieben wie Alexander der Große mithilfe von Anubis und einem Rudel fliegender Wölfe Theben eroberte. Das Schlachtfeld von Issos liegt ebenfalls im Einflussbereich des ursprünglichen TALI-Kultes, dessen Wurzeln ich bisher bei den Tataren glaubte, also im 12. oder 13. Jahrhundert, jetzt spannte sich die Zeit bis in die Hochkultur Ägyptens. Mir wurde schwindelig, was hatte ich entdeckt? Konnte das die Wahrheit sein? Die Wirklichkeit?

Die Messungen hatten dem Tempel ein Alter von über 3000 Jahren zugeschrieben. Ägypten unterhielt unter Thutmosis III um 1450 v. Chr. diplomatische Beziehungen zu den Wassuganni im Mitanni-Reich. Hier konnte ich letztendlich die frühesten Anzeichen des TALI-Kultes entdecken, der damals innerhalb des Anubiskultes zum ägyptischen Alltag gehörte. In der Regierungszeit von Amenophis IV, unter dem die Verehrung von Aton dem Sonnengott zur Staatsreligion erklärt wurde, wanderten die Priester von TALI in das Mitanni-Reich, in ein Gebiet, das heute zur Türkei gehört. Der Schakal nahm langsam die Züge des Wolfes an. Damit befand sich zwar das religiöse Zentrum des Kultes weit entfernt von seinem Ursprung, der Kult kontrollierte aber weiterhin einen Großteil der ägyptischen Politik. Fast alle Krieger der obersten Hierarchie bekannten sich weiter zum TALI-Kult, wenn sie auch offiziell Aton huldigten. Trotz Todesdrohung und der Gefahr, von Aton zerstört zu werden, standen die TALISMANEN treu zu ihrem Glauben. Die Intensität der Erleuchtung, die hier erreicht wurde, stellte alles andere in den Schatten. Die Krieger standen in totaler Abhängigkeit zu den Inkarnationen ihrer Götter. Ein Grund dafür war sicherlich, dass die Speise TALIS und TANAS halluzinogene Drogen waren. TANA, das Heilige Rosa Kaninchen, war mit in das Mitanni-Reich gekommen und symbolisierte nun das göttliche Königtum, das jetzt nicht mehr allein auf die Staatsgrenzen Ägyptens begrenzt war, sondern sich bis auf Kleinasien ausgedehnt hatte.

Für über 1500 Jahre versinkt der TALI-Kult dann in Datenarmut und Unwissen. Vielleicht würden Parallelen deutlicher, die ich im Perserreich unter Dareiros I fand, der 518 v. Chr. sein Heer nach Ägypten führte und Elemente des TALI-Kultes in die Lehre Zarathustras integrierte. Es gibt einen Ausspruch von ihm, der dem Treueeid der TALISMANEN ähnlich ist. ›Die Gegner sind Lügner, ich bin die Wahrheit‹. Der Treueeid der TALISMANEN lautete: ›Mord und alles andere‹. Dann tauchten erst wieder in der Geschichtsschreibung des Islam Hinweise auf. Als Omar der Beherrscher der Gläubigen 634 n. Chr. mit dem Aufbau der Militärverwaltung begann, scheinen TALISMANEN wiederum ihre Finger im Spiel gehabt zu haben. Dann finden sich Wolfs- und Kaninchenzeichen in der Dynastie der Abbasiden, in deren Herrschaftsgebiet 1256 die Mongolen einfallen, um 1258 Bagdad zu zerstören. Damit war ich wieder an einen meiner Ausgangspunkte zurückgekehrt.

Aus der Zeit der Dynastie der Abbasiden stammen auch die ersten europäischen Hinweise auf den TALI-Kult. In Cordoba, aus der Zeit des Kalifats, gibt es Hinweise auf die Verwicklung des Militärs mit Drogengeschäften. Damals wurde Canabis in die Reihen der feindlichen, europäischen Soldaten geschmuggelt, um so die Front zu unterwandern. Zur gleichen Zeit begründet der Kurde Salahad-Din, bekannt als Saladin, die Ajjubiden Dynastie in Ägypten und seit ewigen Zeiten saß damit wieder ein direkter Nachfahre der Priesterkaste des Anubis auf dem ägyptischen Thron. Unter ihm gewinnt die turkmenische Mamelukengarde an Einfluss, die 1260 den Angriff der Mongolen auf Ägypten zurückschlagen. Saladin stammte aus den Reihen der Turkvölker, die seit dem 9. Jahrhundert alle Palastgarden der islamischen Höfe bildeten und deren Clangesetze unbezweifelbar auf den TALI Kult zurückgehen. Obwohl unter Saladin die zwei Völker mit der höchsten talismanischen Dichte, Ägypter und Mongolen, feindselig aufeinander prallen, gibt es auch Gemeinsamkeiten. Saladin war Kurde und der Geburtsort seiner Ahnen liegt in der Nähe des Wolfstempels. Die TALISMANEN waren mit den Adeligen beider Machtbereiche verwandt und kontrollierten das Militär sowohl der Ägypter als auch das der Mongolen. Wieso die Mongolen gerade von den damals militärisch schwachen Ägyptern geschlagen wurden, ist bis heute ein historisches Rätsel. Inzwischen kann ich mir dies mit der Intervention der TALISMANEN erklären, die so wenig wie möglich Unruhe in ihrem gesamten Machtgebiet haben wollten. Die Strategie dieser Methode der Machtkonsolidierung deutete darauf hin, dass die Talismanen keinen direkten Zugang zur Exekutive hatten. Entsprechend ihrer Aufgabe im Heer der Mongolen als innerer Geheimdiest agierten sie nicht, sondern sie manipulierten. Die Schlacht der türkischen Mamelukengarde gegen die Mongolen war damit nur noch ein Schauspiel der Geschichte.

Während meiner gesamten Untersuchungen waren mir immer wieder Hinweise auf den Gebrauch von Drogen innerhalb des TALI-Kultes aufgefallen. Unter dem Zeichen des Heiligen Rosa Kaninchens verbargen die TALISMANEN eines ihrer unergründlichsten Geheimnisse. Die Droge und das Kaninchen hüpften zusammen als vereintes Paar am Horizont meiner Fantasie. Darüber der Wolfsdrachen, der meine Neugier schallend auslachte.

Die Sache mit Manfred hatte sich damals schnell zu einer nicht aufzuhaltenden Lawine entwickelt. Die Idee mit dem Datenbankzugriff hatte sich bis in höchste Vorstandskreise herumgesprochen. Enthusiastisch berichtete Manfred von der väterlichen Fürsorge seiner Firma, die ihm ein eigenes Forschungsprojekt angeboten hatte, was er fraglos angenommen hatte. Bei einem der nun häufigen Zusammenkünfte mit seinen Vorgesetzten hatte er sich nun doch versprochen und meinen Namen mit ins Spiel gebracht. Der Archäologe Wolf war als unleugbare Realität in Erscheinung getreten. Verständlicherweise waren auch die Chefs interessiert daran, den Initiator einer möglichen Firmenrevolution kennenzulernen. Alles Sträuben nützte nichts. Manfred bestand auf eine Zusammenkunft. Da stand ich nun, gefangen in meiner eigenen Rolle, die bereits einen Großteil meiner Identität ausmachte.

Das Treffen war an einem nasskalten Novemberabend in einem Frankfurter Schickerialokal angesetzt. Speziell dafür kaufte ich mir einen Anzug, der meine wissenschaftliche Autorität garantierte, und stutzte mein Haar, um den Anschein der Seriosität zu erwecken.

Ich traf mich mit Manfred zuvor in seiner Wohnung.

»Hi Wolf.«

Wolf Five. Das war mein Name. Ab jetzt der Archäologe Wolf. Ohne Five.

Sein Blick fiel auf mein kurzhaarigen Schädel.

»Was ist denn mit dir passiert?«

Ich erklärte ihm schnell die Sache mit den türkischen Flöhen, die mein Haar bis zur Wurzel gefressen hatten.

»Ich bewundere dich doch oft, Wolf! Dein Enthusiasmus, deine Opferbereitschaft, dein Abenteuergeist. Ein wenig davon ist ja auf mich übergegangen, ich fühle mich manchmal wie ein Kolumbus der Datenbankkonsolidierung.«

»Auf deine Art finde ich dich auch total toll, Manfred.«

Ich stand gelangweilt in Anzug und Trenchcoat vor seiner ledernen Couchgarnitur und wartete, dass er seine Toilette beendete. Manfred stand vor dem Badspiegel, kämmte noch einmal sein dunkles Haar, sah sich seine Zähne an und das Innere seiner Ohren. Zufrieden mit seinem Äußeren nahm er sich sein Jackett und voll jugendlichen Schwungs griff er zum Handy und rief ein Taxi.

»Du wirst sehen, dass die zwei Herren, die wir jetzt treffen, außerordentlich interessiert an diesem Projekt und voll Dankbarkeit für deine Rolle sind, die du ungewollt für die Firma nun spielst. Herr Roth ist der Chef der Abteilung Datenbank und Nutzerprofilerstelltung. Herr Glück ist einer der militärischen Berater des Vorstandes.« Ich schluckte unter meiner freundlichen Grimasse. Ein Wissenschaftler und ein Militär. Da war ich ja mitten in die Höhle des Löwen geraten. Ich fragte mich nur, was die von mir wollten.

»Hör mal Manfred. Ich finde es ja toll, dass deine Firma trotz meines bescheidenen Beitrags mir solch ein Interesse entgegenbringt, aber ich verstehe nicht warum?«

»Sei nicht so selbstlos, Wolf. Ohne dich wäre ein wichtiges Kapitel der Menschheitsgeschichte nicht möglich geworden.«

»Aber nun läuft doch alles ohne mich.«

»Sei doch nicht so ungeduldig.«

Er öffnete die Tür und deutete auf den Flur. Auf ging es in das letzte Gefecht, apokalyptische Visionen gehörten inzwischen zu meinem Alltag. Unten wartete bereits das Taxi.

Die Wände des Restaurants waren großteils mit einem schweren, roten Stoff ausgeschlagen, Barockstühle vor Mahagonitischen, alles ebenfalls mit einem roten Touch. Livrierte Bedienung und Türsteher aus Bodybuilding-Magazinen. Ich war froh mich in meinem einwandfreien Anzug unauffällig hier einreihen zu können.

Die beiden gewichtigen Herren waren noch nicht anwesend. Wir wurden an den reservierten Tisch geführt, bestellten erstmal einen Jack Daniels und warteten. Manfred schien auch nicht viel zu wissen. Er sonnte sich in der Aufmerksamkeit, die ihm von der Bedienung entgegengebracht wurde, die in uns wohl höchste Tiere der Firma vermuteten. Endlich kamen sie. Manfred zwinkerte aufgeregt zur Eingangstür hinüber, erhob sich, um zu winken. Vor Aufregung begann unter seinem Ohr ein Muskel zu zucken.

Beide Herren waren von kleiner und drahtiger Gestalt, listig blinkten die Augen, makellos sonnengebräunte Haut, Sonnenbrillen, dezente Siegelringe. Kaum zu unterscheiden die beiden. Der Typ, den Manfred als Herrn Roth vorstellte, hatte einen kleinen Leberfleck auf der Stirn, daran konnte ich ihn identifizieren. Nach einem langwierigen Begrüßungszeremoniell setzten wir uns. Die zwei bestellten einen Cognac, schon war eine Spannungsfalte aufgetan, Jack Daniels gegen Cognac, mir schien das wie ein böses Omen.

»Als Archäologe in der Türkei haben sie ja einen fast filmreifen Alltag«, sagte nun Roth zu mir gewandt.

«Tsja, wissen sie, die meiste Arbeit findet ja doch nicht am Ausgrabungsort statt, sondern in Labors und am Schreibtisch. Dazu die lange Vorbereitungszeit. Von Abenteuer kann man da kaum reden, eher von Frischluftsport.«

»Sehr amüsant, Sport! Aber so ganz alltäglich ist es ja nun doch nicht.«

Glück fixierte mich, ich fühlte mich ein wenig wie auf dem Seziertisch. Kommt ihr Chirurgen mit euren scharfen Messern.

»Sind sie denn wirklich zufrieden mit ihrem Job? Unser Kollege«, Roth zwinkerte jetzt zu Manfred hinüber, »erzählte von einigen finanziellen Schwierigkeiten.«

»Nun ja, finanziell lässt die Ausgrabung doch einiges zu Wünschen übrig. Was keinen Profit abwirft, hat es heutzutage doch schwer. Wer hat denn noch die Begeisterung für die reine Wissenschaft?«

»Da haben sie recht. Heutzutage lenkt das Kapital das Geschick der Weltbevölkerung. Selbst die Religion hat da nicht diese Prägnanz.«

Glück rasselte dies hinunter wie ein Zitat. Irgendetwas wollten die von mir.

»Was halten denn ihre Kollegen von ihren neuen Arbeitstechniken.«

»Sie meinen den», illegalen, dachte ich, »Datenabgleich«, Hacken der Konkurrenz, flutete es in mein Hirn, »den ihre Firma gerade entwickelt?«

»Genau! Diese auch für unsere Abteilung revolutionäre Strategie.«

Roth sah mich mit einem durchdringenden Blick an. Seine Finger spielten langsam und geschickt mit einem silbernen Teelöffel.

»Bisher fand dies kaum Anklang. Genauer gesagt habe ich mit keinem meiner Kollegen ernsthaft bisher darüber gesprochen. Wissen sie, der Weg zum Ziel wird oft erst dann interessant, wenn er von Erfolg gekrönt wurde.«

Glück sah mich mit strahlender Miene an. Anscheinend hatte ich ihm gerade aus der Seele gesprochen.

»Wissen sie, unsere Firma wäre nämlich daran interessiert, niemanden von dieser Sache in Kenntnis zu setzen.«

Ich sah mir die beiden Herren genau an. Beide lächelten höflich und charakterlos. So, so, die wollten, dass niemand von ihrem Vorhaben erfuhr. Schien ja tatsächlich eine interessante Sache zu sein.

»Ich muss das ja nicht weitererzählen!«

»Vielleicht wäre ihnen die Unterstützung ihres Projekts angenehm?«

Die beiden Herren verschwendeten wirklich keine Zeit.

»Ich würde das natürlich sehr begrüßen. Sehen sie, die Wissenschaft, an sich uneigennützig, verschlingt doch mehr Geld als man vermuten würde.«

Glück und Roth reckten sichtlich zufrieden ihre Glieder.

»Die Idee alleine ist schon wichtig genug, verschwiegen zu werden.«

Manfred platzte bald vor Aufregung. Seine Idee als Firmengeheimnis!

»Bisher weiß eigentlich noch niemand…«

»Eigentlich?«

»Niemand, der uns gefährlich werden könnte.«

Uns! Jetzt waren wir ein Komplott, ein geheimer Vierer-Rat, fehlte nur noch, dass wir uns in die Finger schnitten und auf unser Blut schwörten.

»Wäre ihnen mit einem Vorschuss von 100.000 Euro gedient?«

»Sicherlich eine angemessene Summe für den Anfang.«

Innerlich war ich längst vom Stuhl gekippt und strampelte mit allen Vieren in der Luft. 100.000 Euro für mein Schweigen, für das Bewahren eines Geheimnisses, für eine Lüge. 100.000 Euro für das Virus. Mich wunderte meine eigene Lässigkeit dabei. Äußerlich tätigte ich hier ein alltägliches Geschäft. Mal schnell 100.000 Euro verdient. Der Puls blieb ruhig, der Atem gleichmäßig, ich nahm mein Glas und prostete in die Runde. Alle vier hoben wir nun schweigend den Alkohol an unsere Lippen und besiegelten mit diesem Ritual den Geschäftsabschluss.

Auf ein Zeichen von Glück hin wurde uns nun eine kalte Platte mit Kaviarschnittchen gereicht, Champagner setzte sich als durstlöschende Flüssigkeit durch. Wie sich herausstellte, lieferte die Küche exotisch Exquisites. Speisen, die ich bisher noch nicht einmal beim Namen gekannt hatte. Während des Essens berichtete ich den neugierigen Herren von meinen angeblichen Ausgrabungen in der Türkei. Aber was heißt hier angeblich. Inzwischen war ich mit der Rolle des Archäologen derart verschmolzen, dass ich selbst nicht mehr wusste, wer ich war. Sein und Schein, Wahrheit und Lüge, das Innere und das Äußere hatten sich fest miteinander verwoben, die Grenzen waren aufgehoben, ich war der Wolf.

Nach dem Essen, ohne weiter Floskeln, ernst und seriös, verabschiedeten sich Glück und Roth, Manfred sprang ins nächste Taxi. Es regnete leicht, unter den Straßenlaternen schwebten safrangelbe Dunstglocken. Ich stand erstmal eine Weile auf der Straße herum, kopflos, ich wusste für einen Augenblick nicht, wo ich mich überhaupt befand und wer ich war. Ich ging in die Nacht, weinte ein wenig, ohne zu wissen warum.

Ich ging langsam, suchte mir mit meinen Schuhen die nächste Steinplatte, auf die ich treten wollte, genau aus. Mein Blick wanderte von den Lichthöfen um die Lampen hinein in das sich verjüngende Dunkel der Zeil. Kein Mensch war zu sehen.

In der Eingangsschleuse eines Schuhgeschäfts lag ein Obdachloser schlafend auf Pappe gebettet, die Rotweinflasche neben dem unrasierten Gesicht, die Haut aufgesprungen und dreckig, die Finger verknorpelt, dickgelenkig, entstellt. Unwillkürlich blieb ich stehen und starrte ihn an. Er wachte auf und zuckte ein bisschen in seinem Dreck. Öffnete die Augen und sprach mich an.

»Komm gelber Marmor auf den kalten Wolfsschnauzen. Geschmolzener Staub und Ringelblütentee wachsam über den Nestern der Kaninchen. Dort fliegen die geraubten Worte meiner vergangenen Jahre, ohne ihren Ursprung ins Jetzt mitgenommen zu haben. Blind, haarlos, ohne Blüten, nur Farbflecken im Wind. Ich höre dich, Windgerippe, ich höre dich flüsternd in meinen Ohren und weiß, du bist nicht das, was du mir vorspielst. Du bist nur eine Impression. Ich hatte als Junge einen Hund, der starb, weil ich diesen Druck im Kopf hatte. Und ich liebte ihn so sehr. Kalter Mahagoni, totes Holz, polierte Oberfläche, Lack.«

Der wirre Penner sah mich mit fiebrigen Augen an, ich konnte jedes seiner Worte auf einer Ebene verstehen, die ich selbst nicht verstand.

»Lass mich mit dir fliegen, über die Lichter der Großstadt hinweg, in die Schluchten stürzen, an den geschlossenen Fenstern vorbei, vorbei an den einsamen Mäulern, die Serien-Kekse fressen. Plastikmäuse in der Badewanne verstopfen die gesamte Kanalisation. Die Menschen rennen wieder zu den Flüssen, um zu trinken und sterben an ihren eigenen Giften. Plastikmoos sah ich die Elektroelche fressen in dem Reservat, in dem auch Schneewittchen mit den sieben Zwergen und Tarzan mit Kimba, dem weißen Löwen… Spüre endlich deinen geistlosen Körper, höre die Musik deines Bluts rauschen, fühle das Zwerchfell den Sauerstoff schaufeln. Wo bist du? Wo bist du? Wo bist du?«

Der Mann begann zu schreien, brach dann aber wimmernd zusammen. Seit ich mich als Archäologe Wolf ausgab, hatte sich meine Realitätswahrnehmung geändert. Ich fühlte mich diesem Obdachlosen näher als meinem Freund, dem Angestellten Manfred, oder den beiden Managern der Firma BRILLE. Als Wolf sah ich die Welt mit anderen Augen.

Wolf Five

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