Читать книгу 10 Kurzgeschichten - Frank Riemann - Страница 5

Fremd in der Stadt

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Die wogende Menge treibt mich voran. Da ich nicht weiß, wie ich hierhergekommen bin, muss ich wohl hergezaubert worden sein.

Das Tosen der Kaufhäuser vermischt sich mit den Wirren der Wogen. Ich höre Alles und verstehe doch Nichts.

Ich laufe vor eine Wand. Sie öffnet ihren Schlund und lächelt: »`tschuldigung.«

Ich werfe meinen Kopf hin und her, um mich am Häuserfirmament zu orientieren. Im ersten Stock des grauen Himmels leuchten helle Türen des Infernos, hinter denen ein ums andere Mal eine Venus verführerisch lächelt.

In den Fluss aus Leibern mündet ein Nebenarm. Eine Kinovorstellung wird wohl zu Ende gegangen sein. So werde ich in einen Schnellimbiss geschwemmt. Wellen des Geruchs und der Wärme prallen mir entgegen und halten sich mit gierigen Fingern an mir fest. Es ist nur eine einfache Bockwurst mit Senf, doch ich schließe meine Augen und überliste meinen Gaumen. So fliege ich auf einem Putenbraten dahin. Nachdem das letzte Stück durch den Tunnel meinen Magen erreicht hat, sieht mich die nun leere Pappschale bedrückt an, um mir zu sagen, sie halte keine weitere Köstlichkeit mehr für mich parat. Ich zerknicke die Schale und sie landet im Müllschlucker. Der Adler auf dem Geldstück zwinkert mir zum Abschied zu, und so verlasse ich das warme wohlige Paradies.

Ich habe mir vorgenommen, als Samson die mich bedrängenden Säulen einzureißen, doch sobald ich den kalten Asphalt betrete, meine Schuhe beginnen zu zittern, werde ich von der Menge mitgerissen, und mir bleibt gar nichts Anderes übrig, als mich in den Fluten treiben zu lassen.

Noch immer lächeln die Lolitas. Dann wird der Strom abgerissen. Was ich nicht vermag, ein kleines rotes Licht, das Oberste von Dreien, hält die alles erdrückende Masse auf. Ich schließe für einen Moment meine Augen und genieße die Schwärze. Jedoch nur kurz. Dann drängt mich die Kraft der menschlichen Flut vorwärts, da ihr nun der kleine grüne Leuchtgeist erlaubt, weiterzufließen.

Unbeabsichtigt werde ich in eine Schlange geschoben, die von einem Dompteur, welcher in ihrem Kopf sitzt, befehligt wird. Die Anspannung weicht, und mein Skelett wird gummiweich. Ich muss mich nicht bewegen, welch Triumph über die Menge!

Dann ein Ruck. Die Häuser beginnen, erst langsam, dann schneller, an mir vorüberzuziehen. Ich höre ein Wesen ohne Kopf, dafür ein großes Papier in beiden Händen, fluchen. Nach wenigen Minuten halten die Häuser an, und ich entschließe mich, aus dieser Spukschlange auszusteigen.

Ich gerate in ein Trockengebiet. Keine Flüsse, die mich mitreissen, keine Nebenarme, die mich abdrängen. Ruhe. Ich höre diese Stille ganz genau und versuche, sie für die nächste wilde Flussfahrt zu speichern.

Meine Beine setzen sich von selbst in Bewegung. Mechanisch tragen sie mich eine gottverlassene Straße hinunter. Am Ende dieses leeren Flussbettes schwebt wieder ein roter Gnom in der Luft, der die Menschen stoppt. Mich nicht auf eine neue Kraftprobe einlassen wollend, biege ich um eine Ecke und mein Laufwerkzeug bringt mich in eine auch vom Teufel verlassene Gasse.

Plötzlich verspüre ich einen sanften, aber doch drängenden Druck auf meinem Kopf. Nässe. Erst wenig. Auf meine Nase, meine Hände und die noch immer frierenden Schuhe. Dann mehr. Zu meinem Schutze gleite ich in den Rachen eines grauen Ungetüms, auf dessen Zähnen ein, wie ich annehme, alter Mann sitzt, der sich hin und wieder seinen Bart an eine Flasche hängt.

Auf meine heraussprudelnde Frage, wo ich denn hier wohl sei, antwortet er: »Ist es nicht egal, wo man stirbt?«

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