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Zweites Kapitel

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In einem Gasthof im heimischen Schwaben saßen in Edelstätten zwei Männer. Sie tranken Rotwein und unterhielten sich.

„Glaubst du, dass die Ausstellung, hier in Schwaben zu sehen sein wird?“, fragte der Jüngere der beiden. Dieser war Anfang vierzig, groß, schlank und wirkte sehr durchtrainiert. „Sagen wir mal so. Es wäre für uns ein Leichtes, dort zuzuschlagen“, sagte der ältere. Dieser war Anfang fünfzig, hatte graues, kurz geschnittenes, braunes Haar und eine wie Leder gegerbte Haut. Auch er machte einen gestählten Eindruck. „Das sind Kunstschätze von unermesslichem Wert, die dort ausgestellt werden. Wenn wir uns entscheiden, den Auftrag anzunehmen, wird das ein echtes Kabinettstück. Wir hätten ausgesorgt!“

Die beiden Männer haben schon oft Aufträge dieser Art ausgeführt.

Sei es für Versicherungen, um zu testen, ob die baulichen Gegebenheiten sicher waren, oder so wie in diesem Fall, einen echten Kunstraub zu begehen. „Nun warten wir erst einmal ab, wie entschieden wird. Sollte die Ausstellung tatsächlich in Krumbach stattfinden, werden wir leichtes Spiel haben. Sag mal, arbeitet dein Onkel immer noch bei dieser Überseespedition?“, fragte der Ältere.

„Onkel Ivan. Na klar! Der könnte gar nix anderes machen. Die Schiffe im Hafen würden ihm fehlen. Warum fragst du danach?“

„Es ist immer gut, so jemanden zu kennen. Für den Fall, dass man mal flüchten muss.“ Sie tranken aus und verließen das Lokal.

Schaller frühstückte ausgiebig. Beim Einräumen der Frühstücksutensilien schaute er auf die Postkarte. Sollte er sich wirklich bei ihr melden? Er kämpfte mit sich, schaute zum Telefon, doch er hatte nicht den Mut, sie anzurufen. Schaller packte seine Einkaufstasche mit dem Leergut und ging einkaufen. Der Samstag verging unspektakulär vor dem Fernseher.

Am Sonntag schaute er sich das Fußballspiel des TSV Krumbach gegen die Spielfreunde Aalen im heimischen Stadion an. Dies war zwar nur ein Freundschaftsspiel, aber so kam er wenigstens unter Leute. Soziale Kontakte zu pflegen fiel ihm, wie Tausenden anderer Polizisten, eher schwer. Der ständige Schichtwechsel, zu unregelmäßigen Zeiten, war mörderisch. Deshalb war er froh, der Kripo Krumbach unterstellt worden zu sein.

Beim sonntäglichen Fußballspiel trafen sich alle Sportbegeisterten. Auch Mitglieder des Stadtrats fand man unter den Zuschauern. Schaller war in Sachen Diplomatie noch ein Grünschnabel, und so platzte es aus ihm heraus, als er mit Frau Gehbauer ins Gespräch kam. „Guten Morgen Frau Stadträtin. Was für ein spannendes Spiel, da passt heute wirklich alles, finden Sie nicht auch?“ Er versuchte, sie in ein Gespräch zu verwickeln. „Ja das sehe ich genauso. Ich wünsche Ihnen auch einen schönen Tag, Herr Schaller.“ Sie zeigte sich von Schallers Redeschwall wenig beeindruckt.

„Ach, wo ich Sie gerade hier treffe. Staatsanwalt Dr. Hieber hat mich beauftragt, nach einer passenden Örtlichkeit zu suchen. Glaube wegen einer Ausstellung. Sie wissen nicht, so rein zufällig, um was es da genau geht?“, bohrte Schaller weiter.

Einer der Krumbacher Spieler wurde unsanft vom Ball getrennt. Deshalb gab es wegen der Schiedsrichterentscheidung Tumult. Sie pfiff sehr schrill, weil sie ebenfalls nicht einverstanden war.

„Junge, die pfeift wie ein Mann, Respekt“, dachte er. Dann lief das Spiel weiter.

„Um auf Ihre Frage zurückzukommen. Es handelt sich um seltene Gemälde aus längst vergessenen Epochen. Wir erwarten zu dieser Ausstellung hochrangige Besucher aus Politik und Fernsehen. Krumbach wird der Nabel Deutschlands werden für diese Zeit“, sagte sie mit Stolz geschwellter Brust, was Schaller sehr imposant fand.

„Wann wäre der Zeitraum für diese Ausstellung?“

„Beginn ist der 28.12. Die Ausstellung endet am 15.01. Ich war ja bei der Abstimmung dafür, dass es zu einer Dauerausstellung wird, um den Tourismus anzukurbeln. Die Betreiber der Galerie waren leider dagegen. Sie möchten, dass es bei einer Wanderausstellung bleibt. Im nachhinein halte ich es für eine gute Entscheidung, da sie den gesamten Süden bereisen werden“, sagte die attraktive Stadträtin. „Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Gehbauer. Schönen Sonntag.“ Jetzt hatte er die wichtigen Informationen. Schaller ging in sich. Wie wohl sein Chef entscheiden würde? Jedenfalls hatte er sich für das Heimatmuseum entschieden! Doch es blieb abzuwarten, wie Reitschuster sich Montagmittag dazu äußern würde. Schließlich wusste er von der Ausstellung noch nichts.

In Amsterdam wurde unterdessen fürstlich gespeist. Der Hauptgang kam. Es roch fantastisch, als der Ober die Teller mit den edlen Meeresfrüchten und Fischen belegte. Sie tranken Wein, lachten, waren einfach gut drauf. Jetzt war für Reitschuster der richtige Moment gekommen.

Er nahm das Kästchen unauffällig aus der Sakkotasche. Geschickt öffnete er es unter dem Tisch und entnahm den Ring. Dann hielt er ihre rechte Hand, schaute ihr in die Augen. „Liebe Jasmin, seit ich dich das erste Mal sah, war es um mich geschehen. Jeder Tag mit dir ist seitdem etwas ganz Besonderes für mich geworden. Bei dir fühle ich mich verstanden, ja direkt angekommen. Jasmin ich liebe dich. Ich möchte, dass du meine Frau wirst. Willst du mich heiraten?“

Reitschuster war in seinem Leben schon oft aufgeregt, doch noch nie so schön aufgeregt.

„JA!“, schmetterte es aus ihr heraus. Die anderen Gäste schauten lächelnd zu ihnen hinüber. „Ja, ich will deine Frau werden.“ Sie gab ihm einen leidenschaftlichen Kuss. Reitschuster streifte ihr den Diamantring über den linken Ringfinger. „Was für ein bezaubernder Ring“, sagte sie entzückt. Sie konnte die Tränen nicht mehr aufhalten.

Die übrigen Gäste applaudierten, wünschten dem Verlobungspaar alles Gute. Der Gaststättenbetreiber wollte es sich nicht nehmen lassen, dem Paar zu gratulieren. Er brachte eine Flasche Sekt mit an den Tisch. Sie prosteten gerne mit ihm sowie mit den anderen Gästen an. Es entwickelte sich eine spontane kleine Party. Reitschuster wusste nun, warum die Holländer als Partyvolk bekannt waren. Der frisch Verlobte, ließ es sich ebenfalls nicht nehmen, eine Lokalrunde auszugeben. Für sich und Jasmin bestellte er eine Magnumflasche Champagner. Es war eine berauschende Verlobungsfeier mit einem erstaunlich ausgelassenen, gelenkigen Felix „Bär“ Reitschuster, der keinen Tanz ausließ. Als der Morgen graute, ließen sie sich zum Hotel fahren. Im Hotelzimmer verbrachten sie den ganzen Samstag. Sie genossen die innige Zweisamkeit. Den Sonntag sparten sie sich für Rembrandt, van Gogh und das Wachsfigurenkabinett auf.

„Amsterdam ist so facettenreich, dass sich eine weitere Reise hierher lohnt.“ Reitschuster stimmte ihr freudig zu. Am Montag frühstückten sie noch ausgiebig im „van Laars Huis“, bis sie um 09:00 Uhr zum Flughafen Schiphol gebracht wurden. Gegen 12:00 Uhr landeten sie wieder sicher in Memmingen. Reitschuster freute sich auf sein „Schätzle.“ Als er sein Auto aus der Ferne sah, sagte er zu Jasmin: „Der hat einfach Charakter, gegenüber diesen Einheitsautos.“ Sein Auto war ein Opel Admiral in Königsblau, Baujahr 1968. Dieser Wagen war ein Erinnerungsstück aus dem Nachlass seines Vaters, der vor einigen Jahren an Krebs verstarb. Später setzte er Jasmin daheim ab und fuhr auf direktem Weg zur Polizeiinspektion nach Krumbach.

Dort angekommen gab ein riesiges Hallo. Auch Staatsanwalt Dr. Hieber ließ sich kurz sehen: „Ah! Herr Reitschuster, wieder zurück aus den Niederlanden. Prima, lassen Sie sich mal von Ihrem Kollegen einweisen. Wir sehen uns dann morgen. Nochmals herzlich willkommen!“

Frau Wimmer brachte Reitschuster eine Tasse Kaffee mit ein wenig Gebäck.

„Ach, Frau Wimmer. Sie glauben gar nicht, wie ich Ihren perfekten Kaffee sowie Ihre vorweihnachtlichen Laible vermisst habe.“ Sie wurde wieder rot. „Und natürlich auch Sie“, fügte er noch charmant hinzu. „Wo ist denn mein Kollege?“

„Ich möchte nichts vorwegnehmen. Herr Schaller ist auf geheimer Mission“, meinte Frau Wimmer verschwörerisch.

„Na, das wird ja immer mysteriöser, dann rufe ich ihn eben an.“ Das Smartphone klingelte in Schallers Jackett. „Ja der Bär! Sag bloß, du bist schon aus den Niederlanden zurückgekehrt? Hattest wohl Sehnsucht nach deiner Dienststelle, gell?“, kicherte er.

„So könnte man es auch formulieren. du weißt doch, dass ich nicht länger freibekommen habe, aber jetzt mal zu den Fakten. Haben wir einen neuen Fall, von dem ich noch nichts weiß? Will man mich noch schonen? Zugegeben, ich bin schon 49 Jahre alt, aber noch nicht ganz verblödet!“ Schaller musste nun lachen. „Nein nichts dergleichen! Das Verbrechen ist nur mit dir gereist. Hier war nichts los! Absolut tote Hose. Dem Staatsanwalt hat man eine Gemäldeausstellung aufs Auge gedrückt. Nun sollen wir schauen, wie wir alles managen.“

„Das ist doch wohl ein Ulk!“, blaffte er, „haben die im Landratsamt denn nichts anderes zu tun? Ja, haben die denn keine Fachleute oder Firmen, die sich mit so etwas Banalem beschäftigen können?“ Reitschuster war nun richtig angefressen. Dahin war die Ausgelassenheit, die Ruhe, die er mit Jasmin so genossen hatte.

„Ich denke, dass es für die Kommune günstiger ist, uns die Planung machen zu lassen, als teuer bezahlte Experten. Wie gesagt, wir werden eh bezahlt. Solange es keine Morde oder sonstige Offizialdelikte gibt, müssen wir die profanen Dinge erledigen! Das war der Tenor von Staatsanwalt Dr. Hieber. Ein infrage kommendes Gebäude habe ich schon gefunden. Du kannst es gerne ansehen“, sagte Schaller nicht ohne Stolz.

„Nun käs dich mal aus, Schaller. Welches Gebäude!“

„Es ist unser ehrwürdiges Heimatmuseum“, gab Schaller ruhig zurück. Reitschuster beruhigte sich wieder.

„Also gut. Dann lass uns mal in dieses Heimatmuseum einen Blick werfen. Bis gleich.“ Mit diesen Worten brach er auf. In der Nähe des Heimatmuseums parkte er ein. Von Weitem sah er Schaller winken.

„Servus Schaller, dann lass uns mal diesen neuen Fall in Angriff nehmen“, lächelte er. Sie gingen ins Museum.

Der Pförtner begrüßte sie. „Guten Tag die Herren, wie kann ich Ihnen helfen?“

„Wir möchten zu Ihrem Chef!“, sagte Reitschuster.

„Sie meinen Museumsdirektor Professor Karl-Josef Moosgruber. Den finden Sie, wenn Sie diesen Gang …“, er deutete nach links an den Beamten vorbei, „… bis zum Ende folgen. Wir haben nämlich ein paar neue Exponate bekommen, die der Professor immer als Erster sehen möchte.“

„Wir haben zu danken, Herr?“, fragte Schaller höflich. „Böck! Michael Böck ist mein Name. Ich bin seit 27 Jahren hier beschäftigt. Alle habe ich kommen und gehen sehen.“ Die Beamten nickten freundlich. Sie gingen an verschiedenen Hallen vorüber, in denen bekannte Gemälde hingen. Reitschuster, der sich sehr für die Malerei interessierte, erkannte einige Gemälde aus den vergangenen Jahrhunderten.

Am Ende des Ganges sahen sie einen kauzigen älteren Mann. Er hatte einen braunen Cordanzug an. Seine Sakkoärmel zierten Lederbesätze, die sicher keine Applikation waren. Der Mann war klein, durch seinen stattlichen Bauch wirkte er unbeholfen. Sein krauses, graues Haar stand wirr vom Kopf weg. Auf der Nase hatte er einen altertümlichen Zwicker. Kein Zweifel: Dieses Fossil musste Prof. Karl-Josef Moosgruber sein.

„Guten Tag, sind Sie Herr Professor Moosgruber?“, fragte Reitschuster. Der Mann musterte die beiden eine Weile. Dann holte er tief Luft. „Ja, der bin ich. Wen habe ich bitte vor mir?“, blinzelte er mit seinen Augen.

Reitschuster zog seinen Dienstausweis aus der Jackentasche. „Mein Name ist Hauptkommissar Reitschuster. Dies ist mein Kollege Polizeihauptmeister Schaller. Wir kommen im Auftrag von Herrn Staatsanwalt Dr. Hieber. Er hat eine E-Mail vom Landratsamt erhalten.

Darin geht es um eine Wanderausstellung, mit dem Motto »Zeitgenössische Maler aus den vergangenen Epochen«.

Er hat sich gefragt, ob dieses Museum sich für diese exklusive Ausstellung eignet?“

„Ist das so!“ Moosgruber war genervt. „Dafür braucht man nun schon hoch bezahlte Polizeibeamte? Der Bund deutscher Steuerzahler wäre beeindruckt über diese Verschwendung von Steuergeldern“, brüskierte sich der Professor. Reitschuster überhörte geflissentlich diesen Satz. „Es geht hier natürlich in erster Linie um die innere und äußere Sicherheit des Gebäudes. Deshalb sind wir hier. Wir möchten eine Sicherheitsanalyse machen. Sollte ich jedoch Zweifel haben, dass diese Exponate nicht ausreichend gesichert werden können, muss ich meinem Staatsanwalt davon abraten. Die Ausstellung könnte hier dann nicht stattfinden“, sagte Reitschuster streng. Aua, dachte Schaller. Da konnte er nichts hinzufügen. Wo hatte sein Kollege solche Redegewandtheit her? Reitschuster war sonst ein Mann der kurzen Sätze. Für ihn zählten Fakten, Fakten, Fakten. Sein Kurzurlaub schien ihm offensichtlich gut bekommen zu sein.

Nun legte sich der Prof. mächtig ins Zeug. „Ja, aber, aber. Natürlich sind Sie mit Ihrem Anliegen genau richtig bei mir. Kommen Sie bitte mit in mein Büro.“

Er gab kurz Anweisungen an seine Mitarbeiter, dann setzte er seinen Zwicker ab. Seine mausgrauen Augen funkelten nun sogar ein wenig. Sie gingen dem Professor hinterher, bis sie an eine enge Wendeltreppe aus dem 19. Jahrhundert kamen. Sie wurden in den ersten Stock geführt. Hier standen sehr viele ausgestopfte Tiere, Bilder und Statuen. Es war wohl der Lagerplatz des Museums.

Moosgruber schloss eine schwere Eichentüre auf. Auch hier sah es genauso aus wie in einem Ausstellungsraum, nur grüner, wegen der Vielfalt an Zimmerpflanzen. Das musste wohl sein Büro sein.

„Bitte nehmen Sie Platz.“ Er zeigte auf eine Sitzgruppe aus schwarzem, alten Leder. „Möchten Sie etwas trinken?“, fragte Professor Moosgruber. „Für mich bitte eine Cola“, sagte Schaller. „Für mich bitte ein Mineralwasser“, fügte Reitschuster hinzu. Der Professor gab die Bestellung telefonisch durch. „Wie stellen Sie sich denn diese Prüfung vor, meine Herren?“

„Wir benötigen zunächst Pläne von diesem Haus. Dann brauchen wir einen Ansprechpartner, der zuständig ist für die Technik hier im Museum“, sagte Schaller.

Plötzlich hörten sie Hundegebell, gefolgt von einem sehr schrillen Pfeifen wie die Anfangsmelodie der James-Bond-Filme. „Was ist denn das, bitte?“, fragten die Beamten beinahe gleichzeitig. Der Professor begann zu lachen. Das tat er mit einer solchen Herzlichkeit, dass die Männer der Kripo unwillkürlich mitlachen mussten. Der Professor stand auf: „Kommen Sie, kommen Sie“, feixte er weiter. „Ich zeige Ihnen am besten unseren Kasimir.“ Mit Tränen vor Lachen in ihren Augen gingen sie in eine Ecke des großen Zimmers. Dort sahen sie in einer mächtigen Voliere einen grauen Vogel.

„Darf ich Ihnen Kasimir vorstellen. Es ist ein Kongo-Graupapagei, der sicher schon drei Jahrzehnte hier im Hause ist. Hier muss wohl vor ewigen Zeiten einmal eine Vogelschau gewesen sein. Kasimir hat man damals offensichtlich vergessen.“

Der gefiederte Freund schaute die Neuankömmlinge an, plusterte sich auf, um dann so laut und schrill zu pfeifen, dass sich alle die Ohren zuhalten mussten.

„Kommen Sie schnell. Lassen wir Kasimir wieder alleine, so wird er sich bald beruhigen. Seien Sie also nicht überrascht, wenn Sie nochmals Lieder oder Stimmen von ihm hören sollten.“ Sie nahmen wieder Platz. Eine ältere Dame brachte die Getränke. Als alle etwas zu trinken hatten, prostete Moosgruber den Beamten zu. „Sie bekommen natürlich von mir jegliche Unterstützung“, sagte der Professor freundlich.

„Ansprechpartner für diese Dinge ist Herr Reiter. Sie finden ihn im Rathaus von Krumbach, da er sich nicht ständig hier aufhält.“ Sie tranken aus.

„Vielen Dank, Herr Professor Moosgruber. Ich lasse Sie von unserer Entscheidung wissen“, sagte Reitschuster.

Sie verließen das Heimatmuseum. Schaller musste unvermittelt lachen, als sie wieder draußen waren.

„Was war denn das für ein Vogel?“

„Na, ein Graupapagei, hast du doch gehört“, griente Reitschuster.

„Ich meinte doch nicht den gefiederten Vogel.“ Da musste auch Reitschuster lachen. „Also komm, wir werden Staatsanwalt Dr. Hieber Bericht erstatten.“ Auf dem Weg zum Auto sinnierte Reitschuster.

Was für ein Tag! Morgens noch im siebten Himmel, jetzt wieder in der Realität. Manchmal hält das Leben Überraschungen für jeden bereit. Er holte tief Luft, als sie bei Reitschusters „Schätzle“ angekommen waren. Dann sagte er laut: „Das Leben ist wunderschön.“ Reitschuster grinste bei dem Gedanken, seiner Jasmin nun alles gesagt zu haben. „Alles gut bei dir, Bär?“, fragte Schaller besorgt. Reitschuster stützte sich mit seinen Ellenbogen auf dem Autodach ab: „Ich habe Jasmin gefragt, ob sie meine Frau werden will, um es vorwegzunehmen: Sie hat ja gesagt.“

„Potztausend, das sind ja mal echt tolle Nachrichten. Meinen Glückwunsch, Bär. Wann lerne ich denn deine Verlobte kennen?“, fragte Schaller neugierig.

„Nicht so schnell, Herr Kollege, ich muss sie erst mal auf dich vorbereiten, verstehst du“, zwinkerte Reitschuster seinem Kollegen zu.

„Ach, das ist mal echt witzig, Herr Kollege. Vorbereiten ja!“, gab Schaller mit ein wenig Selbstironie spielerisch zurück. „Dann komm, lass uns ins Rathaus fahren. Wir werden mit Herrn Reiter die technische Einrichtung des Museums durchgehen.“

Sie fuhren nicht direkt dorthin, denn schließlich war es nun schon zwölf. Im Rathaus wäre jetzt niemand mehr anzutreffen. Also zog Reitschuster eine romantischere Strecke vor. Sie fuhren stadtauswärts nach Oberbleichen, in den Landgasthof Hirsch. Dort wird noch selbst geschlachtet und man bekommt die besten schwäbischen Schmankerl. Reitschuster schaute nach rechts zu seinem immer noch ein wenig säuerlich dreinblickenden Kollegen.

„Na Schaller? Lust auf frisches Kesselfleisch?“, fragte Reitschuster, als sie den Parkplatz des Gasthofs erreichten. Der Kommissar sah regelrecht, wie das Hirn von Schaller wummerte. Nach gefühlten fünf Minuten gab Schaller wieder an.

„Kesselfleisch muss es nun nicht unbedingt sein, aber gegen ein leckeres Schnitzel, hätte ich nichts einzuwenden.“

„Na dann los, ich habe einen Bärenhunger.“

Sie aßen ausgiebig. Reitschuster verzehrte eine Portion Kesselfleisch mit Sauerkraut und Kartoffeln. Schaller Schnitzel nach Wiener Art, mit Pommes und Ketchup. Dazu genehmigten sie sich zwei Weizen. Das Beste zur zweiten Brotzeit. So gestärkt fuhren sie wieder stadteinwärts. Ab und zu wurde Reitschuster von anderen Verkehrsteilnehmern überholt, die sich teils lustig, teils anerkennend, per Zeichensprache und Kopfschütteln, über sein Auto ausließen.

Er war es gewohnt, denn er cruiste leidenschaftlich gern über die Landstraße. Hektik, Termindruck und keine – Zeit – Burger in sich hineinzustopfen, waren für ihn fremd. Reitschuster war ein Genussmensch durch und durch. Das wussten alle, gar jeder hielt sich an dieses ungeschriebene Gesetz. Es würde reichen, wenn Polizeidirektor Miele von seiner Reha käme, um sich über dergleichen Dienstpausen Gedanken zu machen. Reitschuster blickte aus dem Seitenfenster. Die letzten Sonnenstrahlen des zu warmen Dezembers ließen allmählich nach. Der Kommissar fuhr eine Stadtrunde, weil man dies so macht in Krumbach. Das war schon immer so, bei den alten und bei den jungen Bewohnern dieser schönen Kleinstadt. Es war zwei, als sie am alten Rathaus vorbeifuhren. Er staunte immer wieder über das alte Fachwerkhaus. Es war weiß getüncht. Braune Holzbalken durchzogen das ehrwürdige Gemäuer. Das Satteldach, in Biberschwanzoptik passte perfekt zur Szenerie. Vor dem alten Rathaus befand sich ein Granitbrunnen, der dem Gesamtbild schmeichelte. Dann fuhren sie zum neuen Rathaus. „Jetzt schau dir diesen Betonklotz aus den 80er Jahren an, Schaller. Was für eine Verschwendung! Wo wir doch so ein schönes altes Rathaus haben“, schimpfte Reitschuster. Er parkte sein Auto ein. Nun stellte er die Parkscheibe auf drei, kontrollierte sein Outfit so, dass Kollege Schaller es nicht mitbekam. Sie gingen in die Eingangshalle des Rathauses, schauten sich die Hinweistafel an und hatten Reiter auch gleich gefunden. „Zweiter Stock, Zimmer 254“, sagte Schaller.

Einen Fahrstuhl gab es nicht, doch das störte Reitschuster nicht. Seit einigen Wochen ging er mit Jasmin regelmäßig zum Joggen in den hiesigen Wäldern, was seiner Kondition und Figur absolut zuträglich war. Vor Reiters Büro hielten sie an. Schaller klopfte. Ein „herein“ ertönte von der anderen Seite des Türblatts.

„Guten Morgen, die Herren, was führt sie zu mir“, Reiter stand auf. Er mochte so um die 180 groß sein, hatte braune Augen und glattes mittelblondes Haar. Seine Haltung war offen den Beamten gegenüber. „Guten Morgen, Herr Reiter, mein Name ist Hauptkommissar Reitschuster. Das ist mein Kollege, Polizeihauptmeister Schaller. Wir kommen im Auftrag von Staatsanwalt Dr. Hieber. Er hat eine Anfrage vom Landratsamt bekommen. Mitte Dezember soll im Heimatmuseum eine Wanderausstellung stattfinden mit seltenen Gemälden. Wir haben den Auftrag, uns ein genaues Bild von den Sicherheitseinrichtungen des Museums zu machen. Herr Professor Moosgruber hat uns mitgeteilt, dass Sie für die technischen Einrichtungen dieses Hauses verantwortlich sind. Ich hätte nun gerne in Erfahrung gebracht, inwieweit dort Exponate abgesichert werden können?“

„Bitte meine Herren setzen Sie sich.“ Er machte eine einladende Geste auf die Stühle an seinem Schreibtisch. „Nun wissen Sie, es handelt sich um ein sehr altes Gebäude. Ich bin nicht sicher, ob diese kostbaren Bilder dort richtig aufgehoben wären. Ich meine damit nicht nur die Technik, sondern auch die Luftfeuchtigkeit.“ Reiter stand auf. Er ging zu einem blechernen Aktenschrank. Dort zog er eine Schlüsselkette aus seiner Hosentasche und schloss den Aktenschrank auf. Nach kurzem Suchen zog er einen grauen Ordner heraus und kam zum Schreibtisch zurück. Auf dem Ordnerrücken stand: Heimatmuseum Krumbach – Technik. Reiter klappte den Aktendeckel auf und begann damit, die Räumlichkeiten zu beschreiben.

„Sie müssen wissen, dass wir im oberen Stockwerk noch nicht einmal über eine Doppelverglasung verfügen. Die Beleuchtung ist auch aus dem vergangenen Jahrhundert, ebenso wie die Heizung. Im oberen Stockwerk haben wir keine Brandschutzeinrichtungen, Bewegungsmelder oder eine Alarmanlage. Deshalb haben die jeweiligen Veranstalter auch nur die unteren Räumlichkeiten genutzt. Wie groß ist denn die Ausstellung?“

„Das kann ich Ihnen leider zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mitteilen, hoffe aber dass die unteren Räumlichkeiten ausreichend sein werden“, sagte Reitschuster skeptisch. Er zweifelte stark an der Tauglichkeit des alten Gemäuers. „Herr Reiter, was können Sie uns über die Räume des Erdgeschosses sagen?“, fragte Schaller.

„Dort sind wir so ziemlich auf dem neuesten Stand. Wir haben eine komplette Videoüberwachung, bei der die aufgezeichneten Bilder auf mehreren Festplatten abgelegt werden können. Wir haben eine Alarmanlage mit Glasbruch- und Bewegungsmeldern installiert. Zudem befinden sich an den jeweiligen Türen Tastaturfelder mit ständig wechselnden Codes. Die Beleuchtung ist aktuell, also LED. Die ist so geschaltet, dass die zusätzlich angebrachten Sensoren bei einer Bewegung im Alarmmodus zugeschaltet werden. Zudem haben wir im Außenbereich zahlreiche Scheinwerfer mit der gleichen Ausstattung an Masten befestigt“, sagte Reiter, der seine Lippen benetzte. „Ich brauche jetzt etwas zu trinken, nach diesem Vortrag. Darf ich Ihnen auch ein Glas Wasser anbieten? Etwas anderes habe ich leider nicht.“

„Ich nehme gerne ein Glas Wasser und du Christian?“ Schaller zuckte zusammen. Jetzt arbeiten wir schon so viele Jahre zusammen und der Chef hatte mich noch nie beim Vornamen genannt. „Nein, danke. Sagen Sie Herr Reiter, wie sieht es mit Ihrem Personal aus. Sind die Angestellten absolut vertrauenswürdig?“

„Ich möchte meine Hand nicht für alle ins Feuer legen, aber es sind allesamt langjährige Mitarbeiter. Ich denke, dass für eine solche überaus kostbare Ausstellung ein privates Sicherheitsunternehmen beschäftigt werden wird.“

Reitschuster schaute zum Kollegen Schaller hinüber und dieser grinste.

„Oh ja, natürlich! Gut, Herr Reiter. Wir bedanken uns für das sehr ausführliche Gespräch.“

Sie gaben ihm zum Abschied die Hand und gingen zu Reitschusters Auto.

Reitschuster und der Kunstraub

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