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3. Der Überfall

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Drei qualvolle Tage waren für Hanno vergangen. Er saß morgens mit seinem Vater beim Frühstück und trank mit ihm Kaffee.

„Ich muss heute in die Stadt fahren und mich mit meinem Galeristen treffen“, sagte der Vater. „Du kommst ja alleine zurecht. Spätestens zum Abendbrot bin ich zurück.“

„Alles klar, Papa, mach dir keine Sorgen um mich“, antwortete Hanno.

Danach brach sein Vater mit der alten Ente auf. Hanno verbrachte den ganzen Tag in seinem Zimmer und las. Den ersten Roman hatte er längst durch und begann nun mit dem zweiten Buch. Es war ein Sachbuch über Urzeitwesen.

Als sein Vater bis zum Abend nicht zurückgekehrt war, machte sich Hanno zunächst Sorgen. Er dachte jedoch, dass es keinen ernsthaften Grund dafür geben könnte. Entweder dauerte das Treffen mit dem Galeristen unvorhersehbar länger oder es war ihm etwas Wichtiges dazwischengekommen, das ihn aufhielt. Vielleicht war er auch mit dem altersschwachen Auto liegengeblieben und musste es abschleppen lassen. Nachdem sein Vater bis Mitternacht immer noch nicht eingetroffen war, legte sich Hanno hin und schlief ein.

Beim ersten Tageslicht stand der Junge auf und lief sofort in die Küche. Dort sah er seinen Vater am Frühstückstisch sitzen. Er war spät in der Nacht zurückgekehrt.

Hanno war froh, ihn wiederzusehen, und begrüßte ihn voller Freude: „Hallo Papa, schön, dass du wieder da bist. Ich hatte dich gestern schon vermisst.“

„Tut mir leid, Hanno. Ich musste unerwartet noch etwas Dringendes erledigen“, entgegnete sein Vater ihm knapp.

Der Junge fragte nicht nach, da sein Vater ihn auch nie ausfragte. Er würde ihm erzählen, was passiert ist, wenn er es für angebracht hielt.

Hanno stellte verwundert fest, dass sein Vater Mineralwasser zum Frühstück trank, und schlug ihm vor: „Soll ich dir Kaffee kochen?“

„Nein, bitte nicht“, antwortete sein Vater. „Ich habe es mit dem Magen. Ich vertrage keinen Kaffee.“

„Gut, dann mache ich dir einen schönen Tee“, bot der Junge ihm an.

Der Vater wurde ungeduldig und sagte: „Nein, bitte auch keinen Tee. Ich nehme nur Wasser.“

Daraufhin wollte Hanno für sich selbst Kaffee kochen, fand aber in der Küche keinen. Auch schwarzer Tee war nicht auffindbar. Daher musste der Junge wie sein Vater Mineralwasser zum Frühstück trinken.

Es war ein heißer Tag, zu dem kaltes Sprudelwasser viel besser passte als Kaffee oder Tee. Bereits in den frühen Morgenstunden war es unerträglich warm. Es gab nur eines, was Hanno bei so einem Wetter Sinnvolles tun konnte. Nicht weit vom Bauerhof gab es einen kleinen See mit klarem Wasser, in dem er in den vergangenen Jahren oft gebadet hatte. An einer Stelle am Ufer lag feiner Sand, der fast aussah wie am Strand. Hier saß der Junge gerne und stellte sich vor, dass er als Schiffbrüchiger auf einer einsamen Insel gestrandet war oder dass er ein berüchtigter Seeräuber war, der nach vergrabenen Schätzen suchte. Er konnte an diesem idyllischen Ort die ganze Zeit ungestört träumen. Dorthin wollte er heute, damit er die Hitze des Tages besser ertragen konnte.

Als Hanno den kleinen Strand erreichte, war er außer sich. Charline lag dort auf einem Badehandtuch und sonnte sich. Sie trug einen knappen, zweiteiligen Badeanzug, in dem sie noch hübscher aussah als ohnehin schon. Neben ihr kniete Timmi und spielte im Sand. Hanno war wütend auf Charline. Nichts von dem, was er für sich in den letzten Jahren hier erobert hatte, war ihr heilig.

Er ging achtlos an ihr vorbei und wollte sich ebenfalls am Strand niederlassen.

„Pass auf, Hanno!“, rief Timmi plötzlich. „Du hast meine Sandburg zertrampelt. Bring die sofort wieder in Ordnung!“

Charline schreckte hoch. Offenbar hatte sie gedöst.

„Los, hilft Timmi, seine Sandburg zu reparieren!“, sagte sie scharf zu Hanno.

„Wieso sollte ich?“, entgegnete Hanno voller Zorn.

Charline stand auf, stellte sich vor ihm hin und stemmte die Fäuste in ihre Hüften.

„Dann entschuldige dich wenigstens bei ihm!“, sprach sie in sachlichem Tonfall.

„Wie komme ich dazu?“, erwiderte Hanno genervt.

Er wollte weitergehen, aber Charline versperrte ihm den Weg. Hanno war nicht derjenige, der von sich aus Streit suchte, sondern vermied ihn stets. In den letzten Tagen hatte sich aber in ihm so viel Wut auf Charline aufgestaut, dass er nicht anders konnte und sie voller Verzweifelung wegstieß. Der Junge war fest davon überzeugt, dass er damit diese unangenehme Situation vorerst beenden konnte. Jedoch hatte er sich in Charline getäuscht, denn sie nutzte den Schwung seiner Bewegung geschickt aus und brachte ihn zu Fall.

Einen Augenblick später lag er auf dem Boden im Sand. Charline stürzte sich auf ihn, schlang ihre langen Beine um seinen Hals und verhakte ihre Füße ineinander. Mit ihren Schenkeln drückte sie ihm dabei die Luft ab. Er spürte die starken Muskeln in ihren Beinen. Der Junge wollte sich befreien, es gelang ihm jedoch nicht. Er schnappte nach Luft, aber er bekam kaum welche. Langsam wurde ihm schwindelig. Hanno sah ein, dass er nichts gegen dieses Mädchen auszurichten vermochte. Sie hatte ihn in ihrer Gewalt. Er wollte ihr sagen, dass es ihm leid täte und dass sie damit aufhören sollte. Ohne Atem zu bekommen, konnte Hanno aber nicht sprechen.

Seine Luft wurde immer knapper. Verzweifelt tastete er mit seinen Händen auf dem sandigen Untergrund umher, um nach einem Halt zu suchen. Der feine Sand rann durch seine Finger. Auf ein Mal spürte er etwas Hartes an seinen Fingerspitzen. Es war ein Stein, der so groß wie seine Faust war. Er nahm ihn in seine Hand und schlug ihn mit aller Kraft, die er noch besaß, auf Charlines Knie. Das Mädchen schrie laut auf und ließ Hanno augenblicklich los.

„Spinnst du?“, rief sie. „Das tut weh.“

Sie wandte sich von ihm ab und kümmerte sich um die schmerzende Stelle an ihrem Bein. Wankend stand der Junge auf.

Nun ging Timmi auf ihn los und brüllte ihn an: „Was fällt dir ein, meiner Schwester weh zu tun?“

Er versuchte nach Hanno zu schlagen, aber der wehrte ihn ab und hielt ihn auf Distanz, sodass ihn seine Schläge nicht erreichen konnten.

Nachdem Charline ihr Knie begutachtet hatte und festgestellt hatte, dass sie nicht ernsthaft verletzt war, sprang sie auf.

Sie stürmte auf Hanno zu und schrie ihn zornig an: „Lass sofort Timmi los. Das könnte dir so passen, dich an Kleineren zu vergreifen, du Feigling.“

Es interessierte sie dabei nicht, dass es Timmi war, der ihn angegriffen hatte. Mit einigen gezielten Schlägen und Tritten schlug sie Hanno zusammen. Ihm wurde bewusst, dass Charline vorher nur mit ihm gespielt hatte, um ihm ihre körperliche Überlegenheit zu zeigen und ihn zu demütigen. Nun aber spürte er, dass es ihr ernst war. Ein letzter kräftiger Stoß von ihr in seine Magengrube und Hanno sackte benommen zusammen.

Sofort ließ das Mädchen von ihm ab. Als wenn nichts gewesen wäre, legte sie sich erneut zum Sonnen auf ihr Handtuch und Timmi spielte friedlich neben ihr im Sand.

‚Immerhin besitzt sie so viel Anstand, dass sie mich nicht mehr schlägt, nachdem ich zu Boden gegangen bin’, dachte Hanno sich.

Das war er von dem fiesen Berti nicht gewohnt. Der hätte ohne Rücksicht weiter auf ihn eingeprügelt und getreten, auch wenn Hanno längst wehrlos dalag.

Langsam raffte sich der Junge auf. Er sammelte seine Badesachen ein, die verstreut im Sand lagen und zog ein Stück weiter. Am Ufer fand er eine andere geeignete Stelle, an der er sich niederlassen konnte. Dort gab es zwar keinen Strand, aber dafür eine schöne Wiese. Außerdem war sie ausreichend weit von Charline entfernt. Hanno badete ausgiebig, um sich abzukühlen.

Er ärgerte sich maßlos über den Zwischenfall mit Charline. Dabei waren es nicht ihre Schläge und Tritte, die ihm weh taten. Der Junge war es von dem fiesen Berti und seinen Mitschülern gewohnt, verprügelt zu werden. Viel mehr ärgerte er sich über sich selbst, dass er es nicht geschafft hatte, seine Wut gegenüber dem Mädchen zu beherrschen. Hanno hätte viel lieber mit ihr gemeinsam etwas Schönes unternommen. Das war aber nach diesem Aufeinandertreffen in weite Ferne gerückt.

Nachdem Hanno den See einige Male durchschwommen hatte, legte er sich auf die Wiese und ruhte sich aus. Nun konnte er aus der Entfernung beobachten, wie Charline ihren wunderschönen Körper in der Sonne bräunte. Er genoss den Anblick und schlief kurz darauf vor Erschöpfung ein.

Als er erwachte, stellte Hanno fest, dass er längere Zeit geschlafen hatte. Inzwischen war es später Nachmittag geworden. Dunkle Wolken schoben sich vor die Sonne und in der Ferne hörte er Donnergrollen. Ein heftiges Sommergewitter zog auf. Er packte seine Badesachen ein und machte sich auf den Heimweg. Als er am kleinen Strand vorüber kam, waren Charline und Timmi nicht mehr da. Sie waren vor ihm aufgebrochen. Er ging weiter in Richtung Bauernhof. Kurz bevor er ihn ereichte, kam er an eine Böschung. An deren Rand lagen Charline und ihr Bruder flach auf dem Bauch. So konnten die beiden beobachteten, was auf dem Hof geschah, ohne dabei selbst von dort aus gesehen zu werden. Hanno wunderte sich darüber.

Charline hatte sich ein kurzes Strandkleid über ihren Badeanzug gezogen. Ihre Badelatschen lagen neben ihren Füssen im Gras. Als sie Hanno hinter sich kommen hörte, sprang sie hoch, packte ihn und riss ihn mit sich zu Boden. Mit ihrer einen Hand hielt sie seinen Mund zu, sodass er nicht sprechen konnte. Mit der anderen drehte sie seinen Arm auf den Rücken, bis es ihm weh tat. Das Mädchen zog ihn zum Rand der Böschung und drückte ihn dort hinunter. Zuerst vermutete Hanno eine neue Gemeinheit von Charline, aber er spürte, dass sie aufgeregt und ängstlich war.

„Ich nehme jetzt langsam meine Hand weg. Wenn du nur einen kleinen Mucks machst, dann breche ich dir deinen Arm“, zischte sie leise zu ihm.

Der Junge fühlte instinktiv, dass sie es ernst meinte. Tatsächlich löste sie allmählich ihre Hand von seinem Mund. Gleichzeitig drehte sie mit ihrer anderen Hand Hannos Arm weiter auf den Rücken. Aus Angst, Charline würde ihm den Arm brechen, sagte der Junge nichts.

Er lag neben dem Mädchen auf der Böschung und konnte beobachten, was sich in einiger Entfernung auf dem Hof vor dem Bauerhaus ereignete, in dem Charline und Timmi mit ihren Eltern wohnten. Obwohl er es mit eigenen Augen sah, verstand er nicht, was dort geschah.

Vor dem großen Haus standen mehrere Personen. Zuerst fielen ihm Charlines Eltern auf. Ihr Vater war ein großer und kräftiger Mann mit sonnengebräunter Haut und einem dichten Haarschopf. Ihre Mutter sah genauso aus wie Charline, nur dass sie älter war und ihr Haar nicht so lang trug. Hanno bemerkte, dass bei den beiden die Hände mit Stricken auf dem Rücken gefesselt waren. Einige Meter vor ihnen stand der Dorfpolizist. Er hatte seine Dienstwaffe auf die beiden gerichtet und bedrohte sie damit. Zwei Männer, die Hanno flüchtig aus dem Dorf kannte, öffneten an dem roten Kombiwagen von Charlines Eltern alle vier Türen.

Dann bekam Hanno einen fürchterlichen Schrecken. Hinter den Eltern von Charline stand ein Mann, den er gut kannte. Es war sein eigener Vater. Er hatte das Gewehr, mit dem sein Großvater früher auf die Jagd gegangen war, im Anschlag und zielte damit auf die beiden. Mit vorgehaltener Waffe und harter Befehlsstimme zwang Hannos Vater Charlines Eltern, hinten in ihr eigenes Auto einzusteigen. Als sie auf der Rücksitzbank Platz genommen hatten, schlugen die beiden Männer aus dem Dorf die hinteren Türen zu.

„Was sollen wir mit den Kindern machen?“, rief der Dorfpolizist zu Hannos Vater hinüber.

„Die sind jetzt noch unterwegs“, antwortete Hannos Vater. „Die holen wir uns nachher, wenn sie wieder zu Hause sind.“

Daraufhin stiegen die zwei Männer aus dem Dorf vorne in das Auto von Charlines Eltern ein und brausten damit durch das offene Gattertor davon. Der Dorfpolizist lief zu seinem Streifenwagen, den an der Einfahrt zum Bauernhof abgestellt hatte, und fuhr ebenfalls weg. Nun stand Hannos Vater alleine auf dem Hof. Er schulterte das Gewehr und ging hinüber zu seinem Häuschen.

Als er die Haustür hinter sich geschlossen hatte, sprach Charline entsetzt: „Was war das denn? Was läuft da ab?“

Sie drehte Hannos Arm fester auf seinen Rücken, sodass er vor Schmerz aufschrie, und fragte ihn: „Was hat dein Vater mit meinen Eltern vor? Wo lässt er sie hinbringen?“

„Ich habe keinerlei Ahnung“, antwortete der Junge mit schmerzverzerrtem Gesicht.

„Lügner!“, brüllte ihn Charline an und drückte weiter zu. „Du steckst doch mit deinem Vater unter einer Decke.“

„Nein, ich weiß es wirklich nicht. Ich bin genauso überrascht wie du“, sagte Hanno gequält.

Sein Arm tat schrecklich weh. Er hielt es nicht aus und schrie.

„Nun erzähl schon, in welche Sache dein Vater verwickelt ist“, verhörte das Mädchen ihn weiter.

„Frag lieber, in welche Sache deine Eltern verwickelt sind. Schließlich hat der Polizist sie gefangen genommen“, entgegnete Hanno.

„Das war aber keine ordentliche Festnahme. Außerdem haben die beiden Männer aus dem Dorf sie anschließend mitgenommen und nicht die Polizei“, blieb Charline hart.

Das Mädchen kam ins Grübeln. Eine einfache Erklärung der Ereignisse war nicht zu finden. Das alles ergab keinen Sinn. Hanno hatte Charline bislang nie so ratlos und verunsichert erlebt.

„Bis sich das alles geklärt hat, bleibst du erst einmal bei mir“ befahl sie streng.

Dann ließ sie den Jungen los und die drei Kinder standen auf.

Hanno rieb sich seinen schmerzenden Arm und rief: „Nein, bei dir bleibe ich nicht. Ich gehe jetzt zu meinem Vater und frage ihn, was los ist.“

„Kommt gar nicht in Frage. Du willst uns nur an ihn verraten, damit er auch Timmi und mich holen kommt“, erwiderte das Mädchen.

„Ich lasse mir von dir nicht vorschreiben, was ich zu tun habe“, antwortete Hanno trotzig.

Mit diesen Worten rannte er in Richtung auf das Häuschen seines Vater zu. Charline verfolgte ihn. Nach zwei Sätzen hatte sie ihn eingeholt und grätsche von hinten in seine Beine. Hanno fiel der Länge nach hin und schlug sich dabei seinen Ellbogen auf.

Das Mädchen half ihm beim Aufstehen und sagte zu ihm: „Tu das nie wieder! Du weißt, dass ich schneller und stärker bin als du. Du bleibst jetzt bei mir.“

Hanno folgte ihr und hielt sich den anderen schmerzenden Arm.

Hanno rettet die Welt

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