Читать книгу Wie Splitter aus fernen Träumen - Frank Westermann - Страница 8
ОглавлениеThis ain’t no party, this ain’t no disco
This ain’t no fooling around
No time for dancing, or lovey dovey
I ain’t got time for that now
Talking Heads - »Life During Wartime«
1.
Die Abgesandten
Irrlicht ließ sich vorsichtig hinter einen Felsblock in Deckung sinken. Seine kleine, grünlich leuchtende Gestalt flackerte nur wenig, als er zum wiederholten Mal die Szene überschaute.
Vor den niedrigen Hügeln breitete sich die Knisterebene aus, deren leise Geräusche die immerwährende Dämmerung erfüllten. Mitten durch die Ebene zog sich die Realitätsgrenze. Weiter links erhob sich nahe dieser Grenze einer der uralten Kontrolltürme, die immer noch beharrlich ihre Funktion ausübten.
Eine Gruppe Wissenschaftler der Slayn Dran hatte dort ihr Lager aufgeschlagen, das von einer Einheit Krosner bewacht wurde. Die Rückenpanzer der Söldner, die in den Diensten der Slayn Dran standen, leuchteten selbst in dieser düsteren Umgebung.
Es trifft sich gut, dass sie so leicht erkennbar sind, dachte Irrlicht. Er wusste nicht viel über die Krosner, ebenso wenig wie über die Slayn Dran. Er wusste aber, was ihre Anwesenheit hier für Folgen nach sich gezogen hatte und daher auch um die Gefahr für andere Realitätsebenen, und das genügte ihm.
Als er zuerst von der Invasion erfahren hatte, konnte er nicht recht daran glauben, es klang eher wie eine Horror-Geschichte. Aber allein die Tatsache, dass das Magische Volk ihretwegen das Risiko von Realitätsdurchgängen auf sich nahm, reichte aus, um ihn – und auch andere – zu überzeugen. Später hatte er einige Male die Ausstrahlung der Slayn Dran sowie ihrer Söldner gespürt, und das hatte endgültig dazu geführt, dass er sich mit all seiner Kraft dafür einsetzte, die letzten Freien des Magischen Volkes zu unterstützen.
Und schließlich ging es nicht allein um das Magische Volk. Spät, aber hoffentlich nicht zu spät, war erkannt worden, was Ursache und Folgen der Slayn Dran Invasion waren: die Slayn Dran suchten nach Mitteln und Wegen, nach Belieben Realitätswechsel vornehmen zu können! Von Natur aus waren sie dazu nicht in der Lage, aber irgendwelche Gerüchte mussten sie zum Planeten der roten Sonne geführt haben. Auf diesem Planeten befanden sich diverse Schnittstellen unterschiedlichster Realitäten, und das wollten die Slayn Dran für ihre Zwecke ausnutzen.
Irrlicht glaubte, dass es den Slayn Dran trotzdem unmöglich sein würde, den Zufallsstrukturen der Realitätsebenen auf die Spur zu kommen, denn so einfach war es nicht, die Schnittstellen zu benutzen. Rein logisch denkende Arbeiterlebewesen waren dazu kaum in der Lage. In der Tat wurden die Übergänge aufgrund ihrer Gefährlichkeit selbst von den Planetenbewohnern höchst selten benutzt. Sollte es den Slayn Dran aber trotz allem gelingen, diese Übergänge unter Kontrolle zu bringen, besaßen sie mit diesem Wissen und seiner Anwendung eine Waffe, die sie vielen anderen Völkern dieser Galaxis überlegen machte.
Und so viel wusste Irrlicht immerhin: die Slayn Dran waren ein Arbeiter-Volk höchsten Grades und würden ihre Überlegenheit skrupellos militärisch, politisch und ökonomisch ausnutzen.
Dies musste zum einen verhindert werden, zum anderen mussten das Magische Volk und der ganze Planet gerettet werden. Denn vor kurzem hatten die Slayn Dran damit begonnen, Manipulationen an den Kontrolltürmen vorzunehmen. Aber da sie die Funktion der Türme nicht verstanden, war eine Katastrophe unvermeidbar. Fiel infolge der unsachgemäßen Experimente an den Türmen auch nur einer von ihnen aus, musste es zu einer Vermischung von Realitätsebenen kommen, und das bedeutete das Ende aller Gemeinschaften, deren Überleben von der Eingrenzung der Realitäten abhing.
Die Türme sorgten für diese Eingrenzung, und ihre Erbauer hatten somit eine bestimmte Form von Leben auf diesem Planeten erst ermöglicht.
Irrlicht hatte Zeit, diese Fakten zu rekapitulieren, weil er noch warten musste, bis die Knisterebene ihre Aktivitäten verringerte. Erst dann war er sicher, in der Vielzahl der Leuchterscheinungen, die an dieser Stelle der Realitätsgrenze auftraten, unbemerkt zu bleiben.
Er beobachtete, wie einige Slayn Dran den Kontrollturm verließen. Die silbrigen Gespinste marschierten in Richtung Lager. Das schwere Gepäck hinderte sie am Schweben, und sie verzichteten auf Anti-Schwerkraft-Geräte, weil der Einsatz bestimmter Technik hier sich als gefährlich erwiesen hatte.
Die Krosner machten ehrfurchtsvoll Platz, als die Slayn Dran-Wissenschaftler ihre Unterkünfte erreichten. In den merkwürdig verschachtelten Häusern wurde es hell, aber in ihrer milchigen Transparenz ließ sich nicht genau erkennen, was im Innern vor sich ging.
Währenddessen versiegte das Flüstern der Knisterebene und hier und da begannen bunte Lichter zu flackern, wieder zu verlöschen und an anderer Stelle neu zu entstehen. Irrlicht machte sich bereit. Allzu lange würde dieser Zustand der Geräusch-Inaktivität nicht anhalten, und bis dahin musste er die Grenze überwunden haben.
Er tat dies nicht zum ersten Mal und seine Nervosität war gering, als er die Hügel hinab schwebte und kurz darauf nahe am Lager der Slayn Dran vorbeikam. Die Krosner würdigten ihn keines Blickes. Die hoch aufgerichteten, vierarmigen Wesen waren alle möglichen Erscheinungen hier im Grenzbereich gewohnt. Und außerdem ahnten weder sie noch ihre Herren irgendetwas von der Existenz solcher Lebewesen, wie Irrlicht sie darstellte, auf diesem Planeten.
Die Slayn Dran waren davon überzeugt, es lediglich mit dem Magischen Volk zu tun zu haben, und das hatten sie – bis auf wenige Ausnahmen – bereits unterworfen, bevor sie überhaupt den Boden des Planeten betreten hatten. Ronolsin hieß die teuflische Waffe, welche die Mentalität eines ganzen Volkes verändert hatte. Aus Nicht-Arbeitern waren Arbeiter geworden mit allen Konsequenzen, etwas Schlimmeres war nicht vorstellbar.
Lange Zeit war der Triumph der Slayn Dran vollkommen gewesen, bis die letzten Freien des Magischen Volkes sich entschlossen hatten, ihre Kontakte zu Gemeinschaften anderer Realitäten zu nutzen und diese um Hilfe zu bitten.
Sie hatten keinen Ausweg mehr gesehen und schließlich das hohe Risiko auf sich genommen. Denn es war ein gefährlicher Weg, und so manche waren in den unberechenbaren Launen der Realitätswirbel verschollen, ohne ihr Ziel jemals zu erreichen. Es gab keinen Schutz gegen dieses Schicksal, und das war das einzige, was Irrlicht Furcht bereitete.
Er fühlte die Auswirkungen der anderen Realitätsebene, als er sich der Grenze näherte, und für einen Moment flackerte sein Körper stark. Doch dann hatte er sich wieder unter Kontrolle und tat den entscheidenden Schritt über die Grenze.
Der Umweg über die Realitätsebene des Magischen Volkes hatte sich gelohnt. Von seiner Realität aus war es schwierig, hierher überzuwechseln, aber der Umweg hatte das Risiko vermindert und außerdem einen Blick auf die Situation im Grenzbereich erlaubt. Trotzdem war Irrlicht erleichtert, als der Wirbel ihn ausspie, und er die nun schon vertraute Umgebung des Molandos wahrnahm.
Das Molandos war eine Art Gemeinschaftswesen und gleichzeitig das einzige Lebewesen dieser Realität, mit dem eine Verständigung möglich war. Es hatte einen seiner Ausläufer zu einer Art Höhle verbreitert, die mit allen möglichen Utensilien ausgefüllt war, um es allen Abgesandten recht zu machen. Die Realitäts-Schnittstelle befand sich genau innerhalb dieser Höhle.
Die Wahl dieses Versammlungsortes war sehr glücklich gewesen, denn er war sowohl von fast allen bekannten Realitäten aus zu erreichen und andererseits war das Molandos dazu in der Lage, sich fast allen Gegebenheiten anzupassen. Das Molandos konnte sich selbst zwar nur sehr schwer verständlich machen, denn es unterschied sich zu sehr von allen bekannten Gemeinschaften, aber es verfolgte alles und konnte sich auf Wünsche und Bedürfnisse der Abgesandten einstellen.
Irrlicht huschte zu seinem gewohnten Platz hinüber. Er flackerte nun wieder rhythmisch und freudig, alle Anzeichen innerer Spannung waren von ihm abgefallen.
Der Platz neben ihm war schon besetzt, vielleicht schon länger, denn genaue Ankunftszeiten konnten nie eingehalten werden. Dort saß Hat-keine-Augen mit übergeschlagenen Beinen auf einem Kissen. Der Materie-Magier war der Abgesandte des Magischen Volkes. Er war einer der ersten gewesen, die damals angesichts der drohenden endgültigen Niederlage noch die Initiative ergriffen hatten. Er nickte Irrlicht freundlich zu, der aus den vorausgegangenen Begegnungen wusste, was diese Geste bedeutete.
Auch die meisten anderen der bereits Anwesenden erkannte er wieder. Es handelte sich fast immer um die gleichen Botschafter, und in der vergangenen Zeitspanne hatte sich eine Art Zusammengehörigkeitsgefühl unter ihnen entwickelt trotz der Vielfalt der Lebens- und Erscheinungsformen. Anfangs war eine Verständigung natürlich schwer gewesen, da alle aus höchst unterschiedlichen sozialen und kulturellen Zusammenhängen stammten, aber der Wille und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit hatte sie schließlich verbunden.
Die Prexter, ein hochtechnisiertes Volk, hatten schließlich, nachdem sich dieser Völkerzusammenschluss endgültig gebildet hatte, adäquate Übersetzungsgeräte geschaffen, die nun zumindest eine reibungslose verbale Verständigung erlaubten. Auch heute standen diese Geräte vor den Plätzen der Abgesandten, und der Bote der Prexter war dabei, die letzten Justierungen und Feinabstimmungen vorzunehmen.
Irrlicht sah, dass die Runde fast vollständig war. Er hatte heute den Vorsitz und war jetzt doch ziemlich aufgeregt, da abzusehen war, dass es diesmal zu weitreichenden Entscheidungen kommen würde.
Die Ankunft der restlichen Delegierten konnte sich noch lange hinauszögern, und so beschloss er nach kurzer Wartezeit die Diskussion zu eröffnen. Er erteilte zunächst Hat-keine-Augen das Wort, damit der Materie-Magier über die aktuellen Entwicklungen in der bedrohten Realitätsebene berichten konnte.
Wie er vermutet hatte, steuerte alles auf einen kritischen Punkt zu. Die Wissenschaftler der Slayn Dran machten sich daran, in die Funktionen der Kontrolltürme einzugreifen. Und damit waren endgültig auch alle anderen Realitäten, die von den Schnittstellen aus zu erreichen waren, bedroht. Die Gefahr beschränkte sich nicht mehr, wie vorauszusehen war, allein auf das Magische Volk.
Dies war allen Zuhörern sofort einsichtig, denn es war einer der entscheidenden Gründe gewesen, warum es überhaupt zu dem Völkerzusammenschluss gekommen war. Es blieb nur noch die Frage offen, wie die Entscheidungen der betroffenen Völker, Einzel- und Gemeinschaftswesen ausgefallen waren. Lange Debatten waren nicht mehr nötig, die Wenns und Abers waren in früheren Sitzungen besprochen worden. Allen war einsichtig, dass es sich hier letzten Endes um eine reine Überlebensfrage handelte. Eine Manipulation der Realitätsstrukturen konnte schlimmstenfalls zum Untergang aller Lebewesen dieser Realitäten führen.
Wenn noch rechtzeitig gehandelt werden sollte, war es nötig, sofort zuzuschlagen. Auch diese Entscheidung erfolgte nahezu einstimmig, und die wenigen Zauderer schlossen sich bald an. Nur zwei Abgesandte hielten dies für einen grundsätzlich falschen Beschluss und verließen die Versammlung.
Weitaus umfassender wurde anschließend darüber diskutiert, wie sich dieses Zuschlagen am besten bewerkstelligen ließ. Doch auch darüber wurde schließlich in groben Zügen Einigkeit erzielt und so konnte sich Irrlicht mit einem fast euphorischen Gefühl auf den Heimweg begeben.