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India, warum?

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»Hallo«, sagte MacDonald bärbeißig ins Telefon, das ihn aus einer Meditation über grünen Papaya-Salat gerissen hatte.

»Wer spricht da«, rief es unfreundlich zurück.

»Nun, das würde ich gerne von Ihnen wissen«, erwiderte der Gestörte und hielt den Hörer wie eine faule Banane von sich.

»Was ist los?«

»Ich sagte, wenn Sie bei mir anrufen, sollten Sie zuerst Ihren Namen offenbaren.«

»Tut nichts zur Sache. Aber wenn Sie dieser Schreiberling sind, habe ich eine Nachricht für Sie.«

»Sie gleichen demnach Hermes aus dem alten Griechenland, sind gar ein direkter Verwandter von ihm? Mir scheint, das Glück ist mir heute gewogen.«

»Hören Sie auf, so einen Mist zu schreiben!«

»Wäre es Ihnen möglich, semantisch ein wenig in die Tiefe zu schreiten, Verehrtester?«

»Hä?«

»Was wollen Sie eigentlich«, sagte MacDonald gereizt.

Im Hintergrund hörte man den anonymen Anrufer kräftig schnäuzen. Durch den forschen Ton schien er aus dem Konzept gebracht. »Wie wäre es, wenn wir anstatt eines Telefons zwei Blechdosen mit einer Schnur benutzten? Kräftig genug brüllen Sie ja bereits. Also, was denn jetzt?«, insistierte er und schüttelte den Hörer, aus dem es unangenehm knisterte.

»Sie erwähnen nichts mehr mit ›verkorkst produziert‹ und so. Haben Sie verstanden?«

»Das haben Sie sich doch nicht etwa alleine ausgedacht? Vermutlich hat Ihnen sogar jemand beim Ablesen geholfen, oder?«

»Wir haben Sie gewarnt. Sagen Sie später nicht, wir hätten es nicht getan.«

»Aber das würde ich niemals tun. Obwohl ich gestehen muss, dass ich noch immer nicht weiß, wovon Sie reden. Es könnte allerdings auch damit zusammenhängen, dass Sie jede zweite Silbe verschlucken.«

»Sie wissen Bescheid!«

»Einen Teufel tue ich, und ich habe auch keine Lust mehr, mit Ihnen zu reden. Ihr Grundwortschatz reicht bei weitem nicht aus, um eine halbwegs vernünftige Konversation zu führen«, erwiderte MacDonald und knallte den Hörer auf die Gabel. Dennoch machte ihn das Gespräch stutzig. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, welcher Widerling ihn kurz vor der Dinnerzeit behelligte!

Sir Bruce konnte nichts zur Aufklärung beitragen. »Wohlan, Robert, du Tapferer.« Der Hausherr platzierte ihm eine Portion katzenmundgerechten Tunfisch in den Napf, über die der Kater mampfend herfiel. MacDonald betrachtete seinen Mitbewohner nachdenklich. »Du genießt dein Leben. So schön möchte ich es auch einmal haben.« Der Edelmann auf Pfoten ließ sich durch die blasphemische Rede nicht von seinem Trog abbringen. MacDonald wollte etwas Gutes tun für die Völkerverständigung und entschied sich für ein indisches Abendessen im Bombay Palace. Auf Höhe der North Bridge stieg er aus dem Bus, um den Rest der Strecke zu Fuß zu gehen. Kurz fiel sein Blick auf die Waverley Station, der einzige Bahnhof der Welt, der von oben wie eine Kollektion Treibhäuser aussah. Das Restaurant am Nicholson Square zählte zu der Art von Gaststätten, die man niemals ohne Empfehlung aufgesucht hätte. Weder Möbel noch Steinfußboden strahlten eine besondere Behaglichkeit aus. In der Ecke flimmerte leise ein Fernsehgerät und an der Wand hingen Schnappschüsse von indischen Märkten mit Menschen, die ebenso konzentriert kuckten wie die Ober im Restaurant. MacDonald ignorierte das Interieur, weil er einen authentischen Schmaus serviert bekam. Die meisten der roten Plastikstühle hielten ihre Sitzfläche erwartungsvoll unter den Tischen, denn das Abendgeschäft lag noch vor ihnen. Mister Pischpangpeng, der Besitzer, grüßte seinen Gast euphorisch, noch die entlegensten weißen Zähne zeigend, um dann wieder zur traurigen Miene eines Fakirs heimzukehren. Für sein Leiden gab es keine Kur. Wenn er in Edinburgh lebte, hatte er Sehnsucht nach Indien und in seiner Heimat vermisste er Schottland. Er war wie immer tadellos in ein weißes Leinenhemd und schwarze Wollhosen gekleidet, sah aber sehr nervös aus, als er seinen Gast begrüßte. »Oh, Mister MacDonald, welch Ehre, Sie wieder einmal bewirten zu dürfen. Mir geht es ausgezeichnet und Ihnen?«

»Ich sterbe vor Hunger«, hätte er gerne gesagt. Weil er aber gute Kenntnisse hatte vom Kulturkreis, den er betrat, milderte er seinen Satz ab und erwiderte: »Ganz gut, danke. Allerdings bin ich ein wenig hungrig«, was sich um die Untertreibung des Jahrhunderts handelte.

»Das können wir schnell beheben. Nehmen Sie doch bitte Platz«, sagte der Wirt, auf die Armada leerer Stühle weisend. »Wo immer Sie möchten.«

MacDonald leistete dieser Bitte, einer, die er im Restaurant nach »Guten Appetit« am liebsten hörte, auf dem Fuße Folge. Auch bei diesem Besuch brach der Stuhl wieder nicht unter seiner enormen Last zusammen. Mister Pischpangpeng kannte seinen beleibten Gast nur zu gut, und sorgte dafür, dass sich in MacDonalds favorisierter Ecke immer die stabilsten Exemplare der Spezies tummelten. Selbst als er die Beine nach links und rechts streckte, um eine möglichst bequeme Position zu erlangen, gab die Sitzgelegenheit aus der Hippie-Ära kaum mehr als ein verstimmtes Knacken von sich. Obwohl MacDonald sehr genau wusste, was er zu sich nehmen würde, studierte er die Karte. Ständig darauf aus, der Welt der Kulinarik Geheimnisse zu entlocken, schätzte er auf dem Teller von Zeit zu Zeit die Wiederkehr des Immergleichen, denn auch der feinste Gaumen wollte einmal Feierabend haben. Er schaute erwartungsvoll zum Wirt, um seine Bestellung aufzugeben. Mister Pischpangpeng kassierte bei zwei Schotten ab, die einen neuen Rekord im Schnellessen aufgestellt hatten und vermutlich kurz vor dem Anruf bei der Redaktion des Guinessbuches standen. Langsam fiel sein Blutzuckerspiegel in bedrohliche Tiefen, und ein leichter Druck schlich sich in den vorderen Teil des Kopfes, den auch seine Wunderwaffe Traubenzucker nicht mehr hätte beseitigen können. Noch eine Viertelstunde ohne feste Nahrung, und er würde keinen grammatikalisch wohlgeformten Satz mehr drechseln können. Für einen sprachlich orientierten Menschen wie ihn ein einziges Gräuel. Matt dämmerte er seinem Schicksal entgegen, griff nervös wieder zur Karte, um die gute Wahl durch ein Nicken zu bestätigen. »Victory«, rief er freudig, als sich der Wirt seinem Tisch näherte.

»Äh, wie meinen?«, fragte Mister Pischpaschpeng, der ein wenig in der Geschichte des englischen Königshauses beschlagen war und »Victoria« verstanden hatte.

»Vi ... äh, wie schön, dass Sie kommen, meinte ich.«

Pischpaschpeng fasste sich sofort wieder: »Ich empfehle Ihnen unser vegetarisches Curry. Eine Neuheit, die im Moment gerne gegessen wird. Alleine heute wurden Dutzende Portionen verspeist.«

MacDonald war erstaunt über die Beratungsfreudigkeit seines sonst so wortkargen Gastgebers. Hatte er vielleicht diese Woche zu viel Gemüse eingekauft? »Ah, ja. Das klingt sehr interessant, aber wenn Sie nicht böse sind, nehme ich doch lieber ein Hühner-Curry mit Cashewnüssen, Nanbrot, Reis und einen Becher Lassi, salzig bitte.«

Der Wirt erhob, den Block zwischen rechten Daumen und Mittelfinger eingeklemmt, beide Hände und sagte: »Ich bitte Sie, Mister MacDonald. Ich mache nur Vorschläge. Selbstverständlich liegt die Entscheidung ganz bei Ihnen.« Kurze Zeit später erschien sein Essen. In einem anderen Restaurant hätte er skeptisch reagiert auf die prompte Bedienung. Aber hier war er sicher, dass der Koch alles frisch und flink zubereitete. Er breitete graziös die Serviette auf seinen Knien aus und griff zu Messer und Gabel. Beim ersten Bissen hoffte er noch, aus einem Alptraum aufzuwachen. Doch dieses Glück war ihm nicht vergönnt. Pischpangpeng verdankte sein Überleben letztlich einer Yoga-Übung, die MacDonald seit Kurzem ausübte. »Tief durchatmen, tief durchatmen, Angus, das hilft.« Fast blies er die Speisekarte vom Tisch. Mit gespielter Geduld harrte er aus, bis der Besitzer wieder erschien. Der Wirt erkundigte sich in einer konturierten Diplomatie, die nicht einmal Disraeli hätte überbieten können, ob es mundete. »Das ist kein Hühnchen, kein Hühnchen, kein Hühnchen!« MacDonald schob den Teller von sich und zückte seine Geldbörse.

»Aber nein, ich bitte Sie, Mister MacDonald. Wenn es Ihnen nicht geschmeckt hat, dann zahlen Sie heute auch nichts. Dreht es sich um Fleisch, sind mir momentan leider die Hände gebunden.«

»Irgendetwas in dieser Stadt läuft verkehrt. Bekommt man denn nur noch Kunstfleisch vorgesetzt? Das geht wirklich nicht mehr mit rechten Dingen zu! So nicht, meine Herren! Wo Huhn drauf steht, muss auch Huhn drin sein!«

Als er am Morgen erwachte, legte er sich vorsichtig die Hand auf den geräumigen Bauch. Soweit schien alles in Ordnung zu sein. Die Alpträume von berstenden Körpern gehörten einmal mehr zur Nacht. Hätte er die Schlimmspeise gänzlich zu sich genommen, befände er sich nun höchstwahrscheinlich mit einer Lebensmittelvergiftung im Hospital. Er zog den Bademantel über den karierten Pyjama und ging nach unten, um sich eine Kanne Tee zu kochen. Eine Schale Müsli mit Bananen musste genügen. Mit einem großen Becher Tee und der aktuellen Ausgabe des »Scotsman« erschien er im Arbeitszimmer und schaltete seinen Computer ein, damit er sich warmlaufen konnte. Er hatte mittlerweile den Verdacht, dass man dem Fleisch etwas sehr Ungewöhnliches zugesetzt hatte. Die sicherste Methode, herauszufinden, was es war, blieb ihm verwehrt. Denn wie sollte er an Proben gelangen, die er in ein Labor schicken konnte? Keiner der Zulieferer der betreffenden Restaurants würde ihm den Gefallen tun. Nun, wo er sich bereits stark darüber entrüstet hatte. Beim Großmarkt stieß er mit seiner Frage auf Unverständnis. Dramatischer wurde es noch bei den Metzgern der Stadt, die er ebenfalls anläutete. Sie waren sensible Menschen. Und obwohl er Samthandschuhe um seine Worte legte, reagierten sie beleidigt. »Fleisch, das sich nicht identifizieren lässt, sagen Sie? Es ist sehr nett, dass Sie dabei an uns gedacht haben, Mister MacDonald. Nein, damit können wir Ihnen nicht dienen. Wir wissen, wo unsere Ware herkommt. Immerhin suchen wir sie selbst aus. Auf Wiederhören und einen recht schönen Tag noch für Sie!« Ein wenig mulmig war ihm nun zumute, denn mit seinen Leib- und Magenlieferanten wollte er es sich nicht verscherzen. Als er einige ihm gut bekannte Restaurant- und Pub-Besitzer befragte, hatte er seine Fragetechnik bereits stark verfeinert und sprach mit vielen Blümchen um die Worte. Keiner fühlte sich auf den Schlips getreten. Doch Informationen wurden auch nicht beigesteuert. Nach den Gesetzen der Logik musste er seine Recherche jetzt in der kulinarischen Unterwelt fortsetzen. Aus dem »Scotsman« fischte er die Werbebeilagen. Zwei deutsche Billig-Supermärkte mit vierbuchstabigen Namen buhlten um die Gunst des Lesers. Fleisch in Hülle und Fülle. Zu Preisen, die jedem vernünftigen Menschen zu denken geben mussten. Nicht, dass es nur eine Untugend der deutschen Großunternehmer gewesen wäre, gastronomische Fragwürdigkeiten zu veräußern. Auch britische Ketten mit kurzen Namen schlugen in diese Bresche. Und die Edel-Supermärkte mit ausgewachsenen, englischen Namen präsentierten günstige, exotische Fertigmenüs für Freunde der indischen, italienischen oder britischen Küche. Alle getränkt mit Zucker, Fett, Salz, Konservierungs- und Farbstoffen. Schon vor langer Zeit hatte er aufgehört, ignorante Bekannte zur biologischen Kost bringen zu wollen. Zu teuer, zu viele Schwindler, zu schwierig zu besorgen. Die Ausreden waren Legion. Außerdem meinte doch die Food Standards Agency, dass Ökonahrung keine Vorteile bringe und die Behandlung mit Pestiziden oft ein akzeptables Risiko für die Gesundheit sei! Da lobte er sich Prinz Charles, der bereits vor zwanzig Jahren auf die

ökologische Produktion umgestiegen war. In den gedruckten Werbebeilagen fand er keine Angaben zum Inhalt der Fleischpackungen. Er aktivierte seinen Internetbrowser und ging auf die Website eines Hypermarktes. Auch hier nicht die winzigste Information. Stattdessen wurde man aufgefordert, das Kleingedruckte im Supermarkt vor den Toren der Stadt zu studieren. Für Lebensmüde gab es die Möglichkeit, die Produkte via Internet, ohne Begutachtung, zu bestellen. Eine wahre Groteske war das. Die Industrie konnte machen, was sie wollte. Und am liebsten verkaufte sie Imitate. Zusammengeklebte Fleischreste durften sich Schinken nennen. Garnelen bestanden aus gepresstem Fischeiweiß. Käse war eine Schmiere, die in zwanzig Minuten gänzlich ohne Milch zusammengerührt wurde und mit dem gereiften Originalprodukt nur den Namen teilte. Wenn es so weiterginge, würde er sich auf eine Farm zurückziehen und zum Selbstversorger werden. Warum verstanden die Menschen nicht, dass ein ängstliches und gestresstes Tier aus der Massenhaltung nur minderwertiges Fleisch liefern konnte? War es doch erwiesen, dass der extrem hohe Energieverbrauch aufgrund von Panikattacken zu schlimmen Reaktionen im Körper führte. Ganz zu schweigen davon, dass Tiere nur mit Kollegen zur letzten Station ihres Lebens reisen sollten. Rinder mussten spätestens drei Stunden nach dem Schlachten verarbeitet werden, Schweine sogar bereits nach zwei Stunden. Nur dann befand sich das Fleisch im Warmfleischzustand und besaß die natürliche Fähigkeit, Wasser und Fett zu binden. Mit etwas Salz entstand eine einheitliche Masse höchsten Geschmacks. Fand die Verarbeitung später statt – bei Supermarktfleisch leider ein übliches Faktum – musste mit Phosphaten, Zitraten, Emulgatoren und Geschmacksverstärkern nachgeholfen werden. Jammern und Wehklagen brachte ihn nicht weiter. Hier war das Motto seines Vaters zu beherzigen: Hartnäckigkeit macht sich bezahlt. Er duschte, zog sich an und stieg in sein braves Auto, um sich in die Höhlen der Löwen zu wagen.

»Die Sitte, die Eingeweide eines Tieres in seinem Magen zu kochen, lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen, mindestens bis zu den Römern.«

Laura Mason und Catherine Brown in »The Taste of Britain«

Das Auge des Feinschmeckers

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