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James Bond lässt grüßen

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Die dunklen Häuser des Stadtteils Fountainbridge pfiffen auf gutes Aussehen, solange sie nur ihren Bewohnern eine sichere Zuflucht bieten konnten. Äußerlich ähnelten sie einer Ansammlung von Mini-Burgen, gebaut für die Stadtbewohner der Neuzeit. Besucher konnten durch die knappen Vorhöfe hindurch gut erspäht werden. Freilich mussten die Menschen des 21. Jahrhunderts weder eine Zugbrücke überqueren noch mit siedendem Pech rechnen. Die einzige heiße Essenz, die man ihnen offerierte, war eine gute Tasse Tee. Und obwohl man Sean Connery den Wegzug aus seinem Viertel nach Jahrzehnten noch übel nahm, käme auch er in diesen Genuss. Aus dem Guest House »Villa Buongiorno« trällerte eine Stimme unaufhörlich »I love you, I love you«. Der Papagei saß in einem Käfig und bewegte außer den künstlichen Stimmbändern rein gar nichts. Er würde sehr wahrscheinlich noch älter werden als ein leibhaftiges Tier. Sein Herz konnte nicht aussetzen, allenfalls die Batterie, die das integrierte Tonband antrieb. Die Dame seines Herzens, Maria Vitiello, schmunzelte und schüttelte den Kopf, während sie weiter die Kartoffeln schälte. Was für eine Zukunft hätte sie mit dem kleinen Stoff-Caruso auch haben können? Ihr Mann Alberto, den sie mitsamt seinem spitzbübischen Humor genießen konnte, seit sich die beiden als Jugendliche zufällig in Edinburgh getroffen hatten, schaltete das Band mit einem Grinsen ab und ging zur Haustür. An diesem Morgen bekam er Besuch von MacDonald, der sich aus dem Bus schwang, in die Leamington Terrace einbog und dabei ein wenig wie ein Seelöwe auf spontanem Landurlaub aussah, mit dem winzigen Unterschied, dass dieser keine glänzend polierten Schuhe tragen würde. Das Guest House offerierte den typischen Geruch von gebratenen Eiern mit Schinken. Tausende von herzhaften Frühstücken waren hier bereits serviert worden. »Ciao, Alberto, heute ist wieder ein herrlicher Tag, nicht wahr?«, rief er, sich des unerschöpflichen Erlebnisfundus des Hauses bedienend. In einer meteorologisch unerquicklichen Zeit hatte Alberto einst zwei reizende, ältere Damen aus den USA beherbergt. Dank ihrer extremen Kurzsichtigkeit merkten sie nicht, dass es Katzen hagelte und er begrüßte sie drei Tage hintereinander enthusiastisch mit demselben Satz. Heute war Alberto allerdings so in Gedanken, dass er das Zitat nicht erkannte. »Ciao, Angus. Wenn ich an die Evakuierung von gestern denke, geht’s mir in der Tat ausgesprochen gut.«

»Hattest du Bombenalarm?«

»Eher Heißmilchalarm. Ein Gast wollte sich Milch warm machen, im Wassererhitzer! Es hat drei Stunden gedauert, die Bescherung von der Decke zu kratzen. Kannst du dir das vorstellen?«

»Du meine Güte, der wollte wohl ›Under Milk Wood‹ von Dylan Thomas in die Tat umsetzen?«

»Es gibt Schlimmeres im Leben, zum Beispiel den Kommentar eines Kollegen. Er hat mich gefragt, worüber ich mich aufrege. Bei ihm hat letzten Monat ein Gast versucht, sich Baked Beans zu kochen, was der Wassererhitzer auch persönlich nahm. Er hat Fotos geschossen für die Versicherung. Wenn du jemandem gehörig Angst machen möchtest, leihe ich dir sie gerne aus. Vielleicht für Halloween? Auf Ideen kommen die Leute. Wie läuft es bei dir so?«

»Ich habe gestern Abend einen abscheulichen Imbiss serviert bekommen.«

»Das wundert mich gar nicht, Angus. Eure schottische Küche! Alles wird frittiert: Fisch, gekochte Eier, sogar Schokoriegel!«

»Es war beim Mexikaner«, erwiderte MacDonald, der sehr wohl wusste, dass Alberto nur Köche ernst nahm, die aus Italien stammten und eine professionelle Ausbildung absolviert hatten, so wie er.

»War das Personal mexikanisch?«, fragte Alberto, denn diese Küche war ihm fast so sehr zuwider wie die der Yanks.

»Nein, vermutlich eher schottisch.«

»Aha! Was hattest du denn?«

»Zunächst so einen unangenehmen Geschmack im Mund ...« »Ich meinte, was du zu essen hattest.«

»Wenn ich das nur wüsste. Der Fleischgeschmack war derart fremdartig und widerwärtig, dass er mich noch immer tyrannisiert. Als ob ich ständig an einem Abfallhaufen schnuppern würde.«

»Puh, dann muss es schlimm gewesen sein, denn das schaffen normalerweise nur ranziger Knoblauch oder Kohlblätter, die das Zeitliche gesegnet haben.« Alberto stemmte die Arme in die Seiten, ein Zeichen für angestrengtes Sinnieren.

»Was überlegst du, mein Freund?«

»Nun«, erwiderte er amüsiert, »vielleicht haben sie dir eines dieser großen, garstigen Tiere serviert. Sie werden gerne für die Herstellung von Handtaschen benutzt.«

»Du meinst, Alligatorenfleisch. Nein, das war es keineswegs.«

»Woher willst du das wissen?«

»Nun, ich habe bereits ...« MacDonald brach ab, weil er nicht wollte, dass sein Freund einen falschen Eindruck von ihm bekam. Er wusste, wie tierlieb Alberto war.

»Sag bloß, du hast schon Krokodilfleisch gegessen. Raus damit«, rief Alberto, der keinerlei Probleme damit hatte, belustigt.

»Nun, äh, in Südafrika aß ich einmal ein Crocodile Carpaccio. Das war es jedenfalls nicht.«

»Ich glaube dir aufs Wort. Du bist wahrscheinlich der einzige Mensch auf der Erde, der am Geschmack eines Huhns erkennen kann, auf welchem Bein es nachts geruht hat.«

»Jetzt übertreibst du aber.«

»Viel hängt auch davon ab, wie die Tiere gehalten werden. Heute ist das meist eine einzige Quälerei.«

»Was gibt es bei euch zum Lunch?«

»Nichts Besonderes, einen kleinen Salat, Pasta und dann etwas Fisch.«

»Die Pasta stellst du selbst her, wie ich annehme?«

»Aber natürlich, Angus. Zufällig bin ich in der Gastronomie tätig und weiß, wie es gemacht wird.«

»Apropos, kannst du mir vielleicht ein gutes italienisches Restaurant in der Stadt nennen?«

»Leider nicht. Die kennen hier noch nicht mal die typischen Gerichte. Das letzte Mal, als ich an einem dieser unwirtlichen Plätze mein Geld verschleuderte, musste ich dem Kellner erklären, dass ein mit Wasser verpanschter Reis noch kein Risotto ist.«

MacDonald schüttelte irritiert den Kopf: »Das Problem ist, dass in den meisten Fällen noch nicht einmal der Koch aus Italien kommt.«

»Und wenn, dann hat er garantiert in meiner Heimat am Betonmischer gestanden. Angus, verrate mir mal, wie du es hier aushältst, wo du dich auch noch beruflich Tag für Tag damit herumschlagen musst.«

»Das frage ich mich selbst häufig.«

»Wie lautet die Antwort?«

»Keine Ahnung.«

»Ich weiß nicht, ob es dich tröstet, aber Edinburgh hat in kulinarischer Sicht extreme Fortschritte gemacht. Früher war Olivenöl zum Beispiel Mangelware. Das hast du nur in Miniaturfläschchen bekommen, in der Apotheke!« Alberto zuckte die Schultern und schaute sehnsüchtig in Richtung seiner grünen Oase, was MacDonald nicht unbemerkt blieb. »Was macht der Garten?«

»Mir vor allen Dingen eine Menge Arbeit«, stöhnte Alberto, »aber Maria hilft er, sich zu entspannen.«

»Lass dich nicht aufhalten, sonst schießt noch der Salat.«

»Im Moment muss ich mir eher irgendetwas ausdenken, was die Füchse vertreibt.«

»Du hast Füchse im Garten?«

»Oh ja, die schleichen von The Meadows rüber. Wenn du willst, erlege ich dir heute Nacht einen. Ich mag sie nicht allzu sehr. Richten nur Schaden an. Komisch, dass die sich plötzlich so vermehrt haben. Ich frage mich, ob man die Biester essen kann.« »Das würde ich an deiner Stelle bleiben lassen. Füchse schmecken vermutlich noch schlechter als das Fleisch beim ›Texmex‹.«

»Wirst du die Sache mit dem Restaurant weiter verfolgen, Angus?«

»Darauf kannst du dich verlassen! Meine gesamte freie Zeit werde ich investieren.«

»Weißt du, wem das Lokal gehört?«, fragte Alberto abwesend, bereits mit einem Bein im Garten.

»Noch nicht, aber ich habe eine Idee, wen ich darauf ansprechen kann.«

Nachdem Alberto seinen Freund zur Tür gebracht hatte, zwang er seiner Frau ein Gespräch auf. So stellten sich für sie mitunter seine langen Monologe dar. »Maria, hörst du mir überhaupt zu? Ich weiß gar nicht, warum du ständig die Nase in deinen Blätterwald stecken musst. In der Zeitung steht doch nie etwas Neues.«

»Woher willst du das wissen? Du liest doch höchstens die Überschriften.«

»Genügt völlig.«

»Und doch ist dein bester Freund Journalist.«

»Erstens schreibt er nicht über Mord und Totschlag, sondern über la cucina. Und zweitens sehe ich es kommen, dass ich dem Herrn auch dieses Mal wieder aus der Patsche helfen muss.«

»Solange du dich nur aus der Schusslinie hältst.«

Alberto legte die Hand auf die Brust. »Keine Sorge, so schnell mache ich dich nicht zur Witwe.«

»Das hast du das letzte Mal auch gesagt.«

»Nun? Steht etwa ein Geist vor dir?« In Wahrheit musste er sich zu Hause mehr fürchten als auf der Straße, so viele Kriminalgeschichten las seine Gattin. Weil sie früher oder später auf dumme Ideen kommen könnte, schlief er bereits mit einem offenen Auge.

»Ein Intellektueller ist für mich jemand, der die Ouvertüre zu Wilhelm Tell anhören kann, ohne dabei an den ›Lone Ranger‹ zu denken.«

Billy Connolly, Kabarettist und Schauspieler aus Glasgow

Das Auge des Feinschmeckers

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