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Wenn das Leben dir Bitterorangen gibt …

Angus MacDonald war beglückt! Um zehn Uhr in der Früh lieferte der Paketbote feinste Bitterorangen aus Mallorca, und dem ersten Kapitel seines Marmeladenbuches stand nichts mehr im Wege. Für gewöhnlich sendeten die Betreiber der mallorquinischen Bio-Plantage Fet à Soller keine Ware nach Großbritannien. Doch nach seinem Zeitungsartikel über außergewöhnliche Fruchtqualität kam es zum ebenso unerwarteten wie geschätzten Genuss. So saß er nun in der Küche und inspizierte eine Orange nach der anderen. Makellos! Etwa zehn Minuten später, beim Sortieren von Einmachgläsern, klingelte es wieder: RING! RING! RIIIIING! Bonuslieferung mit Whisky? Gerne einen zwölfjährigen Glenallachie. Weit gefehlt, Freund und Co-Detektiv Alberto Vitiello wollte sich auf ungestüme Art Eintritt verschaffen, und unmutig schritt MacDonald zur Haustür.

»Du bist ja zu Hause!«

Der Italiener hielt wie meistens sein mobiles Telefon in der Hand, auf Italienisch liebevoll Telefonino genannt. Es gab zu viele Menschen, die ohne dieses Gerät nicht mehr lebensfähig waren. »Auch euch beiden einen schönen guten Morgen.«

»Wieso Plurale? Ich bin nicht il pappa. Der Papst wohnt in Roma!«

»Auf deinen kleinen Begleiter bezog ich mich.«

»Che? Was? Ist ja auch egal. Wir müssen dringend reden.«

»Habt ihr keine Gäste zu versorgen?«

»No! Im Winter verirren sich kaum Touristen nach Schottland.«

»Du willst mir helfen, Marmeladenrezepte zu entwickeln?«

»Niemals!«

Angesichts solcher Heftigkeit wich MacDonald zurück.

»Als Kind verbrühte mich meine Großmutter mit kochend heißer Frutta!«

»Doch nicht absichtlich?«

»Nein, aber der Schmerz war furchtbar. Es dauerte Jahre, bis die riesige Brandwunde auf meinem Arm verschwand. Sprechen wir in la cucina?«

»Dein Wunsch ist mir Begehren.« MacDonald wies mit gestrecktem Arm den Weg. »Bitte sehr, auf in die Küche.«

»Was ist denn hier passiert? Es riecht wie im Orangenhain.« Vitiello las laut den Slogan der Obstkiste. »Fresca da Mallorca! Kann man wohl sagen. Frischer geht’s kaum.«

»Betörender Duft, nicht wahr?«

»Si, incredibile! Doch deswegen bin ich nicht zu dir gekommen.«

»Earl Grey?« MacDonald füllte den Wasserkocher und drückte das Knöpfchen. »Nehmen wir eine Kleinigkeit zu uns?«

»Maria meint, ich solle abnehmen und deine Frau Doktor …«

»Hobnobs?«

»Bitte, ja. Angus, höre mir genau zu. Es geht um Apolonia Hope-Weir.«

»Jene junge Dame von Crazy Jam?«

»Esatto. Sie steckt in Schwierigkeiten.«

MacDonald schwante, dass man ihn von seinem Buchprojekt fernhalten wollte. »Was ist das Problem?«

Alberto wischte über sein Telefon und hielt es ihm unter die Nase. »Schau selbst.«

Zögerlich nahm Angus den Apparat in die Hand. »Leider kann ich nichts erkennen. Sind Beeren abgebildet? Blumenbeete gar?«

»Früher oder später benutzen wir alle Lesebrillen! Gesicht, Gesicht.«

»Menschliches Antlitz?!«

Alberto nickte wie jemand, der kondoliert.

»Armes Mädchen! Wer richtete sie so grässlich zu?« Angus, seines letzten Satzes gewahr werdend, biss sich in die Unterlippe. Aufbegehren war schier unmöglich, denn Menschen in Not konnte er Hilfe nicht verweigern.

Vitiello betrachtete ihn aufmerksam und nickte. »Genau das müssen wir herausfinden.«

»Es tut mir sehr leid, aber Angus MacDonalds Zeitkontingent für Detektion ist erschöpft. Der letzte Fall usurpierte zu viel Aufmerksamkeit.«

»Mir ging es nicht anders, Amico.«

»Erstaunlich, in meiner Erinnerung beteiligte Herr Guest-House-Betreiber sich an der Ermittlung nur widerwillig. Im Prinzip löste ich den Fall alleine.«

»Einspruch! Wäre ich nicht gewesen, hättest du immer noch mit einem Wasserrohrbruch zu kämpfen! Was gibt es so Dringendes zu tun?«

»Ich entwickle Marmeladen-Rezepte.«

»Die arme Apolonia hat Todesangst und du kochst Blutorangen ein?«

»Keine Kruditäten, bitte! Wo kommen wir mit schwammiger Ausdrucksweise hin! Bitterorangen sind es, nicht Blutorangen.«

Alberto betrachtete beschämt den Boden. Ging es um Essen und Trinken, verstand der große Gourmet keinen Spaß.

MacDonald zupfte am Ärmel seines Harris-Tweed-Jacketts.

»Verzeih, Alberto. Ich wollte nicht laut werden. Gibst du mir bitte mehr Fakten?«

»Du bist also mit von der Partie? Eccelente!«

»Wann wurde die Fotografie angefertigt?«

»Vor zwei Wochen.«

»Augenblick mal. Wenn die Geschädigte kein Problem mit solcher Verunzierung hat, warum werden wir dann tätig?«

»Apolonia verbrachte die letzte Zeit im Bett.«

»Ja …?«

»Es ging ihr nicht gut.«

»Raten soll ich demnach? Schön, sie möchte Polizisten fernhalten, nimmt die Sache nicht ernst, hält auch private Detektive für überflüssig?«

Alberto lachte. »Genau unsere Kragenweite.«

»Da kann man geteilter Meinung sein. Woher kennst du Miss Hope-Weir?«

»Ihre, äh, Mutter ist Italienerin.«

»So betrachtet müsste ich jedem schottischen Verbrechensopfer helfen, was schon daran scheiterte, dass ich …«

»… nur Verbrechen aufkläre, die sich gegen authentisches Essen und Trinken wenden.«

»Schlaumeier!«

»Grazie.«

»Woher stammt Miss Apolonias Familie?«

»Edinburgh, South Morningside.«

»In Italien, meinte ich.«

Alberto tupfte sich Schweiß von der Stirn. »Friuli …«

»Wie schön. Aus größerer Stadt? Udine, Triest gar?«

»Cormons«, sagte der Italiener leise.

»Dein Heimatort.«

Ein Gentleman bedrängt niemanden, und so hatte Angus nicht nachgefragt. Falls Alberto ihm mehr über sein Verhältnis zu Familie Hope-Weir mitteilen wollte, würde er es tun. Mangelnde Lust zu reden konnte man ihm nicht vorwerfen. MacDonald schritt in das Arbeitszimmer und schaltete den Computer ein. Gegensätzlich zum Gros der Mitmenschen zog er nur fundierte Quellen zu Rate. Keinesfalls gehörte dazu ein sogenanntes Lexikon selbst ernannter Experten. Marmelade zu kochen hatte in Apolonias Familie Tradition, wie ihm die Firmen-Website suggerierte. Außergewöhnlich an Miss Hopes Kreationen waren die Zutaten. Niemand vor ihr verwendete etwa Gemüse. Auch ich nicht, dachte sich MacDonald, der keinem kulinarischen Wagnis abgeneigt war. Geradezu genial, das Gemüse mit Obst zu kombinieren: etwa Pastinake mit Mango, in kräftigem spanischem Rotwein gebadet. Anfangs bot Apolonia ihre Kreationen Nachbarn feil, für ein vierzehnjähriges Mädchen sehr mutig. Kaum abgekühlt, wurden die Produkte höflich lächelnd entgegengenommen und bezahlt. Der Teenager ging zu Wochenmärkten und Festen, sämtlichen schottischen Jahreszeiten wacker trotzend, mitunter zu mehreren an einem Tag. Selbst die größten Kritiker verstummten, wenn sie kosteten und Miss Hopes Beharrlichkeit siegte. Jedermann und jede Frau wollte ihre Marmeladen kosten. Die Familienküche mutierte zur Produktionsstätte, für kochende Italiener ein immenses Opfer. Dennoch ließen sich pro Tag nur tausend Gläschen produzieren. Zu wenig, um die Nachfrage zu befriedigen. Miss Hope-Weir erwarb eine Fabrikhalle und beschäftigte Angestellte. Die Familie war nicht reich. Der Vater starb früh und Mutter Hope-Weir zog Apolonia mit schmalem Angestelltengehalt alleine auf. Woher stammte das Kapital? Banken konnte man ausschließen. Von privaten Gönnern? In keinem der zahlreichen Interviews mit Miss Hope-Weir gab es Hinweise. Normalerweise machten sich Journalisten über so etwas Gedanken …

Am nächsten Morgen stieg MacDonald in seinen geliebten VW Käfer und kämpfte sich Dean Villages Anhöhe hoch. Irgendetwas stimmte nicht. Selbst auf gerader Strecke ruckelte das Gefährt. Die weitere Fahrt ging er gemächlich an und war froh, es bis zur Villa Buongiorno zu schaffen. Alberto wartete vor der Tür, trommelte auf der Armbanduhr einen mahnenden Marsch. »Du bist zu spät!«

»Good morning, sir.«

»Fahren wir endlich los?«

»Warum mit Grüßen Zeit verschwenden. Jawohl, wir können aufbrechen, doch mit meinem Fahrzeug nicht. Maria …?«

»Außer Haus, einkaufen, Freundin treffen. Irgend so etwas. Andiamo!« Vitiello schloss die Haustür ab, drückte zweimal dagegen und spurtete los.

»Behältst du dieses Tempo bei, sollte ein Spitalbett für mich bereitgehalten werden.«

»Diätest du wieder?«

»Wie wir alle wissen, führen solche Kasteiungen zu nichts. JoJo-Effekt ist unser Stichwort.«

»Geht es Leibärztin Karen gut?«

»Davon gehe ich aus!« Immer diese Frage! »Bat dich Miss Hopes Mutter um Hilfe?«

»Ja, nein, ich meine ja. Warum?«

»Du sagtest, dass Apolonia Hope-Weir alles auf die leichte Schulter nimmt. Sie wird es also kaum gewesen sein.«

»Keiner kann Sherlock Holmes etwas vormachen.«

»Danke für die Blumen. Wo wurde die junge Dame niedergeschlagen?«

»Vor ihrer Haustür.«

»Sie wohnt alleine?«

»Ohne Familie, aber mit Butler. Ist nicht schlimm, oder?«

»Eher sympathisch. Ich wäre auch der Letzte, Hausbetreuern ihren Lebensunterhalt abzustreiten. Höchst ehrenvolle Tätigkeit.«

»Siamo arrivato.«

»Bis zur Bushaltestelle ist es aber noch ein gutes Stück des Weges.«

»Apolonia wohnt in Hausnummer 47.«

»In deiner Straße? Seit wann bitte?«

»Noch nicht lange.«

»Großes Anwesen. Woher bezog die junge Dame ihr Startkapital?«

»Müssen wir immer gleich ans Geld denken?«

»Für den Fall könnte es wichtig sein.«

»Heute ist kein guter Zeitpunkt!«

»Erwartest du dringende Nachrichten, Alberto?«

»Nein, wieso denn?«

»Du betrachtest das mobile Telefon aufmerksamer als den Bürgersteig. Stolpergefahr!«

Alberto blieb stehen, zückte einen kleinen Handspiegel und kämmte sich.

»Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich zum Friseur gegangen«, scherzte Angus. Vor der Eingangstür lagen Terracottafließen, davor standen Yuccapalmen. »Erstaunlich, dass die Gewächse unserem Klima trotzen, und hattest du nicht gesagt, dass Familie Hope-Weir aus dem Friaul stammt?«

»Si, wieso fragst du?«

»Dieser Vorhof besitzt süditalienisches Flair.«

»Wie es einem gefällt.« Alberto öffnete mit beiden Armen das schwere, schmiedeeiserne Tor. »Ob die Palmen echt sind?«

»Selbstverständlich«, schepperte eine Stimme aus der Gegensprechanlage. »Dieser Vorhof verfügt über Open-Air-Bodenheizung.«

»Wer war das?«, fragte Angus.

»Vielleicht der Butler.«

»Ganz recht.« Mit sonorem Ton öffnete sich die Tür. »Bitte einzutreten. Sie werden erwartet.«

»Mister MacDonald hatte Probleme mit seinem Auto«, erklärte Vitiello.

»Eine Rolle spielt das kaum mehr.«

»Stimmt, Signore.«

»Bin ich nicht«, tönte es aus dem Apparat.

»Prego?«

MacDonald kniff Alberto in den Arm. »Wir nehmen Ihr Angebot an, Sir.«

»Äh, was?«

»Gerne tritt man ein.«

MacDonald betrachtete die junge Dame, wie einem Gemälde entsprungen, vermutlich zu lange. Kein Aussehen, welches man klischeehaft mit Italien verband: elfenbeinfarbene Haut und feuerrote Haare, dabei schlank und von hohem Wuchs, rundum reizende Erscheinung, im Overall, der ihr auch bekleckert noch ausgezeichnet stand. »Sie sind der Butler?«

»Wie ein Mann möchte ich kaum aussehen!«

»Es ist nur, weil gerade dieser Gentleman zu uns sprach …«

»Nönö, das war ich.«

»Sind Sie sicher?«

»Absolut, ja. Wenn Reginald frei hat, äff ich ihn gerne nach.

Verpfeift mich bloß nicht!« Sie steckte die Hände in die Hosentaschen und wackelte mit dem Kopf. »Ahaha!« Nur aufgrund der Buchstaben war das Lachen als solches zu erkennen.

Der Gourmet streckte ihr die Hand entgegen. »Angenehm, Angus Thinnson MacDonald.«

»Wer hat sich den Namen ausgedacht?«

»Dahinter steckt eine außerordentlich lange Geschichte.« Am liebsten würde er der jungen Frau diese verschweigen.

»Hab’ Zeit.«

»Ciao Apolonia«, sagte Alberto.

Sie küsste Vitiello schmatzend auf beide Wangen. »Also, Mister MacDonald …?«

»Es geschah in meiner Kindheit. Dad kehrte spätabends vom Pub nach Hause. Wie es der Zufall so wollte, nahm ich gerade einen kleinen Imbiss zu mir. Ständig hänselte er mich wegen angeblicher Gewichtsprobleme. Da viele schottische Nachnamen auf ›son‹ enden, hielt Senior es für glorreich, mir den zweiten Namen »Thinnson« zu verpassen. Als Ansporn, thin, also dünn, zu werden.«

»Das habe nicht einmal ich gewusst«, sagte Alberto. »Aber warum schreibt man’s mit zwei ›n‹?«

»Müssen wir das ebenfalls erörtern?«

»Au ja«, sagte Apolonia.

»Papa war, äh, betrunken … am nächsten Tag wollte er nicht mehr davon abrücken, erklärte, dass doppelt besser hält. Im Laufe der Zeit vergaß ich den eher peinlichen Ursprung des zweiten Namens und gewann ihn lieb. Können wir nun bitte über den Fall sprechen?«

»Wollen wir uns duzen?«

»Naturalmente«, erwiderte Alberto für seinen Freund und klopfte ihm auf die Schulter. »Oder, Angus?«

»Freilich«, sagte der Gourmet, obwohl kein Freund rascher Vertraulichkeit. »Wir sind gekommen, um über das Missgeschick zu parlieren.«

»Parlieren? Italiener sagen parlare. Stimmt’s, Alberto?«

»Sisi, parlare«, erwiderte Vitiello, als ob man ihn zu einem bedeutenden historischen Ereignis befragte.

»Miss Hope-Weir, niedergeschlagen zu werden, ist grässlich. Auch mir widerfuhr es schon.«

»Widerfahren, klasse!«

Sie würde hoffentlich nicht jedes seiner Worte wiederholen?!, dachte MacDonald.

»Excusa. Wollte dich nicht vor den Kopf stoßen, Angus. Nönö.«

»Das geht mir ein wenig zu …« Beinahe hätte er sich beschwert, geduzt zu werden! »Alberto erzählte mir, dass die Untat vor der Haustür geschah.«

»Hab’s mir anders überlegt. Spielt keine Rolle mehr.«

»Was zum Kuckuck …«

»Tolles Haus hast du, Apolonia«, lobte Alberto.

»Grazie. War ’ne Menge Arbeit.«

»Sie richteten selbst ein?«

»Uno momento, Angus! Ich möchte den Flur verlassen und endlich Apolonias Cucina sehen.«

»Italiener und ihre Küchen!«

»Willst du sie etwa nicht in deinen geliebten Augenschein nehmen, Mister Angus?« Apolonia lächelte. Die Küche befand sich auf der Rückseite des Hauses. Zwei große Glastüren mündeten in einen schmucken Garten. Treibhäuser, wohin das Auge blickte. Aadi Panicker, ehemaliger Klient, besaß auch so ein städtisches Kleinod. »Zahlreiche Fruchtwünsche des Marmeladenkochs gehen hier in Erfüllung. Miss Apolonia, traumhaft ist es bei Ihnen.«

»Wir duzen uns! Schon vergessen?«, tadelte Alberto.

»Bitte um Verzeihung und werde mich bessern. Man merkt, dass Sie, äh, du deinem Beruf mit Leidenschaft nachgehst, Apolonia.«

»Wenn du Crazy-Jam-Marmeladen schon probiert hast, weißt du, dass Passione in ihnen steckt.«

»Selbstverständlich«, beteuerte MacDonald.

»Ahahaha!«

Erneut dieses Lachimitat! Bizarr!

»Auf den Arm genommen. Bist voll drauf reingefallen.« Apolonia klappte den Mund zu, so hastig, dass es sich anhörte, als ob jemand einen Stein ins Wasser warf. »Solange du mich nicht fragst, woher ich die Rezepte habe, Angus.«

»Weiß ich doch. Aus dem Internet! Isst du deine Erzeugnisse auch?«

»Schrott rühre ich nicht an!«

»Lebst du vom Verkauf der Marmeladen, Apolonia?«

»Weiß nicht. Du von den Büchern?«

MacDonald senkte das Kinn. »Nein, zum Lebensunterhalt führe ich einen landwirtschaftlichen Betrieb. Kuh Brenda gibt großzügig Milch, mit der ich Käse, Quark und Joghurt herstelle. Gütige Schafe spenden Wolle.«

»Jetzt schlägt’s dreizehn!«, rief Vitiello. »Hast du Miss Armours Vierbeiner zurückgeholt?«1

Apolonia legte ihm die Hand auf die Schulter. »No, Alberto, wir wiederholen nur dämliche Fragen, die man uns ständig stellt.«

»Es ist mir eine große Freude, nicht der einzige leidgeprüfte Mensch zu sein.« MacDonald sah sich in der Küche um. Waage, Thermoskanne, Espresso-Maschine mit Kapselsystem, alle Accessoires aus Italien. »Alessi?«

Apolonia nickte. »Sind schick und funktionieren gut.«

»Letzteres ist längst nicht bei allen Designer-Artikeln der Fall.«

Alberto pfiff. »Excusate. Störe ich eure Unterhaltung?«

MacDonald schüttelte den Kopf. »Nein, völlig korrekt. Konzentrieren wir uns auf den Fall.«

»Wie ’ne Krimi-Serie der BBC«, meinte Apolonia.

»Es steht zu befürchten, dass der Rabauke abermals auftaucht.«

»Warum denn?«

»Erfahrungen leidgeprüfter Detektive.«

»Prima!«

Grund zur Freude gab es nicht eben! »Apolonia, wir möchten verhindern, dass dir erneut Schmerzen zugefügt werden.«

»Angus, du bist goldig.«

»Danke für dieses Kompliment. Ist dir der Rabauke bekannt?«

»Was ist das?«

»Ein Schläger.«

»Mit so was verkehre ich nicht!«

»Niemand wollte das insinuieren …«

»In… wie?«

»Darf ich?«, fragte Alberto listig.

»Bitte, ja. Mein Latein scheint nicht auszureichen.«

»Angus möchte wissen, ob du den Kerl schon mal gesehen hast, in der Nachbarschaft oder irgendwo in Edinburgh?«

»Müssen wir nicht mehr drüber reden!«

»War jemand zugegen, als es geschah?«

»No. Hab’ zu tun. Schinken-Marmelade kocht sich nicht von alleine.«

»Gehen wir zu uns«, schlug Alberto vor und schlenderte los.

»Ich wüsste zu gerne, was sich zum Schinken gesellt.«

»Zucker?«

Der Feinschmecker seufzte. »Gelierzucker, natürlich, denn Schinken besitzt weder Säure noch Pektin. Unbedingt bedarf es aber eines Gegengewichtes im Geschmack. Als Solist wäre Schinken zu mächtig.«

»Kann ich die Tür öffnen?«

»Bitte, was?«

»Wir betreten unsere Villa Buongiorno«, sagte Alberto feierlich.

»Ist deine Bekannte stets so unzugänglich?«

»Non so, weiß ich nicht.«

»Könnte Mrs Hope-Weir senior uns weiterhelfen?«

»Glaube ich kaum.«

MacDonald strich sich den Zeigefinger über die Nase. »Miss Apolonia möchte offensichtlich nicht mehr darüber reden.«

»Wir könnten schauen, wer ihre Konkurrenten sind.«

»Guter Freund, ich bin einige Jahre im gastronomischen Sektor unterwegs und gut vernetzt …«

»Perfetto! Was trinken wir? Nicht wieder Tee, oder?« Alberto machte ein spitzbübisches Gesicht und verschwand in der Küche. Mit großer Flasche und zwei Gläsern kehrte er zurück.

»Speyside-Glenlivet-Mineralwasser!«

Vitiello zelebrierte das Einschenken. »Dein liebstes acqua minerale.«

»Miss Apolonia ist Spitzenreiter im Marmeladenabsatz. Somit kommt jeder andere Produzent als Verdächtiger in Frage.«

»Prost Mahlzeit! Da haben wir eine Menge zu tun.«

»Kennst du ihren Butler?«

»Edinburgher Guest-House-Besitzer müssen nicht abends mit sämtlichen Butlern im Pub sitzen.«

»Mich interessiert, ob er während des Angriffs zu Hause war.«

»Apolonia hat es verneint, oder?«

»Hm, ja. Andererseits sah ich vorhin im Garten einen Mann, versteckt hinter Apfelbäumen.«

»Die gesamte Zeit, während wir da waren?«

»Nachdem ich ihn bemerkte, verschwand er. Später hatte ich den Eindruck, dass sich Apolonia absichtlich vor das Fenster stellte. Mir fällt da etwas ein.«

»Schieß los«, antwortete Alberto, stets zu haben für spontane Eingebungen.

»Apolonias Haus ist nur wenige Meter entfernt. Gehen wir in euren Garten und observieren ihr Anwesen.«

»Als Voyeure?«

»Eher, um der jungen Dame zu helfen.«

»Si, das ist etwas anderes.«

»Es freut mich, dass …« Sinnlos, dachte Angus. Sein Freund öffnete bereits die Tür zum Garten und hörte ihn nicht mehr.

MacDonald nahm das Fernglas von den Augen. »Clan-Stewart-Tartan trägt der Herr.«

»Mehr fällt dir dazu nicht ein?«

»Exzellent verarbeitet. Solche Qualität findet man …«

Vitiello hob imperatorisch den Arm. »Unser Fall hat Vorrang.«

»Eine weniger exaltierte Antwort hätte niemandem zum Schaden gereicht«, empörte Angus sich. »Hast du sein Instrument vorher schon vernommen?«

Alberto kratzte sich umständlich am Kopf.

»Nun?«, fragte MacDonald.

»No! Diese doofe Tröterei wäre mir aufgefallen!«

»Tröterei?«

»Du weißt genau, dass ich Dudelsackspielerei nicht mag.«

Angus sog unwissentlich eine gehörige Portion Sauerstoff ein. »Das hatte ich verdrängt. Sind wir sicher, dass der Herr sich auf Apolonias Anwesen befindet?«

Alberto nickte, die Arme vor der Brust verschränkt, und murmelte »blablabla«.

»Bitte sehr?«

»Si! Absolut sicher.«

»Sehr wahrscheinlich handelt es sich um Butler Reginald.«

»Apolonia sagte, dass er heute frei hat.«

»Gehen wir davon aus, dass die Dame ihren Garten unbekannten Gentlemen zur Verfügung stellt?«

»Kann doch sein.«

»Die durchs Grün huschende Gestalt trug ebenfalls ein rotes Kleidungsstück …«

»So wie dieser Kilt?«

MacDonald senkte das Kinn. »Exakt, mein Freund.«

»Warum sollte Apolonia uns anschwindeln?«

Angus bemerkte, dass Alberto die deutlichere Vokabel anlügen vermied. »Überlege bitte, Alberto. Die junge Dame sagte, dass Reginald frei hat, nicht wo er sich aufhält. Vielleicht wusste sie gar nicht, dass er im Garten weilte.« MacDonald sah wieder durch das Fernglas. »Ob er Franzose ist?«

»Wie kommst du darauf?«

Angus reichte ihm das Fernglas. »Schau, welche Flagge er aufzieht.«

»Die Trikolore, klarer Fall!«

»Unzuverlässige Vermutung. Erstens dürfen auch Schotten die französische Fahne aufziehen und zweitens könnte er eine französische Verlobte haben oder Frankreich-Fan sein. Nimm bitte wieder Kontakt auf zu Apolonia. Falls sie möchte, dass wir ermitteln, bin ich dabei. Ansonsten hat mein Marmeladenbuch Vorrang.«

»Aber …«

»Ich fürchte, das ist in der Angelegenheit mein letztes Wort.«

Weshalb nur bereiten viele Köche ihre Bitterorange-Marmelade so kompliziert zu?, fragte MacDonald sich. Ein repräsentatives Rezept lautete folgendermaßen: Obst drei Minuten in heißem Wasser einweichen, dann schälen. Saft auspressen, Fruchtfleisch kleinschneiden. Schale gut zerkleinern, Kerne in einen Musselinbeutel geben. Alle vier – Saft, Fleisch, Schale und Kerne mit Wasser – etwa zwei Stunden kochen, bis die Schale weich wird. Ebenso umständlich ging es weiter. Der Gourmet bürstete seine Früchte unter fließend warmem Wasser ab, schnitt sie in dünne Scheiben und viertelte diese. Kerne wurden natürlich entfernt. Die Fruchtstücke gab er in seinen Einmachtopf und goss dem Gewicht entsprechend Flüssigkeit hinzu, für jedes Kilo Obst ein Liter Wasser. Seine jüngste Kreation bekam noch drei Esslöffel Drambuie spendiert. Deckel auflegen und über Nacht relaxen lassen. Nicht vergessen, alles feinsäuberlich in seinem Waverley Notebook zu notieren, wie auch den Hinweis für die Leser: »Wir verwenden natürlich biologisches Obst. Wer sich darüber mokiert, dem sagen wir, dass biologisch genannt wird, was früher normal war: Obst und Gemüse nicht mit Gift einzunebeln! Biologische Erzeugnisse sind gesünder, umweltfreundlicher und schmecken besser. Mit einem Trend haben sie nichts zu tun.«

RING. RIIIIING! RIHING!!

Schon wieder?! Er legte die Kochschürze ab.

RIIIIIHIHING!

»Freund Alberto, wie schön, dich endlich einmal zu treffen.«

»Apolonia steckt in Schwierigkeiten!«

»Bemerkenswert. Was gibt es sonst Neues?«

»Sie wurde niedergeschlagen!«

»Mit Verlaub, das weiß ich bereits.«

»Als sie am Morgen ihre Filiale auf der Princess Street aufschloss, verpassten sie ihr noch ein blaues Auge.«

»Waren es mehrere Personen?«

»Heute einer und der neulich. Macht zusammen zwei Ganoven.«

»Tritt bitte ein, mein Guter.« MacDonald blickte über Vitiellos Schulter. »Gefolgt scheint dir niemand zu sein.«

»Daran habe ich gar nicht gedacht!«

»Man kann nie vorsichtig genug sein.« MacDonald führte ihn ins Wohnzimmer, das auf die Straße mündete.

»Apolonia bleibt bei ihrer Meinung. Aber ihre Mutter hat mich auf Knien angefleht zu helfen.«

»Du sprachst mit beiden?«

»Naturalmente. Wofür gibt es Telefone?«

MacDonald lachte.

»Brauchst gar nicht zu kichern. Stimmt doch!«

»Was schwebt dir vor?«

»Minestrone, anschließend eine schöne Portion Pasta.«

»Ich bezog mich auf den Fall, nicht euren Lunch.«

»Zur Princess Street fahren und mit dem Mädchen reden.«

»Soll ich dich begleiten?«

»Hab’ nichts dagegen. Aber was ist mit deinen Blutorange-Marmeladen?«

»Sagen wir, ich bilde mich in Miss Apolonias Geschäft weiter.«

Ihren dritten Edinburgher Shop hatte Miss Hope-Weir auf der Princess Street eröffnet. Angesichts der Mieten war das gewagt. Doch der Erfolg gab ihr Recht. Alle Filialen in Großbritannien waren im gleichen Stil gehalten, scharlachrot und grün die dominierenden Farben. Was man für kühl geplantes Corporate Design hätte halten können, entstand aus der Not. In ihrem ersten Geschäft waren die Wände feucht und nur mit dunkelroter Farbe konnten viele Flecken übertüncht werden. Wo das nicht gelang, nagelte Apolonia grüne Holzlatten an die Wand. Voilà, der Shop-Stil war geboren. MacDonald sagten allzu aufdringliche Farben nicht zu und er kam sich wie im Indoor-Erdbeerfeld vor. Allerdings entsprach es der positiven Verrücktheit der Marmeladen. »Chili Amboss« wurde etwa mit Hokkaido-Kürbis, Schokolade und scharfen, roten Schoten eingekocht. Warum hatte sich noch niemand als Konkurrent betätigt? Sollten die Störaktionen der Auftakt sein?

»Redest du mit mir?«, fragte Alberto, der im Doppeldeckerbus neben ihm saß.

»Gewiss.« Sein Freund hatte glücklicherweise nicht bemerkt, dass er mit sich selbst sprach. Fatale Angewohnheit, die Junggesellen mitunter entwickelten, und man sollte nicht glauben, wie schwer das Übel wieder abzuschütteln war!

»Buono. Aber der Auftakt wozu?«

»Wir müssen erwägen, dass Bösewichter Miss Apolonia und ihr Geschäft systematisch zerstören wollen.«

»Denkst du, dass es sich um misslungene Mordanschläge handelt?«

»Hoffentlich nur Einschüchterungsversuche. Gibt es in der Firma jemanden, der sie ersetzen könnte?«

»Ich weiß von keinem, der so kreativ ist. Halte dich bereit, Angus.«

»Darf ich fragen wofür?«

»Zum Aussteigen. Der Busfahrer biegt auf die Princess Street ein.«

MacDonald strich über das Revers seines Harris-Tweed-Jacketts. »Das werde ich meistern.« In Wahrheit war er für den Hinweis dankbar. Sie saßen nahe des Ausgangs, doch fuhren manche Fahrer derart hektisch, dass man sich nur bedächtig vorwärts zu bewegen vermochte. Alberto tippelte vor ihm her, sich an den beidseitigen Haltegriffen festhaltend.

Der Crazy-Jam-Shop befand sich unweit der Hanover Street. Als die beiden Detektive eintraten, bemerkten sie zwei junge Verkäuferinnen verstohlene Blicke auf ihre Chefin werfen. Sie saß auf einem alten, scharlachrot lackierten Holzstuhl, ihren Eisbeutel justierend. »Was, ihr wieder?!«

MacDonald schickte sich an, auf dem Absatz kehrtzumachen. Doch Alberto zog ihm am Ärmel.

»Erlaube mal, mein gutes Jackett!«

»Willst du schon gehen?«

»In der Tat habe ich das vor!«

Apolonia beobachtete die beiden belustigt. »Ihr solltet im Fernsehen auftreten. Wie heißen die Komiker noch mal? Einer ist so ’n Dünner und der andere …«

»Apolonia«, rief Alberto lautstark, »wie geht es dir?«

Sie zog den Eisbeutel vom Auge und grinste schief. »Nächstes Mal sollen sie mir gleich auf beiden Seiten eins verpassen.«

»Schön, dass du es humorvoll nimmst.«

»Außerdem melde ich mich zum Selbstverteidigungskurs an. Judo, Karate, Boxen oder alles drei!«

»Ist das Ihr Ernst?«

»Dein Ernst! Wir duzen uns. Schon wieder vergessen, Mister Angus?«

»Es war nicht böse gemeint.«

»Siehst du! Meine Begrüßung hab’ ich auch spaßig gemeint.«

Schlagfertige junge Dame! »Konntest du erkennen, wer es war?«

»No! Wie denn? Der Mistkerl trug wieder Skimaske.«

MacDonald war entgeistert. »Davon wissen wir noch gar nichts.«

»Seid ja gerade erst ins Geschäft spaziert.«

»Angus meint, dass du uns vom ersten maskierten Bandito nichts erzählt hast.«

»Ihr habt auch nicht gefragt.«

»Das taten wir sehr wohl.«

»Ob ich den Rabasten kenn, wollste wissen, Angus.«

»Raba… bitte, was?«

»Apolonia meint Rabauke«, informierte Alberto seinen Freund.

»Ja, das war dieses ulkige Wort, Rabauke. Nö, noch nie gesehen.«

»Mit einer Skimaske auf dem Haupt ist es kaum möglich«, echauffierte MacDonald sich.

»Eben.«

»Wer war während des Vorfalls anwesend?«

»Niemand.«

»Die Uhrzeit?«

»Als ich’s Geschäft aufschloss.«

»Um neun Uhr?«

»No, bin immer ein bisschen früher da. So zwanzig vor wird’s gewesen sein.«

»Ja …«, sagte Alberto aufmunternd.

»Der Kerl tippt mir beim Türöffnen auf die Schulter, ich dreh mich um und krieg mein zweites Blauauge.« Sie zeigte auf die unschöne Verfärbung.

Vitiello legte ihr tröstend den Arm auf die Schulter. »Hat jemand den Vorfall mitbekommen?«

»Weiß nicht.«

»Eventuell Passanten, die zufällig vorüberschritten?«

Apolonia wandte sich an Alberto. »Was sagt er?«

»Shopper.«

»Nö, hat keiner was gesehen.«

»Du hast demnach mit jemandem gesprochen?«

»Sisi, ein Mann und eine Frau zogen mich hoch. Bin hingefallen wegen des fiesen Schlags.«

»Keiner der beiden sah etwas?«, setzte Angus nach.

»Warum muss ich alles doppelt erzählen?« Apolonia fasste an die Wunde. »Autsch!«

»Tut es sehr weh?«

»Geht so.«

»Du Ärmste.«

MacDonald bemerkte, dass eine der Verkäuferinnen auffallend oft in ihrer Nähe zu tun hatte. Er nickte ihr freundlich zu, was sie mit finsterem Blick quittierte.

»Das ist Anne«, informierte Apolonia.

»Wie heißt die junge Frau mit Nachnamen?«

»Redpath. Spielt’s ’ne Rolle?«

»Pardon, lästige Angewohnheit von Detektiven. Wir sollten mit den Damen sprechen.«

»Muss das sein?«

»Vielleicht ist ihnen in der letzten Zeit etwas aufgefallen. Wir wollen dir nur helfen, Apolonia.«

»D’accordo. Okay.«

MacDonald hüstelte. »Die andere Dame?«

»Sophie Tawse. Wen zuerst?«

»Miss Tawse, bitte.« Anne Redpath machte den Eindruck, das Gespräch mithören zu wollen. Hatte MacDonald Unrecht, wäre er bereit, nicht den berühmten Besen, aber vermeintliche Gerichte einer nordamerikanischen Fast-Food-Kette zu verspeisen. »Darf ich beginnen, Alberto?«

»Certo, mein Freund.« Vitiello versuchte, sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Aufs Reden verzichten? Große Strafe!

Miss Tawse war nicht größer als einsfünfzig und hatte ein sehr freundliches Gesicht. Wie alle Angestellten trug sie Crazy Jams rot-grüne Schürze.

»Darf ich Sie Sophie nennen?«

Sie nickte. »Warum nicht?«

»Fein. Ich bin Angus. Sie ahnen, warum wir Ihnen Fragen stellen wollen?«

»Weil Apolonia, ich meine Miss Hope-Weir, angegriffen wurde.«

MacDonald lächelte. »Wenn Sie sich duzen, dürfen Sie das natürlich auch in unserem Beisein tun.«

Sie senkte scheu den Kopf. »Vielen Dank.«

»Miss Apolonia wurde zweimal niedergeschlagen und …«

»Zweimal?« Miss Tawse blickte ängstlich zu ihrer Chefin.

»Sie scheinen darüber erstaunt zu sein?«, sagte der Gourmet.

»Es ist nur, weil ich erst jetzt davon erfahre.«

Apolonia winkte ab. »Alles nicht so wichtig.«

»Sie erschienen erst nach dem Vorfall?«

»Hab’ nichts damit zu tun! Glauben Sie mir, bitte.«

»Niemand gibt Ihnen die Schuld. Fiel Ihnen kürzlich etwas Verdächtiges auf? Menschen, die am Geschäft vorbeischlichen, es beobachteten, oder solche, die hereinkamen und mysteriöse Fragen stellten?«

»Wir haben hin und wieder Kunden«, fuhr Miss Tawse fort, »die komische Sachen fragen.«

»Einsame Männer oder Frauen, die Gesellschaft suchen und am liebsten hier übernachten würden«, erklärte Miss Hope-Weir. »Gibt’s in jedem Geschäft.«

Alberto freute sich. »Sisi, wie bei uns in der Villa Buongiorno.«

»Danke für Ihre Hilfe, Miss Sophie«, sagte MacDonald altväterlich. Miss Redpath hielt sich entgegen seiner Vermutung noch am anderen Ende des Ladens auf. Sie war gut einen Kopf größer als die Kollegin, sehr schlank, und trug das pechschwarze Haar schulterlang. Ihrem reservierten Gesichtsausdruck entnahm er, dass der Vorname besser auszusparen war. »Ihre Chefin wurde heute Morgen tätlich angegriffen. Mister Vitiello und ich suchen den Schuldigen.«

»Sind sie von der Polizei?«

»Private Detektive.«

»Mit ordentlicher Lizenz?«

»Wir helfen Menschen in Not, neben unseren Brotberufen.«

»Die da wären?«

»Ich schimpfe mich Autor und Journalist. Mister Vitiello betreibt mit Gattin ein renommiertes Guest House in Fountainbridge.«

»Amateure also?«

Apolonia fuchtelte mit dem Eisbeutel. »Egal! Nicht unhöflich sein, Anne.«

»Mir ist ein Typ aufgefallen. Zweimal war er hier. Hat alle möglichen Fragen gestellt zu unseren Broschüren und Faltblättern.«

Apolonia ging zum nächsten Regal und kam mit einigen Heftchen zurück, die sie Angus reichte.

»Rettet den Regenwald! Gegen Gen-Technik! Chemische Pflanzenschutzmittel – nein danke!«, las MacDonald vor. »Politische Botschaften.«

»Stimmt«, antwortete Miss Hope-Weir.

»In einem Marmeladengeschäft?«

»Unternehmer tragen ethische Verantwortung und die Welt ändert sich nur, wenn jeder etwas beiträgt!«

MacDonald knetete die Hände. »Darf ich fragen, seit wann diese Broschüren in den Shops ausliegen?«

»Drei, vier Monate. Könnt auch ein halbes Jahr sein.«

»Stammen sie alle aus Crazy Jams Feder?«

»Si.«

»Gibt es Themen, die nicht abgehandelt werden?«

»Naturalmente! Alles, was mit Nazis, Frauenhassern und so Typen zu tun hat.«

»Ist euer Schriftgut gratis?«

»Hä?«

»Angus fragt, ob die Heftchen etwas kosten«, erläuterte Alberto.

»Wir sind hier, um Menschen zu helfen!«, rief Miss Redpath. »Nicht, um Kohle zu scheffeln.«

»Anne, hast es noch nicht kapiert?«, tadelte Apolonia. »In erster Linie arbeiten wir natürlich, um Geld zu verdienen. Stell dir vor, wir verkaufen nur noch halb so viel Marmelade. Dann müsste eine von euch beiden Hübschen gehen. Weniger Angestellte bedeutet weniger gute Taten.«

MacDonald ahnte, dass auch seine nächste Frage Unbehagen evozieren würde und war froh, dass ihm als Journalist hartnäckiges Fragen vor langer Zeit schon in Fleisch und Blut übergegangen war, heftige Reaktionen ihn nicht mehr kümmerten. »Mit Taten meinst du das Aushändigen von Faltblättern, ja?«

Apolonia präsentierte wieder ihr spezifisches Lachen: »Ahaha!«

MacDonald rückte seine Krawatte zurecht. »Du und deine Damen seid noch anderweitig politisch aktiv?«

»Wir engagieren uns stark in Projekten«, erklärte Miss Redpath umgänglicher.

»Könnte man dafür Beispiele bekommen, bitte?«

Apolonia nahm sich den Eisbeutel vom Auge und warf ihn achtlos unter ihren Stuhl. »Verschiedene Wege. Wir betreuen Häftlinge, Menschen in der Psychiatrie, AIDS-Kranke. In den Läden dürfen Menschen immer wieder aus ihrem Leben erzählen.«

Miss Tawse meldete sich zu Wort. »Teapartys nicht vergessen, Apolonia.«

»Zusammenarbeit mit Bauern«, sagte Anne Redpath bebend.

Apolonia verzog das Gesicht. »Ist schon gut. Wir wollen nicht angeben.«

»Schön auch, dass ihr unabhängige Landwirte unterstützt«, sagte Alberto, um die Stimmung zu bessern.

MacDonald nickte. »Fürwahr. Es wäre zu wünschen, dass mehr Unternehmer so handeln. Die Kehrseite ist leider, dass angesichts all dieser Aktivitäten die Zahl unserer Verdächtigen steigt.«

»Kann mir nicht vorstellen, dass Apo noch mal niedergeboxt wird«, sagte Miss Redpath mit felsenfester Überzeugung, was MacDonald sehr ungehalten machte.

»Doch ich hatte einen tristen Traum, Jenseits der Insel Skye sah ich einen verstorbenen Mann einen Kampf gewinnen, und ich denke, der Mann war ich.«

»Die Schlacht von Otterbourne« (anonym)

1 Alberto spielt hier auf »Currys für Connaisseure« an.

Bittere Orangen im Glas

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