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2. Systemische Grundbegriffe und das psychisches System

Der Mensch besteht aus vielen System und Subsystemen und erst aus ihrer wechselseitige und zirkuläre Bezogenheit entsteht das, was wir unter dem Begriff des Menschen zusammenfassen. Damit der Mensch konstituiert werden kann, ist er auf das Wechselspiel von biologischem, psychischem und sozialem System angewiesen. Zum biologischen System des Menschen gehören u.a. die Gene, die Zellen der Haut als äußere Begrenzung, das Herz-Kreislauf-System, das Verdauungssystem, das Nervensystem, das Gehirn und das Immunsystem. Sicherlich gibt es noch weitere biologische Systeme im System Mensch, aber zur Veranschaulichung reichen die aufgeführten Beispiele aus. Hinweisen möchte ich an dieser Stelle, dass die oben genannten biologischen Systeme starke Rückwirkungen auf das psychische System haben können und umgekehrt. Wenn der Mensch krank ist und sein Immunsystem zur Abwehr der Krankheitserreger aktiv wird, so hat dies Folgen für das psychische System. Der Körper reagiert mit Schlappheit und Fieber und dies führt zu einer verminderten Belastungsfähigkeit und Aktivität des psychischen Systems, da durch die Krankheit das Ruhebedürfnis aller Systeme des Menschen stark vergrößert wird.

Zum psychischen System des Menschen gehören seine Gedanken, Motivationen, Emotionen, Wirklichkeitskonstruktionen und seine affekt-kognitiven Schemata. Auch sie wirken auf das biologische System ein. Ein Mensch, der sich ständig traurig und leer fühlt, wird eher erkranken. Die Gefühle der andauernde Traurigkeit können zu einem Absinken der körpereigenen Abwehrkräfte führen und die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung zunehmen.

Das soziale System besteht aus Personen und dem Austausch von Kommunikationen. Kommunikationen wirken auf das psychische System ein. Sie wirken auf die Emotionen, Wirklichkeitskonstruktionen, affekt-kognitiven Schemata oder die Motivation eines Menschen. Ohne ein soziales System ist die Entwicklung des Menschen nicht möglich. Aufgrund des Verlustes seiner Instinktprogramme ist der Mensch auf Erziehung und Sozialisation angewiesen, um überleben zu können. Erziehung und Sozialisation wird immer in sozialen Systemen vollzogen, in der Regel in der Familie und Bildungsinstitutionen wie Kindergärten, Schulen, Hochschulen oder Ausbildungsstätten. Sie haben entscheidenden Einfluss auf die Genese der menschlichen Persönlichkeit und seiner Wirklichkeitskonstruktionen. Alle drei Systeme sind eng miteinander verknüpft und tragen wesentlich zur Konstitution „Mensch“ bei.

2.1 System und Umwelt

Ich habe in dem ersten Abschnitt oft von Systemen gesprochen, ohne den Begriff des Systems näher zu definieren. Unter einem System versteht Luhmann, „die Differenz zwischen System und Umwelt…. Ich gehe davon aus, dass ein System die Differenz ist, die Differenz zwischen System und Umwelt.“ (Luhmann 2004, S. 67). In der Systemtheorie geht es um Differenzen, um Unterschiede. Man könnte die Luhmannsche Systemtheorie daher als Differenztheorie bezeichnen. Systeme unterscheiden sich von ihrer Umwelt. Sie lassen sich deutlich und dauerhaft von der Umwelt abgrenzen. Dabei bestehen sie solange, solange sie die Unterschiede zur Umwelt aufrechterhalten können. Können die Systeme die Unterschiede zur Umwelt nicht aufrecht halten, zerfallen sie.

Systeme bestehen aus Elementen und deren Relationen zueinander. Diese Elemente und Relationen bilden in der Art und Weise ihrer Vernetzung den Unterschied zu anderen Systemen, die für sie selbst Umwelt sind (vgl. Kneer/ Nassehi 1997, S. 18ff). Die Elemente und deren Relationen zueinander, das System, besitzen daher eine Grenze zu ihrer Umwelt, um das Fortbestehen ihrer Elemente und deren Relationen untereinander sicherzustellen. Ohne Grenze zur Umwelt würden sie in dieser aufgehen und das System würde zerfallen. Die Grenzen bilden die Unterscheidungslinie zur Umwelt. Der Unterschied zwischen System und Umwelt wird durch eine Grenzbildung sichergestellt und aufrechterhalten. Grenzen sind Kriterien, die zwischen dazugehörigen und nicht-dazugehörigen Elementen und deren Relationen zueinander unterscheiden. Sie regulieren die Differenz zwischen System und Umwelt. Um System und Umwelt zu unterscheiden, kann man die Fragen stellen: Was gehört dazu, was gehört nicht dazu? Grenzen sind die Außenhaut der Systeme. Sie sichern die Abgrenzung zur Umwelt und ermöglichen die Identitätsbildung des Systems in Form der Anschlussbereitschaft des Systems an seiner von der Umwelt verschiedenen Anordnung der Elemente und der Relationen zueinander. Grenzen sichern die operative Schließung der Systeme, sind aber für Energie und Informationen offen (vgl. von Schlippe/ Schweitzer 2007, S. 59). Je nach Systemtyp benutzen sie andere Elemente zu ihrer Konstitution. Gedanken sind die Elemente der psychischen Systeme und Kommunikationen sind die Elemente der sozialen Systeme.

Mit dieser Definition von Systemen ist ein System durch einen Anfang und ein Ende gekennzeichnet. Die Umwelt von Systemen hat auch einen Anfang und ein Ende. Sie ist weitaus komplexer als das System selbst, so dass zwischen System und Umwelt ein Komplexitätsgefälle besteht. Komplexität bezeichnet den Grad der Vielschichtigkeit der Differenzierung eines Systems (z.B. Unterteilung in Subsysteme), die Anzahl der Vernetzungen (z.B. von Elementen untereinander) und die Folgelastigkeit eines Entscheidungsfeldes in Form von in Gang gesetzten Kausalketten und Folgeprozessen. Systeme müssen, damit sie funktionieren und sich aufrechterhalten können, Komplexität reduzieren. Sie müssen aus der unendlichen Vielfalt an Möglichkeiten der Vielschichtigkeit, der Vernetzung der Elemente und der Folgelastigkeit von Entscheidungen, die für die Autopoiesis des Systems notwendigen Konfigurationen auswählen und in einem Kreislaufprozess reproduzieren. Das Treffen einer Auswahl bedeutet, die Komplexität der Umwelt auf ein für das System handhabbares Maß zu reduzieren. Die Beziehung zwischen System und Umwelt ist bezogen auf die Komplexität asymmetrisch. Jedes System muss sich gegen die überbordende Komplexität seiner Umwelt behaupten und abgrenzen, wenn es nicht aufhören will, System zu sein, dass sich von seiner Umwelt unterscheidet (vgl. Luhmann 1987, S. 263.). Die Umwelt besteht aus einer unüberschaubaren Vielzahl an Systemen. Unter „nähere Umwelt“ möchte ich daher die Umwelt bezeichnen, die in Form von Kopplungen direkten Kontakt zu dem System hat. Sie stehen in einer Beziehung zueinander und es kommt zu energetischen und informationellen Austauschprozessen. Unter weiterer Umwelt möchte ich all die Umwelt fassen, die noch keinen direkten Kontakt und keine direkte Beziehung zum System aufgebaut hat.

Die nähere Umwelt stellt durch ihren Komplexitätsüberschuss für das System den Nährboden für dessen Weiterentwicklung und Veränderung dar. Die Systeme sind strukturell an ihrer Umwelt orientiert und konstruieren aktiv die Differenz zu ihrer Umwelt. Das System kann Elemente aus der Umwelt (ich könnte auch von Möglichkeiten sprechen) die Systemgrenzen passieren lassen und sie in seine Anordnung der Elemente und deren Relationen zueinander integrieren. Das System differenziert sich, strukturiert sich neu und wird komplexer. Das System entwickelt und verändert sich, indem es aus der Komplexität der Umwelt bestimmte Elemente in seine interne Struktur aufnimmt. Der Prozess und das Ergebnis der Autopoiesis des Systems verändern sich. Dies ist eine Funktion des Komplexitätsüberschusses der Umwelt gegenüber dem System. Das System muss, um sich zu erhalten und fortlaufend zu konstituieren, eine Reduktion der Komplexität vornehmen. Das System entscheidet, welche Elemente zu ihm gehören sollen und welche nicht. Systembildung ist daher ein coevolutionärer Prozess zwischen dem System und seiner Umwelt. Die Umwelt stellt dem System dabei seine Komplexität zur Verfügung, damit das System sich weiterentwickeln kann.

Abschließend können wir festhalten:

Systeme bestehen aus Elementen und deren Verknüpfung untereinander. Das System unterscheidet sich deutlich von anderen Systemen, die seine Umwelt bilden. Systeme haben daher Grenzen. Die Grenzen markieren, was zu einem System gehört und was nicht. Jedes System muss die überbordende Komplexität seiner Umwelt reduzieren, um im System eine zirkuläre Verknüpfung der Elemente organisieren zu können. Je nach Typ des Systems (ist es ein biologisch, psychisches oder soziales) benutzen sie für ihre Autopoiesis verschiedene Arten von Elementen. Psychische Systeme benutzen als z.B. Gedanken und soziale Systeme benutzen Kommunikationen als ihre Elemente.

2.2 Das psychische System aus systemischer Sicht

Die Elemente des psychischen Systems sind Gedanken und Vorstellungen, die untereinander in Relationen stehen. Damit das psychische System sich erhalten kann und sich nicht in der Umwelt auflöst, ist es notwendig, dass es Gedanken an Gedanken an Gedanken produziert. Dies geschieht auf der Basis von Bewusstsein. Das psychische System erhält dabei die Gedanken nicht von außen, noch kann es die Gedanken nach außen abgeben. Das psychische System stellt seine Gedanken, Vorstellungen selber her in einem rekursiv, zirkulären Prozess. Psychische Systeme sind autopoietische Systeme (vgl. Luhmann 1987. S. 354ff.)

2.2.1 Autopoiesis

Das Konzept der Autopoiesis stammt von Maturana und Varela, zwei Biologen und Neurophysiologen, die die Grundlagen des Autopoiesiskonzeptes in den sechziger und siebziger Jahren entwickelt haben. Autopoiesis meint die Selbsterhaltung und Selbsterzeugung des Systems, indem sie die Elemente, aus denen sie bestehen selbst produzieren und herstellen, so dass am Ende wieder das gleiche zirkuläre und rekursive Netzwerk an Elementen reproduziert worden ist (vgl. Schuldt 2003, S. 24). Dies führt dazu, dass autopoietische (selbstreferentielle) Systeme notwendigerweise im Selbstkontakt operieren müssen. Ihre inneren Operationen müssen als geschlossen zur näheren Umwelt gedacht werden. Autopoietische System sind geschlossene Systeme, um durch diesen Abschluss die Produktion der Elemente aus den Elementen sicherzustellen. Diese Schließung bezieht sich nur auf das Kerngebiet der fundamentalen Operationen zur Sicherstellung der autopoietischen Produktion der Elemente aus den bestehenden Elementen. Diese operationale Schließung des Systems ist die Voraussetzung für dessen Offenheit, Energie und Informationen aus der Umwelt aufnehmen zu können. Einerseits führt operationale Schließung zur Autonomie des Systems von der Umwelt und sichert damit das Fortbestehen, andererseits kann ein System ohne die Möglichkeit der Fremdreferenz sich nicht weiter entwickeln und sein Überleben durch Anpassung sicherstellen. Fremdreferenz meint das operative Handhaben einer Unterscheidung aus der näheren Umwelt. Die Grenzen von sozialen und psychischen Systemen sind operationell geschlossen, aber durch strukturelle Kopplungen zur näheren Umwelt offen für Energie und Informationen. Hierdurch können autopoietische Systeme ihre internen Strukturen, die den Prozess der Selbsterhaltung der Elemente und deren beständige Selbsterzeugung steuern, verändern und weiterentwickeln (vgl. Barthelmess 2001, S. 31ff). Die internen Strukturen determinieren den Prozess der Reproduktion der Elemente aus den Elementen. Autopoietische Systeme sind strukturdeterminiert. Daher können sie nicht von außen instruiert werden, ihre Prozesse und damit ihre Outputleistungen im Sinne des Außenstehenden zu verändern. „Lebende Systeme können jedoch verstört (perturbiert, irritiert) werden, sofern der Reiz auf Zustände im Organismus trifft, die eine Reaktion auf einen solchen Reiz zulassen oder gar vorschreiben.“ (Ludewig 2005, S.22-23) Durch diese Verstörung ist eine Änderung der internen Strukturen des autopoietischen Systems möglich, aber immer nur auf der Grundlage der systemeigenen Strukturen. Die Veränderungen bedürfen der Anschlussfähigkeit an die bestehenden Strukturen des Systems, nur so können sie sich autopoietische Systeme und deren Strukturen verändern und weiterentwickeln. Die Schnittstellen zu anderen Systemen werden über strukturelle Kopplungen (Interpenetrationen nach Luhmann) hergestellt.

Zusammenfassend kann ich sagen:

Das psychische System ist ein autopoietisches System, welches fortlaufend in einem strukturell festgelegten Prozess Gedanken aus Gedanken produziert, sich so selbst erhält und dadurch erkennbar seine Grenzen zur näheren Umwelt aufrechterhält. Um Gedanken aus Gedanken zu produzieren, ist das psychische System auf das Medium Sinn angewiesen.

2.2.2 Sinn

Sinn ist das Medium des Prozessierens, das sowohl soziale als auch psychische Systeme benutzen, um die fortlaufende autopoietische Produktion sicherzustellen. Sinn liefert den Verweisungshorizont auf das Anders-möglich-Sein. Sinn erscheint in der Form des Möglichkeitsüberschusses des Erlebens und Handelns. Es verweist auf weitere Abschlussmöglichkeiten bezogen auf die vorherige Operation. Sinn verweist auf weiteren Sinn. Sinn ist die Differenz zwischen Aktualität und Möglichkeit. Sie öffnet den Raum der Komplexität, indem sie auf all die Anschlussmöglichkeiten verweist, die zur vorherigen Operation passen. Gleichzeitig zwingt Sinn zur Selektion einer Anschlussmöglichkeit und hilft die unüberschaubare Komplexität zu reduzieren (vgl. Luhmann 1987, S. 92ff.).

Sinn verweist dabei immer auf die rechte Seite der binären Logik, auf die unendliche Anzahl der Teile und Vielheiten im unendlichen Welthintergrund. Durch das Prozessieren von Sinn wird ständig die Differenz von Aktualität und Möglichkeit mit produziert. „Sinn ist laufende Aktualisierung von Möglichkeiten.“ (Luhmann 1987, S. 100). Sinn ist die Differenz zwischen aktuell Gegebenem und aktuell Möglichem im Prozess der Gedanken- oder Kommunikationsproduktion. Aus dieser Grunddifferenz reproduzieren psychische wie soziale Systeme Informationen.

Sinn ist zudem selbstreferentiell organisiert, da Sinn immer an Sinn anschließt. Auf Sinn kommt Sinn, kommt Sinn, kommt Sinn….Sinn sichert psychischen und sozialen Systemen den Anschluss an die vorherige Produktion des Elements und sichert so die Autopoiesis des Systems. Sinn ist die aktive Auswahl aus der Fülle der Möglichkeiten des Welthintergrundes und deren Produktion im autopoietischen Prozess des jeweiligen Systems. Erleben und Handeln ist Selektion von Möglichkeiten anhand von Sinnkriterien.

Psychische aber auch soziale Systeme sind Sinnsysteme. Sinn organisiert die Anschlüsse im rekursiven und zirkulären Prozess der Produktion der Elemente aus ihren Elementen.

2.2.3 Selbstreferenz und Fremdreferenz

„Selbstreferenz bedeutet, dass eine Einheit in ihrer Dynamik immer wieder auf sich selbst zurückkommt, an sich selbst anschließt.“ (Barthelmess, S. 31. 2001) Selbstreferenz befindet sich im Wechselspiel zwischen Prozess und Struktur. Beide greifen ineinander ein und bedingen sich. Sie sorgen dafür, dass das System, indem es auf die Umwelt reagiert, auf sich selbst reagiert. Systeme können sich nur zu sich selbst verhalten. Die Selbstreferenz ist die Bedingung für eine weitere Ausdifferenzierung des Systems. Ein Selbst kann nur das sein, was es ist und nicht das sein, wovon es sich unterscheidet. Selbstreferenz meint daher den Prozess des Sich-von-sich-selbst-Unterscheidens. Dadurch wird die Einschleusung von einer neuen Unterscheidung möglich. Aber wie ist das möglich? Wie ist das Einschleusen von etwas Neuem möglich? All diese Fragen verweisen auf den Begriff der Fremdreferenz. Damit sich Selbstreferenz nicht in der Herstellung des ewig Gleichen erschöpft, ist in der Selbstreferenz die Möglichkeit der Fremdreferenz mit eingebaut. Selbstreferenz als die Basis der Prozesse schließt keineswegs die Fremdreferenz aus, sie ermöglicht sie geradezu. Denn als Begleitmelodie der internen in Prozessen organisierten Operationsketten gibt es immer Verweisungsbeziehungen zu anderen Anschlussmöglichkeiten durch das Medium Sinn. Dies kann ein System durch Fremdreferenz gewährleisten. Referenz meint die Handhabung von Unterscheidungen. Durch Fremdreferenz wird eine Unterscheidung zur Umwelt für innersystemische Prozesse nutzbar gemacht. Neuer Sinn wird in die internen Sinnstrukturen des Systems eingeführt und für die selbstreferentiellen Prozesse nutzbar gemacht. Die Verweisungsbeziehungen und Sinnofferten bleiben in der Umwelt, sie werden aber intern abgebildet. „Damit ist Fremdreferenz als Spezialform der Selbstreferenz zu denken, denn auch die Prozesse, welche Umwelt wahrnehmen und die so wahrgenommenen bzw. aus der Umwelt generierten Informationen einer internen Verarbeitung zuführen, schließen permanent an sich selbst an.“ (Barthelmess, S. 33. 2001)

2.2.4 Strukturelle Kopplung (Interpenetration)

Fremdreferenz verweist auf die Fähigkeit von Systemen, spezifische Beziehungen zu anderen Systemen eingehen zu können und diese für den Aufbau der eigenen internen Komplexität zu nutzen. Diese spezifische Beziehung zwischen Systemen bezeichnen Maturana und Varela als strukturelle Kopplungen. Luhmann nennt sie Interpenetration. Ich bleibe bei dem Begriff der strukturellen Kopplung, weil er mir zu der spezifischen Beziehung von Systemen besser zu passen scheint.

Strukturell gekoppelte Systeme sind füreinander nähere Umwelt, sie bilden aber Überlappungsbereiche an ihren Grenzen, in denen es zum Austausch und der Aufnahme von Energie und Informationen kommt. Beim Menschen bilden seine Wahrnehmungsorgane wie Augen und Ohren seine strukturellen Kopplungen zur Umwelt aus. Die Organe nehmen Außenreize wahr und leiten diese an die beteiligten Subsysteme des Menschen zur Weiterbearbeitung weiter. Dabei transformieren sie die Reize in elektrische Impulse, damit das Gehirn sie verarbeiten kann. Das psychische System beobachtet die Zustandsänderungen in Nervenarealen und beschreibt diese dann. Durch diese Beschreibung generiert und konstruiert das psychische System Informationen in Form von Gedanken an Gedanken. In den strukturellen Kopplungen werden neben dem Austausch von Energie und Informationen die dafür nötigen Transformationen durchgeführt, damit das nächste System den Reiz in der Form erhält, wie es ihn verarbeiten kann. Umgekehrt läuft dies auch, wenn das psychische System kommuniziert. Gedanken werden in Kommunikationen transformiert. Dies geschieht indem Moment, wenn aus unserem Mund Laute herauskommen, die dann als verbale Mitteilung das Kommunikationssystem konstituieren.

Durch strukturelle Kopplungen zwischen Systemen können neue Informationen, sofern das System verstört worden ist, in die bestehenden Strukturen des operativ geschlossenen Produktionszentrums des Systems eingebaut werden, sofern sie anschlussfähig sind zu dessen sinnhafter Struktur. Durch strukturelle Kopplungen stellen die Systeme ihre eigene Komplexität anderen Systemen zur Verfügung und nehmen dabei Einfluss auf die Entwicklung deren interner Strukturbildung (vgl. Morel u.a. 1997, S. 230). Dies geschieht nicht im Sinne einer Instruktion, sondern aus der zur Verfügung gestellten Komplexität wird eine Information generiert, die zur Verstörung führen kann und damit die Wahrscheinlichkeit zur Weiterentwicklung des psychischen oder sozialen Systems erhöht. Die Weiterentwicklung geschieht aus dem Bestreben des Systems, die Verstörung aus der Welt zu schaffen. Strukturelle Kopplungen ermöglichen den Zugang zu der Komplexität anderer Systeme, die dann für den Aufbau der eigenen systeminternen Komplexität genutzt werden kann (vgl. Luhmann 1987, S. 290). Ohne Anreize aus der Umwelt könnte sich kein System entwickeln, es würde erstarren. Dabei ist es das System, das entscheidet, welche der vielen Möglichkeiten es aus der Umwelt nach einer Verstörung in seine bestehenden Strukturen integrieren möchte. Dies geschieht anhand einer Ja-Nein-Codierung. Entweder es wird eine neue Möglichkeit (Information) in die bestehende Struktur integriert oder sie wird es nicht. Es gibt kein Dazwischen.

Die Evolution von Systemen und ihrer näheren Umwelt ist durch die gegenseitige Bereitstellung von Komplexität möglich, indem sie strukturelle Kopplungen eingehen und sich in einem wechselseitigen Dialog der Informationen befinden. Strukturelle Kopplungen stellen Überlappungsbereiche zwischen Systemen dar, die Grenzen sozialer Systeme fallen in die der psychischen Systemen und umgekehrt. Dadurch sind soziale Systeme gezwungen, sich dauernd an dem Strom der Gedanken des psychischen Systems zu orientieren und umgekehrt orientiert sich das psychische System dauernd an der fortlaufenden Produktion der Kommunikation im sozialen System. Das Medium Sinn ist Verbindungsglied zwischen den psychischen und sozialen Systemen, wenngleich psychische Systeme mit der autopoietischen Produktion von Gedanken und soziale Systeme mit der autopoietischen Produktion von Kommunikation operieren. Sinn sichert die Anschluss- und Austauschfähigkeit sozialer und psychischer Systeme, im dem es das Verstehen und die fortlaufende Produktion der Elemente beider Systemarten sicherstellt.

Kommunikation ist strukturell an Bewusstsein gekoppelt und umgekehrt ist Bewusstsein an Kommunikation gekoppelt. Beide brauchen einander für den Aufbau ihrer internen Komplexität und ihrer rekursiven Operationsnetzwerke. Bewusstsein regt die Kommunikation an, ja erst durch Bewusstsein kann Kommunikation überhaupt entstehen. Kommunikation gibt dem Bewusstsein Rückmeldungen und Möglichkeiten, mit anderen psychischen Systemen in Kontakt zu treten. Gleichzeitig ist das Bewusstsein auf die Anregungen der Kommunikation angewiesen, damit es sich entwickeln, damit es lernen kann und um gleichzeitig wieder Kommunikation produzieren zu können.

Ich kann den Begriff der strukturellen Kopplung wie folgt zusammenfassen:

Psychische Systeme müssen zum Aufbau der internen Komplexität strukturelle Kopplungen mit ihren näheren Umwelten eingehen. In den strukturellen Kopplungen kommt es zum Austausch von Energie und Informationen. In den strukturellen Kopplungen werden Außenreize transformiert, damit sie für die nächsten verarbeitenden Systeme handhabbar werden.

2.2.5 Erwartungen, Regeln und Strukturen

Damit psychische und soziale Systeme ihre interne Anschlussfähigkeit sicherstellen können, sind sie auf die Ausbildung von Erwartungen angewiesen. Erwartungen stehen für das anzunehmende Eintreten eines bestimmten Ereignis. Man erwartet, dass x passiert und wenn x passiert, dann trägt dies zur Bestätigung der Erwartung bei.

Erwartungen stabilisieren die autopoietischen Prozesse eines Systems. Erwartungen dienen dazu, die internen Operationen der Produktion der Elemente aus den Elementen, aus denen sie bestehen, aufeinander abzustimmen und gleichzeitig dienen sie der Koordination und Abstimmung der Austauschbeziehungen zu anderen Systemen. Sie bilden sich im Laufe der Geschichte eines Systems heraus.

Erwartungen verweisen auf Anschlüsse, die angeschlossen werden sollen und deren Anschluss man annimmt. Erwartungen schließen andere Anschlussmöglichkeiten aus. Sie selektieren und präferieren einen bestimmten Anschluss und helfen so, Komplexität zu reduzieren. Sie geben psychischen wie sozialen Systemen Orientierung, welche gedankliche und kommunikative Operation an die vorherigen angeschlossen werden soll und welche nicht. Dies muss das System im Sinne einer Ja/Nein-Codierung wählen. Man könnte ganz im Watzlawickschen Sinne sagen: man kann nicht nicht entscheiden, welche Anschlussmöglichkeiten getroffen werden sollen.

Erwartungen entstehen durch die antizipierte Vorwegnahme einer gedanklichen oder kommunikativen Anschlussoperation und erhöhen dadurch die Wahrscheinlichkeit ihrer Realisierung. Sie können auch durch das wiederholte Aktualisieren derselben Operationsanschlüsse entstehen. Erwartungen schränken den Möglichkeitsspielraum von Operationanschlüssen ein und sind damit Bedingungen für die Aufrechterhaltung des autopoietischen Prozesses in einem System (vgl. Luhmann 1987, S. 392.) Durch Erwartungen können Verstörungen im System sichtbar gemacht werden. Erwartungen können enttäuscht werden. Diese Enttäuschung ist die Verstörung des Systems. Es kommt zu einem Konfliktzustand im System, da nun entschieden werden muss, ob an der enttäuschten Erwartung festgehalten wird oder ob die Erwartungshaltung verändert wird. Hält man an der enttäuschten Erwartung fest, so besteht die Möglichkeit einer fortlaufenden Erwartungsenttäuschung. Zielrichtung aller weiterer Operationen wird der Versuch sein, die Einhaltung und Beachtung der Erwartung von den anderen Systemmitgliedern einzufordern; mit der Möglichkeit einer anhaltenden Erwartungsenttäuschung. Oder man verändert die enttäuschte Erwartungshaltung und verhindert so das weitere Entstehen einer Verstörung. Verstörungen können den Fortbestand des autopoietischen Prozesses gefährden, müssen es aber nicht. Verstörungen verlangen aber vom System einen erhöhten Energieaufwand, um die fortlaufende Produktion der Elemente aus den Elementen sicherzustellen. Verstörungen können Ausgangspunkt für Veränderung in der autopoietischen Produktionskette sein, weil es zu Änderung in der Prozessabfolge und in der autopoietischen Struktur kommt.

Wenn Erwartungen häufig bestätigt werden, lassen sie sich in Regeln verdichtet beschreiben. Regeln basieren auf Erwartungen und dem Eintreffen des antizipierten kommunikativen oder gedanklichen Anschlusses. Regeln schränken den Möglichkeitsspielraum von Systemen und die Möglichkeiten der Anschlüsse an die vorherige Operation, sei sie gedanklich oder kommunikativ, ein. Regeln beschreiben, was verboten ist, an die vorherige Operation anzuschließen und sie beschreiben gleichzeitig, welche Operationen angeschlossen werden sollen. Regeln enthalten Verbots- und Gebotsinformationen: sie beschreiben, was an Anschlussoperationen verboten und was erlaubt ist. Sie bestimmen die Gedankensequenzen in psychischen Systemen und die Kommunikationssequenzen in sozialen Systemen.

Regeln lassen sich in deskriptive und präskriptive Regeln unterteilen.

Deskriptive Regeln entstehen durch die Beobachtung der Wirklichkeit, indem aus den Beobachtungen Wenn-Dann-Beziehungen konstruiert werden. Der Beobachter analysiert das Gesehene und leitet daraus wieder Regeln ab, die dann sein weiteres Denken und Handeln beeinflussen können. Wenn man neu in eine Gruppe kommt, sich erst einmal still verhält und sich Zeit für Beobachtungen nimmt, ist man in der Lage, die Kommunikationen innerhalb der Gruppe anhand von Wenn-Dann-Beziehungen zu beschreiben. Man kann so die Regeln der Gruppe entschlüsseln, wie man sich zu verhalten hat. Man erkennt, was in der Gruppe an Kommunikationen erlaubt und was untersagt ist. Noch deutlicher wird das an dem Beispiel, wenn man zum ersten Mal ein Volleyballspiel sieht und dessen Regeln nicht kennt. Durch eine Analyse im Sinne der Wenn-Dann-Beziehung kann man sich die Regeln des Volleyballspiels erschließen, ohne dass man sie erklärt bekommen hat. Deskriptive Regeln fließen in unsere Wirklichkeitskonstruktionen mit ein und leiten unser Handeln. Sie verweisen auf die Anschlüsse an die vorherige Kommunikation (vgl. Simon 1993, S.110). Die Basis der deskriptiven Haltungen sind Erwartungen.

Präskriptive Regeln lassen sich in Gebote und Verbote unterteilen. Sie definieren den Möglichkeitsspielraum für das System, Elemente an Elementen anzuschließen. Sie sagen, welche Anschlussmöglichkeiten von Gedanken und Kommunikation verboten und welche erlaubt sind. Sie reduzieren damit Komplexität, steigern die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Gedanken- oder Kommunikationsanschlüsse und stabilisieren so die autopoietische Reproduktion der Elemente des Systems. Durch Verbote sind Wahlmöglichkeiten eingeschränkt, da sie nicht realisiert werden dürfen. Dies besagt aber nicht, dass Verbote nicht überschritten werden können. Psychische Systeme sind zur Freiheit verdammt, sie müssen zwischen den verschiedenen Möglichkeiten wählen, welche sie realisieren wollen. Das beinhaltet auch die Möglichkeit, ein Regelverbot nicht zu akzeptieren und genau diese Wahlmöglichkeit in die Tat umsetzen.

Regelgebote beschreiben, was an die vorherige Operation gedanklich oder kommunikativ angeschlossen werden kann und soll. Dabei handelt es sich meist um Operationsanschlüsse, welche sich in der bisherigen Geschichte des Systems als günstig und nützlich erwiesen haben (vgl. Simon 1993, S. 124). Auch bei Regelgeboten greift die Wahlfreiheit.

Vor jeder Realisierung eines Regelgebotes oder Regelverbotes durchläuft das psychische System einen Entscheidungsprozess im Sinne der Ja/Nein-Codierung: folge ich dem Gebot/Verbot oder nicht? Präskriptive Regeln entstehen durch das direkte Interagieren im System oder zwischen Systemen. Erwartungen werden abgeglichen und verfestigen sich durch ihre kontinuierliche Bestätigung. Präskriptive Regeln können durch Reflektion und Aushandlung im und zwischen Systemen entstehen.

Deskriptive und präskriptive Regeln organisieren und koordinieren den Prozess der rekursiven und zirkulären Vernetzung der Elemente und deren Produktion aus den Elementen, aus denen sie bestehen. Sie sind die Handlungsleitlinien von psychischen und sozialen Systemen.

Erwartungen und deren Verdichtung in deskriptive und präskriptive Regeln stabilisieren sich in psychischen Systemen selbst, indem sie sich für die erfolgreiche Umsetzung selbst positiv verstärken, z.B. durch das Erleben eines Erfolges oder eines gutes Gefühls. In sozialen Systemen wird die Einhaltung der Regeln neben dem Einsatz von positiven Verstärkern auch noch durch den Einsatz von negativen Verstärkern wahrscheinlicher gemacht. Werden präskriptive Regeln nicht eingehalten, so kann derjenige dafür durch einen negativen Verstärker bestraft werden. Über jedem Regelbruch liegt die Androhung des Einsatzes einer Sanktion, unabhängig davon, ob sie zur Anwendung kommt oder nicht. Die angedrohte Sanktion bzw. die durchgeführte Sanktion beschwert die Regel und erhöht die Wahrscheinlichkeit ihrer Einhaltung. Im Berufsalltag stellt die Zahlung eines Lohnes eine positive Verstärkung für die Erbringung der Arbeitsleistung und die Beachtung der dienstlichen Vorschriften dar. Bei Regelverletzungen von Geboten oder Verboten stehen den Arbeitgebern dann z.B. das Disziplinargespräch, die Abmahnung und die Kündigung zur Verfügung.

Psychische und soziale Systeme bestehen aus einer unüberschaubaren Anzahl an deskriptiven und präskriptiven Regeln. Wenn Sie als Leser sich einmal die Mühe machen würden, alle Regeln in ihrer Partnerschaftsbeziehung zu verschriftlichen, dann werden Sie mit einem DIN-4 Papier nicht auskommen. Jedes psychische oder soziale System besteht aus einem Bündel von deskriptiven und präskriptiven Regeln zur Steuerung und Koordinierung der internen Produktion der rekursiv und zirkulär verknüpften Elemente aus den Elementen. Dieses Bündel an Regeln kann als Struktur bezeichnet werden. Strukturen eines Systems sind die Anzahl der vorhanden deskriptiven und präskriptiven Regeln. Sie sichern den Fortbestand der zirkulären Relationierung der Elemente des Systems über den Zeithorizont hinweg. Strukturen schränken die im System zugelassenen zirkulären Relationen ein und regulieren damit auch die mögliche Outputleistung eines Systems. Sie stabilisieren den autopoietischen Prozess eines Systems.

Zusammenfassend bedeutet das für psychische Systeme: ihre internen, sich selbsterzeugenden und selbsterhaltenden autopoietischen Prozesse sind durch Strukturen geleitet. Die Strukturen stabilisieren die Produktion der Gedanken aus den Gedanken und stützen deren zirkuläre Verknüpfung. Sie schränken dabei den Möglichkeitsspielraum der internen zirkulären Prozessrelationen der Gedanken ein und machen dadurch die Komplexität des Welthintergrundes durch Reduktion handhabbar.

2.2.6 Beobachtung

Der Begriff der Beobachtung ist ein zentraler Begriff zum Verständnis von psychischen Systemen. Ein psychisches System, welches bewusste Gedanken an Gedanken produziert, kann nur entstehen, wenn es einen bewussten Selbstbezug entwickelt. Psychische Systeme sind auf Selbstreferenz ihrer internen Gedankenoperationen angewiesen. Die geschieht durch eine Ausdifferenzierung des psychischen Systems. Das neue Subsystem heißt Selbstbeobachtung. Selbstbeobachtung ist selbstreferentiell strukturiert.

Ein psychisches System kann nur anhand der Differenz zu anderen Systemen entstehen und sich aufrechterhalten. Psychische Systeme können daher verstanden werden als eine Beziehung zum Selbst und zu seiner Umwelt. (vgl. Barthelmess 2001, S. 61). Beobachtung ist auf die Wahrnehmung von Innen- oder Außenreizen angewiesen. Für die Wahrnehmung von Außenreizen kann die Beobachtung auf olfaktorische, gustatorische, taktile, visuelle und akustische Sinneskanäle zurückgreifen. Die wahrgenommen Sinnesreize aus der näheren Umwelt werden in Informationen umgewandelt. Informationen sind Unterschiede, die einen Unterschied machen. Beobachten heißt daher, Unterscheidungen zu vollziehen und diese zu benennen. Erst in der Synthese dieser beiden Komponenten kann von Beobachtung gesprochen werden (vgl. Simon 1993, S. 60). Die beobachtbare Unterscheidung muss im zweiten Schritt in eine semantische Figur, die Bezeichnung, eingefügt werden. Ohne symbolische Zeichen gibt es keine Möglichkeit, den beobachtbaren Unterschied zu bezeichnen. Der Prozess der Bezeichnung und Unterscheidung ist eine interne Operation des psychischen Systems. Es ist seine Eigenleistung auf Basis der systemspezifischen Autopoiesis.

Zur Logik der Beobachtung gehört es, dass die Beobachtung aus der Umwelt mehr über das beobachtende System und seine interne autopoietischen Prozessstrukturen aussagt, als über die Wirklichkeit des zu beobachtenden Unterschieds in der Umwelt. Der Bezug der Beobachtung ist nur vordergründig der beobachtbare Unterschied, sondern aufgrund der Konstruktionsleistung des Systems ist die Referenz der Beobachtung immer Selbstreferenz. Sie verweist auf die internen Beobachtungsstrukturen und nur auf diese (vgl. Willke 1996, S. 168). Es ist der Beobachter, der die Unterscheidungen zieht und sie mit Bezeichnungen versieht und sonst niemand. Dabei greift er im Rahmen des Sozialisationsprozesses auf erworbene sprachliche Symbole zurück, über die es einen gesellschaftlichen Grundkonsens gibt. Neben der Bezeichnung der Unterscheidung reichert der Beobachter die bezeichnete Unterscheidung mit individuellen Bedeutungen an. Die beobachtbaren Unterschiede und deren Bezeichnungen und Bedeutungsfüllung werden im Laufe der Entwicklung des psychischen Systems immer weiter ausdifferenziert. Immer neue beobachtete und bezeichnete Unterscheidungen werden hinzugefügt. Es entstehen Ober- und Unterbegriffe. Es entsteht ein Bündel von miteinander vernetzten Bezeichnungen. Ich werde es später als affekt-kognitives Schemata beschreiben. Aus dem Begriff des Hundes wird ein Rüde, ein Welpe, ein Schäferhund und ein Kampfhund abgeleitet und dem Oberbegriff Hund untergeordnet. Diese werden abgegrenzt von der Katze, dem Kater, der Siamkatze usw.

Alle beobachteten und bezeichneten Unterschiede sind Eigenleistungen des Systems. Das psychische System hat sich ein Abbild der Wirklichkeit konstruiert, aber es ist nur ein konstruiertes, subjektives Abbild. Ein anderes psychisches System kann sich ein ähnliches, aber kein gleiches Abbild der Wirklichkeit konstruieren. Die Anzahl der konstruierten Wirklichkeiten ist mit der Anzahl der auf der Erde lebenden Menschen gleichzusetzen.

Die Beobachtungsfähigkeit des psychischen Systems ist auf das Nervensystem und auf das Gehirn zur Gewinnung von beobachtbaren Unterschieden angewiesen sowie auf neuronale Speichermöglichkeiten, um symbolische Zeichen als Bezeichnung der beobachtbaren Unterschiede benutzen zu können.

Wenn eine Information durch die Sinnesorgane in das Nervensystem, als operational geschlossenes, aber energetisch und informationell offenes System, kommt, wird diese in elektronische Impulse übersetzt, die dann bestimmte Nervenareale im Gehirn aktivieren und deren Zustände verändern. Diese internen Zustandsänderungen lassen sich durch das psychische System beobachten. Dass die Beobachtung eher auf interne Zustandsänderungen anspricht als auf externe Informationen, kann man schon an dem Verhältnis zwischen peripheren sensorischen Neuronen (Zuständig für die Aufnahme von Umweltreizen) und Verarbeitungsneuronen im Gehirn und Motoneuronen erkennen. „Beim Menschen dagegen liegt das Verhältnis zwischen 1:100000:1 und 1:1000000:1.“ (vgl. Barthelmess 2001, S.64). Das psychische System beobachtet die Zustandsänderungen in den Relationen der verschiedenen spezialisierten Neuronen des Nervensystems. Wenn man eine Hand auf Eis legt, dann weiß das psychische System allenfalls etwas über die Veränderungen der Zustände in den sensorischen und verarbeitenden Neuronen seines Nervensystems. Das psychische System errechnet aus diesen veränderten Zuständen einen Eigenzustand. Der veränderte Zustand ist ein Unterschied, der einen Unterschied macht. Das psychische System kann die Errechnung des Eigenzustands selbst beobachten und bezeichnen. „Nicht also Abbildungen der Welt konstituieren unsere kognitiven Bereichen, sondern interne Errechnungen.“ (Ludewig, S. 2005, S. 24). Von außen kann nichts in das Nervensystem gelangen. Außeninformationen, die durch die Sinnesorgane aufgenommen werden, regen lediglich die Neuronen zur Veränderung ihrer inneren Zustände und Aktivitäten an. Das Nervensystem verarbeitet Unterschiede in den Relationen zwischen seinen Zuständen und errechnet daraus einen Eigenzustand, der dann bezeichnet werden kann. Diese erfahrbaren und bezeichneten Unterschiede konstituieren die Innenwelt des psychischen Systems und sein individuelles sowie subjektives Erleben. Die Bezeichnungen in Form von sprachlichen Symbolen bilden die Schemata aus, aus denen die Innenwelt des Beobachters besteht. Diese Bezeichnungen werden dem Kommunikationssystem zur Verfügung gestellt.

Das Erkennen entsteht aus dem Verstehen der Zusammenhänge, der Wirkweise und den Vernetzungen der zirkulären verknüpften Elemente. Sie lassen sich in deskriptiven und präskriptiven Regeln verdichten. Das Erkennen ist aber kein Erkennen der Welt, wie sie An-Sich ist, sondern das Erkennen ist nichts als die eigene Konstruktion des Erkennens im psychischen System selbst. Beobachtungen erschließen nicht nur einzelne Unterschiede und bezeichnen sie, sie analysieren und beschreiben auch die Regeln der Interaktion zwischen vernetzten Objekten und Systemen in der Umwelt. Dies wird als Kybernetik erster Ordnung bezeichnet. Hier wird noch die alte Annahme hochgehalten, es gäbe eine vom Beobachter unabhängige objektive Erkenntnis von der Welt. Ich habe aber oben dargestellt, dass jegliche Beobachtung Selbstbeobachtung der internen Zustandsänderungen im neuronalen System ist. Daraus werden die Bezeichnungen und die Erkenntnis konstruiert. Das psychische System ist also der Konstrukteur seiner eigenen Welt und Wirklichkeit. Damit ist eine vom Beobachter unabhängige Erkenntnis nicht möglich, da sie immer seine Eigenkonstruktion darstellt und nicht objektivierbar ist. Jegliche Erkenntnis über die Welt ist damit abhängig vom Beobachter. Der Beobachter wird plötzlich zum teilnehmenden Beobachter, der aktiv die ihm umgebende Welt mitkonstruiert (vgl. Simon 2000, S. 34). Daher kann man jegliche Erkenntnis nur beschreiben und auswerten, wenn man den Beobachter als Teil des Erkenntnisprozesses begreift.

Die Kybernetik der zweiten Ordnung erfüllt diese Bedingungen. Sie nimmt die Wechselwirkungen zwischen dem psychischen System und dem Gegenstand seiner Erkenntnis in den Blick. Der Beobachter wird betrachtet, wie er beobachtet und wie er als Beobachter andere Beobachter beobachtet. Daraus ergeben sich hochkomplexe, sich selbstverstärkende zirkuläre Prozesse, in deren Verlauf Erkenntnis- und Glaubensstrukturen entstehen. Der Beobachter konstruiert die Welt nach den Maßgaben seiner internen autopoietischen Prozesse und Strukturen, nach denen seine Wahrnehmung/Beobachtung, seine Emotionen und seine Kognitionen organisiert sind. Durch diesen internen Filter schaut er auf die Welt, konstruiert und errechnet Erkenntnis und Realität. Blinde Flecke, also Bereiche, die nicht beobachtet werden können, sind damit in der Beobachtungsstruktur des Beobachters automatisch mit eingebaut. Man kann nur das beobachten, was die internen autopoietischen Prozesse und Strukturen zu beobachten ermöglichen. Durch Reflektion sowie durch Feedbacks aus der näheren Umwelt lassen sich blinde Flecke entdecken und aufhellen, so dass sie der Beobachtung wieder zugänglich werden.

2.2.7 Erkennen und Wirklichkeitskonstruktion

Erkennen setzt Beobachtung voraus. Beobachtung ist die Eigentätigkeit des psychischen Systems, indem Unterschiede beobachtet und bezeichnet werden. Diese Beobachtung der Unterschiede bezieht sich auf die Veränderungen der Zustände im Nervensystem, aus dem die Beobachtung Erkenntnis errechnet. Erkennen bedeutet, die Wirklichkeit zu konstruieren. Erkennen kann sich auf einzelne Objekte oder auch auf die komplexen wechselseitigen Beziehungen der bezeichneten Unterscheidungen untereinander beziehen. Erkennen konstruiert sich in Bezeichnungen, in Vorstellungen, in deskriptiven und präskriptiven Regeln über die Welt, in emotionalen Zuständen des psychischen Systems, in Haltungen, in Wissen und Glaubenssätze. Dies alles kann in affekt-kognitive Schemata zusammengefasst werden. Die Beobachtung startet den Aufbau der Beschreibung der Welt in Form des Erkennens. Das Fundament der Wirklichkeitskonstruktionen ist das Netzwerk affekt-kognitiver Schemata.

Gleichwohl werden auch Erklärungen generiert, wie die wechselseitigen Beziehungen der Elemente oder der Systeme funktionieren, wer auf was wie eine Wirkung ausübt. Es werden sozusagen sinnhafte Theorien entwickelt, wie etwas zusammenhängt und funktioniert. Wie ich mir die Welt erkläre, so handle ich auch. Neben der Erklärung finden, ausgerichtet an den internen Maßstäben, noch emotionale und kognitive Bewertungen der beobachtbaren Objekte und ihrer wechselseitigen Beziehungen statt. Man bewertet die Unterschiede und ihre wechselseitigen Beziehungen als positiv oder negativ (vgl. Simon 2005, S. 71-73). All dies fließt ebenfalls in die affekt-kognitiven Schemata und deren Kombination zu Wirklichkeitskonstruktionen mit ein. Die affekt-kognitiven Schemata existieren in einer unendlichen Anzahl im psychischen System. Sie sind alle rekursiv und zirkulär untereinander vernetzt und beeinflussen sich immer wechselseitig. Die rekursiv und zirkulär vernetzten affekt-kognitiven Schemata bilden das Gerüst für die Konstruktion unserer Wirklichkeit, als ein aktiver Konstruktionsakt des psychischen Systems.

Die affekt-kognitiven Schemata fungieren im psychischen System als innere Landkarte. Jede Beobachtung wird durch die affekt-kognitiven Schemata gefiltert und sie dienen bei der Errechnung der Wirklichkeit als Fundament. Der Beobachter, so haben es psychologische Forschungen im Bereich der Wahrnehmung bestätigt, konstruiert die Wirklichkeit anhand weniger Punkte, die er im Rahmen der neuronalen Zustandsänderung bei sich selbst wahrnimmt. Die fehlenden anderen Teile des Puzzles der Wirklichkeit werden aus den vorhandenen affekt-kognitiven Schemata rekonstruiert, so dass aus den einzelnen Puzzleteilen ein ganzes Bild wird. Dies lässt sich gut an dem bekannten Beispiel vom Ehemann und dem Friseurbesuch seiner Frau illustrieren. Der Ehemann kommt nach Hause, wo seine Frau auf ihn wartet. Sie war beim Friseur und hat sich eine neue Frisur zugelegt. Sie erwartet, dass ihr Mann dies bemerkt und ihr ein Kompliment macht. Der Ehemann kommt nach Hause, begrüßt seine Frau und geht dann ohne ein Kompliment über die neue Frisur in die Küche, um Abendbrot zu essen. Was ist beim Ehemann passiert? Er hat beim Hereinkommen in die Wohnung seine Frau gesehen. An drei oder vier Merkmalen aus ihrem Gesicht hat er sie wiedererkannt. Die restlichen Merkmale hat er dann aus der Erinnerung reproduziert. Und in seiner Erinnerung hatte seine Frau noch lange Haare gehabt und keine kurzen, also reproduziert er aus der Erinnerung das Bild seiner Frau mit langen Haaren und übersieht die neue Frisur.

Wirklichkeitskonstruktionen beschreiben die Welt aus Sicht des psychischen Systems. Sie definieren den Möglichkeitsspielraum des psychischen und des sozialen Systems, weil die Ideen, Haltungen, Emotionen, Regeln und Strukturen bestimmte Gedanken bzw. Handlungen nahe legen und andere ausschließen. Wirklichkeitskonstruktionen sind immer Eigenleistungen des psychischen Systems.

Ich halte also folgendes fest:

Psychische Systeme sind gekennzeichnet durch eine Beziehung zu ihrem Selbst und zur Umwelt. Sie können beobachten, indem sie Unterschiede markieren und diese bezeichnen. Die daraus entstehenden Wirklichkeitskonstruktionen sind Eigenleistungen des psychischen Systems. Sie konstruieren sich ihre Welt selbst. Damit ist jede Sicht auf die Welt eine individuelle und subjektive. Beobachtungen werden zu Erkenntnissen, zu Konstruktionen der Wirklichkeit. „Unabhängig davon, ob also eine reale Wirklichkeit außerhalb des Beobachters existiert, ist die Strukturierung dieser Wirklichkeit, die Wahrnehmung von Ordnung, Strukturen und Mustern ein Akt des wahrnehmenden Beobachters und nicht der wahrgenommenen Außenwelt.“ (Strunk/ Schiepek 2006, S. 244) Die einzelnen bezeichneten Unterscheidungen werden ausdifferenziert zu einem wechselseitig sich gegenseitig beeinflussenden Netzwerk aus affekt-kognitiven Schemata. Diese bilden das Netzwerk der Wirklichkeitskonstruktionen und sind der Filter der Beobachtung der Umwelt. Die affekt-kognitiven Schemata bestehen aus Bezeichnungen, Vorstellungen, deskriptiven und präskriptiven Regeln, Haltungen, Wissen, Erklärungen, Bewertungen, Glaubenssätzen und emotionalen Einfärbungen. Die Wirklichkeitskonstruktionen beschreiben die Welt und damit den Möglichkeitsspielraum für des psychischen Systems. Wie das psychische System die Welt beschreibt, so verhält es sich auch.

2.2.8 Affekt-kognitive Schemata und die innere Landkarte

Wenn das psychische System Unterschiede, die Unterschiede machen, entdeckt, so werden diese mit einer Bezeichnung versehen, sofern noch keine Bezeichnung dafür abgespeichert ist. Bei diesem Prozess der Informationsverarbeitung durchläuft die Information erst eine emotionale Bewertung und Einschätzung, bevor es durch das Denken zu einer kognitiven Überformung kommt. Das Bezeichnete wird dann mit einem Bündel an Bedeutungen versehen. Dieses Bündel an Bedeutungen besteht z.B. aus Wissensfragmenten, theoretischen Erklärungen, sprachlichen Vokabeln, emotionalen Zuständen und Bewertungen, Handlungsplänen, Zielvorstellungen, deskriptiven und präskriptiven Regeln und subjektiven Bedeutungen, aber auch die persönlichen Überzeugungen, Bewertungen, Glaubenssätze und Wertvorstellungen werden in die Bezeichnung hineingelegt. Dieses Bündel an Bedeutung nenne ich affekt-kognitve Schemata.

Hinter jedem bezeichneten Unterschied verbirgt sich eine lose assoziativer Mind-map von unterschiedlichsten Bedeutungen und Zuschreibungen. Die Verbindung und Vernetzung der Bezeichnungen, Bedeutungen und Zuschreibungen wird in affekt-kognitiven Schemata zusammengefasst. Die interne Vernetzung erfolgt durch das Medium Sinn, indem Sinn auf das aktuell Mögliche verweist. Sinn verweist auf alle möglichen Anschlussoperationen an eine vorherigen Operation.

Hinter dem affekt-kognitiven Schemata der Katze kann folgende lose Assoziationskette von Bedeutungen stehen: vier Beine, Säugetier, nützlich, niedlich, verliert viele Haare, Schmusen, wenig Arbeit, weil man nicht Gassi gehen muss…..Man könnte diese Reihe von Assoziationen noch endlos fortsetzen. Wie weit und wie groß die einzelnen Assoziationsketten im Bedeutungsmuster ausgearbeitet sind, hängt von der Selbstorganisation eines jeden psychischen Systems ab und bestimmt deren Differenziertheit. Je weniger Bedeutungen in einzelnen affekt-kognitiven Schemata hinterlegt sind und je weniger affekt-kognitive Schemata aufgebaut worden sind, umso undifferenzierter ist das psychische System. Dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt: Je mehr Bedeutungen in einzelnen affekt-kognitiven Schemata hinterlegt sind und je mehr affekt-kognitive Schemata aufgebaut worden sind, umso differenzierter ist das psychische System.

Die affekt-kognitiven Schemata des psychischen Systems entstehen in und durch die Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt, so dass die Entwicklung der inneren Landkarte an das Bestehen einer Umwelt gebunden ist. Diese Verbindungen zur Umwelt werden über strukturelle Kopplungen hergestellt. Die affekt-kognitiven Schemata bilden die Basis der Wirklichkeitskonstruktionen. Die Wirklichkeitskonstruktionen werden aus den affekt-kognitiven Schemata zusammengefügt und reproduziert.

Die oben beschriebene innere Landkarte kann man sich als eine mit affekt-kognitiven Schemata überzogene Fläche vorstellen, wobei es Täler und Berge mit unterschiedlichem Höhenausmaßen gibt. Die affekt-kognitiven Schemata sind thematisch unterschieden. Es gibt einfache Schemata, in der eine Bezeichnung wie das Wort Kuh mit Bedeutungen versehen werden. Es gibt abstrakte affekt-kognitive Schemata zu Fragen des Glaubens, der Liebe oder inneren Einstellungen zu den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Themen, angefangen von dem richtigen Umgang mit dem Problem der Arbeitslosigkeit bis hin zum Thema Klimaveränderung usw. In den Tälern oder auf den Berggipfeln liegen bildlich gesprochen die affekt-kognitiven Schemata. Sie fungieren dort als Attraktor für eingehende Informationen. Jeder Attraktor besitzt ein Einzugsgebiet, so dass sich die Informationen zu diesen affekt-kognitiven Schemata hinbewegen und dort entsprechend andocken und verarbeitet werden können (vgl. Strunk/ Schiepek 2006, S. 108-109). Die affekt-kognitiven Schemata auf der inneren Landkarte sind untereinander mit hunderttausenden anderen affekt-kognitiven Schemata vernetzt, so dass jede Information mit einer hohen Geschwindigkeit verarbeitet werden kann. Die assoziativen Netzwerke auf der inneren Landkarte eignen sich daher hervorragend für die komplexen Aufgaben, die ihnen im Rahmen von parallel verlaufenden Informationsverarbeitungsprozessen abverlangt werden. Was beim Computer vor Jahren als Riesenerfolg gewertet wurde, nämlich die Fähigkeit mehrere Aufgaben zeitgleich auszuführen, ist für das psychische System und vor allem für das bio-psycho-soziale System Mensch eine Grundvoraussetzung, um mit der komplexen Bewältigung von Lebensaufgaben und den Anforderungen der Umwelt fertigzuwerden. So koordiniert und verarbeitet der Mensch zeitgleich verschiedenste parallele Informationsprozesse, wie z.B. die Konstruktion der Wirklichkeit, die Verarbeitung von Sinneseindrücken und die Koordination von Körperbewegungen. Zeitgleich unterhalten wir uns mit einem Gesprächspartner und überlegen dazu noch, was wir unserer Frau zum Geburtstag schenken wollen. Daneben laufen noch all die unbewussten Prozesse im biologischen System, angefangen von der Ausschüttung von Neurotransmittern zur Weiterleitung von Nervenimpulsen bis hin zur Regulierung der Körpertemperatur, ab.

Die innere Landkarte darf man sich nicht statisch vorstellen. Sie ist im höchsten Maße flexibel und in ihrer Entwicklung dynamisch, da sie neues Wissen, neue Erfahrungen, neue Informationen und neue Überlegungen beständig in die bestehenden affekt-kognitive Schemata integriert, neue affekt-kognitive Schemata schafft oder bestehende Schemata verändern müssen. Diese Neuintegration der Informationen kann dann eine völlige Neukonfiguration des Netzwerkes der affekt-kognitiven Schemata zur Folge haben. Es werden neue Beziehungen und Verbindungen geknüpft und andere werden gelöst. Aus Tälern werden Berge und Berge werden zu Tälern. Die Landschaft wandelt sich im Laufe der Zeit, sowie sich die Bedeutungsmuster verändern und affekt-kognitive Schemata mit neuen Teilinhalten versehen werden.

Die innere Landkarte, die mit thematisch vernetzten affekt-kognitiven Schemata gefüllt ist, kann sich durch die strukturelle Kopplung an relevante nähere Umwelten entwickeln und weiter ausdifferenzieren.

Wie werden Informationen im psychischen System generiert sowie verarbeitet und dann als Basis für ein Abbild der Wirklichkeit genutzt?

Das psychische System ist in der Lage Informationen selbst zu generieren, wie es dies z.B. beim Reflektieren über ein bestimmtes Thema vollzieht. Durch strukturelle Kopplungen mit der Umwelt ist das psychische System in der Lage, Außenreize wahrzunehmen und diese Fremdreferenz anderer Systeme in die eigene Informationsverarbeitung aufzunehmen. Dies geschieht durch die Beobachtung und Errechnung der veränderten Zustände an den Nervenzellen und deren Transformation in gedankliche Informationen. Die Fremdreferenzen führen neue Informationen oder neue Anschlussmöglichkeiten in die internen autopoietischen Operationsketten mit ein. Fremdreferenz löst sich dann in der Selbstreferenz der autopoietischen Prozesse und Strukturen auf. Ihr Erbe kann die Veränderung von affekt-kognitiven Schemata oder von autopoietischen Prozessen und Strukturen sein.

Die Transformation der beobachteten Zustände der Nervenzellen in gedankliche Informationen geschieht durch einen Vergleich der wahrgenommenen Zustände der Nervenzellen mit neuronal abgespeicherten Informationen und die dazugehörigen Bedeutungsmuster. Der Außenreiz/ der beobachtbare Zustand, der zu einem affekt-kognitiven Schema passt, wird zu einer Information transformiert und mit den Bedeutungen und Emotionen aus dem Schema unterlegt. Wir sehen einen Hund, einen Rotweiler, und dann könnte folgendes im Rahmen der Informationsverarbeitung ablaufen: Der Hund gehört zu den Säugetieren und die Rasse ist der Rottweiler. Rottweiler sind gefährlich und dieser ist besonders groß. Ich bin schon mal gebissen worden. Ich mag große Hunde daher nicht und schon gar nicht schwarze. Ich habe Angst vor ihnen usw.

Anhand des affekt-kognitiven Schemata wird deutlich, dass die generierte Information für den weiteren Entscheidungsprozess, welches Verhalten auf den herannahenden Hund gezeigt wird, eine wichtige Weichenstellung vornimmt: in diesem Fall bleibt der Beobachter des Rottweilers stehen und rührt sich nicht, bis der Hund mit seinem Besitzer vorbeigegangen ist. Auch andere Reaktionen sind selbstverständlich vorstellbar, wie z.B. das Wechseln der Straßenseite, das Vermeiden des Blickkontakts zum Hund oder das sture Weiterlaufen, weil man durch einen Hundetrainer erfahren hat, dass dies die beste Reaktion zur Vermeidung einer bedrohlichen Situation bei Hunden ist.

Die Generierung der Information und die Aktivierung von affekt-kognitiven Schemata sind entscheidend für die Weiterverarbeitung der Information, so dass am Ende des Verarbeitungsprozesses eine Output-Leistung (Gedanken, Gefühle, Handlungen und Kommunikationen) generiert werden kann.

Die innere Landkarte, bestehend aus affekt-kognitiven Schemata, ist darauf angewiesen, dass deren Inhalte abgespeichert sind und für eine spätere Rekonstruktion wieder zur Verfügung stehen können. Dabei funktioniert das Erinnern nicht als Abrufen exakt gespeicherter Informationen, sondern ist als aktive Rekonstruktion zu verstehen. Ankerinformationen bzw. Ankerreize lösen die Rekonstruktion der affekt-kognitiven Schemata aus und erfinden die dazu passenden anderen Informationen neu. Erinnern stellt einen kreativen und assoziativen Akt dar. Dies erklärt den Umstand, dass wir niemals in der Lage sind, eine Begebenheit aus der Vergangenheit völlig identisch zu erinnern, sondern immer werden kleinste Abänderungen in die Erinnerung einfließen. Der Mensch kann sich durch kleinste Wissensbruchstücke oder Episoden an die Vergangenheit erinnern und erfindet zu den Hinweisen die fehlenden Mosaikstücke für das passende Bild. Die Codierung der abgespeicherten Informationen geschieht in Form nicht-linearer assoziativer Muster, ähnlich wie eine Festplatte, die eine Datei durch die beständige Benutzung und Neubeschreibung an verschiedenen Orten auf der Festplatte hinterlegt und diese Orte mit Hinweisen vernetzt.

Das Gedächtnis kann man grob schematisch in drei Teile unterteilen; einen sensorischen Informationsspeicher, eine Kurzzeit- und Arbeitsspeicher sowie einen sekundären und tertiären Langzeitspeicher.

Der sensorische Informationsspeicher kann Sinnesdaten für den Bruchteil von Sekunden speichern, bis eine Mustererkennung und eine Auswahl von relevanten Merkmalen erfolgt ist sowie der Abgleich des Sinneseindruckes mit abgespeicherten Informationen und affekt-kognitiven Schemata stattgefunden hat.

Der Kurzzeit- und Arbeitsspeicher kann Informationen bis zu 30 Sekunden abspeichern, so dass zukünftige Gedächtnisinhalte eingeprägt und im Langzeitspeicher abgespeichert werden können. Zudem ist er für die Bereitstellung von Informationen in Vorstellungs- und Denkprozessen verantwortlich. Aufgrund der begrenzten Speicherkapazität werden Informationselemente bei komplexen Gedankenvorgängen zu Einheiten zusammengefasst. Der Kurzzeitspeicher kann Informationen symbolisch oder bildhaft speichern und für eine kognitive und emotionale Weiterverarbeitung zur Verfügung stellen.

Das sekundäre Langzeitgedächtnis ermöglicht die Speicherung von Informationen von Minuten bis Tagen, während das tertiäre Langzeitgedächtnis die unbegrenzte Speicherung von Wissen erlaubt. Im Langzeitspeicher liegen also unsere Wissensstrukturen und affekt-kognitiven Schemata auf der inneren Landkarte. Das Langzeitgedächtnis speichert die Informationen und die darunter liegenden kognitiven und emotionalen Bedeutungen assoziativ und netzwerkähnlich ab. So können mehrere Informationen auf ein und dasselbe affekt-kognitive Schema zurückgreifen, während genauso die Möglichkeit besteht, dass eine Information auf mehrere affekt-kognitive Schemata verteilt ist. In einem affekt-kognitiven Schema werden persönliche Erfahrungen, Wissen, Theorien, Erklärungen, präskriptiven und deskriptiven Regeln, Informationen, zugewiesenen Bedeutungen, emotionale Untermalung sowie unterschiedliche Handlungskonzepte und Handlungspläne abgelegt. Dabei kann ein affekt-kognitives Schema aus emotionalen Inhalten, Handlungskonzepten, prozeduralem Wissen und Fähigkeiten zur Lösung von Problemen und Konflikten bestehen. Die inhaltliche Füllung von affekt-kognitiven Schemata kann eng und weit sein und wird durch Selbstorganisationsprozesse im psychischen System beeinflusst. Das psychische System ist daher für seine autopoietische Struktur auf die Rekonstruktion von Gedächtnisinhalten in Form von Gedanken an Gedanken angewiesen (vgl. Resch u.a. 1999, S. 149ff).

Die innere Landkarte des psychischen Systems ist thematisch geordnet und untereinander vernetzt. So gibt es affekt-kognitive Schemata für Soziales, für Politik, für Problem- und Konfliktbewältigung, für strategisches Wissen, für Gesundheit, für Mathematik, für Literatur, für Physik und Biologie, für Sport und für die Selbstidentität. Es gibt aber auch ganz spezielle affekt-kognitive Schemata, die sich z.B. auf einen Begriff beziehen (z.B. Katze). Die gerade dargestellten affekt-kognitiven Schemata sind aber nur als Beispiele zu verstehen und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da jeder Mensch unendlich viele und für sich individuelle affekt-kognitive Schemata aufbauen kann. Dennoch arbeitet die Vernetzung der affekt-kognitiven Schemata nach Themengebieten, unten denen sich dann die weitere Ausdifferenzierung der emotionalen und kognitiven Inhalte ausgestaltet. Es kommt zu einer thematischen Oberbegriffsbildung und darunter gruppieren sich dann weitere Inhalte, wie Emotionen, individuelle Bedeutungen, Handlungspläne und –konzepte, Strategien, Problemlösungen, Wissen, Erklärungen und spezielle Informationen.

Wie weiter oben schon beschrieben, ist die innere Landkarte einer immer währenden Veränderungsdynamik unterworfen, die eine beständige Aktualisierung der Schemata im Langzeitgedächtnis zur Folge hat. Diese Aktualisierung kann soweit gehen, dass Erinnerungen an die eigene Biographie neu konstruiert werden. Das psychische System kann seine Vergangenheit unter einer anderen Sichtweise sehen und interpretieren .

Für psychische Systeme bedeutet dies: Zum Aufbau ihrer internen Komplexität bildet sie affekt-kognitive Schemata aus. Diese werden netzwerkartig in einem rekursiven und zirkulären Kreis verknüpft. Sie bilden das Fundament aus dem das psychische System seine Wirklichkeit in einem kreativen Akt errechnet und konstruiert. Sie beschreiben damit seine Sicht auf die Welt und seinen Möglichkeitsspielraum. Psychische Systeme sind daher auf die Speicherung der affekt-kognitiven Schemata im Gedächtnis angewiesen. Das Gedächtnis stellt ein eigenes autopoietisches Subsystem des psychischen Systems dar und ist mit seiner Umwelt (z.B. Emotionssystem, kognitives System, motivationales System) strukturell gekoppelt. In den affekt-kognitiven Schemata sind unsere Fähigkeiten zu handeln und auf bestimmte Situationen zu reagieren in Form von Handlungsplänen und –konzepten gespeichert. Auf sie greift das psychische System bei der Generierung von Handlungen, Kommunikationen und Verhalten zurück.

2.2.9 Motivation

Psychische Systeme können Ziele, Bedürfnisse und Wünsche entwickeln. Sie sind der Kern dessen, was man psychologisch als Motivation bzw. als Antrieb für eine Handlung bezeichnen kann.

Das Motivationssystem bezeichnet ein Subsystem innerhalb des psychischen Systems, in welchem die Ziele, Attraktoren, Bedürfnisse und Wünsche eines jeden Menschen organisiert werden. Verhalten, so hat es schon Alfred Adler in seiner Individualpsychologie beschrieben, ist immer zielgerichtet und damit sinnvoll (vgl. Rattner 1974). Systemtheoretisch gesprochen gibt es kein Verhalten ohne eine individuelle Sinnbedeutung und -gebung. Eine Kommunikation mag für andere Beobachter sinnlos erscheinen (z.B. ein Mensch verweigert das Sprechen), dennoch generiert das Verhalten seinen Sinn aus den eigenen, im Motivationssystem hinterlegten, Bedürfnissen, Sinngebungen, Wünschen und Zielen. Jeder Mensch wählt seine Kommunikationen aus und verknüpft sie mit seinem individuellen und subjektiven Sinn. Sinn ist das Bindeglied zwischen den Anschlüssen gedanklicher oder kommunikativer Operationen. Sinn verweist auf das aktuell Mögliche und auf weitere andere mögliche Operationsanschlüsse. Sinn zwingt damit zur Selektion zwischen Anschlussmöglichkeiten. Eine Möglichkeit wird ausgewählt und realisiert, aber gleichzeitig produziert der Sinn auch all die anderen Möglichkeiten von Anschlüssen mit (die rechte Seite der binären Logik: all die Möglichkeiten des bisher Nichtunterschiedenen).

Was sinnvoll für das psychische System ist, entscheidet das psychische System selbst, auch wenn es aus den Augen eines Beobachters sinnlos erscheint.

Im Motivationssystem sind die Bedürfnisse, Ziele und Wünsche des psychischen Systems organisiert und hinterlegt. Daraus werden die Ziele eines psychischen Systems generiert sowie unbewusst oder bewusst ausformuliert und verfolgt. Ziele werden zu handlungsleitenden Orientierungsleitlinien in der Generierung des gedanklichen oder kommunikativen Outputs und in der Weiterentwicklung der Selbstorganisation des gesamten psychischen Systems (vgl. Resch u.a. 1999, S. 157ff.). Sie korrelieren damit eng mit dem Subsystem der affekt-kognitiven Schemata wie ich sie oben beschrieben haben. Sie geben die Richtung der Entwicklung eines psychischen Systems vor und sie aktivieren Energien und Ressourcen zu deren Erreichung. Insofern wirken sich Ziele, als ausformulierte Bedürfnisse und Wünsche, auf die Energetisierung menschlichen Verhaltens aus. Ziele beeinflussen Einsatzbereitschaft und fördern die Bereitschaft zur Anstrengung. Das psychische System strengt sich an, die notwendigen Kompetenzen für die Zielerreichung bereitzustellen, was auch die Kompetenzerweiterung in Form von Lernprozessen beinhaltet. Das psychische System versucht sich dem selbst gesteckten Ziel anzunähern und es zu erreichen. Ziele sind die Richtungsschilder in einem dynamischen, chaotischen und selbstreferentiellen Entwicklungsprozess sowie in der Generierung von Verhalten durch das Zusammenwirken einer Vielzahl an unterschiedlichen Subsystemen im psychischen System.

Bisher habe ich ausschließlich von der intrinsischen Motivation gesprochen. Dabei gibt es auch Ziele und Motivationsfaktoren außerhalb des psychischen Systems, welche motivationsfördernd wirken können (z.B. Ziele im sozialen System). Dies kann die Gunst eines anderen Menschen, aber auch die Erhöhung des Gehaltes für die Erbringung einer höherqualifizierten Arbeitsleistung sein. Hier spricht man von extrinsischer Motivation. Wenn man sich die Theorie der autopoietischen Systeme oder der nichtlinearen dynamischen Systeme vor Augen führt, dann ist das Konstrukt einer extrinsischen Motivation nur zu erklären, wenn man von einer Überführung des extrinsischen Attraktors in einen intrinsischen ausgeht. Der externe Anreiz einer höheren Entgeltung als Ansporn für eine erhöhte und produktivere Arbeitsleistung kann nur funktionieren, wenn das Motivationssystem des psychischen Systems diesen externen Anreiz als internen übernimmt, es also für das psychische System erstrebenswert ist, mehr Geld zu verdienen. Durch diesen Übergang kann erklärt werden, warum ein und derselbe äußere Attraktor sich für ein psychischen System motivationsfördernd auswirkt, während ein anderes System beim gleichen äußeren Attraktor keine Veränderung seiner Ziele, Motivationen und Verhaltensweisen erkennen lässt. Systemtheoretisch formuliert: Das psychische System nutzt seine strukturellen Kopplungen zur näheren Umwelt und seine Fähigkeit zur Fremdreferenz, um einen externen Attraktor in die eigenen autopoietische Prozesse und Strukturen einzubauen und aus ihm einen intrinsischen Attraktor zu machen. Aus der Fremdreferenz wird Selbstreferenz, sprich die eingeführten Veränderung wird nun fortwährend aus den Elementen des Systems selbst reproduziert.

Ziele wirken aber nicht nur als Handlungsleitlinien und Orientierungspunkte, sie helfen auch bei der Koordination und Ausrichtung der verschiedenen Subsysteme des psychischen Systems. Denn Ziele aktivieren eine Vielzahl an unterschiedlichen Elementen, um das Verhalten so zu generieren, dass das angestrebte Ziel erreicht wird. Ziele koordinieren dabei die Outputleistungen des emotionalen, des kognitiven und des neuronalen Systems. Die gedanklichen und kommunikativen Outputleistungen werden in den Dienst der Zielerreichung gestellt und vereinigen sich in der Generierung des Verhaltens des psychischen Systems. Ziele können sich daher leistungssteigernd auswirken, wenn die Gesamtkoordination aller Subsysteme des psychischen Systems im Sinne des Zieles gelingt.

Gleichwohl haben Ziele Rückwirkungen auf das Selbstbild und die Identität des Systems, aber auch auf die innere Landkarte, da sie diese im Sinne des Zieles dauerhaft verändern können. Ziele wirken selektiv auf unsere Wahrnehmung ein. Sie schärfen die Wahrnehmung für den Korridor der anvisierten Ziele. So kennen wir das Phänomen, das wir bei einem geplanten Kauf einer bestimmten Automarke (Ziel) dann genau diese Automarke vermehrt im Straßenverkehr wahrnehmen. Ziele verursachen eine Fokussierung der Wahrnehmung.

2.2.10 Selbstidentität

Die Selbstidentität ist ein weiteres spezielles Subsystem des Psychischen, denn dort wird die Antwort auf die Frage: „Wer und was bin ich?“ abgespeichert. Sie bildet sich als ein eigenständiges affekt-kognitives Schema aus. In der Selbstidentität konstituiert sich, wer wir sind und für was wir stehen. Die Identität des psychischen Systems resultiert aus der spezifischen und individuellen Konfiguration der Produktion der Gedanken aus Gedanken und aus der Outputleistung in Form von Verhalten. Das Verhalten des psychischen Systems beschreibt nicht nur die Welt, sie beschreibt vor allem, wie das psychische System die Welt erlebt und wie es die Welt durch das Verhalten beschreibt. In der Selbstidentität wird deutlich, für welche Ansichten, Wirklichkeitskonstruktionen und Glaubensüberzeugungen ich als psychisches System stehe. Identifizieren heißt in diesem Zusammenhang, dass wir hinter diesen Antworten und Eigenschaften stehen, im Sinne einer engen Verbundenheit. Die Selbstidentität hat einen hohen Stellenwert für das psychische System. Das psychische System versucht seine Handlungen und Gedanken mit der Selbstidentität in einem Gleichgewichtszustand zu bringen. Weichen die gewählten Gedanken und Handlungen stark von der Selbstidentität ab, so entstehen innere Konflikte, die je nach Ausgeprägtheit der Ambiguitätstoleranz entweder zu einer Veränderung der Handlungen oder Gedanken oder zu einer Veränderung der Selbstidentität führen kann. Eine weitere Möglichkeit wäre eine Chronifizierung des Konfliktes, so dass erhebliche Störungen in der Befindlichkeit und dem Erleben des psychischen Systems die Folge wären.

Die Selbstidentität ist kein statisches Gebilde, sondern erfährt durch jedes Feedback und durch jede Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt eine Aufforderung zur Selbstaktualisierung. Es liegt dann beim psychischen System wie es auf die Verstörung reagieren möchte: durch Ignorieren der Verstörung oder es initiiert eine Selbstaktualisierung der Selbstidentität.

2.2.11 Denken

Das Denken ist eine fundamentale Fähigkeit des menschlichen Seins und macht den entscheidenden Unterschied zwischen Mensch und Tier aus. Denken ist die Fähigkeit des psychischen Systems, sich selbst und seine Umwelt zu analysieren. Durch das Denken können wir Sachzusammenhänge beschreiben, Kausal-Ketten konstruieren, kybernetische Regelkreisläufe über die Funktion von technischen oder sozialen Systemen entwickeln, Handlungskonzepte entwerfen, Aussagen und Situationen miteinander vergleichen und Rückschlüsse ziehen sowie Lösungen zur Bewältigung von Problemen und Aufgaben kreieren.

Das Denken erlaubt uns die Konstruktion der verschiedensten Perspektiven zur Beschreibung der Wirklichkeit und der notwendigen Reaktionen auf deren Anforderungen. Durch das Denken können wir Anforderungen analysieren und passende Handlungsoptionen entwickeln. Denken ermöglicht neben der Beobachtung die weitere Anreicherung der affekt-kognitiven Schemata mit weiteren Bedeutungen. Es ist aber auch in der Lage, affekt-kognitive Schemata aus dem Denkprozess selbst zu entwickeln und herzustellen.

Denken sichert das Überleben des psychischen Systems. Denken sichert die autopoietische Selbstreproduktion der Elemente aus den Elementen. Damit Denken erfolgreich sein kann, ist ein gewisser Funken Kreativität notwendig. Denken heißt vergleichen, meint aber auch immer die Neukonstruktion der vorhandenen Elemente und affekt-kognitiven Schemata. Denken überprüft die bestehenden affekt-kognitiven Schemata und deren netzwerkartigen Verbindungen zu anderen Schemata. Das Denken kann sie bei Bedarf neu konfigurieren, um eine erfolgreichere Anpassung an die Umwelt zu erreichen.

Denken greift in seinen Prozessen auf die affekt-kognitiven Schemata, auf sprachliche Begriffe und auf die Möglichkeit, zwischen Dingen vergleichen zu können, zurück. Denken ist damit auf die Erinnerungsfähigkeit angewiesen. Denken ist ein schöpferischer und kreativer Prozess. Neben der aktiven Erarbeitung von Erklärungen für psychische oder soziale Phänomene ermöglicht uns das Denken das Experimentieren in verschiedenen möglichen Zukunftsszenarien, aber auch wie wir die daraus resultierenden Anforderungen bewältigen können. Denken heißt das gedankliche Durchspielen möglicher Reaktionen auf Kommunikationsangebote und das Abschätzen der zu erwartenden Konsequenzen. Denken ist die Fähigkeit, Probleme und Konflikte zu analysieren und zu lösen. Denken ermöglicht uns, komplexe Theorien wie die Systemtheorie zur Beschreibung des Verhältnisses von Elementen und ihren Beziehungen untereinander, aufzubauen.

Wenn eine Information in das psychische System gelangt, kann sie das Denken für ihre internen Prozesse benutzen, indem sie die Information mit den vorhanden Informationen, die in den affekt-kognitiven Schemata hinterlegt sind, vergleicht und nach Übereinstimmungen sucht. Findet sie Übereinstimmungen, dann dockt sie die Information an das betreffende affekt-kognitive Schema an. Findet sie kein passendes affekt-kognitive Schema, so wird aus der beobachteten Information ein neues affekt-kognitives Schema konstruiert. Auch das Denken kann wie die Beobachtung, Unterscheidungen bezeichnen, affekt-kognitive Schemata benennen und diese weiter ausdifferenzieren. Denken und Beobachtung weisen in diesem Punkt viele Ähnlichkeiten auf. Ihr größer Unterschied ist aber die Fähigkeit des Denkens, Dinge zu vergleichen, Hypothesen, Erklärungen sowie Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln und Zukunftsszenarien zu beschreiben.

Denken baut auf die vorhandene innere Landkarte und deren Differenziertheit und Komplexität auf. Je weniger differenziert und komplex die innere Landkarte ist, desto weniger differenziert und komplex ist das Denken. Umgekehrt gilt: je komplexer und differenzierter die innere Landkarte ist, umso differenzierter und komplexer ist das Denken des psychischen Systems.

Durch das Denken ist das psychische System in der Lage, Kommunikationen zu analysieren. Es kann die Kommunikationsabläufe interpunktieren, in Einzelsequenzen zerlegen und die wechselseitigen Beeinflussungen der Kommunikationsteilnehmer entdecken. Durch das Denken kann es die vorhandenen Erwartungen im sozialen System erschließen und abschätzen, für welche seiner Kommunikationsangebote es belohnt oder bestraft wird.

Durch die Fähigkeit des Denkens, Optionen zur Problem- und Konfliktlösung zu entwickeln und die Auswirkungen möglicher Zukunftsszenarien zu analysieren, hilft das Denken uns bei dem Treffen von Entscheidungen und der Auswahl, welche Outputleistung in Form von Kommunikation das psychische System generieren will. Das Denken kann die möglichen Konsequenzen, die aus einer Entscheidung resultieren, antizipieren und dem psychischen System so wichtige Informationen vermitteln, die es ihm ermöglicht, zwischen den verschiedenen Wahlmöglichkeiten zu entscheiden. Denken ermöglicht erst die freie Wahl zwischen Entscheidungen, weil das Denken immer auch die anderen Optionen in der betreffenden Situation offenlegen kann.

Zum Denken, und das ist gerade für soziale Situationen sehr wichtig, gehört auch die Fähigkeit, sich in andere psychische Systeme und deren Gefühls- und Gedankenwelt hineinzuversetzen, das heißt, verschiedene Perspektiven entwickeln und einnehmen zu können. Diese Fähigkeit ist zum Verständnis sozialer Prozesse und andere psychischer Systeme enorm wichtig, da nur diese Empathiefähigkeit die Abstimmungsprozesse der Kommunikation zwischen zwei oder mehreren psychischen Systemen ermöglicht. Ohne diese Fähigkeit würden wir wie Elefanten im Porzellanladen durch unsere sozialen Beziehungen zu den vielen anderen psychischen Systemen laufen. Streit, ständige Konflikte und unkoordinierte Verhaltensweisen zwischen den Kommunikationspartnern wären die Folge. Ohne das Wissen, wie es um das andere psychische System bestellt ist, was ihn ihm vorgeht, was es fühlt und was es denkt, würde die Wahrscheinlichkeit von nichtkompatiblen Kommunikationsanschlüssen stark ansteigen. Wir sähen uns mit dem Phänomen von Kommunikationsstörungen im erhöhten Maße konfrontiert mit der Folge eines erhöhten Bedarfs an Metakommunikation. Diese wäre aber ohne Empathiefähigkeit ebenfalls zum Scheitern verurteilt. Die Fähigkeit, sich in andere psychische Systeme einzufühlen, resultiert aus der strukturellen Ähnlichkeit aller psychischen Systeme sowie aus der Erfahrung aus den bereits gemachten Kommunikationen. Aus diesen Erfahrungen kann das Denken einfühlend Rückschlüsse ziehen über das, was der andere denkt und fühlt und auf welche Weise er dies tut. Dabei hat es aber nie die Gewissheit, ob dass, was es meint, dass der andere denkt und fühlt, auch wirklich so ist. Empathie und die Übernahme der Perspektive anderer psychischer Systeme ist nichts als die Eigenleistung des eigenen psychischen Systems. Wir können den anderen nur vor den Kopf gucken sowie seine Handlungen beschreiben. Sein Innenleben bleibt für uns verschlossen. Wir können nur versuchen aufgrund von Erfahrungswerten aus der Kommunikation mit dem anderen System und aus darauf aufbauenden Rückschlüsse auf seine Gefühls- und Gedankenwelt, diese zu konstruieren, ohne wissen zu können, ob die Konstruktion zutrifft oder nicht. Die Einfühlung in die Gedankenwelt des anderen ist immer eine Eigenkonstruktion des psychischen System.

Das Denken lässt sich in drei Kategorien einteilen:

1) Das schlussfolgernde Denken

Das schlussfolgernde Denken verknüpft Beobachtungen, setzt Sachverhalte, Unterschiede, affekt-kognitive Schemata in Beziehung zueinander und zieht daraus Rückschlüsse. Es erschließt sich Sachzusammenhänge und erkennt die Regelmäßigkeiten und Wirkungszusammenhänge des beobachteten Objektes. Daraus werden dann Theorien und Erklärungen über dessen Funktionsweise gebildet. Beim schlussfolgernden Denken wird in der Regel vom Allgemeinen auf den Einzelfall geschlossen. Logische Gültigkeit erreicht eine Erklärung des Denkens dann, wenn aus der Analyse ihrer Wirkungszusammenhänge sich zwingend eine Schlussfolgerung aufdrängt und andere ausgeschlossen werden können (vgl. Oerter/ Montada 1995, S. 550). In der Regel folgt das schlussfolgernde Denken hier der zweiwertigen Logik: entweder ist eine Aussage falsch oder die Aussage ist wahr. Die zweiwertige Logik stellt dem Denken damit Kriterien zur Verfügung, um den Wahrheitsgehalt einer Aussage, eines Unterschiedes oder von kybernetischen Kreisläufen zu überprüfen und eine Entscheidung darüber zu treffen. Gerade diese Logik wird für das psychische System schnell zu einem Problem, wenn es bei Aussagen zu Paradoxien kommt. Ein schönes Beispiel dafür ist der Satz: „Dieser Satz ist falsch.“ Wenn die Aussage dieses Satz falsch ist, dann kann er nicht gleichzeitig wahr sein. Und wenn die Aussage wahr, dann kann sie nicht lautet: dieser Satz ist falsch. Dies kann lebende Systeme vor enorme Herausforderungen stellen, denn das Alltagsleben ist voll von Paradoxien, die der zweiwertigen Logik widersprechen. Wenn das psychische System diese Paradoxien nicht auflösen kann, steigt die Wahrscheinlichkeit an, dass es als Lösung verschiedene psychische Störungsmuster wählt. Nach Simon lassen sich die Paradoxien aufheben, indem „man neben der Wahrheitswerten „wahr“ und „falsch“ noch den dritten Wert „imaginär“ (vgl. Simon 1999, S. 160)“, hinzufügt und so das Paradox entparadoxiert. Imaginär bedeutet, dass das psychische System Zeit, Phantasien, Utopien als ebenso bestimmend für das Leben annimmt wie alle real existierenden Begebenheiten. Mit diesem Rüstzeug kann es dann den Paradoxien des Lebens trotzen (vgl. Simon 1999, S. 160). Imaginär meint auch, dass Kriterium des Sowohl-als-auch. Eine Aussage kann sowohl richtig als auch falsch sein. Imaginär bedeutet sich vorzustellen, dass beides „Wahr“ und „Falsch“ zur gleichen Zeit möglich ist.

2) Das induktive Denken

Das induktive Denken schließt von der Einzelbeobachtung auf das Allgemeine. Das Denken verallgemeinert einmal erkannte kybernetische Wirkungszusammenhänge oder Kausal-Ketten von einem beobachteten Sachzusammenhang auf viele Sachzusammenhänge. Ein Beispiel hierfür wäre: zwei Leute streiten sich, sie brüllen sich heftig an und nach zwei Minuten gibt der eine dem anderen eine Ohrfeige. Wenn man aus dieser Beobachtung dann folgendes ableitet: „Bei Streitereien zwischen Menschen wird sich zwei Minuten angebrüllt, dann werden Ohrfeigen verteilt, dann wäre dies ein Beispiel für das induktive Denken. An diesem Beispiel wird auch die Schwierigkeit des induktiven Denkens deutlich, produziert es doch große Unsicherheiten, was den möglichen Wahrheitsgehalt einer deskriptiven Regel ausmacht (vgl. Oerter/ Montada 1995, S.591).“

3) Das empathische Denken

Das empathische Denken steht für die Fähigkeit des psychischen Systems, sich in andere psychische Systeme hineinzuversetzen. Hierdurch wird es dem psychischen System erlaubt, sich andere Gefühls- und Gedankenwelten zu erschließen. Gleichzeitig ist das empathische Denken die Grundvoraussetzung für eine störungsfreie Kommunikation. Durch die Empathie ist es mehreren psychischen Systemen möglich, ihre Kommunikation untereinander abzustimmen und zu koordinieren. Diese Koordinierungsleistung kann von den psychischen Systemen nur erbracht werden, wenn sie zu vermuten wissen, was der andere denkt, fühlt und vor allem, was der andere an Kommunikationsanschlüssen erwartet. Hierfür ist das empathische Denken (Empathiefähigkeit) die notwendige Voraussetzung, immer getragen von dem Risiko, die Gefühls- und Gedankenwelt des anderen nicht richtig erfasst zu haben. Indem Fall kommt es zu Störungen in der Kommunikation. Die Beteiligten haben dann die Möglichkeit der Metakommunikation, um die Störung zu entstören.

Zusammengefasst bedeutet das für das psychische System:

Das Subsystem Denken stellt durch seine strukturelle Kopplung mit dem psychischen System diesem wichtige Funktionen zur Verfügung. Es ermöglicht dem psychischen System, Sachzusammenhänge und soziale Interaktionen zu analysieren, indem es Theorien und Erklärungen für deren Funktionsweise konstruiert. Dies macht es durch In-Beziehung-setzen der einzelnen Elemente, durch Vergleiche, durch Aufstellen von Hypothesen und dem Arbeiten mit der zweiwertigen Logik, durch Rückschlüsse aus den beobachteten Dingen, durch Vergleiche mit den vorhandenen Wissen in den affekt-kognitiven Schemata und durch die Entwicklung von Erklärungsansätze. Das Denken hilft bei der Entwicklung von Handlungsplänen. Es prüft Entscheidungen auf ihre Konsequenzen in der Zukunft, so dass das psychische System Orientierungshilfe erhält, welche Entscheidung in der Situation die beste ist. Damit ist das Denken auch der Ort, an dem psychische Systeme Lösungen für Probleme und Konflikte entwickeln. Dies geschieht durch das Entwerfen von verschiedenen Optionen, deren ständigen Re- und Neukombination sowie durch den Vergleich mit alten erfolgreichen Lösungen, ob sie auf das aktuelle Problem anwendbar sind oder nicht.

2.2.12 Sprache

Sprache ist mit dem Denken auf das engste verflochten. Schon allein die Tatsache, dass wir zum Aufbau von affekt-kognitiven Schemata auf die Fähigkeit der Bezeichnung von beobachtbaren und wahrgenommenen Unterschieden angewiesen sind, verdeutlicht die Bedeutung der Sprache für das Denken und die kognitiven Fähigkeiten des psychischen Systems. Sprache findet sich in jeder Kultur wieder und basiert auf der Nutzung von Zeichen zur Bezeichnung von Dingen der materiellen und immateriellen Welt. Welche Zeichen gewählt werden, ist kulturabhängig und für den Gebrauch von Sprache unbedeutend. Hauptsache ist, es kommt im Laufe der Zeit innerhalb der Kultur zu einer Verständigung darüber, welches Zeichen was bezeichnet und was bedeutet. Sprache zeichnet sich durch eine ungeheure Plastizität aus, indem sprachliche Zeichen einen groben Bedeutungsrahmen markieren, so dass kommunikative Verständigung ermöglicht wird. Dem einzelnen psychischen System steht aber genügend Freiraum zur Verfügung, zusätzliche Bedeutungen und Inhalte in das sprachliche Zeichen zu legen, ohne dass dadurch der grobe Bedeutungsrahmen entscheidend verändert würde. Käme es durch diesen Prozess zu einer gravierenden Veränderung des Bedeutungsrahmens des sprachlichen Zeichens, so würde die Kommunikation erheblich gestört. Der grobe Bedeutungsrahmen stellt eine gesellschaftliche und kulturelle Übereinkunft über den Bedeutungsinhalt der symbolischen Zeichen dar. Ein Hund ist dann eben ein Hund und keine Katze. Indem Wort Hund kann das psychische System aber weitere Bedeutungen hinterlegen, wie z.B. lose Assoziationen, dass Hunde lieb, gehorsam, des Menschen Freund, verspielt sind und Bewegung brauchen, während ein anderes psychisches System in das Wort Hund vielleicht diese weiteren Bedeutungen gelegt hat: Hunde können beißen, kleine Hunde knurren immer, sie sabbern und machen Dreck in der Wohnung und kosten viel Geld.

Schriftsprache kann sich in Buchstaben oder Schriftzeichen, kann von rechts nach links oder von oben nach unten oder von unten nach oben verwandt werden. Einzelne Buchstaben werden zusammengesetzt, so dass sie Wörter bilden und dadurch Dinge der materiellen und immateriellen Welt bezeichnen können.

Daher ist die Entwicklung der Sprachfähigkeit eine wichtige Grundlage für die Entwicklung formaler und abstrakter Denkoperationen. Wir denken nicht nur in Bildern, wir denken vor allem in Sprache. Unsere Sprachfähigkeit prägt unsere Denkfähigkeit, wie umgekehrt die Denkfähigkeit unsere Sprachfähigkeit entscheidend beeinflusst. Sprachlich analysieren wir Situationen und unser eigenes Handeln. Sprachlich führen wir Bewertungen von gut und schlecht ein und entwickeln Optionen, wie wir auf den dargebotenen Stimulus reagieren können. Genauso prägt Sprache unsere Fähigkeit, unsere Emotionen differenziert zu benennen, wobei wir hier merken, dass schnell die Grenzen der Sprache erreicht sind, denn Emotionen lassen sich nur schlecht in Form codierter Zeichen beschreiben und in kommunikativen Prozessen an andere mitteilen.

Sprache ist ein Kulturgut, durch das wir in der Lage sind, Wissen abzuspeichern und späteren Generationen zur Verfügung zu stellen. Daher wird die Erfindung des Buchdruckes durch Gutenberg nicht umsonst als eine evolutionäre Erfindung und Meilenstein in der Entwicklung der Menschheit angesehen, weil erst durch die Speicherung von Wissen in Schriftsprache die Wissenschaft derartige Fortschritte verzeichnen konnte. Die Wissenschaftler konnten die Erkenntnisse anderer nachlesen und darauf aufbauen. Zudem wurde durch die schriftliche Speicherung das Wissen ortsunabhängig und konnte über ein größeres Territorium verteilt werden. Die mündliche Wissensüberlieferung war an Personen gebunden und damit war der räumliche Aktionsradius der Wissensverbreitung erheblich eingeschränkt.

Sprache selbst ist ein in sich hochkomplexes System. Sie lässt sich in verschiedene Elemente beschreiben, die ihrerseits untereinander in Beziehung stehen:

Die suprasegmentalen Komponenten:

Die suprasegmentalen Komponenten bezeichnet die Fähigkeit, Spracheinheiten (Tonhöhe, Lautheit, Länge (Pause) von Sprachlauten) zu erkennen und zu produzieren. Diese Fähigkeit wird im Rahmen der kindlichen Entwicklung erworben.

Die Phonologie

Die Phonologie ist ein Teil der Lautlehre, im der das System der Phoneme beschrieben wird. Phoneme sind die kleinste deutungsunterscheidende Einheit der Sprache. Sie organisieren die Sprachlaute der gesprochenen Sprache. Das Wort Schal beinhaltet drei Phoneme: sch, a und l.

Die Morphologie

In der Morphologie geht es um die Wortbildung aus den vorhandenen Phonemen. Die Phoneme werden zu Wörtern zusammengesetzt, die zuvor in einem evolutionären gesellschaftlichen Prozess entstanden sind. In diesem Prozess hat man sich verständigt, dass genau diese Kombination der Phoneme das Wort „Hund“ ausmachen und eben dieses Tier bezeichnen.

Die Syntax

Syntax bedeutet Zusammenstellung. In der Syntax geht es um die Muster und die Regeln, nach denen aus einzelnen Wörter Phrasen und Sätze zusammengestellt werden.

Lexikon

Der Begriff des Lexikons markiert die Bedeutung der Wörter, sprich die Wortsemantik. Das Lexikon stellt das erworbene Wissen dar, welches Wort in welchem gesellschaftlichen Kontext was bedeutet.

Sprechakte

Sprechakte stellen sprachliches Handeln dar. Die Sprache wird genutzt, um dem anderen Kommunikationspartner eine Information mitzuteilen. Der Sprechakt basiert auf der Konfiguration der Phoneme zu gesellschaftlich definierten Wörtern. Danach werden verschiedene Wörter zu einem Satz zusammengestellt. Das Bindeglied zwischen den Wörtern sind grammatikalische Regeln und Sinn. Das Aussprechen einzelner Wörter oder Sätze stellt den Sprachakt, das sprachliche Handeln, dar.

Diskurs

Der Diskurs stellt die kohärente Organisation von Gesprächen angepasst an verschiedene soziale Situationen dar (vgl. Oerter/ Montada 1995, S. 705ff). Ich werde hier später von Kommunikation sprechen und diese eingehend analysieren und beschreiben.

An dieser kurzen Beschreibung kann man die Bedeutung der Sprache für das psychische System ablesen. Durch die Sprache wird es der Beobachtung ermöglicht, die Unterschiede, die sie wahrgenommen hat, mit Wörtern zu bezeichnen. Diese führen zum Erkennen und zum Erschaffen von Wirklichkeitskonstruktionen. Die affekt-kognitiven Schemata, aus denen sich die Wirklichkeitskonstruktionen zusammensetzt, sind das Bündel an Bezeichnungen, Bedeutungsinhalten, emotionalen Einfärbungen, Hypothesen, Erklärungen, Kausalketten oder kybernetische Wirkungskreisläufe, präskriptiven und deskriptiven Regeln und Handlungsplänen. Ihr Medium der Kodierung ist die Sprache. Durch Sprache beschreiben wir die Wirklichkeit, wie wir sie konstruieren. Unsere Handlungs- und Kommunikationsmöglichkeiten werden durch unsere sprachlichen Möglichkeiten definiert. „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.“, so pointiert hat es Wittgenstein formuliert, um die Bedeutung der menschlichen Sprache für das Erleben und Handeln des Menschen deutlich zu machen.

2.2.13 Der Innere Teamleiter

Der innere Teamleiter ist ein Konstrukt, der in dieser Form sicherlich nicht im psychischen System anzutreffen ist. Er ist dem psychoanalytischen Ich verwandt. Es ist eine nützliche Metapher zur Beschreibung von innerpsychischen Vorgängen der Entscheidungsfindung. Das Modell des Inneren Teamleiters geht auf Schulz von Thun zurück.

Jeder kennt das Phänomen, dass man bei Konflikten und Problemen unter Druck gerät, Entscheidungen treffen zu müssen. Oft ist es dann so, als würde im Inneren ein Chor von verschiedenen Stimmen erklingen. Die Stimmen sind der Ausdruck der internen Teammitglieder eines psychischen Systems. Jedes innere Teammitglied tritt dabei für eine andere Meinung und Ansicht ein. Sie kämpfen und ringen mit den anderen inneren Teammitgliedern, um sie von ihrer Position und Meinung zu überzeugen. Sie versuchen, den inneren Teamleiter zu einer bestimmten Entscheidung zu bewegen. Im psychischen System ist ein Stimmenchaos entstanden. Ohne Ordnung dieses Chaos kann das psychische System keine Entscheidungen treffen, weil die inneren Teammitglieder sich im Widerstreit befinden und das Chaos eine ungeheure interne Gruppendynamik auslöst. Das psychische System ist zur Entscheidungsunfähigkeit verurteilt. Die inneren Teammitgliedern melden sich bei anstehenden Entscheidungen mal früh, mal spät, mal laut, mal leise zu Wort. Einige der inneren Teammitglieder sind erwünscht, andere nicht, und dennoch sind sie da (vgl. Schulz von Thun 1998, S. 22ff). Die Adressaten der inneren Botschaften sind der innere Teamleiter, andere innere Teammitglieder oder außenstehende Personen. Die inneren Teammitglieder, die nach außen kommunizieren, mischen den Kommunikationsbeiträgen den gewissen Unterton bei.

Das innere Team setzt sich aber immer kontextabhängig zusammen. Die Kontexte definieren, welche Mitglieder des inneren Team die Bühne des Diskurses – oder des inneren Teamgesprächs – betreten. Die Kontexte können z.B. folgende sein:

Alltagssituationen aller Art, wie z.B. das Schenken eines süßen Bonbons an die eigene Tochter durch den Verkäufer. Zum einen kann sich ein inneres Teammitglied über die Freundlichkeit des Verkäufers freuen, während ein anderes sich aufregt, dass das Bonbon den Zähnen des Kindes schadet. Wie kann daher der Verkäufer dem Kind ein Bonbon geben?!

Besondere Ereignisse, wie z.B. die Hochzeitsrede, die ich halten muss. Ein inneres Teammitglied könnte mit der Ausarbeitung der Rede zufrieden sein, während ein anderes Teammitglied stark zweifelt, ob die eingebauten Witze bei der Hochzeitsgesellschaft auch ankommen werden. Ein drittes Teammitglied könnte die Witze gut finden, aber den Anfang der Rede für unpassend halten.

Lebensthemen, wie z.B. Heiraten mit oder ohne Trauschein, Kinder bekommen oder es bleiben lassen, ein Haus bauen oder doch nur eine Eigentumswohnung kaufen.

Aufgaben, wie z.B. die Haushaltsführung, Kinderbetreuung, die Erarbeitung einer Präsentation können immer eine Versammlung der unterschiedlichen Teammitglieder hervorrufen.

Fragen der Zeit, die zur Mitgestaltung der Gesellschaft aufrufen, wie z.B. volle Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Umgang mit der Arbeitslosigkeit, Reaktionen auf aggressive verhaltensauffällige Kinder.

Beziehungspartner aktivieren und lösen unterschiedliche Teamkonstellationen im Innern des psychischen Systems aus, wenn man in Kontakt zu seinem Lebenspartner, zu seinen Eltern oder dem Vorgesetzten tritt.

Die Rolle im beruflichen Kontext erfordert bestimmte Verhaltensbereitschaften, die kontrovers von den inneren Teammitgliedern diskutiert werden können.

Existentielle Fragen, wie z.B. in welche Richtung soll sich mein Leben entwickeln, welchen Sinn soll mein Leben haben oder was zählt für mich? (vgl. Schulz von Thun 1998, S. 36-38.)

Der innere Teamleiter wird bei Schulz von Thun das Oberhaupt genannt. Ich bleibe aber bei dem Begriff des inneren Teamleiters, weil er besser das beschreibt, welche Aufgaben und Funktionen der innere Teamleiter hat.

Der innere Teamleiter hat im Wesentlichen die Funktion und die Aufgabe, die Moderation des Diskurses zwischen den einzelnen inneren Teammitgliedern zu übernehmen und Entscheidungen herbeizuführen. Dabei ist es wichtig, dass er jedem Teammitglied die notwendige Zeit zum Darlegen seiner Ansichten einräumt. Er hat eine integrative Funktion, indem er durch die Art und Weise der Prozessgestaltung dafür sorgen kann, dass am Ende des Diskussionsprozesses eine Entscheidung steht, die von einer Mehrzahl des Teams getragen werden kann. Das erfordert Kenntnisse und Fähigkeiten zum Konfliktmanagement auf Seiten des inneren Teamleiters (vgl. Schulz von Thun 1998, S. 70).

Das Konzept des inneren Teamleiters lässt sich gut in die bestehenden Ausführungen einarbeiten. Der innere Teamleiter greift in seiner Arbeit auf das Denken zurück, indem er die verschiedenen Perspektiven, Hypothesen, unterschiedlichen Erklärungen und Theoriemodelle ordnet und den Prozess der Auseinandersetzung koordiniert. Der innere Teamleiter trifft dann auf Basis der vorher geführten Analysen eine Entscheidung, wie das Ergebnis des Diskussionsprozesses sein kann. Der Teamleiter ist die koordinierende, moderierende und entscheidende Instanz im psychischen System, gerade wenn man sich zwischen Wahlmöglichkeiten entscheiden muss.

Wenn das Denken unterschiedliche Perspektiven auf die Realität entwickelt und bestimmte Verhaltensweisen nahe legt, die Emotionen aber zu ganz anderen Einschätzungen und Verhaltensempfehlungen kommen, dann ist der innere Teamleiter als abwägende, sich die einzelnen Ansichten und Positionen anhörende Instanz gefragt, die dann nach einer Abwägung zu einer Entscheidung kommt, welche Gedanken- oder Kommunikationsanschlüsse generiert werden sollen. Die unterschiedlichen Denkpositionen und -ansichten sowie die unterschiedlichen emotionalen Einschätzungen finden ihre Stimme in den verschiedenen inneren Teammitgliedern. Der innere Teamleiter sorgt für die Überwindung von Widersprüchen und Konflikten im System. Er moderiert dabei den Prozess. Er ist auch gefragt bei der Entwicklung von verschiedensten Optionen, auf ein Kommunikationsangebot zu reagieren. Er nutzt dabei die Analysefähigkeiten des Denkens, die Meinungen und Ansichten der einzelnen Teammitglieder und die affektiven Hinweise, um die Vor- und Nachteile der verschiedenen Optionen zu vergleichen und die beste Option für das System zu ermitteln. Der Teamleiter ist Moderator und letzte Entscheidungsinstanz im psychischen System. Der innere Teamleiter entscheidet, wie viele Informationen er bei der Findung und Planung einer Entscheidung berücksichtigen will. Er kann sich damit begnügen, nur eine einzige Information als Grundlage für eine Entscheidung und die daraus resultierende Handlungswahl zu berücksichtigen oder er kann seine Entscheidung auf der Grundlage differenzierter Informationen treffen. Der innere Teamleiter koordiniert aber noch mehr, ist er doch die Schnittstelle zwischen biologischen, psychischen und sozialen Informationen. Insofern greift er auf die Informationen des biologischen und sozialen Systems des Menschen zurück, die zuvor in Gedanken transformiert wurden. Dabei kann es sich z.B. um Signale des Hungergefühls, von Schmerzen oder einer gesteigerten Herzfrequenz sowie um soziale Informationen zu bestimmten gerade erlebten Kommunikationsthemen handeln.

Das Treffen der Entscheidung durch den Teamleiter löst beim psychischen System eine Outputleistung in Form von Verhalten/Kommunikation oder der weiteren Produktion der Gedanken aus den Gedanken aus. Die Outputleistung kann auch in der Veränderung der affekt-kognitiven Schemata, der Generierung von Gefühlszuständen und in verschiedenen Formen des Erlebens bestehen.

Die Outputleistung steht am Ende der Informationsverarbeitung und ist immer Produkt einer zirkulären, vernetzten und in gegenseitiger Wechselwirkung stehenden Interaktion der unterschiedlichen Subsysteme des psychischen Systems. Erst in dieser verschachtelten Netzwerkstruktur ist unter Beteiligung aller Subsysteme das Generieren von verschiedenen Outputleistungen möglich. Dabei hängt das Ergebnis der Outputleistung immer von dem jeweiligen Zustand des Subsystems ab. Die Subsysteme sind in der Lage, eine unüberschaubare Vielzahl an unterschiedlichen Zuständen einzunehmen, so dass ein und dieselbe Information zu verschiedenen Zeiten zu unterschiedlichen Outputleistungen des psychischen Systems führen kann.

Für das psychische System bedeutet das: Der innere Teamleiter ist die Steuerungsfunktion für die unterschiedlichen Subsysteme des Psychischen. Er koordiniert nicht nur die Subsysteme und deren Repräsentation durch die inneren Teammitglieder, sondern er nutzt durch eine Metaposition die verschiedenen Informationen, Perspektiven und Handlungs- und Kommunikationsvorschläge der inneren Teammitgliedern für die Entscheidungsfindung. Die Entscheidung führt zur Generierung der Outputleistung des psychischen Systems in Form von weiteren reflexiven Denkprozessen (Gedanken aus Gedanken), der Veränderung der affekt-kognitiven Schemata, von emotionalen Gefühlszuständen oder von Verhalten bzw. Kommunikation.

2.2.14 Emotionen

Emotionen sind nicht so ohne weiteres zu fassen. Sie gehören zum Leben wie das Atmen, stellen oftmals das Salz in der Suppe der täglichen Eindrücke dar, dennoch entziehen sie sich uns, wenn wir versuchen, sie zu beschreiben und anderen mitzuteilen. Hier stößt Sprache an die Grenzen ihrer Beschreibungsmöglichkeiten. Emotionen kann man „als einen erlebten Zustand bezeichnen, als eine Stimmung, die auf einen externen (den drohenden Fremden) oder internen Reiz (den langandauernden Hunger) hin erlebt wird.“ (Hülshoff 1999, S. 32) Emotionen wirken sich immer mehrdimensional aus. Sie bewirken vegetativ-körperliche Veränderungen, indem sie z.B. die Pulsfrequenz, die Pupillenreaktion und Darmtätigkeit beeinflussen und verändern. Auf der motorisch-expressiven Ebene äußern sich die Emotionen in der Mimik, Gestik, Körperhaltung, in der Stimmlage, dem Tonfall und der Lautstärke sprachlicher Mitteilungen. Emotionen beeinflussen aber auch unsere Handlungsabsichten und Motivationen. Der Gefühlszustand, in welchem wir uns befinden, entscheidet mit, wie wir in bestimmten Situationen reagieren: ob wir in einer als eher bedrohlich bewerteten Situation zum Angriff übergehen oder fliehen, ob wir eher der Diskussion ausweichen und uns still verhalten oder ob wir eine angespannten Atmosphäre durch einen guten Witz auflockern. Emotionen sind die Grundlage vieler Verhaltensweisen. Sie senden soziale Signale an andere Kommunikationspartner und an das Denksystem.

Basis für die emotionalen Prozesse ist das Gehirn. Das Gehirn lässt sich grob in drei Teile unterscheiden: das Großhirn, das limbische System, das Reptiliengehirn (mit Stamm- und Zwischenhirn). Für die Entwicklung der Emotionen ist vor allem das limbische System im Gehirn verantwortlich. Vom limbischem System gehen mächtige Faserverbindungen zu untergeordneten Strukturen des Stammhirns, welches wiederum eng vernetzt ist mit der Hypophyse, unserer obersten Hormondrüse. Diese Verbindung ist für den Menschen überlebenswichtig, da eingehende Informationen aus der Umwelt im limbischem System verarbeitet werden können und bei der Entdeckung z.B. einer Bedrohung können unter Umgehung der reflexiven Strukturen des Gehirns sehr zeitnahe Reaktionen und Handlungen aktiviert werden. Eine blitzschnelle Reaktion auf die Bedrohung wird dadurch erst ermöglicht. Ein Autofahrer fährt auf einer Landstraße und plötzlich springt ein Reh auf die Straße. Das Reh wird durch das limbische System als Bedrohung eingestuft. Es nimmt also eine Bewertung vor. Die Informationen werden dann an die untergeordneten Bereiche des Stammhirns weitergeleitet. Die Hypophyse schüttet Hormone aus und versetzt den Körper in erhöhte Anspannung. Eine Angriff-Flucht-Reaktion ist vorbereitet (vgl. Hülshoff 1999, S. 31ff.) Der Pulsschlag erhöht sich, der Körper wird in Anspannung versetzt und es kommt zu einer blitzschnellen Reaktion. Der Autofahrer tritt mit aller Kraft auf die Bremse. In einer solchen Situation haben wir schlichtweg keine Zeit, die Situation durch das Denken eingehend analysieren zu lassen, um in einer inneren Teamsitzung bestehend aus verschiedenen Mitgliedern des inneren Teams das weitere Vorgehen zu beratschlagen. Nach Beendigung der Autofahrt kann der Autofahrer durch das Denken analysieren, ob all seine gezeigten Verhaltensweisen nützlich für die Bedrohungssituation waren, aber in der Situation selbst hat er dazu keine Zeit. Er muss blitzschnell reagieren, um größeren Schaden zu vermeiden.

Das Großhirn ist in der Lage, die Emotionen mit kognitiven Inhalten zu überformen. Daraus können dann die affekt-kognitiven Schemata gebildete werden. „Die geistige Tätigkeit des Menschen funktioniert als Einheit, Denken ist stets von Fühlen begleitet und umgekehrt.“ (Simon 1999, S. 129).

Emotionen bewerten als erste Instanz eingehende Informationen im psychischen System. Sie versehen die beobachteten Informationen aus der Umwelt mit emotionalen Bedeutungsdimensionen. Diese lassen sich in stark/schwach, aktiv/passiv und gut/böse unterteilen. Die Informationen werden mit diesen emotionalen Bedeutungsinhalten versehen. Hinter diesen Bedeutungsinhalten können dann emotionale Zustände wie Wut, Mitleid, Trauer, Angst u.ä. stehen. Die emotionalen Bedeutungsinhalte ermöglichen erst die oben beschriebene Angriff-Flucht-Reaktion, denn die emotionale Bewertung ermöglicht eine Kurzanalyse der Welt und ermöglicht damit schnelles Handeln (vgl. Simon 2000, S. 170). Das Reh kann man oben als stark, aktiv und gut emotional bewerten, so dass die Reaktion in Angriffsverhalten mündet, sprich dem harten Tritt auf das Bremspedal. Die gleiche emotionale Bewertung könnte auch eine Fluchtreaktion hervorrufen. Die Flucht wäre das Umfahren des Rehs gewesen, mit all den erhöhten Risiken für das eigene Auto und die eigene Person.

Emotionen sind eine Kurzanalyse und Bewertungsinstanz von eingehenden Informationen. Sie beraten das psychische System, welche Handlungsoptionen es wählen soll. Die Informationen werden emotional aufgeladen sowie mit den emotionalen Bedeutungsinhalten stark/schwach, aktiv/passiv, gut/ böse versehen. Die Emotionen stellen eine Weiche für die späteren Entscheidungen des psychischen Systems, legen sie doch durch die emotionale Aufladung der Informationen bestimmte Gedanken, die Nutzung bestimmter affekt-kognitiver Schemata und die Wahl bestimmter Kommunikationen und Handlungen als Reaktion auf die Information nahe. Sie beraten das psychische System in der Wahl seiner Outputleistung, indem es bestimmte Outputleistungen wahrscheinlicher macht als andere. Diejenigen Outputleistungen werden präferiert, die die Aussicht auf eine Belohnung durch das emotionale System nahe legen. Diese Vorweichenstellung der möglichen Outputleistung des psychischen Systems durch die emotionale Aufladung ist nicht deterministisch. Sie kann durch das Beobachten weiterer Informationen und das Denken umkonstruiert werden, so dass am Ende andere Kommunikationen als Outputleistung realisiert werden, als es die emotionale Weichenstellung vorgesehen hatte.

Denken und Emotionen sind eng miteinander verzahnt, sofern die Situation Zeit lässt für solche Prozesse. Emotionen können maßgeblich die weiteren kognitiven Prozesse in bestimmte Richtungen lenken. Gleichwohl herrscht kein Primat der Emotionen vor, denn auch Kognitionen können Emotionen hervorrufen, überformen und für den weiteren Informationsverarbeitungsprozess steuernd kanalisieren. Dies führt aber auch nicht zu einem Primat der Kognition, sondern welcher Bereich des psychischen Systems dominierend ist, hängt von der aktuellen psychischen Befindlichkeit des psychischen Systems sowie den Erfordernissen der sozialen Umwelt ab.

Denken und Emotionen sind zwei Beratungs- und Bewertungsinstanzen des psychischen Systems, um seine Umwelt analysieren und bewerten zu können. Beide Instanzen entwickeln dann Vorschläge, aufbauend auf den vorhandenen affekt-kognitiven Schemata und den dort enthaltenden Handlungsplänen zur Generierung der Outputleistung. Der innere Teamleiter hat dann zwischen den verschiedenen Vorschlägen eine Entscheidung zu treffen, sprich er muss zwischen den Gedanken- und Kommunikationsalternativen wählen. Die Entscheidung mündet dann in eine oder mehrere Outputleistungen des psychischen Systems.

Emotionen geben der Information erst ihre Farbe, ihre Intensität und Tiefe. Ohne Emotionen wäre die Welt der Informationen farblos und langweilig. Durch die Emotionen wird der Aufmerksamkeitsfokus des psychischen Systems gelenkt. Informationen mit einer hohen emotionalen Aufladung finden eher Beachtung in der weiteren Informationsverarbeitung des psychischen Systems als Informationen mit einer geringeren emotionalen Aufladung. Dies hat zur Folge, dass auch der Fokus des beobachteten Systems sich eher auf die Situationen in der sozialen Umwelt richtet, die starke Emotionen beim Beobachter hervorrufen. Die Situationen mit einem geringen emotionalen Wert für den Beobachter werden von ihm eher vernachlässigt. Emotionen steuern, neben dem Denken, den Fokus unserer Beobachtung.

Emotionen lenken durch die unterschiedliche emotionale Aufladung von Informationen deren Abspeicherung im Gedächtnis. Emotional höher aufgeladene Informationen werden eher in den weiteren autopoietischen Prozessen weiterverarbeitet als Informationen mit einer geringen emotionalen Aufladung. Dieser unterschiedliche Grad der emotionalen Aufladung der Information beeinflusst auch die Abspeicherung im Gedächtnis. Hoch emotional aufgeladene Informationen werden besser in affekt-kognitiven Schemata abgespeichert und später aus dem Gedächtnis assoziativ rekonstruiert, als Informationsinhalte mit einer geringen emotionalen Aufladung. Emotionen dienen der ersten Selektion und Bewertung von Sinneseindrücken. Nur was Emotionen auslöst, hat eine größere Chance, im weiteren Prozess der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung Berücksichtigung zu finden.

Emotionen besitzen eine wichtige Funktion in der Regulierung von Interaktionen, indem Freude eher Nähe an den Kommunikationspartner signalisiert, während Wut eher die Distanz zwischen ihnen vergrößert. Emotionen signalisieren die Bedürfnisse und Wünsche des Interaktionspartners, so dass bestimmte Reaktionen wahrscheinlicher als andere gemacht werden (vgl. Resch u.a. 1999, S. 127ff.)

Folgende Emotionen lassen sich ausdifferenzieren:

Angst

Angst ist eine entwicklungsgeschichtlich sehr alte und sehr einflussreiche Emotion im psychischen System des Menschen. Angst warnt uns vor Gefahren und unterstützt uns so, diese Situationen zu vermeiden. Angst bewirkt ein Weggehen aus der Gefahrensituation. Angst warnt uns und hilft uns innezuhalten, damit wir, bevor wir handeln, Situationen und Anforderungen einer Risikoanalyse unterziehen können. Angst kann uns davor schützen, Fehler zu machen und uns in Gefahrensituationen zu begeben. Sie hilft uns, Schaden von unserem Körper und unseren Beziehungen zu anderen Menschen abzuwenden.

In Bedrohungssituationen ist Angst für die sogenannte Flight-und-Figth-reaction mitverantwortlich, so dass, je nach Bedrohungslage der Körper durch die Angstemotionen auf diese beiden Handlungsmöglichkeiten vorbereitet wird. Angst hat aber nicht nur eine äußerst aktivierende und handlungsbereitmachende Komponente, sondern sie kann auch auf körperlicher Ebene zu einer starken Lethargie und Starrheit führen. Man kann sich dann vor Schreck nicht mehr bewegen und wird handlungsunfähig.

Verlust, Trauer, Kummer und Depression

Das menschliche Leben ist ohne die Emotion des Verlustes und der Trauer nicht vorstellbar. Schon Kinder kennen das Gefühl, wenn sie den Verlust eines zerstörten Spielzeugs erleben und fühlen. Verlust und Trauer begleiten uns durch den Alltag. Dabei wirkt sich das Gefühl des Verlusts und der Trauer auf die Mimik und Gestik, auf unsere Energetisierung und auf unsere Körperhaltung aus. Die Mimik wird starr und scheint leblos, der Blick wird tot. Das Niveau der Energetisierung sinkt deutlich ab, wir fühlen uns saft- und kraftlos. Verlust und Trauerreaktion führen zu Mutlosigkeit, zu einem düsteren Bild der Zukunft und zu einem Absinken des Selbstwertgefühls. Wir erleben uns als hilfloses Objekt im Spiel der Gezeiten und nehmen unsere eigene Selbstwirksamkeit weniger wahr. Auch der Appetit nimmt ab, das Essen schmeckt nicht mehr und an der Sexualität verliert man das Interesse. Eine farbenprächtige Frühlingswiese erscheint uns im Gefühlszustand des Verlustes und der Trauer nur schwarz und grau. Verluste im Leben machen uns unsere eigene Begrenztheit bewusst und drücken sich im Gefühl der Trauer aus. Die Verarbeitung von Verlusten verläuft oft in Phasen, wie sie von Kübler-Ross durch Gespräche mit über zweihundert Sterbenden und Trauernden herausgefunden wurden. Die erste Phase ist durch das Nicht-Wahrhaben-Wollen gekennzeichnet. Der zu erwartende Verlust wird ignoriert. Die zweite Phase ist durch ein Aufbegehren und Zorn gegenüber dem Verlust gekennzeichnet. In der dritten Phase wird über den erlittenen und zu erwartenden Verlust verhandelt. Danach kommt es in der vierten Phase zu einer tiefen Niedergeschlagenheit, während in der fünften Phase der Verlust hingenommen werden kann. An der Phasenhaftigkeit des Verarbeitungsprozesses erkennt man, dass Verlust und die Trauerbewältigung eine Frage der Zeit ist. Wobei das Verharren in einer Phase der Trauerbewältigung immer möglich ist, aber auch das Überspringen einzelner Phasen.

Trauer ist eine wichtige und z.T. bindungsstiftende Emotion im sozialen Miteinander von Menschen. Durch die Trauerreaktion eines Menschen nehmen seine Beziehungs- und Interaktionspartner Rücksicht auf ihn, so dass auf seine Bedürfnisse und Wünsche eingegangen wird. Unsere eigenen Bedürfnisse und Wünsche stellen wir in diesen Situationen zurück. Dies kann die Bindung zwischen den Interaktionspartner immens verstärken und sich dauerhaft positiv auf die Beziehung auswirken. Die Beziehung gewinnt an Tiefe und fester Verbundenheit, auch wenn die Zeit der Trauer längst vorbei ist.

Nach dem Erleiden von Verlusten erfahren wir Trauer und Kummer. Dies geschieht in einem Leben sehr häufig. Trauer oder Kummer können nützliche und natürliche emotionale Reaktionen auf Situationen sein, indem wir etwas verlieren und nicht wiederbekommen. Es kann uns helfen, uns mit dem Verlust auseinander zu setzen und den Verlust zu bewältigen. Die Intensität des Gefühls der Trauer hängt von der Stärke der emotionalen Bindung zu dem verlorenen Seinsobjekt ab. Je stärker diese Bindung ist, desto stärker ist die emotionale Reaktion auf den Verlust des Seinsobjektes. Die Dauer der Trauer- und Verlustverarbeitung hängt von der Stärke der emotionalen Bindung zum Seinsobjekt, den Vorerfahrungen im Bereich der Trauerverarbeitung und den vorhandenen Problemlösekompetenzen des psychischen Systems ab. Die Emotionen der Trauer können dem psychischen System aber auch entgleiten, so dass sie zu einem vorherrschenden und anhaltenden Gefühlszustand werden. Man spricht dann von einer Depression. Depressionen führen zu einer schweren Störung des emotionalen Erlebens, bei der die Stimmung und der Antrieb vermindert sind. In den schwersten Auswirkungen von Depression können Gefühle und Emotionen überhaupt nicht mehr wahrgenommen und gelebt werden. Betroffenen beschreiben sich als innerlich leer und ausgebrannt, sie wirken freudlos und bedrückt. Ihr Interesse an alltäglichen Dingen schwindet und ihre Gedanken kreisen grüblerisch um immer dieselben Themen. Man erkennt die eigenen Möglichkeiten nicht mehr, erlebt die Zeit und die Situationen als unabänderlich, so dass es zu einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit kommt. Man vertraut nicht mehr auf die eigenen Möglichkeiten, die Zukunft in seinem Sinne beeinflussen und verändern zu können.

Depressionen können in unterschiedlichen Erscheinungsformen und in unterschiedlichen Schweregraden auftreten und durch verschiedenste Faktoren ausgelöst worden sein.

(vgl. Hülshoff 1999, S. 87-105)

Freude

Der strahlende Glanz von Augen, ein Lächeln, das Glücksgefühl, das uns zum Lachen veranlasst: Freude ist ein Gefühl, das uns Wohlbefinden schenkt, unsere Energetisierung steigert und uns stark macht. Freude erleben wir durch die unterschiedlichsten Anlässe. Wir freuen uns über die erfolgreich bestandene Prüfung oder über das Lächeln eines Baby nach dem Aufwachen. Wir freuen uns über ein Geschenk zum Geburtstag und über die Nachricht eines geliebten Menschen, welcher uns mitteilt, dass er in seinem Urlaubsort gut angekommen ist. Wir freuen uns aber auch, wenn wir erleben, wie wir unsere Fähigkeiten und Potentiale ausleben können, wie wir erfolgreich den Alltag bewältigen.

Das Gefühl der Freude, das man aus den verschiedensten Handlungen und sozialen Kontakten ziehen kann, ist ein Attraktor und Motivator für die Ausführung bestimmter Handlungen. Es motiviert uns Handlungen auszuführen, an deren Ende wir Freude fühlen und erleben können. In diesem Sinne macht die Aussicht auf das Gefühl der Freude bestimmte Handlungen wahrscheinlicher als andere, wobei das Gefühl von Freude bei jedem Menschen aus einem anderen Anlass entstehen kann. Freude aktiviert nicht nur die Bereitschaft zu einer bestimmten Handlung, sie ermöglicht auch die Aktivierung der dafür notwendigen Ressourcen. Sie stärkt die Zuversicht und das Selbstvertrauen (vgl. Hülshoff 1999, S. 108-128). Freude ist das Schmiermittel für die Aufrechterhaltung von sozialen Kontakten und Beziehungen.

Liebe

Die Liebe ist an sich keine richtige Emotion, sondern eher ein Konstrukt zur Beschreibung einer an der Basis der Sexualität und der Fortpflanzung orientierten Wesenheit des Menschen. Aber Liebe ist ohne begleitende Emotionen überhaupt nicht vorstellbar und denkbar. Die Liebe zwischen Menschen ist ein unglaublich komplexes Phänomen, was sich eben nicht eindimensional auf eine einzige Emotion reduzieren lässt, sondern die Liebe aktiviert in uns eine Vielzahl der unterschiedlichsten Gefühlszustände. Die Gefühle, die mit der Liebe verbunden sind, beinhalten Freude, Glück, Leidenschaft, Erregung, Vertrautheit, Sehnsucht, Lust, die Schmetterlinge im Bauch, ein Gefühl der Verbundenheit und Hingezogenheit, aber auch Angst, Trauer, Scham und Ärger. Liebe unterstützt den Menschen in der Überwindung seines Alleinseins, denn allen egoistischen und Individualisierungstendenzen der modernen Zeit zum Trotz ist der Mensch ein soziales Wesen, dessen Überleben, aber auch seine Lebenszufriedenheit, gerade aus dem Sozialen resultiert (vgl. Hülshoff S. 1999, S. 130).

Liebe ist aber weit mehr als nur ein Gefühlszustand, sie zeichnet sich durch eine Grunddisposition menschlicher Einstellungen und Verhaltensweisen aus. Man übernimmt die Fürsorge für andere, sorgt sich um deren Gesundheit, Entwicklung und Zukunft und ist bereit, die Fürsorge in aktive Unterstützungsmaßnahmen münden zu lassen. Es wird dem anderen etwas gegeben. Man gibt einen Teil seiner Zeit, seiner Energie, seiner Kraft und geht mit ihm einen gemeinsamen Weg in die Zukunft. Man fühlt sich verantwortlich für die Zukunft des anderen, für sein Glücksempfinden und sein Wohlergehen. Aber das Wichtigste ist: wenn man liebt, liebt man den anderen mit seinen Stärken und Schwächen, man respektiert ihn als Menschen in seiner Ganzheit und nimmt ihn an, so wie er ist. Liebe prägt wesentlich unsere Bindungsbereitschaft an andere Personen, weswegen Liebe nicht nur zwischen Liebenden auftritt, sondern ebenso kann man von der Liebe zum Vaterland, zum Beruf, zu den Eltern und zu den eigenen Kindern sprechen. Bei den letztgenannten fehlt aber die sexuelle Komponente, hier dominieren eher die Gefühle der Freude, der Fürsorge, der Verantwortlichkeit, des Glücks, aber auch die des Ärgers, der Scham und der Trauer (vgl. Fromm, 2000, S. 32-42).

Liebe drückt eine tiefe Verbundenheit zwischen Menschen aus und je nach Art der Bindung erhält sie eine ihr eigene emotionale Färbung. Sie ermöglicht uns eine facettenreiche emotionale Erlebniswelt, die nicht selten der I-Punkt im Leben der Menschen ist. Das Phänomen der Liebe steht in enger Wechselwirkung zur biologischen Ebene des Menschen. So verursacht das Phenylethylamin den Kick des Verliebtseins. Für die Lust und die Leidenschaft, den Orgasmus bei der sexuellen Vereinigung, spielt Oxcitocin eine wichtige Rolle. Adrenalin sorgt für die nötige Erregung; das Herz beginnt bis zum Hals zu schlagen, wenn man die Angebetete nur sieht und der Schweiß schießt einem aus den Poren. Die sexuelle Lust und seine Empfänglichkeit für sexuelle Reize wird beim Mann durch das Hormon Testosteron stark beeinflusst (vgl. Hülshoff 1999, S. 135ff). Ich könnte die Aufzählungen der Vernetzung der Liebe mit dem biologischen oder sozialen System noch weiter fortsetzen, aber für meine Abhandlung ist es ausreichend, festzuhalten, dass gerade das Phänomen der Liebe ein intensives Wechselspiel zwischen biologischer, psychischer und sozialer Ebene beinhaltet.

Alle Menschen kennen das Gefühl der Verliebtheit, aber nicht alle Menschen sind zur Liebe fähig. Menschen können Lust empfinden, mit tausend Frauen (oder Männern) schlafen und doch nichts von der Liebe verstehen, ja sogar unfähig sein, überhaupt zu lieben. Liebe hat viel mit Emotionen zu tun, aber Liebe hat auch mit anderen Fähigkeiten zu tun, die die Basis der Liebe darstellen. Dabei kann man diese Haltungen (oder auch innere Einstellungen) nicht einfach wie das Lesen und Dekodieren von Zeichen erlernen: Lieben zu können, ist wie die Kunst ein Bild zu malen oder einen guten Roman zu schreiben.

Lieben kann nur der, der sich auch selbst liebt. Man benötigt ein positives Selbstbild, eine Akzeptanz der eigenen Stärken, aber auch Schwächen und auch eine Akzeptanz des eigenen Körpers, der psychischen und sozialen Identität. Man übernimmt für sich Verantwortung und sorgt für sein eigenes Wohlbefinden. Wenn man sich also selbst liebt, dann kann man dies auch auf andere Menschen übertragen und sie lieben im Sinne von Akzeptanz, Achtung, Fürsorge, Verantwortung und Vertrauen. Diese Haltungen entwickeln sich bei jedem Menschen je nach Sozialisation und gemachten Erfahrungen äußerst unterschiedlich und sie beeinflussen dessen Kunst zur Liebe maßgeblich (vgl. Fromm 2000, S. 71ff.)

Hass

Hass ist ein ebenso intensiver komplexer Gefühlszustand wie die Liebe und ist als andere Seite der Medaille eng mit der Liebe verbunden. Man verachtet die andere Person, wünscht ihr Krankheiten oder noch Schlimmeres an den Hals, achtet ihre Wünsche und Bedürfnisse nicht und fühlt sich für dessen weitere Zukunft nicht verantwortlich. Nein, im Gegenteil kreisen im psychischen System die Gedanken, um die Möglichkeiten, dem anderen Schaden zufügen zu können, auch wenn diese Gedanken zum Glück nicht immer in die Tat umgesetzt werden. Hass korreliert eng mit Ärger und dem Gefühlszustand der Aggression. Dem anderen wird kein Fehler zugestanden, noch wird ihm ein Fehler verziehen. Die Stärken des anderen werden nicht mehr wahrgenommen, sondern nur noch dessen Fehler und Schwächen. Der komplexe Gefühlszustand Hass steckt voller Negativität und Ablehnung. Das Gefühl der Aggression verstärkt die Wahrscheinlichkeit zu schädigenden Kommunikationen und Handlungen, die sich nicht immer in körperlichen Angriffen ausdrücken müssen. Hass kann verbale Kommunikation vergiften, so dass sie von Abwertungen, Beschuldigungen, Vorwürfen, Beleidigungen oder schlichten Gemeinheiten überformt werden. Hieraus können risikobehaftete Kommunikationen für die Entwicklung psychischer Beeinträchtigungen entstehen.

Wut und Aggressionen

Gewalt ist ein fester Bestandteil der menschlichen Geschichte. Einige Soziologen vertreten die These, dass jegliche kulturelle Errungenschaft und soziale Ordnung der Menschheit auf Gewalt begründet ist (vgl. Sofsky 1996, S. 7ff.).

Wut und Zorn setzen auf biologischer Ebene bestimmte Hormone und Neurotransmitter frei, die eine aggressive Verhaltensdisposition auf biologischer Ebene unterstützen. Wut und Ärger können das psychische System dominieren, so dass sich der Fokus der Aufmerksamkeit nur auf die Wut richtet. Dies hat in der Regel eine Verengung der Realitätssicht, eine Art Tunnelblick, zur Folge. Man nimmt ausschließlich den Stimulus wahr, der die Wut und den Zorn hervorgerufen hat und ist nicht mehr in der Lage, auch die positiven Stimuli in der anderen Person oder Situation wahrzunehmen. Wut und Ärger überschwemmen den Wahrnehmungsapparat mit der Folge einer selektiven Fokussierung auf den Wut auslösenden Stimulus. Zudem kann sich Wut auch auf das Denken und die Konstruktion der Wirklichkeit auswirken, indem es zu einer Entdifferenzierung des Denkens und der Beschreibung der Welt kommt. Die Welt, die Situation oder der beobachtete Mensch wird in Schwarz- und Weißtönen beschrieben, ohne dass andere Farbtöne in der Beschreibung eine Berücksichtigung fänden.

Wut und Zorn sind demgegenüber Gefühle, die im Vorfeld der Aggression auftreten, so dass man sagen kann, sie bilden die Basis für die Entstehung einer aggressiven Verhaltensdisposition. Der Anlass für Wut und Zorn kann sehr unterschiedlich sein. Wir können uns über die Nichterfüllung einer Erwartung ärgern und aufregen, über erfahrene oder beobachtete Ungerechtigkeiten können wir uns stundenlang ereifern oder wir ärgern uns, weil wir ein „Knöllchen“ für Falschparken bekommen haben. Wir werden wütend und zornig, weil wir in der U-Bahn zum wiederholten Male angerempelt worden sind. All das (und noch viel mehr) kann uns wütend machen und zu einer aggressiven Verhaltensdisposition führen. Die Wut und der Zorn dienen dann zum einen zur Kanalisierung der erlebten Frustrationen, zum anderen, um sich selbst gegen Widerständen zu behaupten und die eigenen Interessen durchzusetzen (vgl. Hülshoff 1999, S. 162ff). Sie bilden die emotionale Basis für die Durchführung aggressiver Handlungen zur Überwindung von Widerstände und zum Durchsetzen der eigenen Interessen.

Wut und Aggressionen sind Wegbegleiter der Menschen und üben eine wichtige Funktion in der Regulierung und Aufrechterhaltung sozialer Ordnungen aus. Aggressionen dienen der Regulierung sozialer Grenzen, seien sie räumlich wie im Beispiel des Anrempelns in der U-Bahn oder wenn es um die Verteidigung und Durchsetzung der eigenen Interessen geht. Aggression ist ein wichtiges Bindeglied in der Gestaltung sozialer Regeln und des Nähe-Distanz-Verhältnisses zwischen psychischen Systemen.

Aggressionen und Gefühle der Wut bewirken eine Verhaltensdisposition beim psychischen System und machen bestimmte Handlungen gegenüber anderen wahrscheinlicher. Dabei hat die Aggression und die Wut positive wie negative Eigenschaften in sich vereint. Sie ist für die menschliche Entwicklung wichtig und befruchtend. Im Sport wird z.B. aggressives Vorchecking gegen die gegnerische Mannschaft gefordert und im Konkurrenzkampf um eine Führungsposition wird ein aggressiver Kommunikationsstil erwartet. Wenn unser Kind von einem anderen Menschen bedroht wird, so werden wir aggressiv und nehmen eine Kampfhaltung ein, um unser Kind zu schützen. Aggressivität versetzt unseren Körper in Anspannung und mobilisiert Energien für den bevorstehenden Kampf. Aggressivität motiviert und hilft uns, Widerstände, gleich welcher Art, zu überwinden. Dabei legt die Aggressivität nicht zwingend fest, dass ausschließlich Gewalthandlungen die Folge sein müssen. Aggressivität im Fußball kann dazu beitragen, dass der eine Spieler schneller läuft als der Gegenspieler oder dass der Spieler sich im Zweikampf durchsetzt. Aggressivität fokussiert uns auf ein Ziel und unterstützt uns bei der Zielerreichung. Aggressivität ist eine kreative Energiequelle, die in uns Kräfte und Energien zu mobilisieren vermag, um Widerstände zu überwinden. Indem Sinne ist Aggression weniger ein Gefühlszustand als eher eine Disposition für bestimmte Verhaltensweisen auf Grundlage der Emotionen Wut, Zorn und Angst. Aggression kann genutzt, gesteuert und moduliert werden, um Widerstände zu überwinden und anvisierte Ziele zu erreichen. Sie setzt aber eine hohe Steuerungsfähigkeit des psychischen Systems voraus (vgl. Fromm 1998, S. 233ff. und Zeltner 1996, S. 56ff).

Aggressionen können mit ihren negativen Eigenschaften die Verhaltensdisposition des Menschen für aggressive Handlungen wie Schlagen, Treten, Schubsen, Kratzen, Beißen oder Spucken erhöhen. Aggressivität kann sowohl gegen andere Menschen, gegen Sachgegenstände, als auch gegen sich selbst gerichtet sein. Bei aggressiven Handlungen wird oft in Kauf genommen, dass der andere (oder man selbst) eine Schädigung, gleich welcher Art, erfährt. Wut und Zorn als emotionale Basis der Aggression können die Wahrscheinlichkeit für destruktive, schädigende oder zerstörerische Kommunikationen in sozialen Systemen erhöhen. Wenn das psychische System die Gefühle von Wut und Zorn nicht mehr steuern und in weniger destruktive Bahnen lenken kann, dann besteht die Möglichkeit einer Chronifizierung der latenten Aggressivität. Das psychische System kann die Aggression intern manifest werden lassen oder sie trägt sie beständig als aggressive Outputleistung in das soziale System hinein. Der aggressive Modus wird zum dominierenden Element der Interaktionsgestaltung im sozialen System. Es kommt zu einer Transformation der sozialen Regeln, so dass im sozialen System die abwertende und schädigende Kommunikation zum festen Bestandteil wird. Dabei muss es sich nicht immer um körperliche Angriffe handeln, sondern eine verletzende und schädigende verbale Kommunikation kann oft schmerzhafter sein und kann größere Auswirkungen auf die psychische Befindlichkeit des anderen haben als ein körperlicher Angriff.

Schamgefühl

Das Schamgefühl setzt Wissen voraus. Wir haben ein Wissen von unserer eigenen Person, von unseren Unzulänglichkeiten und von unserem Aussehen. Wir kennen unsere körperliche, psychische und soziale Identität. Wir haben ein Wissen aufgebaut, dass wir von unserer Umwelt beobachtet und gesehen werden. Wir kennen und haben den Bereich der eigenen körperlichen, psychischen und sozialen Intimität definiert. Das unangenehme Gefühl der Scham kann auftreten, wenn man der Beobachtung von anderen ausgesetzt ist, insbesondere wenn Intimität, Unzulänglichkeiten oder Handlungsverfehlungen im Spiel sind. Der sich Schämende möchte daher die Situation verlassen, sich den Blicken der anderen entziehen, um das unangenehme Gefühl loszuwerden. Im Gegensatz zum Gefühl der Schuld steht bei der Scham die Verletzung des eigenen Selbst und dessen Grenzen im Vordergrund. Scham ist eine sozial wirksame und im hohen Maße selbstreflexive Emotion. Körperlich geht Scham mit erhöhtem Pulsschlag, Schwitzen, einem Kloß im Hals oder Herzklopfen, dem Leiserwerden des Sprechens und dem Vermeiden des Blickkontakts einher.

Das Gefühl der Scham unterstützt das Einhalten von kulturellen Regeln. Diese Regeln markieren die Grenzen des individuellen Explorationsverhaltens und haben Einfluss auf die Entwicklung der Persönlichkeit und der Identität. Daneben reguliert die Scham das Nähe-Distanz-Verhältnis zwischen Menschen. Sie schützt uns vor der Preisgabe von sehr privaten und intimen Informationen an andere, so dass Scham Grenzmarkierungen des Vertrauens zwischen verschiedenen Personen darstellt. In diesem Sinne kann Scham als emotionale Notbremse in Bezug auf die Offenheit zu anderen Personen verstanden werden (vgl. Hülshoff 1999,S. 176ff). Sie schützt das Selbst vor möglichen Verletzungen durch die soziale Umwelt. Sie markiert die Grenzen der körperlichen wie psychischen Identität und reguliert die dafür notwendige Distanz zu anderen Menschen.

Schuld

Ähnlich wie Scham stellt die Schuld mehr als eine Gefühlsdimension dar. Es handelt sich um ein affekt-kognitives Phänomen. Schuld wird als unangenehmes Gefühl wahrgenommen, ist aber nur im Rahmen eines gedanklichen Konstrukts erlebbar. Das Gefühl der Schuld beinhaltet immer, dass man eine Regel nicht beachtet oder eine unerlaubte Grenze überschritten hat. Was dabei ein Verbot oder eine Regel ausmacht, ist kulturell wie systemintern definiert worden und kann daher unterschiedlich sein. Insofern ist das Gefühl der Schuld immer an ein soziales Umfeld und kognitive Erfahrungen gebunden. Eine kognitive Voraussetzung für das Erleben eines Schuldgefühls ist das Erinnern der sozialen Regeln und der Handlungen, die man durchgeführt hat. Schuldgefühle korrespondieren häufig mit Schamgefühlen, so dass es uns peinlich ist, was wir getan haben. Dies kann Abwehr- oder schlichte Vergessensreaktionen im psychischen System hervorrufen. Man verdrängt die peinliche und schuldbehafte Handlung, um so dem Schuld- und Schamgefühl zu entgehen. Eine andere Form, sich von dem Schuldgefühl zu befreien, ist die Wiedergutmachung der Schuld bei den sozialen Interaktionspartnern. Schuld trägt zu einer Regulierung des Gebens- und Nehmens in sozialen Beziehungen bei.

Fazit

Für das psychische System bedeutet dies: Emotionen stellen die erste Bewertungsinstanz für das psychische System dar. Sie ermöglichen dadurch eine äußerst schnelle und effektive Informationsverarbeitung, so dass das psychische System innerhalb von Sekunden zu Outputleistungen in Form von Kommunikationen in der Lage ist. Gleichzeitig beraten sie das psychische System in der Auswahl seiner Kommunikationen oder Gedankenanschlüsse, indem sie bestimmte Anschlüsse wahrscheinlicher machen als andere.

Emotionen geben der Information erst ihre Farbe und Tiefe. Sie beeinflussen damit den Beobachtungsfokus auf die Umwelt und auf interne Prozesse, indem emotional höher aufgeladene Emotionen mehr Beachtung finden als emotional geringer aufgeladene Informationen. Dieser Umstand wirkt sich auch auf die Abspeicherung der Informationen und deren spätere Rekonstruktion aus. Dabei gilt die gleiche Beeinflussungsrichtung wie bei der Aufmerksamkeitsfokussierung. Emotionen tragen wesentlich zur Regulierung des Nähe-Distanz-Verhältnisses zwischen psychischen Systemen bei.

Im folgenden eine kurze grafische Darstellung der vorhandenen Subsysteme des psychischen Systems und ihrer zirkulären Wechselwirkungen untereinander:

2.3 Wechselwirkungen der psychischen Subsysteme

Beobachtung und Emotionen

Beobachtungen aus der sozialen Umwelt gelangen in das psychische System. Das Beobachtete wird bezeichnet. Im weiteren Prozess der Informationsverarbeitung ist auch das emotionale Subsystem des Psychischen beteiligt. Die Beobachtung und die daraus generierte Information lösen Emotionen aus, mit denen dann die Information emotional aufgeladen wird. Die emotionalen Aufladungen der Information können Freude, Wut, Trauer, Scham, Aggression, Hass und Liebe sein. Die Beobachtung hat durch das, was sie beobachtet, einen Einfluss darauf, welche Emotionen im Rahmen der weiteren Informationsverarbeitung entstehen. Sehen wir einen schönen Sonnenuntergang am Strand einer Mittelmeerinsel, dann sind die Emotionen meistens positiv besetzt: wir empfinden Glück, Zufriedenheit und Freude über die Schönheit der Natur. Beobachten wir jedoch, wie gerade ein Reh auf einer Landstraße angefahren wurde, so werden Ekel, Wut, Trauer und ähnliches in uns ausgelöst. Die durch die Beobachtung aktivierten Emotionen haben im weiteren Verlauf große Auswirkung auf die Differenziertheit des Denkens. Je heftige und intensiver das emotionale Gefühl ist, umso weniger differenziert denken wir. Hinzu kommt, dass die Art der Emotion, also ob z.B. Freude oder Trauer ausgelöst wurde, bestimmte gedankliche und kommunikative Anschlussoperationen wahrscheinlicher werden lässt als andere.

Die Emotion beeinflusst ihrerseits auch die Beobachtung. Durchströmt uns ein Gefühl der Freude, so ist unsere Beobachtung aufmerksam und offen für alle Umweltreize, die uns umgeben. Wenn wir aber tieftraurig sind, so kommt es zu einer Einschränkung unserer Beobachtungsfähigkeit. Sie zieht sich wie ein Trichter zusammen. Ähnliches passiert mit der Beobachtung, wenn wir von Wut beherrscht werden. Die Beobachtung verengt sich zu einem Tunnelblick, so dass viele wichtige Informationen aus der Umwelt nicht beobachtet werden können. Emotionen bestimmen einerseits den Fokus der Beobachtung und andererseits die Menge der Informationen, die durch unsere Beobachtungsfilter gelangen und damit der weiteren Informationsverarbeitung im psychischen System zur Verfügung stehen.

Beobachtung und Denken

Wie beeinflusst die Beobachtung das Denken? Durch die Beobachtung wird festgelegt, womit sich das Denken beschäftigt. Es beeinflusst den Fokus des Denkens, wodurch die Inhalte der Denkprozesse mitbestimmt werden. Die Beobachtung schiebt das Denken vor sich her und dadurch aktiviert das Denken die affekt-kognitiven Schemata, die zu der Beobachtung passen. Damit wirkt die Beobachtung wesentlich auf den Inhalt der Informationsverarbeitung ein, stellt dieser doch die Verarbeitung der Beobachtung dar. Das Denken verarbeitet, analysiert, bewertet und erklärt die beobachteten Inhalte. Das Denken beeinflusst aber auch die Beobachtung. Worauf sich das Denken fokussiert, hat natürlich Rückwirkungen auf die Beobachtung unserer Umwelt. Wenn wir darüber nachdenken, ob wir einen VW Golf oder einen BMW 1 kaufen wollen, dann werden wir plötzlich feststellen, dass wir subjektiv vermehrt diese beiden Wagentypen im Straßenverkehr beobachten werden. Ein Phänomen, welches jeder bei sich schon einmal beobachtet hat. Das Denken vermag den Fokus der Beobachtung auf die Bereiche zu lenken, mit denen sich das Denken beschäftigt hat. Das Denken vermag auch, so hatten wir es oben beschrieben, durch Reflexion affekt-kognitive Schemata umzustrukturieren oder sogar neue affekt-kognitive Schemata auszubilden. Auch diese Neubildungen und Umstrukturierungen der affekt-kognitiven Schemata vermögen den Fokus der Beobachtung zu beeinflussen. Die Beeinflussung geschieht durch die Veränderung der aus den affekt-kognitiven Schemata entstehenden Wirklichkeitskonstruktion. Wenn meine Welt jahrelang aus dem Betreiben von Sportarten bestanden hat, so wird meine Beobachtung allen Informationen über den Sport besondere Aufmerksamkeit zu gestehen. Die Wirklichkeit des sportlichen Studenten bestand vor allem aus dem Betreiben von Sport und der Kommunikation darüber. Durch die Wahl des Berufes eines Lehrers ändert sich die Beschreibung seiner Wirklichkeit, weil sich das Denken zeitlich hauptsächlich an anderen Aufgaben abarbeitet und dies zu einer Veränderungen der affekt-kognitiven Schemata und damit der Wirklichkeitskonstruktion kommen kann. Dies kann wiederum den Fokus der Beobachtung auf die neuen relevanten Informationen aus der näheren Umwelt lenken.

Beobachtung und affekt-kognitive Schemata

Beobachtung ist die erste Operation des psychischen Systems bei der Entwicklung und dem Aufbau von affekt-kognitiven Schemata. Unterschiede werden beobachtet und bezeichnet. Aus diesem Prozess kann man ein ganzes Bündel an Bezeichnungen entwickeln, die dann im psychischen System assoziativ verknüpft werden. Die Bezeichnungen werden dann angereichert durch Erklärungen, präskriptive und deskriptive Regeln über die Welt, Bewertungen, Emotionen und individuelle Bedeutungen. Für all diese weiteren Anreicherungen stellt die Beobachtung die Informationen zur Verfügung, die dann im psychischen System durch das Denken und die Emotionen zu affekt-kognitiven Schemata verdichtet werden. Affekt-kognitive Schemata haben ebenfalls Rückwirkungen auf die Beobachtung. Zum einen wirken sie auf die Ausrichtung des Fokus der Beobachtung ein, zum anderen wirken die affekt-kognitiven Schemata wie ein Filter, der sich über die Beobachtung liegt. Da Beobachtung eine innere Konstruktion des wahrgenommenen Außenreizes durch die Selbstbeobachtung der intern veränderten Zustände zwischen den Nervenzellen ist, ist sie bei der Konstruktion der Information im Innern auf affekt-kognitive Schemata angewiesen, welche im Gedächtnis assoziativ vernetzt gespeichert sind. Dies kann den paradoxen Effekt zur Folge haben, dass wir die neue Frisur unserer Lebensgefährtin nicht beobachten können, weil anhand einige Grobmerkmale des Gesichts unserer Lebensgefährtin sie von uns als solche erkannt wird und der Rest des Gesichtes inklusive der Frisur aus den bestehenden affekt-kognitiven Schemata rekonstruiert wird. Kann die beobachtete Information nicht an ein bestehendes affekt-kognitives Schema andocken, so muss sie zuerst mit einer Bezeichnung versehen werden und dann beginnt der Prozess der emotionalen und kognitiven Anreicherung zu einem neuen affekt-kognitiven Schema.

Beobachtung und Motivation

Beobachtung kann Wünsche, Ziele und Bedürfnisse auslösen. Wir sehen einen leckeren Kuchen auf dem Küchentisch, unser Magen knurrt und wir würden ihn am liebsten sofort essen. Dadurch hat die Beobachtung einen direkten Einfluss auf die Motivationen des psychischen Systems. Andersherum kann auch die Motivation Beobachtungen beeinflussen, indem die Wünsche, Ziele und Bedürfnisse den Fokus der Beobachtung justieren können. Die Beobachtung wird auf die Wahrnehmung der Motive des psychischen Systems gelenkt.

Denken und Emotionen

Denken und Emotionen sind die zwei wichtigsten Bewertungsinstanzen von eingehenden Informationen im psychischen System. Durch die Bewertung von Informationen, die Generierung von Optionen von gedanklichen und kommunikativen Anschlussoperationen sowie die dann zu treffende Auswahl durch den inneren Teamleiter sind sie maßgeblich an der Produktion der Outputleistung des psychischen Systems beteiligt. Das Denken und die Emotionen arbeiten dabei eng zusammen. Die beobachtete Information durchläuft zuerst das emotionale Subsystem. Dort erhält es eine emotionale Aufladung und eine emotionale Bewertung. Das Denken ist in der Lage, die emotional aufgeladene Information mit kognitiven Inhalten zu überformen. Es kann zu einer Abschwächung der Intensität der Emotion, zu einer Veränderung der Emotion, aber auch zu einer anderen dominierenderen Bewertung der Information kommen. Denken kann Emotionen überformen, verändern, abschwächen oder verstärken. Dies hängt von der kognitiven Bewertung ab.

Emotionen, so habe ich mehrfach beschrieben, stellen Bewertungen der beobachteten Information dar. Das Denken greift in seiner Analysearbeit, in der es Erklärungen, präskriptive und deskriptive Regeln, Theorien, Bewertungen und Hypothesen entwickelt, auf die Vorarbeit der Emotionen zurück. Die emotionalen Vorbewertungen finden ihren Niederschlag im Denken. Sie können diese Bewertungen übernehmen und mit kognitiven Argumenten untermauern. Oder sie lehnen die emotionalen Bewertungen ab, müssen dann aber aktiv die Begründungen für die Ablehnung der emotionalen Bewertungen konstruieren. Hieraus können innerpsychische Konfliktlagen entstehen, in denen der innere Teamleiter moderieren und vermittelnd eingreifen kann, um eine Chronifizierung des inneren Konfliktes zu vermeiden. Freilich ist der innere Teamleiter nicht zum Eingreifen gezwungen, er kann die Augen verschließen und den Konflikt weiter vor sich hintreiben lassen. Die Freiheit der Entscheidung, zwischen Optionen wählen zu können, lässt sich nicht umgehen oder aushebeln.

Durch den Rückgriff des Denkens auf die emotionalen Vorbewertungen finden diese bei der Entwicklung möglicher Outputoptionen (z.B. Gedanken/ Handlungen/ Kommunikationen) ihren Widerhall. Die emotionalen Bewertungen finden Berücksichtigung bei der Entwicklung der kognitiven Bewertung und damit bei der späteren Generierung der Outputleistung. Das Denken kann dabei die emotionalen Bewertungen übernehmen oder es kann sie ablehnen. Durch das Denken können andere Bewertungen und Begründungen konstruiert werden, so dass die emotionalen Einschätzungen an Gewicht verlieren können. In diesem Fall würde das Denken die Entwicklung der möglichen Outputleistungen maßgeblich bestimmen, nicht die Emotion. Die Emotion kann in gleicher Weise auf das Denken zurückwirken, indem die Emotionen die kognitiven Begründungen und Bewertungen entkräften, so dass das psychische System den emotionalen Bewertungen vertraut und zwischen den daraus resultierenden Handlungsoptionen eine Option für die Realisierung wählen kann. Denken und Emotionen bilden zwei unterschiedliche Möglichkeiten des psychischen Systems zur Analyse und Bewertung beobachteter Informationen aus der Umwelt.

Emotionen können Denkprozesse stören, indem sie das psychische System mit sehr intensiven Gefühlen überfluten, so dass das Denken sich verengt oder entdifferenziert wird. Das Denken wird auf eine Entweder-Oder-Perspektive reduziert: entweder ist die Welt schwarz oder weiß. Ein Grauton dazwischen existiert nicht. Das Denken kann in ähnlicher Weise auch den Prozess der Emotionen zum Erliegen bringen, wenn es die Emotionen soweit kognitiv überformt, dass sie vom psychischen System nicht mehr wahrgenommen und beobachtet werden können. Alle beobachteten Informationen aus der Umwelt werden nur noch mit sachlichem Auge ausgewertet unter Ausblendung der emotionalen Anteile.

Denken kann die Bewertungen der Emotionen in Frage stellen und die Emotionen können die deskriptiven und präskriptiven Regeln, die Erklärungen, Bewertungen und Theorien des Denkens in Frage stellen mit der Folge, dass beide Subsysteme zur erneuten Überprüfung ihrer konstruierten Einschätzungen der beobachtbaren Informationen aufgefordert werden. Dies ermöglicht dem psychischen System, eine interne Reflexionsschleife aufzubauen, um die Ergebnisse der Denk- und Emotionsprozesse erneut überprüfen zu können.

Beide Subsysteme vermögen sich nicht nur zu stören, sondern sie können sich gegenseitig auch anregen und in ihren internen Prozessen bereichern. So kann das Denken durch die Wahl seiner Inhalte und die Aktivierung entsprechender affekt-kognitiver Schemata Emotionen hervorbringen und Gefühlszustände beeinflussen. Erinnert sich das psychische System an seinen letzten Urlaub am Mittelmeer, an die untergehende Sonne, das Rauschen des Meeres und den Grillduft, dann können schnell die damals erlebten Gefühle wieder aktualisiert werden. Ebenso können Emotionen intensive Gedankenprozesse auslösen, etwa wenn man nach einem Wutanfall wieder zur Besinnung kommt und darüber nachdenkt, wie sehr man den anderen durch die Wahl der Worte verletzt und welchen Schaden diese Unbeherrschtheit in der Beziehung angerichtet hat.

Beide Subsysteme stehen bei der Verarbeitung von Informationen in einer engen Wechselwirkung zueinander. Die Beeinflussung hängt von dem jeweiligen Zustand und der Intensität der beiden Subsysteme ab. Ob eines der Subsysteme eher dominierend ist oder ob beide gleichberechtigte Partner der Informationsverarbeitung des psychischen Systems sind, wird entscheidend durch die Erziehung und Sozialisation im Rahmen des primären sozialen Systems Familie beeinflusst.

Denken und affekt-kognitive Schemata

Das Denken kann die affekt-kognitiven Schemata neu konstruieren ober bestehende weiter ausdifferenzieren, indem es die Schemata mit Bezeichnungen, Bedeutungen, Regel, Erklärungen, Bewertungen und Theorien versieht. Dadurch können die affekt-kognitiven Schemata verändert, ausdifferenziert und neu kombiniert werden. Das Denken vermag völlig neue affekt-kognitive Schemata zu bilden. Es differenziert eine beobachtete Information weiter aus und füllt sie mit den oben beschriebenen Inhalten.

Das Denken ist, um seine Aufgabe des Analysierens und der Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten für Konflikte und Probleme zu bewältigen, auf die affekt-kognitiven Schemata angewiesen. Es braucht sie, um das in den Schemata hinterlegte Wissen mit der neuen beobachteten Information vergleichen zu können. Durch diese Vergleiche kann es die beobachteten Informationen bewerten und Rückschlüsse über sie ziehen. Um Vergleiche anstellen zu können, ist das Denken auf vorhandene Wissenselemente in den affekt-kognitiven Schemata angewiesen. Es muss die beobachteten Informationen mit den vorhandenen Informationen vergleichen, um Bewertungen und Erklärungen entwickeln zu können. Ohne affekt-kognitive Schemata müsste das Denken auf die Möglichkeit des Vergleichens verzichten. Rückschlüsse und die Generierung von Erklärungen könnte es dann nur anhand des beobachteten Phänomens entwickeln. Das Denken analysiert nicht nur die soziale Umwelt, sondern es entwickelt basierend auf seiner Analyse, auch Vorschläge, wie auf den Input reagiert werden kann. Es kann dabei mehrere Optionen entwickeln, die es dann dem inneren Teamleiter zur Entscheidungswahl zur Verfügung stellt. Bei der Entwicklung der Optionen greift er auf das vorhandene Wissen und die vorhandenen Handlungspläne in den affekt-kognitiven Schemata zurück. Durch Rekombination der vorhandenen Optionen in den affekt-kognitiven Schemata können neue Handlungsmöglichkeiten entstehen. Gleichwohl vermag das Denken, auch ohne Rekombination vorhandener Optionen in den affekt-kognitiven Schemata, durch die Generierung anderer Erklärungen über das beobachtete Phänomen neue Handlungsoptionen zu entwickeln, die vorher nicht in den affekt-kognitiven Schemata vorhanden waren.

Das in den affekt-kognitiven Schemata hinterlegte Wissen bildet den Bedeutungsrahmen, indem sich das Denken bewegt. Das Denken baut auf diesem vorhandenen Bedeutungsrahmen auf, ist aber in der Lage, durch sich selbst die Grenzen des Bedeutungsrahmens zu übertreten und den Bedeutungsrahmen durch die Integration neuer Informationen zu erweitern bzw. zu verändern. Die Komplexität und die Differenziertheit des Denkens baut auf der Komplexität und die Ausdifferenziertheit der affekt-kognitiven Schemata auf. Je komplexer und differenzierter das Wissen in den Schemata ist, umso komplexer und differenzierter kann das psychische System seine Umwelt beobachten und umso differenzierter und komplexer kann es denken.

Denken und der innere Teamleiter

Das Denken ist eine Beratungsinstanz für den inneren Teamleiter. Es analysiert, bewertet, beschreibt Regeln der Interaktion zwischen den beobachteten Elementen, entwickelt Optionen für mögliche Handlungen des psychischen Systems und legt seine Ergebnissen dem Teamleiter zur Entscheidung vor. In den Analysen sind die verschiedenen Stimmen des inneren Teams enthalten. Der innere Teamleiter hört sich die Analysen an und trifft dann die Entscheidung, welche der möglichen Handlungsoptionen umgesetzt werden soll. Die Analysen des Denkens können Einfluss auf die Entscheidungen des inneren Teamleiters nehmen. Die Entscheidungen des inneren Teamleiters wirken wieder auf das Denken zurück, da jedes psychische System beobachtet, welche Wirkung seine Kommunikationen in der sozialen Umwelt hatten. Der Rückschluss über die Art und Weise der Wirkung, die die getroffene Entscheidung des inneren Teamleiters verursacht hat, kann sich verändernd auf das Denken und die Analyseergebnisse auswirken sowie zu einer Umorganisation der vorhandenen affekt-kognitiven Schemata führen. In welche Richtung sich im Denkinhalt etwas verändert oder welche Wissenselemente umorganisiert werden, lässt sich immer nur im konkreten Fall beobachten und beschreiben.

Denken und Motivation

Das Subsystem der Motivation stellt das Denken in seinen Dienst, weil das Denken die Wege konstruiert, wie die Ziele, Wünsche und Bedürfnisse des psychischen Systems verwirklicht werden können. Die Ziele, Wünsche und Bedürfnisse nehmen auch Einfluss auf das, was das Denken denkt. Wenn mein Ziel der Kauf eines Hauses ist, so kann ich Tage und Monate damit verbringen, mir Gedanken zur Finanzierung, zur Größe des Hauses und zu dessen Lage, am Zuschnitt, der Innenausstattung und Gartengestaltung machen. Ich kann mir des weiteren über die Heizungsform, den Einsatz von Solarenergie oder die Wahl des Stromanbieters Gedanken machen. Die Motivation kann die Themen des Denkens wählen und mitbestimmen.

Das Denken kann wiederum durch die Evaluation der Ziele und Wünsche Einfluss auf die Motivation des psychischen Systems nehmen. Das Denken kann die Ziele, Wünsche und Bedürfnisse anpassen, verändern oder neu konstruieren.

Die Motivation stellt dem Denksystem die Energie und die Einsatzbereitschaft zur Verfügung, um Themen zu bearbeiten. Voller Kraft und Zuversicht stürzt sich das Denken in seine Aufgabe und lässt sich auch von kleinen Rückschlägen nicht irritieren. Gleichwohl kann bei Demotivation dem Denksystem diese Energie entzogen werden. Es kommt zu einer Verlangsamung des Denkens und das Thema wird nicht zu Ende durchdacht. Man stellt seine Bemühungen ein, die beobachteten Informationen zu analysieren und Handlungsoptionen zu entwickeln.

Emotionen und affekt-kognitive Schemata

Emotionen verleihen der eingehenden Information ihre Tiefe und ihre Farbe. Sie bewerten die Informationen und machen mögliche Handlungs- oder Gedankenanschlüsse wahrscheinlicher als andere. Die beobachtete Information erfährt durch die Emotionen eine Aufladung an Bedeutungsdimensionen, wie stark/schwach, gut/böse und aktiv/passiv. Hinter diesen Bedeutungsinhalten können Emotionen wie Wut, Trauer oder Liebe stehen. Diese emotionalen Bedeutungsinhalte und die dahinterliegenden Emotionen werden dann in den affekt-kognitiven Schemata abgespeichert. Je höher die emotionale Intensität der affekt-kognitiven Schemata, umso eher werden sie in der Erinnerung rekonstruiert und für das weitere Prozessieren dem psychischen System zur Verfügung gestellt. Umgekehrt beeinflussen die affekt-kognitiven Schemata die Bewertungen der Emotionen, indem sie Informationsbündel, die Ähnlichkeiten mit vorhandenen affekt-kognitiven Schemata haben, an diese andocken und damit auch die dort abgespeicherte Emotionen und deren Bedeutungsinhalte rekonstruieren. Dadurch wird die Wahl der Emotion durch die vorhandenen affekt-kognitiven Schemata mitbestimmt.

Emotionen und der innere Teamleiter

Emotionen sind die erste Bewertungsinstanz für beobachtete Informationen. Die emotionalen Bewertungen dienen daher dem inneren Teamleiter, neben den kognitiven Bewertungen, als Grundlage für seine zu treffenden Entscheidungen. Die emotionalen Bewertungen können sich dabei selbst widersprechen, sie können kongruent sein, sie können mit den kognitiven Bewertungen übereinstimmen oder diesen entgegenstehen. Der innere Teamleiter moderiert den inneren Prozess, um bei Konflikten oder Widersprüche, diese aufzulösen und zu Entscheidungsergebnissen kommen zu können. Durch die Moderation dieser Prozesse kann es dann auch zu Veränderungen der emotionalen Bewertungen und Bedeutungsdimensionen der Information kommen, so dass dieser Prozess verändernd auf seinen Anfang zurückwirkt.

Emotionen können auch bei einer gewissen Stärke und dem gleichzeitigen Fehlen notwendiger Kompetenzen im Umgang mit seinen Gefühlen (emotionale Intelligenz) die Arbeit des inneren Teamleiters auch behindern und blockieren bzw. in eine bestimmte Richtung lenken. Im schlimmsten Fall verursachen die starken Emotionen eine Handlungsunfähigkeit des Systems. Das psychische System kommt zu keiner Anschlussoperation, intern wie extern. Es würde sich im Kreis drehen, ohne ihn durchbrechen zu können. Oder die Emotionen treiben den Inneren Teamleiter immer in eine gewisse Richtung.

Der innere Teamleiter kann im Rahmen seiner Moderation der internen Entscheidungsprozesse, den emotionalen Elementen im Prozess wenig oder keine Beachtung schenken, indem er ihre Bewertungen und Bedeutungsdimensionen unterbewertet oder schlicht ignoriert.

Emotionen und Motivationen

Zwischen der Emotion und der Motivation eines psychischen Systems bestehen starke und enge Verbindungen. Der Grad der gegenseitigen Wechselwirkungen ist sehr hoch.

Ein Beispiel:

Roland malt ein Bild. Bei dieser Tätigkeit empfindet er Freude, Genugtuung und Zufriedenheit. Er spürt sich eins mit der Welt und es ist für ihn das größte Glück, dass er so gut malen kann. Diese positiven Gefühle wirken sich auf die Motivation aus, indem es zu einem Ansteigen der Motivation kommt und die Ziele und Bedürfnisse positiv verstärkt werden. Im Motivationssystem von Roland sind die Ziele, Wünsche und Bedürfnisse entsprechend organisiert, dass er a) regelmäßig malen möchte und b) das Malen sein Bedürfnis darstellt. Diese Ziel- und Bedürfnisfestlegungen im Motivationssystem des psychischen Systems wirken wiederum auf die Emotionen zurück, indem sie beim Ausüben der Tätigkeit die oben beschriebenen Gefühle hervorrufen können, was wiederum die Ziele und Bedürfnisse im Motivationssystem positiv verstärkt usw.

Bei der Arbeit mag Roland Hans überhaupt nicht. Ihn stören dessen Profilierungssucht und dessen ständige Besserwisserei. Sieht Roland Hans, dann entstehen bei ihm Wut, Aggression und Trauer als emotionaler Gemisch. Diese wirken sich hemmend auf die Motivation aus. Bei Roland sinkt die Motivation mit Hans zusammenzuarbeiten bzw. mit ihm näher und öfter Kontakt haben zu müssen. Entsprechend ist das Motivationssubsystem organisiert, sprich das oberste Ziel und Bedürfnis ist es, nicht mit Hans zusammenarbeiten bzw. mit ihm häufiger Kontakt haben zu müssen.

Motivationen können Emotionen durch die Art der Ziele und Bedürfnisse hervorrufen. Emotionen wiederum wirken motivationsfördernd oder –hemmend auf die Energetisierung des Motivationssystems ein. Emotionen wie auch Motivationen tragen zu einer kraftvollen und energiegeladenen Umsetzung von Handlungen und Kommunikationen bei. Sie können aber auch dazu beitragen, dass Kommunikationen und Handlungen lustlos, ohne Energie und unzuverlässig umgesetzt werden. Sie können das psychische System und den inneren Teamleiter soweit beeinflussen, dass selbst notwendige Kommunikationen zur Bewältigung des Alltages unterlassen werden.

Affekt-kognitive Schemata und Motivation

Das Wissen, welches in den affekt-kognitiven Schemata hinterlegt ist, bildet das Grundgerüst für das Motivationssystem. Die Ziele und Bedürfnisse des psychischen Systems leiten sich aus den Bedeutungsinhalten in den affekt-kognitiven Schemata ab. Nur worüber ich etwas weiß, kann Begehren bei mir auslösen. Was ich nicht kenne, kann keinen Einfluss auf mein Motivationssystem haben. Das Motivationssystem kann also das Ziel verfolgen, sich Wissen zu verschaffen, welches wiederum zum Aufbau und zur Weiterentwicklung der affekt-kognitiven Schemata führen kann. Das Motivationssystem ist zur Generierung von Zielen und Bedürfnissen nicht nur auf die affekt-kognitiven Schemata angewiesen. Das Denken vermag ebenfalls Ziele zu genieren, die dann ihren Niederschlag im Motivationssystem finden. Auch Beobachtungen aus der sozialen Umwelt haben Einfluss auf das Motivationssystem, indem neue Wünsche und Bedürfnisse in den Fokus rücken können, welche gerade beobachtet werden. Z.B. geht man durch ein Geschäft und sieht das neueste und angesagteste Handy, das sich zurzeit auf den Markt befindet. Diese Beobachtung kann das Ziel und das Bedürfnis zur Folge haben, genau dieses Handy kaufen und besitzen zu wollen.

Denken, Emotionen und die Selbstidentität

Das Denken wirkt auf die Selbstidentität indem Sinne ein, indem es diese kognitiv begründet und mit Bewertungen versieht. Das Denken vergleicht dabei die eigenen Ansprüche des psychischen Systems mit deren erfolgreicher oder weniger erfolgreichen Umsetzung in die Realität. Zudem vergleicht das Denken das eigene psychische System mit anderen psychischen Systemen. Je nachdem wie diese Vergleiche enden, wirkt sich dies positiv oder negativ auf die Selbstidentität aus. Selbstidentität beinhaltet die Selbstbeschreibung des psychischen System, also wie man sich selbst sieht und wahrnimmt. Unter Selbstidentität fasse ich aber auch das Selbstwertgefühl im Sinne der Wertschätzung seiner eigenen Fähigkeiten und Selbstbeschreibungen bzw. deren Geringschätzung und Abwertung.

Das Denken trägt seinen Teil dazu bei, die Selbstbeschreibungen durch Argumente zu bestätigen und mit zusätzlichen Bewertungen zu versehen. Die Selbstidentität wirkt wiederum auf das Denken zurück, je nachdem wie sie sich beschreibt. Beschreibt sie sich als ewigen Verlierer, der nichts wert ist, dann werden dadurch die Denkfähigkeiten eingeschränkt und die Abrufung des vollen Leistungspotentials wird verhindert. Beschreibt sich das Selbst andererseits als Gewinnertyp, kann dies das volle Potential des Denkens ausschöpfen bzw. sogar noch vergrößern.

Die Emotionen wirken je nach Gefühlszustand positiv oder negativ auf die Selbstidentität und das dort enthaltende Selbstwertgefühl ein. Bei Freude, Liebe, Zufriedenheits- und Glücksgefühlen werden die Selbstbeschreibungen des psychischen Systems positiver ausfallen. Man sieht sich selber in einem günstigen Licht und schätzt sich und seine Fähigkeiten. Das Selbstwertgefühl fällt positiv aus. Man achtet und respektiert sich. Wenn man Wut, Trauer, Schuld und Scham fühlt, dann kommt es eher zu einer negativen Sicht auf das eigene Selbst. Das Selbstwertgefühl und die eigene Achtung vor seinem Selbst sinken.

Wut wird oft eingesetzt, um paradoxerweise ein niedriges Selbstwertgefühl zu kompensieren. Die Wut verschafft dem psychischen System einen Rausch ähnlichen Zustand, indem durch die Wut, Stärke und Macht suggeriert wird. Wut suggeriert die Kompensation eines niedrigen Selbstwertgefühl, ohne es tatsächlich zu schaffen. Nach der Wut kommt oft das Gefühl, sich schlecht mies und schuldig zu fühlen, für das, was man getan hat. Dies lässt das eigene Selbstwertgefühl sinken und führt zu einer eher negativen Beschreibung der Selbstidentität.

Die Selbstidentität und das dort enthaltende Selbstwertgefühl wirken auf die Emotionen zurück. Eine positive Selbstbeschreibung und ein hohes Selbstwertgefühl aktivieren eher Emotionen wie Freude, Glück, Zufriedenheit und Lust. Man fühlt sich stark und eins mit sich und seiner Umwelt. Bei einer negativen Selbstidentität und einem niedrigem Selbstwertgefühl kann eher ein Mix aus Gefühlen hervorgerufen werden, wie z.B. Trauer, Angst, Wut und Schuld.

Der Innere Teamleiter und die Selbstidentität

Der Innere Teamleiter moderiert den Prozess der emotionalen und kognitiven Bewertungen und Analysen der zu verarbeitenden Informationen. Er sorgt für die Entwicklung von Optionen für gedankliche oder kommunikative Anschlusshandlungen. Nach Abwägung aller Vor- und Nachteile sowie der Überprüfung der Argumentationen für die Wahl genau dieser Option trifft der innere Teamleiter eine Entscheidung, welche gedankliche oder kommunikative Anschlusshandlung gewählt und aktualisiert wird. Diese Entscheidung wirkt auf die Selbstidentität und auf das Selbstwertgefühl zurück. Die Identität des psychischen Systems, seines Selbst, wird durch Entscheidungen geformt. Die getroffenen Entscheidungen bestimmen das, was wir sind. Die Identität ist ein Produkt der aktualisierten Entscheidungen des psychischen Systems, seien es Gedanken oder Kommunikationen

Die Selbstidentität wirkt wiederum auf den inneren Teamleiter zurück, bildet sie doch das Fundament für die Entwicklung von Optionen und für das Treffen von Entscheidungen. Sie beeinflusst auch, wie kreativ und flexibel das psychische System auf Anforderungen der sozialen Umwelt reagieren kann. Der Grad der Kreativität und Flexibilität hängt wiederum von der positiven oder negativen Beschreibung der Selbstidentität ab. Bei positiver Beschreibung der Selbstidentität ist das psychische Systeme kreativer und kann flexibler auf Anforderungen der Umwelt reagieren. Bei negativer Beschreibung der Selbstidentität neigt das psychische System zu einem starren Festhalten an bekannten Handlungsmustern, auch wenn diese oftmals nicht die erwünschte Wirkung gezeigt haben. Es ist starrer und unflexibler und es fehlt an Kreativität, um Anforderungen aus der sozialen Umwelt zu meistern.

Sprache und die anderen Subsysteme

Die Sprache stellt für psychische Systeme und deren Subsysteme eine wichtige Funktion dar, da sie systemübergreifend be- und genutzt werden kann. Zwischen sozialen System und psychischem System ist Sprache das Medium, durch welches die strukturelle Kopplung Gedanken in Kommunikation transformieren kann und umgekehrt. Beide Systeme benutzen in ihrer Operationsweise das Medium Sprache. Sprache ist das Bindeglied zwischen sozialen und psychischen Systemen, aber auch zwischen den einzelnen Subsystemen des

psychischen Systems. Wir benutzen, neben Bildern und Imaginationen, vor allem sprachliche Begriffe, wenn wir denken, affekt-kognitiven Schemata nutzen und versuchen unser emotionales Erleben zu beschreiben.

Das psychische System kommuniziert nicht nur über sprachliche Mitteilungen, sondern es kommuniziert auch non-verbal. Bei Interaktionen unter Anwesenden beobachtet das psychische System auch die Mimik, die Gestik, die Körperhaltungen und –bewegungen des anderen. Körperliche Kommunikation, wie das Wegbringen des Mülls oder das Aufheben eines heruntergefallenen Buches für einen anderen, sind Möglichkeiten der non-verbalen Kommunikation. Sie beschreiben durch den Akt ihrer non-verbalen Kommunikation die interne Wirklichkeitskonstruktion des psychischen Systems. Beobachter können aus dem beobachteten Verhalten Informationen über die Einstellungen, Absichten, Bewertungen und über die Wirklichkeitskonstruktionen des anderen Systems generieren. Nonverbale Kommunikationen besitzen ebenfalls Informationswert. Ihre Mitteilung erfolgt durch den Akt der körperlichen Tätigkeit. Sie muss, damit non-verbale Kommunikation entstehen kann, verstanden oder missverstanden werden. Das beobachtende System kann mit einer non-verbalen Kommunikation an die vorherige Kommunikation anschließen und eine der vielen Anschlussmöglichkeiten aktualisieren. Die Neuaktualisierung wird durch die Verweisungsstruktur von Sinn auf anschlußfähige weitere Kommunikationen sichergestellt. Roland, unser Mann für die Bespiele, geht auf die Straße, um Einkaufen zu gehen. Vor der Haustür trifft er Hans. Hans hebt seinen Arm zum Gruß, worauf Roland den Gruß durch ein Armheben erwidert. Hier sind die kommunikativen Informationen ohne Sprache mitgeteilt worden. Beide verstanden das Symbol „Armheben“ als das Begrüßen der anderen Person.

Sprache sichert durch ihre Codierung auf Annahme oder Ablehnung der mitgeteilten Information die Autopoiesis des psychischen Systems und, wie wir später sehen werden auch die Autopoiesis des sozialen Systems. Sprachliche Mitteilungen können angenommen oder abgelehnt werden. In beiden Operationsmodi ist die Produktion der Elementen aus den Elemente sichergestellt. Gedanken entstehen aus Gedanken entstehen aus Gedanken…Bei der Ablehnung von Gedanken kann es zu inneren Widersprüchen kommen. Die Gedanken beschäftigen sich dann mit den inneren Widersprüchen und setzen sich so autopoietisch fort. Ein Abbruch des Gedankenflusses ist nicht möglich.

2.4 Lernen und Weiterentwicklung von psychischen und sozialen Systemen

Fluktuationen des Gleichgewichtszustandes

In den bisherigen Ausführungen habe ich das psychische System und seine durch strukturelle Kopplungen verbundenen Subsysteme dargestellt. Ich habe interne Strukturen beschrieben, die die Anschlussfähigkeit und die Autopoiesis der internen Prozessoperationen wahrscheinlicher machen, indem sie bestimmte Prozessoperationen favorisieren und andere ausschließen. Durch diese ständige Aktualisierung von Prozessoperationen (seien es Gedanken oder Kommunikationen) wird die Struktur durch den Prozess reaktualisiert. Das Vorhandensein der Struktur ist aber nicht selbstverständlich, sie muss durch die Aktualisierung und Realisierung von Gedanken an Gedanken (oder Kommunikationen an Kommunikationen) immer wieder hergestellt werden, ansonsten würde sie zerfallen und das System entropisch werden. „Im Falle der Entropie fehlt jede Engführung der Anschlussfähigkeit, und es fehlt damit auch der Zeitgewinn, der daraus resultiert, dass nicht alles in Betracht kommt. Der Begriff bezeichnet mithin den Grenzfall, indem die Reproduktion des Systems aus sich selbst heraus zum Zufall wird.“ (Luhmann 1987, S.80). Strukturen schaffen Ordnung und Verlässlichkeit in einer überkomplexen Welt mit all ihren Millionen von Möglichkeiten. Diese Ordnung muss aktiv aufrechterhalten werden, will das System a) nicht seine Grenzen zur Umwelt verlieren und sich selbst auflösen und b) die internen autopoietischen Prozesse sicherstellen. Ohne Strukturen, die aktiv hergestellt werden, würde es keine Ordnung geben sondern nur zufallsbedingtes Chaos. Alles wäre zugleich möglich, so dass die Wahrscheinlichkeit, das gleiche Operationsketten gebildet würden, äußerst gering wäre. Beliebigkeit würde regieren. Strukturen schaffen in einer überkomplexen Welt Ordnung durch Komplexitätsreduktionen und die Einschränkungen der Möglichkeiten, welche Anschlussoperationen angeschlossen und aktualisiert werden können.

Wie können sich psychische und soziale Systeme, die eine interne Struktur zur Steuerung und Koordinierung ihrer Prozesse ausgebildet haben, weiterentwickeln? Wie können sie lernen? Wie können sie ihre internen Strukturen verändern und somit andere Anschlussoperationen aktualisieren, die sie vorher nicht aktualisiert haben? Wie können sich psychische Systeme intern ausdifferenzieren, um z.B. ein rekursiv und zirkulär aufgebautes Netzwerk von affekt-kognitiven Schemata als Basis für die Wirklichkeitskonstruktion aufzubauen? Im Folgenden möchte ich wir Ihnen einige Erklärungsansätze für das Lernen und die Evolution von Systemen aufzeigen.

Unter dem Begriff des Lernens verstehe ich eine Wissensänderung bzw. -erweiterung im psychischen System oder eine veränderte Outputleistung. Um diese feststellen zu können, bedarf es der Einführung eines Vorher und eines Nachher im Begriff des Lernens. Diese Einführung kann nur durch einen Beobachter geschehen, der entweder ein anderes psychisches System beobachtet oder sich selbst. Er kann Lernen nur feststellen, wenn die Situation, die er vorher und nachher beobachtet hat, die gleiche ist, er aber einen Unterschied in der Outputleistung des beteiligten psychischen System wahrnimmt. Wenn wir ein dreijähriges Kind bitten, 1+5 zu rechnen, wird es dies nicht können. Nach der Einschulung erklärt der Lehrer demselben Kind die Prinzipien der Zahlen und der Addition. Danach soll es die Aufgabe nochmal rechnen und siehe da, das Kind schreibt als Ergebnis 6 auf. Der Beobachter stellt nun fest, dass das Kind gelernt hat. Es hat in der gleichen Situation zwei verschiedene Verhaltensweisen gezeigt, wobei die letztere den Gesetzen der Mathematik nach die richtige war. Dabei bezieht sich das Lernen nicht auf die „wahrnehmbaren Phänomene, sondern es erklärt sie: Lernen ist ein Erklärungsprinzip“ des Beobachters (vgl. Simon 2002, S. 148). Durch Beobachten können wir Wissenszuwächse und veränderte Verhaltensweisen erklären, indem wir dem psychischen System Lernen unterstellen. Lernen ist die unterschiedliche Beziehung des Wissens zu zwei verschiedenen Zeitpunkten, es setzt also die Konzepte Wissen und Zeit voraus. Vorher war noch kein Wissen vorhanden, was zu einem späteren Zeitpunkt vorhanden war. Diese Beobachtung sagt aber noch nichts darüber aus, wie gelernt worden ist.

Lernen ist nur möglich, indem dazu die System-Umwelt-Differenz benutzt wird. System und Umwelt sind strukturell gekoppelt. Ihre Entwicklung verläuft in einer Koevolution, indem die Umwelt dem System einen Komplexitätsüberschuss zur Verfügung stellt. Dieser Komplexitätsüberschuss der Umwelt wird vom System genutzt, um eigene systeminterne Komplexität aufzubauen, indem die Informationen in die systeminternen Strukturen und Prozesse integriert werden. Die veränderten Strukturen und Prozesse haben eine veränderte Outputleistung des Systems zur Folge. Damit sichert Lernen den Hauptzweck jedes Systems: es muss sich in einer überkomplexen Umwelt selbst erhalten, so dass es zur Selbsterhaltung auf veränderte Anforderungen aus der Umwelt reagieren kann, wenn es nicht zerfallen will. Die Anforderungen der Umwelt können nicht die Veränderungen der Strukturen des Systems (psychisch oder sozial) determinieren. Psychische und soziale Systeme operieren autopoietisch, sie sind autonom und strukturdeterminiert. Das heißt, sie entscheiden selbst, wie sie auf die Anforderung der Umwelt reagieren wollen. Umweltereignisse können durch die strukturellen Kopplungen nur als Störungen wahrgenommen werden. Sie werden erst im psychischen oder sozialen System konstruiert. Diese Beobachtung sagt aber nichts darüber aus, wie gelernt worden ist (vgl. Simon 2002, S. 152). Die Störungen oder Anregungen verursachen im System eine Abweichung vom Gleichgewichtszustand. Störungen führen Entropie in das System ein, also einen Möglichkeitenüberschuss, der die bestehenden Strukturen und Prozesse verunsichert und in Frage stellt. Entropie macht die durch die Struktur wahrscheinlich gemachten Anschlüsse unwahrscheinlicher. Sie verringert die Wahrscheinlichkeit der Reproduktion der bisherigen Operationsanschlüsse durch einen Überschuss an möglichen anderen Anschlüssen. Entropie führt in eine bestehende Ordnung das Chaos ein. Vorher war alles geregelt, die Operationsanschlüsse waren durch die Struktur festgelegt und plötzlich ist alles wieder möglich, auch der Anschluss anderer Operationen an die vorherige. Das psychische oder soziale System erhält die Möglichkeit zu „entlernen“, indem sie alte Strukturen vergisst und an deren Stelle eine Neukonfiguration der internen Strukturen und damit der Prozesse beginnt. Die neue Konfiguration der Struktur und mit ihr die veränderten Prozesse stellen das Lernen oder die Veränderung des Systems dar. Diese Regulierung führt zu einem erneuten Gleichgewichtszustand, der vorherige Ungleichgewichtszustand wurde ausgeglichen. Eine Veränderung der Struktur und der Prozesse führt auch zu einer veränderten Outputleistung des Systems (vgl. von Schlippe/ Schweitzer 2007, S. 61).

Innerhalb des psychischen Systems werden Störungen als Informationen aus der Umwelt behandelt. Die Regulierung des Ungleichgewichtszustandes erfolgt durch den Einbau neuer Informationen in die autopoietischen Strukturen und Prozesse des Systems mit der Folge der Erreichung eines Gleichgewichtes. Diese neuen Informationen kann das psychische System auch in seinen Subsystemen, die ebenfalls aus dem Gleichgewichtszustand geraten sind, einbauen. In psychischen Systemen werden nicht nur Strukturen und Prozesse verändert, sondern die Störung und die daraus resultierende Abweichung vom Gleichgewichtszustand können eine Neukonfiguration eines affekt-kognitiven Schemas (oder mehrere) und dessen Netzwerkstruktur bewirken. Daraus resultiert wieder eine veränderte Wirklichkeitskonstruktion und eine andere Outputleistung des betreffenden Systems.

Beim Lernen und in ihrer Weiterentwicklung sind psychische und soziale Systeme als autonome, operational geschlossene, selbstherstellende und strukturdeterminierte Systeme auf die Umwelt angewiesen. Mit der Umwelt sind sie strukturell gekoppelt und beide entwickeln sich in einer Koevolution. Die oben beschriebenen Störungen werden völlig autonom und nach Maßgabe der internen Strukturen verarbeitet und die Gleichgewichtszustände werden wieder hergestellt. Dabei kommt es zu keinem Transfer der Störung aus der Umwelt in das System, sondern die Störung wird im psychischen System selbst konstruiert auf der Basis von Beobachtungen. Die selbstkonstruierte Störung bringt das System aus dem Gleichgewichtszustand. Durch Veränderungen seines Wissens, seiner internen Strukturen und Prozesse und seiner Outputleistung (Gedanken oder Kommunikationen) kann es sich wieder in einen Gleichgewichtszustand bringen. Das psychische System kann die Störung auch in der näheren Umwelt verorten, so dass es durch gezielte Kommunikationen (Outputleistungen) versuchen wird, die Störung zu entstören. Das psychische System kann die Störung auch als Zufall bewerten und ihr erst mal im weiteren Verlauf der Operationen zunächst einmal keine Beachtung schenken (vgl. Luhmann 1998, S. 118).

Lernen oder evolutionäre Veränderungen verlaufen diskontinuierlich und sprunghaft. Von einem Moment zum anderen kann das System etwas, was es vorher noch nicht konnte. Es ändert seine Zustände nicht in einem langanhaltenden Prozess, sondern der Ausgleich der Verstörungen findet abrupt statt. Wann ein System eine Verstörung ausgleicht und sich damit weiter entwickelt, lässt sich daraus zeitlich nicht ableiten. Ein System ist aufgrund seiner operationalen Geschlossenheit von außen nicht durch Instruktionen in seinem Eigenverhalten und seiner Outputleistung beeinflussbar. Es ist durchaus möglich, dass ein System mit einer Verstörung zehn Jahre lebt und es plötzlich den verlorenen Gleichgewichtszustand ausgleicht. Es kann aber den Ausgleich des Ungleichgewichts schon zehn Minuten nach der selbstkonstruierten Störung vornehmen.

Dissipative Strukturen

Lernen und die Veränderungen von psychischen und sozialen Systemen sind Selbstorganisationsprozesse, die nur durch das System selbst hergestellt werden können. Dies begründet sich aus der für selbstreferente und selbstherstellende Systeme typischen operationellen Geschlossenheit. Nur dadurch ist es möglich, dass sich Operationen aus den Bestandteilen der Operationen selbst herstellen und es zu einem zirkulären und selbstbezogenen Produktionsprozess der Operationen kommt. Die Selbstherstellung aktualisiert die vorhandene Struktur, die die Möglichkeiten der Anschlüsse eingeschränkt hat, indem sie einige Anschlussoperationen ausschließt und andere vorschreibt. Die Sozialwissenschaften und auch die Pädagogik profitieren von physikalischen und chemischen Modellen zur Beschreibung der Selbstorganisation von Ordnung aus Chaos. Ilya Prigognine, ein belgischer Physiker und Nobelpreisträger, gelang es als erster Forscher überzeugend darzustellen, wie Strukturen aus Unordnung und Chaos mittels Selbstorganisation entstehen können. Für seine Theoriekonzeption wählte er den Begriff der dissipativen Strukturen. Dissipation bedeutet Zerstreuung; eine Quelle der Unordnung wird zur Quelle der Ordnung, „indem kleine Schwankungen im Kontext der Systemumgebung sich selbst verstärken, bis sie das ganze System umfassen – man könnte auch von gigantischen Schwankungen sprechen, die durch Energie- und Materieaustausch mit der Außenwelt stabilisiert wird.“ (Kriz 1999, S. 61-62). Die kleinen Schwankungen (man könnte auch Störungen sagen) in der Umwelt sind mit Entropie versehen und bieten dem psychischen oder sozialen System einen Möglichkeitsüberschuss an. Im Rahmen von selbstorganisierten System-Prozessen kommt es zu einer Minimierung der Entropie im System durch Bildung von Strukturen. Die Strukturen bilden die Ordnung im Chaos. Das System erzeugt Entropie, diese wird aber wieder an die Umwelt abgeben. Die Selbstorganisation wird durch das Bestreben des psychischen und sozialen Systems ausgelöst, die Entropie durch Ordnungen und Strukturen zu minimieren (vgl. Strunk/ Schiepek 2006, S. 78-79).

Hier entstehen Veränderungen und das Lernen im System durch die Einführung von Möglichkeitsüberschüssen, so dass die bestehenden Strukturen zerstreut werden und eines neuen Aufbaus und einer neuen Organisation bedürfen. Der Unterschied zum Modell der oben beschriebenen Homöostase liegt in der Veränderung von Großteilen der Struktur und nicht nur von kleinen Ausschnitten. Daher wird bei psychischen und sozialen Systemen Lernen und Veränderung eher selten im Sinne einer dissipativen Struktur stattfinden, dennoch ist sie nach meiner Überzeugung vorstellbar. Dissipative Veränderungen können in psychischen und sozialen Systemen bei systembedrohenden Krisen auftreten, die eine radikale Veränderung und Anpassung an die Umwelt erfordern, um das eigene Überleben, den Hauptzweck eines jeden Systems, zu gewährleisten.

Synergetik

Eine weitere Möglichkeit, Veränderungen in psychischen und sozialen Systemen zu beschreiben, ist das Konstrukt der Synergetik-Theorie. Synergetik ist die Lehre vom Zusammenwirken. Sie untersucht hochkomplexe Systeme, die aus sehr vielen Elementen bestehen. Im Hauptfokus des Forschungsinteresses der Synergetik steht die Analyse des Zusammenwirkens der Elemente im Sinne einer Selbstorganisation und wie es dadurch möglich wird, Ordnung herzustellen (vgl. Kriz 1999, S.68).

Die Synergetik beschreibt die Selbstorganisation als ein Wechselspiel der Musterbildung durch Verhaltenssynchronisation von unten (Mikroebene) nach oben (Makroebene). Hier steht das Kernkonzept der Synergetik im Mittelpunkt der Beschreibung; die Beschreibung der sogenannten Ordnungsparameter. Der Ordnungsparameter stört das Systemgleichgewicht zunehmend. Es wird instabil, so dass die Störungen immer langsamer durch das System ausgeglichen werden können. Der verminderte und langsamere Ausgleich der Ungleichgewichtszustände an den Gleichgewichtsattraktor führt zu einem kritischen Langsam werden des Systems, so dass ein neuer Attraktor die Möglichkeit erhält, den alten Attraktor abzulösen. Der neue Attraktor ist dann in der Lage, die anderen Elemente und Systemkomponenten zu „versklaven“ und die neuen Ordnungen zu bestimmen (vgl. Kriz 1999, S. 70).

Beide Aspekte, Ordnungsbildung und Anziehung, sind aufeinander angewiesen, sie sind jeweils die notwendige Voraussetzung des anderen. Ordnungsbildung funktioniert nur, wenn Elemente und deren Beziehung untereinander sich von der neuen Ordnung angezogen fühlen. Anziehung ist nur möglich, wenn es einen neuen Ordnungsattraktor gibt. Dabei stehen die Ordnungsattraktoren in einem Wettbewerbsverhältnis zu anderen Ordnungsattraktoren, so dass Verstörungen zu Ordnungs-Ordnungs-Übergängen führen können. In Ordnungs-Ordnungs-Übergängen findet der Wechsel von einem Ordnungsattraktor zum nächsten Ordnungsattraktor statt. Die Folge sind eine veränderte Struktur und veränderte Prozesse im System selbst (vgl. Strunk/Schiepek 2006,S. 80-81). Bei einer Anziehung an einen Attraktor kommt es zu einer Einschränkung der Freiheitsgrade der Elemente. Übertragen auf psychische und soziale Systeme könnten wir sagen: bestimmte Anschlüsse werden durch den neuen Ordnungsattraktor möglich gemacht, andere werden ausgeschlossen. Das Modell der Attraktoren hat nach meiner Auffassung einen besonderen Reiz für die Humanwissenschaften, lassen sich doch damit Phänomene der Motivation (extrinsisch und intrinsisch) und ihre Auswirkungen auf die Struktur und die Prozesse von psychischen und soziale Systemen beschreiben. Gleichzeitig läßt sich die Anziehungskraft neuer Informationen und Wissensbeständen mit dem Modell der Synergetik beschreiben, so dass dieser Phänomenbereich erfassbar und beschreibbar wird.

Für die spätere Beschreibung des Entwicklungskonzeptes für herausfordernde Verhaltensweisen ist das Modell der Attraktoren interessant und aufschlussreich, weil zur Veränderung von Verhaltensweisen die Kreierung geeigneter Attraktoren eine wichtige Rolle spielen kann. Wenn der systemische Berater eine Intervention setzt, so ist es das Ziel, neue Informationen für das psychische oder soziale System zu generieren, welche zu neuen Attraktoren für das System werden können. Das System fühlt sich von dem neuen Attraktor angezogen und die internen Strukturen und Prozesse werden entsprechend der neuen attraktiven Ordnung verändert. Das grundlegende Prinzip von Selbstorganisationsprozessen ist die aktive Herstellung und Aufrechterhaltung von Strukturen und ihrer Ordnungsattraktoren in Form der beständigen Wiederholung der gleichen Operationen.

Piagets Begriffe der Assimilation und Akkommodation

Weiter oben habe ich den Begriff der affekt-kognitiven Schemata eingeführt. In den affekt-kognitiven Schemata werden die kognitiven und emotionalen Bewertungen, Erklärungen, deskriptiven und präskriptiven Regeln, Theorien, Handlungsleitpläne und Glaubenssätze organisiert und zusammen gebündelt. Piaget benutzt einen ähnlichen Begriff, den Begriff des Schemas. Unter Schema versteht Piaget die kategorisierende Zusammenfassung von Handlungsweisen. Dieser Begriff unterscheidet sich von meinem Begriff, da ich eine größere Variation der inneren Ausstattung in dem Begriff des affekt-kognitiven Schemas bündele, ohne dass immer alle aufgezählten Möglichkeiten in eine Schema realisiert werden müssen. Es kann können genauso gut nur aus Erklärungen und Bewertungen oder aus Theorien oder nur aus Handlungsleitplänen bestehen, aber es kann auch alle oben beschriebenen möglichen Inhalte aufweisen.

Jede Begriffsverwendung, jede Klassifizierung oder Schlussfolgerung variiert je nach Gegenständen und Inhalten. Oder anders formuliert: man kann niemals dieselbe und identische Beobachtung machen. Dies wird ersichtlich, wenn Sie sich vorstellen, Sie würden abends Rehwild am Waldrand beobachten und am folgenden Abend auch. Selbst wenn das Objekt der Beobachtung das gleiche wäre, und es fast an der selben Stelle stehen würde, würde Sie Unterschiede zu der Beobachtung am Vortag ermitteln können. Es bedarf der Abstraktion, um das Gemeinsame im beobachteten Objekt Rehwild zu identifizieren. Das Gemeinsame, was der Beobachter identifiziert hat, versucht er an bestehende affekt-kognitive Schemata anzudocken. Es kann das vorhandene Schema bestätigen. Die Beobachtung wird nach Piaget assimiliert. Die Beobachtung wird in das Schema einverleibt, führt zu einer Aktivierung des Schemas für den weiteren Prozess der Informationsverarbeitung und der Generierung einer gedanklichen und kommunikativen Outputleistung.

Die beobachtete Information kann genauso nicht zu einem affekt-kognitiven Schema passen. Sie kann nicht andocken, weil Sie nicht kompatibel ist. Um das Andocken zu ermöglichen, muss das bestehende affekt-kognitive Schema weiterentwickelt werden oder es muss ein neues affekt-kognitives Schema aufgebaut werden. Diesen Prozess nennt Piaget Akkommodation. Ohne diese Fähigkeit und Möglichkeit des psychischen Systems zur Akkommodation ist Lernen und letzten Endes ein Überleben des Systems nicht möglich (vgl. Oerter/ Montada 1995, S. 548).

Doch was bringen uns diese verschiedenen Ansätze für die Beschreibung von Veränderungsprozessen in psychischen und sozialen Systemen? Lernen ist eigentlich aufgrund der Geschlossenheit der operativen Kernprozesse von psychischen und sozialen Systemen unmöglich, aber die Geschlossenheit bezieht sich nicht auf den Austausch von Energie und Informationen über die strukturellen Kopplungen zur näheren Umwelt. Systeme benötigen für ihre Entwicklung die Umwelt. System und Umwelt entwickeln sich koevolutionär. Die oben beschriebenen Möglichkeiten der Veränderung und Entwicklung von Systemen fokussieren auf das Wie des Lernens. Sie beinhalten Informationen, was Interventionen erreichen müssen, um ein System zu einer Veränderung anzuregen. Dies ist für die Kreierung von Interventionen eine wichtige Voraussetzung. Alle Interventionen bedürfen eines Aufbaus, der dem System die Generierung einer Information mit Verstörungscharakter ermöglicht. Durch diese Verstörung kommt das System aus seinem inneren Gleichgewicht und es muss zur Wiederherstellung des Gleichgewichtszustand aktive Maßnahmen ergreifen. Gelingt ihm dies nicht, dann entsteht ein neuer Ordnungsattraktor. Dieser verändert dann die Strukturen und Prozesse des Systems und ein neuer Gleichgewichtszustand entsteht.

Interventionen können darauf abzielen im Umfeld des Systems einen Attraktor zu installieren, um über dessen Anziehungskraft das System zu Veränderungen und Lernen anzuregen. Interventionen können aber auch Attraktoren im System selbst aufbauen, so dass im System selbst die Anziehungskraft für Veränderungen vorliegt. Dies kann durch Interventionen geschehen, die Ziele im psychischen oder sozialen System entstehen lassen oder die zu der Entstehung einer handlungsleitenden Vision beitragen. Die Beschreibung der Vorgänge der Assimilation und Akkommodation zeigen die Möglichkeit auf, dass jede Interaktion mit der Umwelt, in der Informationen generiert werden, zu einer Entwicklung und Veränderung des Systems führen kann. Jede Intervention, die zur Generierung von Informationen führt, hat das Potential, das System zu verändern.

2.5 Das Generieren einer Outputleistung im psychischen System

Zum Ende des Abschnittes über das psychische System, in denen ich neben der Darstellung wesentlicher Grundbegriffe der Systemtheorie und deren konkrete Anwendung auf psychische Systeme beschrieben haben, gilt es nun das Augenmerk auf den Prozess der Informationsverarbeitung des psychischen Systems zu legen. Doch was passiert, wenn ein psychisches System, welches mit seiner Umwelt strukturell gekoppelt ist, eine Beobachtung macht, aus der es in seinem Inneren eine Information konstruiert? Wie sehen dann die Wechselwirkungen der einzelnen Subsysteme des Psychischen aus? An einem vereinfachten von mir entwickelten Schaubild möchte ich kurz den Prozess der Informationsverarbeitung darstellen :


Abb: Prozess der

Informationsverarbeitung

Das psychische System ist strukturell gekoppelt mit seiner Umwelt. Die nähere Umwelt besteht sowohl aus der materiellen wie sozialen Umwelt. Durch diese strukturelle Kopplung stehen wir in einer spezifischen Beziehung zu unserer Umwelt. Energie und Informationen können ausgetauscht werden. Das psychische System beobachtet diese Schnittstellen ständig und geniert daraus Informationen, indem es Unterschiede wahrnimmt und diese bezeichnet. Nicht jeder neu wahrgenommene Unterschied muss bezeichnet werden, sondern bei der Wahrnehmung von Unterschieden wird im psychischen System im Bereich der Wirklichkeitskonstruktionen gesucht, ob zu dem beobachteten Unterschied bereits eine Bezeichnung vorhanden ist. Ist diese vorhanden, abgespeichert und intern in affekt-kognitive Schemata organisiert, so dockt der beobachtete Unterschied an diesem Schemata an und der assoziative Prozess der Rekonstruktion des Schemas aus dem Gedächtnis beginnt. Die Information wird vom passenden Schema assimiliert. Gibt es kein passendes Schema, so findet eine Akkommodation statt. Ein neues affekt-kognitives Schema wird konstruiert.

Aus der Beobachtung ist eine bezeichnete Information generiert worden. Danach wird die Information im emotionalen System weiterverarbeitet. Das emotionale System nimmt erste Bewertungen der Information vor, lädt sie mit den Bedeutungsdimensionen stark/schwach, aktiv/passiv und gut/böse auf und generiert autonom und nach der Determination seiner Strukturen eine passende Emotion zu der beobachteten Information. Ab jetzt beginnt ein zirkulärer und wechselseitiger Interaktionsprozess zwischen den Subsystemen des pychischen Systems. Die nun bezeichnete Information durchläuft erneut die Wirklichkeitskonstruktionen und erfährt eine Aufladung mit all den dort gespeicherten Assoziationsketten. Die rekonstruierten Wissensbestände können die Emotionen verändern oder bestätigen. Die ausgelösten Emotionen wirken zurück auf die Wissensbestände, denn dort wird überprüft ob die emotionale Aufladung mit dem affekt-kognitiven Schema übereinstimmt, so dass Andockung und Aktivierung möglich sind. Wenn nicht, muss aber der affektive Teil des Schemas neu akkommodiert werden.

Auch das Denken greift bereits auf die Information zu und verarbeitet sie, indem es sie mit anderen in den Wirklichkeitskonstruktionen hinterlegten Informationen vergleicht. Sie bildet aus der Information Rückschlüsse auf die Beobachtung und überprüft diese mit den vorhandenen Theoriekonstruktionen in den affekt-kognitiven Schemata. Die Information wird analysiert und entweder anhand der zweiwertigen oder der binären Logik auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht. Das Denken kann die Wirklichkeitskonstruktionen verändern, indem die Rückschlüsse aus der Information zu einer Neukonfiguration des Schema führen oder es zu einem Prozess der Akkommodation mit der Neuschaffung eines affekt-kognitiven Schemata kommt. Das Denken wird dabei von den bereits vorgenommenen emotionalen Bewertungen beeinflusst, während das Denken mit seinen argumentativen Bewertungen wiederum auf die emotionale Bewertung zurückwirkt. Das Denken kann die Emotionen in diesem Wechselspiel überformen. Die Emotionen können umgekehrt das Denken überformen, indem die Gewichtung zwischen emotionalen und kognitiven Bewertungen zugunsten der emotionalen Bewertungen verschoben wird.

Emotionale und kognitive Bewertungen können im Widerspruch zu einander stehen, ja sie können sich regelrecht in einem fesgefahrenen Konflikt darüber befinden, wer nun die richtige Bewertung zur Information gemacht hat. Hier ist der innere Teamleiter gefragt, den Konflikt wertschätzend für beide Seiten zu moderieren, die verschiedenen Perspektiven zu analysieren, um dann Lösungen zu entwickeln, in denen sich beide Bewertungsinstanzen wiederfinden können.

Das System der Motivation interagiert mit dem Denken, den Emotionen und den Wirklichkeitskonstruktionen, indem die im System hinterlegten Bedürfnisse und Ziele mit der Information verglichen werden: passt die Information zu den Zielen und Bedürfnissen des Systems oder passt sie nicht dazu? Die Motivation kann die anderen Subsysteme dahingehend beeinflussen, ob es sich überhaupt lohnt, der Information weiter interne Verarbeitungskapazitäten zur Verfügung zu stellen. Dies wird der Fall sein, wenn die Information nicht mit den Zielen und Bedürfnissen des Systems kompatibel ist. Wenn die Information kompatibel ist, so kann die Motivation die anderen Systeme zu einer höheren Verarbeitungsleistung anregen, ihnen weitreichende Energie zur Verfügung stellen und einen wichtigen Hinweis für die Richtung einer möglichen Entscheidung geben, welche gedankliche oder kommunikative Outputleistung generiert werden soll. Über all den Prozessen wacht der innere Teamleiter, der dafür sorgt, dass alle Subsysteme im Bewertungs- und Verarbeitungsprozess eine angemessene Beachtung finden. Er moderiert die Generierung der möglichen Outputleistung anhand der vorhandenen Handlungspläne, der Ziele des Systems und der emotionalen und kognitiven Bewertung. Wenn das System durch Erfahrung gelernt hat, dass bestimmte Handlungspläne funktioniert haben, so wird es in einem Informationsverarbeitungsprozess in der Regel nicht zur Generierung mehrerer Outputoptionen kommen, sondern das System greift auf das Bewährte und Erfolgreiche zurück. Diese Möglichkeit hilft dem System, Entscheidungskomplexität zu reduzieren. Die Entscheidung des inneren Teamleiters wird auf die duale Struktur Ausführung/ Nicht-Ausführung (Ja oder Nein) reduziert. Wenn neue Anforderungen oder neue Probleme für das psychische System aufgetaucht sind oder alte Handlungsstrategien nicht den gewünschten Erfolg gezeigt haben, dann kann das Denken eine große Zahl möglicher Outputoptionen entwickeln. Der innere Teamleiter betrachtet dann die Vor- und Nachteile jeder einzelnen Outputoption, sowie deren emotionale und kognitiven Bewertungen, bevor er eine Entscheidung trifft, welche der möglichen Optionen als Outputleistung generiert werden sollen.

Die Subsysteme des Psychischen können sich während einer Informationsverarbeitung gegenseitig beeinflussen, sie müssen es aber nicht. Auch kommt es auf den Zustand des System an sowie auf, die soziale Situation, in der es sich befindet, wie die Gewichtung (Anteile) der Subsysteme an der Verarbeitung der Informationen aussieht. In Gefahrensituationen kann das Gewicht nur auf der emotionale Bewertung liegen, die dann blitzschnell Handlungsmuster aus speziellen affekt-kognitiven Schemata generiert. Das Denken kann das größte Gewicht bei der Informationsverarbeitung erhalten, wenn es ein komplexes Problem zu lösen gilt, in dem die eher undifferenzierten Bewertungen (stark/schwach, aktiv/ passiv, gut/böse) der Emotionen nicht weiterhelfen können. Für kognitive Problemlösungen muss das System über Zeit verfügen, ansonsten ist eine kognitive Problemlösung nicht möglich. Die Motivationen können die kognitive und emotionale Bewertung auf ein Minimum reduzieren, weil die Informationen zu 100 Prozent zu den Zielen und Bedürfnissen passen, so dass ein langer Verarbeitungsprozess unnötig ist. Aufgrund der Übereinstimmung mit den Zielen kann der innere Teamleiter entscheiden, sofort die entsprechende Outputleistung zu generieren.

Ich bin sicher, man könnte noch tausend weitere Wechselwirkungen im System und unterschiedliche Gewichtungen der Subsysteme untereinander beschreiben, aber ich glaube es ist deutlich geworden, wie komplex der Akt der Informationsverarbeitung ist und wie viele verschiedene Zustände für die Generierung der Outputleistung möglich sind. Alle Subsysteme des Psychischen sind je nach Kontext und Situation an der Informationsverarbeitung und Generierung einer gedanklichen oder kommunikativen Outputleistung beteiligt.

Ich möchte versuchen, die oben beschriebenen Wechselwirkungen an einem Beispiel deutlich zu machen.

Beispiel:

Ein Angestellter, nennen wir ihn einfach Herrn K., geht durch die langen Gänge der Abteilung für Rechnungswesen. Er ist auf dem Weg zum Kopierer, um wichtige Unterlagen für den Abteilungsleiter zu vervielfältigen. Als Herr K. an der Tür seines Kollegen, Herrn T., vorbei läuft, hört er, wie dieser in seinem Büro mit der Abteilungsleitung spricht. Herr T. beklagt sich über die vielen Fehler, die Herr K. bei Kalkulationen macht und über die Nicht-Einhaltung von Fristen.

Herr K. geht weiter, aber seine innerpsychischen Prozesse arbeiten nun auf Hochtouren. Beschreiben wir die Informationsverarbeitung, wie sie vielleicht bei Herrn K. abgelaufen sein könnten:

Herr K. hat das Gespräch akustisch beobachtet und die eingehenden Schallwellen führen zur Aktivierung bestimmter Nervenareale. Durch Selbstbeobachtung wird aus den veränderten Zuständen der Nervenareale eine sprachliche Information errechnet und durch das psychische System konstruiert. Diese Information erhält sofort eine emotionale Bewertung anhand der oben beschriebenen Bedeutungsdimensionen von stark/schwach, aktiv/passiv und gut/böse. In diesem Fall lautet die Bedeutungsaufladung der Information „Ein Kollege beschwert sich hinter meinem Rücken bei meinem Chef“, stark, aktiv und böse. Die emotionale Bewertung führt zur Aktivierung eines Bündels von Emotionen, zum einen wird Angst und zum anderen wird Wut aktiviert. Die Gefühle legen Herrn K. drei Handlungsschritte nahe:

1. Aus Angst vor negativen Konsequenzen nichts tun und warten, ob der Abteilungsleiter im Rahmen eines Gespräches auf ihn zukommt.

2. In die Offensive gehen und den Chef auf das Gehörte ansprechen

3. Dem Kollegen mal so ordentlich die Meinung sagen, was er doch für ein hinterhältiger Mensch ist.

Bei der weiteren Verarbeitung der Informationen greift das psychische System von Herrn K. auf die Wirklichkeitskonstruktionen zurück, indem es prüft, ob die Information an bekannte affekt-kognitive Schemata andocken kann. Gibt es keine, so wird eine neue Bezeichnung der Beobachtung vorgenommen und ein neues Schema entsteht. Die Information wird weiterverarbeitet und andere Subsysteme des psychischen Systems von Herrn K. greifen in die Verarbeitung ein.

Die Motivation beeinflusst die Emotionen bei Herr K., weil er Perfektionist ist und weil er solche Fehler nie machen würde. Das daraus entstehende Ziel oder Bedürfnis des Systems ist die Wiederherstellung seines sozialen Ansehens und das Ausräumen dieser Unwahrheit bei seinem Vorgesetzten. Die Motivation stützt eher das in die Offensive gehen sowie dem Kollegen mal die Meinung sagen und schwächt das Nichts-Tun.

Das Denken führt auf dem weiteren Weg zum Kopierer die kognitive Analyse durch. Das Verhalten seines Kollegen wird als unkollegial und hinterlistig eingestuft. Herr K. vermutet, dass Herr T. die Intrige aus Neid gemacht hat, weil Herr K. im letzten Monat ein erfolgreiches Projekt abgeschlossen hat und beide aktuell um die Projektleitung in einem anderen Projekt konkurrieren.

Das Denken vergleicht die konstruierte Information mit vorhandenen affekt-kognitiven Schemata. Es wird deutlich, dass Herr K. sich so Teamarbeit nicht vorstellt. Er bevorzugt das offene Feedback. Probleme, auch im zwischenmenschlichen Bereich sollten sofort angesprochen werden, damit man die Möglichkeit hat, sie auf diskursiven Wegen auszuräumen. Aus Erfahrung weiß Herr K., wie leicht sich ein Eindruck bei seiner Abteilungsleitung festsetzt, so dass es enorm wichtig ist, falsche Eindrücke schnell auszuräumen. Da die Abteilungsleitung aber konfliktscheu ist, muss er das Gespräch zur Richtigstellung des Gesagten gut einfädeln, da eine offensive Strategie eher die Abteilungsleitung veranlassen wird, das Gespräch und dessen Inhalt abzublocken. Auch dem Kollegen gegenüber fügt das Denken weitere Einschätzungen hinzu; er ist nicht vertrauenswürdig, er hat mich enttäuscht, er ist ein Intrigant, er bleibt nicht bei der Wahrheit, seine Freundlichkeit ist nur Fassade usw. Als Herr K. den Kopierer erreicht, legt das Denken ihm nahe, die Abteilungsleitung aufzusuchen und mit ihm ein Gespräch über seine nachweisbaren Erfolge der letzten zwei Jahre zu führen und dabei einzupflegen, dass er ein Gerücht über sich gehört hätte, was besagen würde, er würde Fehler machen und sei unzuverlässig. Dann könnte er es richtigstellen, egal wie die Abteilungsleitung darauf reagiert. Mit seinem Kollegen müsste er auch sprechen, um zu verhindern, dass dieser noch einmal gegen ihn Intrigen spinnt: er könnte dies offensiv machen, indem er ihm sagt, dass er dessen Gespräch mit dem Chef zufällig im Vorbeigehen gehört hätte und wie enttäuscht und wütend er darüber war. Er könnte auch die Optionen des Gerüchtes wählen. Er könnte auch in einem Gespräch beiläufig einfließen lassen, wie er auf den Putz hauen würde, wenn er mitbekommen würde, dass er bei der Abteilungsleitung schlecht gemacht würde. Das Denken spielt natürlich ebenfalls die Möglichkeit durch, nichts zu unternehmen, einfach alles auf sich beruhen zu lassen. Was soll ihm schließlich schon passieren? Eine Abmahnung kann er nicht bekommen, dafür sind die Vorwürfe nicht stichhaltig genug. Ein Disziplinargespräch könnte eine Reaktion der Abteilungsleitung sein, wo sie ihn maßregeln würde. Diese Option ist aufgrund des Konfliktvermeidungsverhalten des Vorgesetzten nicht wahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass er bei der Auswahl für die nächste Projektleitung keine Berücksichtigung findet, weil er angeblich viele Fehler machen würde und unzuverlässig sei. Im Wechselspiel der Reflektion merkt Herr K., dass die Emotion der Wut an überhand gewinnt, korrespondiert sie doch mit den Zielen des Motivationssystems und mit einigen Aspekten der Analyse des Denkens. Der innere Teamleiter hat den Prozess aufmerksam verfolgt. Er sorgte dafür, dass alle Stimmen gleichermaßen zu Wort gekommen sind. Nach Abwägung aller Optionen und deren Vor- und Nachteile, entscheidet er sich für das Gespräch mit der Abteilungsleitung, indem er seine Erfolge der letzten zwei Jahren darstellen wird und nebenbei das Gerücht ansprechen wird. Herr K. wird mit Herrn T. das Gespräch suchen und ihm sagen, dass er das Gespräch mitbekommen hat, wie enttäuscht er über dessen Verhalten ist und dass Herr T., wenn er es noch einmal macht, damit rechnen muss, dass Herr K. ihm ebenfalls das Leben in der Abteilung erschweren wird.

An diesem Beispiel sieht man, dass das psychische System eine Entscheidung getroffen hat, die Realisierung der Entscheidung aber zeitverzögert stattfindet. Denn Herr K. muss mit seinem Abteilungsleiter erst einen Termin vereinbaren. Für das Gespräch mit seinem Kollegen Herrn T. bedarf es einer passenden Gelegenheit, in der beide Zeit haben, sich neben dem stressigen Arbeitsalltag zu unterhalten. Dies bietet dem psychischen System die Möglichkeit, die getroffene Entscheidung, falls gewünscht, noch weiter zu reflektieren und notfalls auch noch andere Entscheidungen zu treffen. Am Ende der Informationsverarbeitung steht die Möglichkeit gedanklichen oder kommunikativen Output zu produzieren. Ob eine Kommunikation zeitverzögert oder sofort generiert wird, hängt immer von den Interaktionssituationen und dem Kontext ab.

Die oben dargestellte Beschreibung der Informationsverarbeitung bei Herrn K. stellt eine mögliche Beschreibung unter vielen dar. Viele andere Möglichkeiten der Informationsverarbeitung im psychischen Systems eines Menschen sind möglich. Dabei kann es zu unterschiedlichen Gewichtungen der Subsysteme des psychischen Systems kommen, wie sie an der Informationsverarbeitung beteiligt werden. Das Motivationssystem kann gegenüber den Emotionen und dem Denken ein Übergewicht erhalten, genauso ist es möglich, dass das Denken alle anderen Subsysteme dominiert und andere nicht zum Zug kommen lässt. Diese Möglichkeit besitzen auch die anderen Subsysteme. So kann das emotionale Subsystem die Oberhand gewinnen und die Informationsverarbeitung sowie die spätere Entscheidung dominieren. Dies hängt mit den Fähigkeiten des inneren Teamleiters zusammen. Er kann, so wie es im wahren Leben in vielen Teams beobachtet werden kann, mit einem bestimmten Subsystem eine Koalition eingehen. Durch diese Koalition wird den anderen Subsystemen eine untergeordnete Rolle in der Informationsverarbeitung sowie in der Entscheidungsfindung zugewiesen. Geht der innere Teamleiter mit dem emotionalen System eine Koalition ein, so könnte in unserem Beispiel die Informationsverarbeitung wie folgt aussehen: Herr K. hört die Intrige von Herr T. Seine Emotionen überfluten das psychische System und machen eine Koalition mit dem inneren Teamleiter. Die Information wird mit den Bedeutungsdimensionen stark, aktiv und böse aufgeladen. Die Emotion, die entsteht, ist blanke Wut. Herr K. fühlt sich von seine, Kollegen hintergangen. Das Verhalten des Vorgesetzten ist ebenfalls nicht in Ordnung, da er Herrn T. unreflektiert beipflichtet. Die Wut schaltet das Denken aus und dominiert das motivationale System, indem die Ziele durch die Wut vorgegeben werden: Aggressionsabbau und Wiederherstellung der eigenen Ehre. Die Entscheidung, beeinflusst durch die Wut, lautet sofortiges Eingreifen. Durch die Koalition bemüht sich der innere Teamleiter nicht mehr, den anderen Subsystemen einen angemessenen Raum für ihre Position zu geben. Er folgt der Emotion. Herr K. reißt die Tür auf, stürmt in das Büro von Herrn T. und lässt seiner Wut sowie seiner Entrüstung über die Intrige von Herrn T. und das unreflektierte Beipflichten des Abteilungsleiters freien Lauf.

Neben der Variante der Koalitionsbildung zwischen Innerem Teamleiter und Subsystemen des psychischen Systems besteht auch die Möglichkeit, dass der Innere Teamleiter bestimmten Subsystemen in seiner Moderation nicht den notwendigen Raum verschafft gegen immer wieder das „Wort“ ergreifende andere Subsysteme. Auch dadurch ist die Dominanz eines Subsystem gegenüber den anderen möglich.

Auch die oben beschriebene Variante ist eine von vielen Möglichkeiten, wie die Information im psychischen System bei Herrn K. verarbeitet worden sein könnte. Wie Informationen im psychischen System verarbeitet werden, hängt immer vom inneren Zustand des psychischen Systems ab. Der innere Zustand bestimmt, welche Gewichtungen die einzelnen Subsysteme in ihren zirkulären und wechselseitigen Vernetzungen erhalten, ob eher alle Subsysteme gleichberechtigt am Prozess der Informationsverarbeitung beteiligt sind oder ob einzelne Subsysteme dominieren (z.B. 70% für die Emotionen, 10% für das Denken, 10% für die Motivation und 10% für die Wirklichkeitskonstruktion). Möglich ist natürlich auch eine andere prozentuale Gewichtung, als in meinem Beispiel zur Veranschaulichung. Die Vielfalt an möglichen Zuständen des psychischen Systems ist unerschöpflich. Sie werden bedingt durch die aktuelle Situation, die Stimmungslage, die Wirklichkeits-konstruktionen und die Geschichte des psychischen Systems.

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