Читать книгу Zurückbleiben bitte! - François Grosso - Страница 8
SMASHED TO PIECES
ОглавлениеEine weitere Provokation. So hat sich Anja am Nachmittag in der U-Bahn gefühlt, von der Psyche in alle Stücke bis auf das Knochenmark zerschmettert. Jetzt fühlt sie sich allerdings erstaunlich wohl, sie kann es sich nicht erklären, aber in diesem Moment fühlt es sich an, als liege die Attacke sehr weit zurück, als wäre das Ganze vor langer Zeit passiert und kaum mehr wahr. Bald schiebt sich die Dunkelheit über das Dächermeer. Es blinken die Lichter eines Flugzeugs, das sich im Sinkflug auf Schwechat befindet. Anja zieht sich aus und steigt in die Wanne. Ist das angenehm! Bald weht eine abendliche Brise und lässt die Pappeln im Hof rauschen. Kurz darauf kommen vom dritten Stock vis-à-vis Nachbargeräusche herauf und mischen sich mit dem Rauschen der Pappeln. Anja richtet sich auf, Wassertropfen perlen auf ihren Nacken, hinter dem dünnen Vorhang bewegen sich Körperschatten, das weibliche Stöhnen hallt im Hof wider, monoton, mechanisch, automatisch, als hätte man eine Münze in eine Musikbox geworfen, immer wieder von tieferem Geröchel oder von lauten Wortfetzen begleitet, denn Sex ist ja auch Kommunikation. Anja schaut auf den Vorhang. Das Visuelle und das Akustische stimmen wie beim chinesischen Schattentheater perfekt überein. Das Stöhnen wird immer lauter, das Fleischknallen immer heftiger, yeah, Stille.
Anja legt sich wieder hin, schlägt die Beine übereinander und schließt kurz die Augen. Durch ihre Bewegung bewegt sich auch das Wasser, und Anja glaubt einen Augenblick lang Meeresluft zu atmen, es riecht nach Salz, beinahe nach Tang, in regelmäßigen Abständen rauschen die Pappeln und klingen wie Wellen, die an den Strand schlagen, es fehlen nur noch ein paar Möwenschreie, und das maritime Bild wäre vollständig. Anja ist nicht mehr in Wien, vielleicht irgendwo auf einer Insel im Mittelmeer oder noch besser im Atlantik. Sie starrt aber auf diesen lichtverschmutzten Himmel ohne Sterne, auf den Vollmond, der die wenigen Wolken, die sich über die Stadt verirrt haben, streift. Anja hofft, Antoine wird trotz der Streiterei bald zu ihr kommen. Sie wird sich trauen, den entscheidenden Schritt zu gehen. Sie spürt jetzt, dass es soweit ist. Die Flucht nach vorne muss beendet werden. Die Zeit der Konfrontation ist gekommen. Die Katze sollte man endlich aus dem Sack lassen. Anja hat den Eindruck, der Mond leuchtet heller als sonst und deutet das als ein gutes Omen.