Читать книгу Indianerkinder - Frans Diether - Страница 4

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1. Kapitel

"Nun du uns retten."

Francis schreckte hoch. Die letzten Stunden waren durch traumhafte Erinnerung und einen Zustand der Apathie geprägt. Doch jetzt konnte er seine Hände frei bewegen. Die langsam einsetzende Geistestätigkeit gebot ihm jedoch sie auf dem Rücken zu halten. Er musste ja nicht die Aufmerksamkeit der anderen erregen. Gleichmäßig schritt sein Pferd voran. Hinter ihm saßen zwei Indianerkinder, Junge und Mädchen, vermutlich Geschwister, jedenfalls Gefangene wie er. Eines der Kids hatte es offenbar geschafft mit seinem Mund die Knoten zu öffnen, welche den Strick um Francis Handgelenke fixierten.

Was war passiert? Francis Bande, weithin bekannt und gefürchtet als die Arrow Boys, hatte gerade eine Kleinstadt am Rande der Rockys besucht, wie sie ihre Überfälle beschönigend nannten und die örtliche Bankgesellschaft um Ihr Vermögen erleichtert. So schnell wie ein Pfeil waren sie gekommen und wieder verschwunden. Im Schutze der Nacht ging es zurück in Richtung ihres Lagers. Sancho und Francis bildeten die Vorhut. Es wurde schon Morgen, als beide auf das Lager einer Indianerfamilie trafen, die sich offensichtlich gerade zum Aufbruch rüstete. Als sie die Weißen sahen, packte die Frau ihre Sachen zu hastig. Ein Goldreif fiel aus ihrer Tasche. Was dann geschah, dauerte nur Sekunden. Die Augen gefüllt von Gier zog Sancho den Revolver und traf die beiden Erwachsenen direkt in den Kopf. Die etwas abseits stehenden Kinder erstarrten wie versteinert. Ihre dunkeln Augen waren weit aufgerissen und fixierten den Mörder mit ungläubigem Entsetzen. Das kannst du doch nicht tun schienen sie zu schreien. Aber es blieb entsetzlich stumm. Schon wollte Sancho auch diese beiden unnützen Rothäute wie er abschätzig zu sagen pflegte, von ihren irdischen Plagen erlösen, als Francis in einem Anflug von Gerechtigkeitssinn und ohne die Folgen nur im Ansatz zu bedenken gezielt vor das Pferd seines Begleiters schoss. Das Tier scheute und Sancho fiel in den Sand.

Von den Schüssen alarmiert, kam der Rest der Truppe im scharfen Galopp angerast.

"Wer hat denn diese Schweinerei angerichtet?", brüllte der Boss. Keiner benutzte den wahren Namen des Anführers. Soweit Francis sich erinnern konnte, wurde er stets nur der Boss genannt. Grimmig blickend, doch die Situation nicht wirklich durchschauend, fuhr er Sancho mit unverhohlenem Ärger an: "Was wälzt du dich da im Dreck?"

Sanchos Hand zitterte, als er auf Francis zeigend mit sich überschlagender Stimme schrie: "Da, das Schwein ist schuld. Alles ging gut, die beiden Alten kosteten mich nur zwei Kugeln. Dann ist der plötzlich ausgerastet, bevor ich die Kinder ihren Eltern nachschicken konnte."

"Damit rettete er dein Leben. Siehst du nicht das Zeichen von Häuptling Lauter Donner auf dem Tipi? Du hast offenbar gerade seine Verwandtschaft dezimiert. Dies dürfte eine schreckliche Rache auslösen. Zum Glück haben wir noch die Kinder. Sie werden uns als Geiseln dienen und am Ende vielleicht ein hübsches Lösegeld einbringen. Und nun zu dir", abschätzig schaute er an Francis herunter. "Du hast offenbar unsere Gesetze immer noch nicht verstanden. Selbstjustiz innerhalb der Gruppe ist strengstens verboten. Nur der Boss entscheidet über Strafe oder Gnade, egal was passiert. Dich betreffend wird es auf Strafe hinauslaufen. Und sei sicher, diese Lektion vergisst du nicht, solange dein elendes Leben auch dauern möge. Waffen abnehmen und fesseln."

Der kurze Befehl führte zu unmittelbarer Aktivität in der Truppe. Mit vorgehaltenem Gewehr zwangen sie Francis den Revolver fallen zu lassen und vom Pferd zu steigen. Unter Anwendung roher Gewalt drehten ihm zwei der ehemaligen Gefährten die Arme auf den Rücken und banden sie dort mit einem festen Strick zusammen.

"Fesselt auch die Kinder und dann räumt hier auf. Vergesst nicht das Gold einzusammeln. Diese verdammten Indianer verstecken es oft am Körper. Ihr müsst sie ausziehen, dann vergrabt alles Unnütze. Du bist mir für die Gefangenen verantwortlich." Mit diesen Worten wandte sich der Boss erneut an Sancho, der immer noch um Fassung ringend wieder auf den Beinen stand.

"Mit Vergnügen, auch wenn ich sie am liebsten sofort in die ewigen Jagdgründe schicken würde."

"Untersteh dich, du bürgst mit deinem Leben für Ihre Unversehrtheit."

Die beiden Kinder hockten nebeneinander, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Ihr ganzer Ausdruck zeigte nur Schrecken und ungläubiges Erstaunen. Sancho wies einen Begleiter an Francis die Stiefel auszuziehen. "Das ist gut gegen Weglaufen", rief er ihm hinterher.

Francis spürte den noch kühlen Wüstensand unter seinen Füßen während ihn Sanchos Revolver in Richtung der Kinder dirigierte. "Setz dich", rief sein Bewacher kurz.

In Ermangelung einer realen Alternative folgte er der Anweisung.

Nach nicht einmal einer halben Stunde waren Körper und Ausrüstung der toten Indianer vergraben. Ihre Mörder fanden eine erstaunliche Menge an Goldschmuck bei ihnen. Der in Ungnade gefallene Arrow Boy und die beiden Kinder mussten sich erheben und nacheinander auf Francis Pferd steigen, Francis vorn, dann der Junge und schließlich dessen kleine Schwester. Drei Paar Füße wurden unter dem Bauch des Tieres zusammengebunden. Sancho packte die Zügel, und in schnellem Schritt zogen alle ab. Anfangs gelang es Francis noch, sich gut mit den Beinen festzuklammern. Auch der unmittelbar hinter ihm sitzende Indianerjunge hielt sich aufrecht. Das Mädchen lehnte am Rücken ihres Bruders und schluchzte leise.

Sie ritten bis zum Mittag. Die Sonne brannte schon stark, als eine Felsengruppe auftauchte, in deren Schatten einige dürre Sträucher wuchsen. Francis vermutete, dass sie hier rasten würden, da sie bald einen Kontrollposten passieren mussten und dies bei Nacht sicherer war. Tatsächlich ließ der Boss absitzen. Sancho dirigierte die Gefangenen zu einem Einschnitt im Felsen. "Legt euch auf den Bauch", sagte er in strengem Ton.

Da Francis Widerstand zu diesem Zeitpunkt für ineffektiv hielt, folgte er der Aufforderung und die Kinder wiederum seinem Beispiel. Ihre Knöchel wurden erneut zusammengebunden, dann aber die Stricke an den Händen gelöst.

"Ihr bleibt liegen. Und fasst die Fußfesseln nicht an, sonst setzt’s was."

Nur langsam fand das Blut zurück in ihre geschwollenen Finger. Sancho gab die Wache an Rick ab. Rick, der vorigen Sommer einen Postraub fast vermasselte, indem er auf eine zufällig vorbeikommende Armeestreife schoss und von vier Soldaten nur einen traf, worauf sich ein viertelstündliches Feuergefecht entwickelte, ehe endlich die Flucht gelang. Dies widersprach völlig ihrer Strategie, die darin bestand blitzartig zuzuschlagen und dann wie der Pfeil zu verschwinden, was ihnen den bereits legendären Namen Arrow Boys eingebracht hatte. Rick ritt damals ebenso wie Francis jetzt als Gefangener in das Lager zurück. Als Strafe erhielt er am nächsten Tag 50 Schläge mit der siebenschwänzigen Katze. Seither war er der Letzte in der Gruppe und musste die gefährlichsten Aufträge ausführen. So konnte es nicht verwundern, dass Rick breit grinste, als er die Wache übernahm. Vermutlich würde Francis ihn in seinem Schicksal ablösen. Andererseits wusste Francis aus dem Erlebten, dass er die ganze Situation wohl überstehen könnte und das Leben der beiden Kinder bei Kooperation ihrer Verwandten gerettet war. Vor Erschöpfung schlief er ein und wurde erst durch unsanfte Fußtritte geweckt. Seine kleinen Freunde, wie er sie innerlich bereits nannte, standen schon. Der Junge blickte mit offener Verachtung in die Runde. Das Mädchen war immer noch starr vor Schreck. Große Angst sprach aus ihren Augen. Wie gehabt, wurden ihnen die Arme auf den Rücken gebunden, die Fußfesseln nur für den Weg zum und auf das Pferd gelöst und dann unter dem Bauch des Tieres wieder verschnürt.

Bevor sie abzogen, richtete der Boss nochmals das Wort an die bereits aufgesessenen Männer. "Ihr wisst, dass wir einen sehr erfolgreichen Ausflug hatten und der Erlös durch einen kleinen Zwischenfall noch erhöht wurde, auch wenn wir uns dafür mit drei Gefangenen belasten müssen. Noch eine Nacht dann sind wir in Sicherheit. Vergesst aber nicht, dass wir den Posten von Bullet Nose in weniger als 5 Meilen Entfernung passieren. In eurem eigenen Interesse seid absolut ruhig. Das gilt auch für dich Francis. Auch wenn es anders aussehen mag, du bist einer von uns, und dem Sheriff wäre es ein Vergnügen dich in Ketten nach Stone County zu schicken."

"Duuu uuuns retten." Der Indianerjunge sprach leise, aber er schlug seinen Kopf gegen Francis Rücken.

Jetzt war dieser endgültig wach. Kurze Zeit ärgerte er sich, kein Wort aus der Sprache seines Freundes zu kennen, deshalb konnte er nur hoffen, dass der sein "wart’s ab" verstand.

Zumindest herrschte von jetzt an Ruhe hinter ihm. Noch eine weitere Stunde behielt er die Arme auf dem Rücken um keinen Verdacht zu erregen. Dann kamen sie an die Stelle, die er in fieberhaften Überlegungen für ihre Flucht auserkoren hatte. Die ganze Zeit sprach sein Unterbewusstsein‚ was sind schon 50 Peitschenhiebe gegen die reale Chance erschossen zu werden oder zu Tode zu stürzen. Aber der Hilferuf des Jungen hatte sich tief in sein Herz eingebrannt. Und er wusste, er musste Mut zeigen und die Flucht wagen, wenn er jemals wieder Achtung vor sich selbst haben wollte.

Sie ritten jetzt in einer Reihe.

"Langsamer Schritt zur Dämpfung der Geräusche" war die Anweisung.

Als die Dunkelheit den Trupp komplett einhüllte, kamen sie ans Ufer des Johnson River. Das Ufer stieg stetig an. Schließlich waren sie etwa 60 Fuß über dem Fluss. Alles passte optimal. Jetzt musste es nur noch schnell gehen.

"Festhalten!", rief Francis laut und versetzte seinem treuen Tier einen kräftigen Fersenstoß in die Flanke, dass Zeichen plötzlich zu stoppen.

Sancho, der das Pferd mit den Gefangenen am Zügel führte, flog aus dem Sattel und ließ los. Im gleichen Augenblick beugte sich Francis über den Hals seines Freundes, fasste die Zügel, riss das Tier zur Seite und stürmte mit ihm die steile sandige Böschung hinunter. Bevor seine Begleiter reagieren konnten, klatschen Pferd und Reiter ins Wasser. Rasch trieb sie die Strömung rasch davon.

"So 'ne Scheiße", fluchte der Boss, als er die Situation überschaute, beruhigte sich jedoch schnell. Bei aller Brutalität war ein strategischer Denker und wusste, dass man überhastete Aktionen in der Nähe des Kontrollpostens schnell bereuen konnte. "Du fängst sie wieder ein", fauchte er Sancho an, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht aus dem Staub erhob. "Nimm Rick mit und bring mir die Kinder lebend, Francis gehört dir."

Die Truppe zog weiter. Manch unterdrückter Fluch war noch zu hören, bevor sie am nächsten Abend in Little Rock ankamen, wo die Arrow Boys gut getarnt als harmlose Siedler lebten und ihre Beutezüge planten.

Das Wasser spritze hoch. Husky, Francis Pferd schwamm kräftig gegen die Strudel des Flusses. Irgendwie gelang es ihm dem Jungen die Fesseln zu lösen und auch seine eigenen Füße zu befreien. Alles schien eine Ewigkeit zu dauern. Das Mädchen war inzwischen mehr unter als über Wasser.

"Nimm die Zügel und schwimm mit dem Pferd ans Ufer", keuchte Francis zu dem Jungen. Neben Husky schwimmend, hielt er den Kopf des Mädchens über Wasser. Unter einem Felsüberhang erreichten sie festen Boden und Francis konnte die Kleine endlich losbinden. Der Junge sprach bereits beruhigend auf Husky ein. Wie von Geisterhand geführt, legte sich das Tier auf den Boden.

"Kleiner Wolf", er zeigte auf sich. "Weiße Feder, Schwester", dabei deutete er auf das reglos am Boden liegende Mädchen.

Weiße Feder atmete flach. Ihr Herz schlug schnell. Langsam regte sie sich jedoch und schlug schließlich die Augen auf. Diese großen schwarzen Augen und das darin liegende unendliche Leid würde Francis sein Leben lang nicht vergessen. Warum habt Ihr meine Welt zerstört? Was ist Gold gegen das Leben von Menschen, gegen das Glück eines Kindes? So schrie ihr Blick ihn an. In diesem Moment hätte sie alles von ihm fordern können. Dennoch versuchte er rational zu denken. "Wir bleiben hier. Es wird bald hell. Sicher sucht man nach uns. Erst in der Nacht reiten wir weiter."

Francis rechnete damit, dass der Boss sie nicht so einfach ziehen ließe. Genauso fürchtete er aber die Entdeckung durch den Militärposten. Die Aussicht auf Zwangsarbeit im Steinbruch fand er ebenso wenig verlockend wie einen Kampf mit seinen ehemaligen Gefährten.

Die drei Flüchtlinge schmiegten sich an Husky und aneinander. Francis wusste, dass ihm sein Pferd absolut vertraute, dennoch schien kleiner Wolf magischen Einfluss auf das Tier auszuüben. Es blieb so entspannt, dabei waren sie doch eben noch quasi senkrecht in die Tiefe gerast und fast ertrunken. Vielleicht freute es sich aber auch nur nicht mehr drei gebundene Reiter auf seinem Rücken tragen zu müssen. Die Kinder schliefen schon, als auch Francis in einen von wilden Träumen gefüllten rauschähnlichen Zustand verfiel.

"Herr, lass uns die verfluchten Bastarde lebend finden."

"Wenn du weiter so fluchst, wird dich der Herr kaum erhören."

Sancho war immer noch außer sich. "Ich peitsch ihm erst die Haut vom Rücken, bevor ich ihm eine Kugel in den Kopf jage."

"Erst müssen wir sie finden. Und denk dran, die Kinder braucht der Boss lebend." Rick wünschte sich, dass auch Francis überleben möge. Schließlich war das für ihn die einzige Chance in der Bandenhierarchie wieder aufzusteigen.

"Einer von uns muss über den Fluss. Sie werden ja nicht gegen die Strömung schwimmen, und vor den Oat Creek Fällen müssen sie aus dem Wasser, wenn sie am Leben hängen."

"Die nächste Furt kommt zwei Meilen flussabwärts. Ich reite hin und suche das gegenüber liegende Ufer ab, bis ich dich hier wieder erreiche. Du wartest so lange." Rick übernahm jetzt das Kommando. Er war manchmal unbeherrscht, Sancho intellektuell jedoch weit überlegen. Instinktiv ordnete dieser sich unter und hörte auf die Anweisungen seines Begleiters. Es wurde hell, als Rick am anderen Ufer wieder auftauchte.

"Hast die Schweine gesehen?"

"Nein, deshalb reiten wir jetzt beide flussabwärts bis zu den Fällen."

Gutes Versteck, dachte Francis. Auch hierbei hatte Kleiner Wolf eine besondere Begabung bewiesen, schließlich führte er Husky als sie an Land schwammen. Der Fels war durch den Fluss tief ausgewaschen. Bei niedrigem Wasserstand lag eine kleine vom gegenüberliegenden Ufer nicht einsehbare Höhle trocken. So zogen Sancho und Rick in unmittelbarer Nähe vorbei ohne die Flüchtigen zu bemerken. Als sie am Oat Creek Fall ankamen, hatten sie noch immer kein Spur gefunden. "Die Schweine sind den Fall runter. Ihre Knochen treiben wohl einzeln Richtung Colorado."

"Mag sein, aber vielleicht verstecken sie sich auch nur." Rick war ganz der coole Rechner und im Gegensatz zu Sancho nicht durch blinden Hass geleitet. "Lass uns in Ruhe überlegen. Richtung Bullet Nose wird Francis nicht ziehen. Wer einmal Fußeisen trug, will dies mit Sicherheit zukünftig vermeiden. Die Umgebung von Little Rock wäre ebenfalls kein gutes Ziel, da hätte er ja gleich bei uns bleiben können. Auch scheint er ja plötzlich eine abartige Vorliebe für Rothäute entwickelt zu haben. Er wird sich hochwahrscheinlich nach Norden wenden um die Kids bei ihrer Sippe abzugeben und vielleicht eine schöne Belohnung zu kassieren."

"Das kommt ihn hoffentlich übel zu stehen", sagte Sancho. "Die Wilden werden die Kinder nehmen und ihn dann langsam zu Tode martern. Schließlich hat er sich in der Vergangenheit nicht als Indianerfreund hervorgetan. Ich denke da nur an den Überfall auf die Native People Security Bank. Geschieht ihm ganz recht, aber wäre immer noch das Paradies gegenüber der Behandlung, die ich für ihn vorgesehen habe."

"Wirst schon noch dein Vergnügen kriegen, aber jetzt müssen wir planvoll vorgehen. Es wird bald dunkel, da sollten wir ein Lager für die Nacht finden."

Francis schoss mit dem tosenden Wasser dahin und wurde von einem Fels zum anderen geschleudert, doch dann merkte er, dass es kleine braune Hände waren, die ihn rüttelten und eine erregte Kinderstimme die in unverständlichen Worten auf ihn einsprach. Er hatte nur geträumt.

"Psst" entfuhr es Kleiner Wolf, der durch den Lärm ebenfalls erwachte. Beruhigend sprach er auf seine Schwester ein, die von Francis abließ und bis auf ein lautloses Schluchzen verstummt. "Weiße Feder und ich Kinder von Grauer Büffel. Unser Onkel Lauter Donner. Wird uns retten. Wer du?"

"Ich bin Francis. Francis ist mein Name. Ich werde euch retten!"

Kleiner Wolf sah den Weißen abschätzig an. "Du dich retten selbst wenn kannst."

Dann wandte er sich erneut seiner Schwester zu. Francis verstand kein Wort ihres leisen Gesprächs, aber er sah, wie die Kleine immer wieder in seine Richtung wies, was bei ihrem Bruder offensichtlich nicht auf Gegenliebe stieß. Nur widerwillig drehte der sich zu dem Weißen. "Schwester muss Tauender Schnee finden. Du uns nicht helfen, wir allein gehen."

"Wer ist Tauender Schnee?"

"Pony von Weiße Feder. Hat weiße Flecken auf braune Fell wie tauender Schnee. Böse Männer haben mitgenommen. Müssen wieder finden, sonst Kleine Feder sehr traurig und bald sterben."

Wenn wir das Vieh wiederholen, werden wir alle sterben. Dies dachte Francis nur, sagte aber so überzeugend wie möglich: "Wir werden Tauender Schnee finden. Ihr müsst mir vertrauen, denn nur ich weiß, wo Tauender Schnee jetzt ist."

Die Kinder tuschelten miteinander, dann wandte sich Weiße Feder zu Francis und umarmte ihn völlig unerwartet. Dabei sagte sie immer wieder die gleichen unverständlichen Worte, die Kleiner Wolf wie folgt übersetzte: "Du Tauender Schnee retten, sie immer bei dir."

Es fiel Francis schwer dies ernst zu nehmen, aber viele Dinge im Leben entscheidet nicht das Bewusstsein. Seine Seele hatte längst beschlossen die Zuneigung dieser Kinder zu gewinnen, koste es was es wolle. Er sagte mit fester Stimme: "Wir werden Tauender Schnee gemeinsam retten, das schwöre ich."

Zum ersten Mal sah er so etwas wie Hochachtung in den Augen des Jungen und ein kurzes Strahlen auf dem Gesicht des Mädchens. Er musste sich ernsthaft überlegen zu seinen ehemaligen Kameraden zurückzukehren, um ein Pferd zu retten. Je länger er darüber nachdachte, umso weniger unnatürlich erschien ihm die ganze Sache. Hätte er Husky im Stich gelassen? Sicher nicht. Es stand also fest. Sie würden nach Süden ziehen und sich der Gefahr aussetzen als Pferdediebe in Little Rock am Galgen zu enden. So beschloss Francis feierlich und schwor vor sich selbst die Kinder nicht ohne Tauender Schnee zu ihrem Stamm zurückzubringen.

Aufbrechen konnten sie erst in der Dunkelheit. Zu groß war die Gefahr der Entdeckung. Francis nutze die verbleibende Zeit sich seine neuen Freunde in Ruhe anzusehen. Typische Indianerkinder halt, lange schwarze Haare, dunkle große Augen, dunkle Haut. So dachte einer, der fest in der weißen Welt verwurzelt war, sich bisher nicht wesentlich für Indianer interessierte und sie mit der bei Weißen verbreiteten Überheblichkeit eher dem Tierreich zurechnete. Der Junge, schätzungsweise 13 Jahre alt, trug lediglich einen Schurz um die Hüfte. Seine kleinen braunen Füße schienen es gewohnt ohne Schuhe zu gehen. Francis Blick glitt weiter zu Weiße Feder. Das Mädchen war bestimmt zwei bis drei Jahre jünger als ihr Bruder. Ihr Kleid trug reiche Stickerei und bedeckte schlanke aber durchaus muskulöse Beine Nur bis zum Oberschenkel. Die Füße hatte sie im Fell von Husky vergraben.

"Ich spreche leider eure Sprache nicht. Ich werde langsam sprechen. Du wirst mich fragen, wenn du etwas nicht verstehst. Du wirst meine Worte deiner Schwester übersetzen und mir auch alles sagen, was sie sagt. Verstanden?"

Kleiner Wolf schien mit sich zu ringen.

"Verstanden?", fragte Francis erneut.

"Verstanden und akzeptiert."

Einen solchen Englischwortschatz hätte Francis dem Kind eines, wie er immer noch dachte Wilden, nie zugetraut. "Wir reiten nachts. Wir müssen den Posten von Bullet Nose umgehen und uns dem Lager der bösen Männer von Süden nähern. Sie halten die Pferde auf mehreren Koppeln. Hoffentlich erkennt dich Tauender Schnee und bleibt ruhig. Du scheinst sehr gut mit Pferden umgehen zu können und wirst darauf achten, dass auch die anderen Tiere keinen Lärm machen. Wenn die Sonne komplett verschwunden ist, ziehen wir los. Wir müssen noch eine Meile bis zur Furt schwimmen. Dann verlassen wir den Fluss und ziehen nahe an Bullet Nose vorbei in Richtung Süden. Bestimmt nimmt niemand an, dass wir dieses Wagnis eingehen. Ich denke, sie suchen uns eher am Fluss."

"Auf geht's“, rief Francis. Er und die Kinder hielten sich an den Riemen der Satteldecke fest und glitten neben Husky ins Wasser. Mit ruhigem Beinschlag schwamm das Pferd flussabwärts. Die Strömung trieb sie rasch voran, und bald wurde die Böschung niedriger, bis sie schließlich in einen breiteren flachen Abschnitt des Johnson River gelangten. Hier gingen sie ans Ufer und wandten sich direkt in Richtung Bullet Nose. Sie wollten den Posten in dieser Nacht passieren, um bei Tagesanbruch in der üblicherweise menschenleeren Prärie anzukommen. Gegen ihren Willen aber am Ende ohne großen Widerstand setzte Francis Weiße Feder auf Husky. Sie kamen so einfach schneller voran. Kleiner Wolf wich geschickt allen Hindernissen aus, während seinem weißer Begleiter schmerzhaft in Erinnerung gerufen wurde, dass er seit Ende seiner Kindheit kaum mehr barfuss gegangen war. Es gab allerdings ein einschneidendes Ereignis in seinem Leben, durch welches er um ein Haar viele Jahre Ketten statt Schuhe getragen hätte. Daran wollte er sich jetzt nicht gern erinnern, zumal das damals der Beginn seiner Laufbahn als Arrow Boy und somit letztlich Auslöser der heutigen Situation war. Seine ehemaligen Gefährten, so hoffte er, hatten die Sache aber nicht vergessen und gingen vermutlich davon aus, dass er das Risiko einer erneuten Verhaftung scheuend, sich keinesfalls in die Nähe des gut bewachten Postens von Bullet Nose wagen würde. In einer Zeit, in der nicht nur das eigene Leben von Zufällen und Entscheidungen auf Basis von Vermutungen abhing, fand er es unvermeidlich ein Risiko zu tragen und sich anders zu verhalten, als es logischer Überlegung entsprochen hätte. Logisch denken können deine Feinde auch. Es sind die unerwarteten Reaktionen, welche dir einen Vorteil verschaffen. Und so gingen sie ruhig und im Schutze der mondlosen Nacht in Schlagdistanz an Bullet Nose vorbei. Auf der Koppel standen nur wenige Pferde. Hinter der Verschanzung rührte sich nichts. Vermutlich war ein Teil der Garnison aufgrund des kürzlich erfolgten Bankraubs nach Alberchinque abgezogen. Sie konnten nur hoffen, dass die Soldaten nicht auf die Spur der Arrow Boys treffen und gemeinsam mit ihnen in Little Rock ankommen würden.

Mit jedem Fuß Abstand, den sie von Bullet Nose gewannen, wurde Francis ruhiger und begann die nächsten Schritte zu planen. Der Überfall auf die Heimstatt der Arrow Boys war ein überaus verwegenes und nach menschlichem Ermessen zum Scheitern verurteiltes Unternehmen. Er sollte dabei keine Kinder mitnehmen, aber ohne zumindest eines von ihnen hätte er Tauender Schnee kaum erkennen, geschweige denn entführen können. Nach reiflicher Überlegung fiel seine Wahl auf Kleiner Wolf. Weiße Feder würde alles verlangsamen und ihn im Falle der Entdeckung leichter erpressbar machen. Sie musste irgendwo versteckt bleiben. Francis wollte eine sichere Bleibe für die Kleine finden. Auch hatten sie seit nunmehr zwei Tagen nichts mehr gegessen. Eine Rast wäre gut für sie alle. Aber wer würde einem weißen Outlaw mit zwei Indianerkindern Obdach gewähren? Da erinnerte er sich an eine Begebenheit aus seiner Frühzeit bei den Arrow Boys. Sie hatten einen durchaus erfolgreichen Postüberfall unternommen und waren auf dem Rückweg nur noch 10 Meilen von Little Rock entfernt, als sie eine neu erbaute Hütte ausmachten.

"Welcher Coyote will sich denn da an unseren Bau herangraben?", fragte damals der Boss.

Schnell erreichten sie die Hütte und fanden darin einen ausgemergelten halbnackten Mann, der offensichtlich einen Stollen in die Erde trieb.

"Pfoten hoch und rauskommen" schrie ihn der Boss an.

"Gnade die Herren, bei mir ist nichts zu holen. Ich grabe nur nach Fossilien, die für euch völlig wertlos sind."

Vielleicht stimmte der erfolgreiche Raubzug den Boss milde. Vielleicht war ihm auch nur die Kugel zu schade, oder er hatte Angst, das klapprige Gestell zu verfehlen und sich dem Spott seiner Männer auszusetzen. Jedenfalls legte er den Mann nicht um und befahl Francis die Hütte zu untersuchen. Nevada Johns, so hieß der Einsiedler, bei dem das offensichtliche Risiko bestand sich mit Krätze anzustecken, zeigte Francis die Hütte und flüsterte: "Sag ihnen nichts. Ich habe Gold gefunden. Wenn du mich beschützt, gebe ich dir die Hälfte ab."

Francis glaubte ihm kein Wort, sah es aber als unwürdig an, einem offensichtlich verwirrten Menschen Leid widerfahren zu lassen. "Hier ist nichts Brauchbares", rief er nach draußen.

Nevada Johns machte eine kurze Geste der Dankbarkeit. Dass er Francis dabei berührte, war diesem reichlich unangenehm. Erst als er später ein Goldnugget in seiner Tasche fand, wusste Francis, er hatte diesem Mann Unrecht getan. Nevadas Hütte stand dann auch über die Jahre. Reichtum schien er nicht zu erwerben, jedenfalls traf man ihn immer in spärlichen Lumpen und hielt ihn für einen harmlosen Sonderling, den man gut in seiner Nähe dulden konnte. Francis nutzte später einen Erkundungsritt Richtung Bullet Nose noch einmal bei ihm vorbeizuschauen und zeigte ihm das Goldnugget.

"Brauchst’s zurück, um mal was Ordentliches zu essen?"

"Nein, nein mein Herr. Sie haben mir einmal das Leben gerettet und das ist nur ein kleines Zeichen meiner Dankbarkeit. Sie werden in Ihrer Überheblichkeit wahrscheinlich nie auf den Gedanken kommen, dass auch ich Ihnen einmal helfen könnte. Aber sie haben ein gutes Herz, und deshalb sage ich Ihnen, es wird der Tag kommen, an dem sie Nevada Johns brauchen. Und er wird für sie da sein."

Der Tag war kommen. Inständig hoffte Francis den Alte anzutreffen und die Einlösung seines Versprechens erbitten zu können.

Mit Anbruch des Morgens tauchte Nevadas Hütte am Horizont auf. Es wurde auch Zeit, denn das Risiko der Entdeckung wuchs, je näher sie Little Rock kamen. Francis hatte Nevada bestimmt zwei Jahre nicht gesehen. Die Hütte schien noch schiefer als früher, aber nebenan fand sich eine Koppel mit zwei Eseln. Als sie sich näherten, schlug ein Hund laut bellend an. Das Tier war keiner Rasse zuzuordnen aber in einem guten Ernährungszustand, was man von Nevada nicht sagen konnte. Der sah aus wie immer. Ein spärlicher Schurz bedeckte das Nötigste. "Hey Francis, was machst du hier? Willst du einen alten Freund besuchen oder ihm das Hirn aus dem Kopf blasen? Und wo sind deine Kumpanen? Ihr tretet doch sonst immer im Rudel auf?"

"Von meinen Kumpanen würde ich mich gern ein wenig fern halten und hoffe auf deine Diskretion. Es gab eine kleine Meinungsverschiedenheit."

"Ach und jetzt gehst du als Büßer ohne Stiefel durch die Wüste und hast dir auch noch einen Kindergarten zugelegt. Ist das nicht die Tochter von Grauer Büffel?" Nevada Johns biss sich auf die Lippen und verstummte. Fast hätte er durch sein Geplapper ein jahrelang gehütetes Geheimnis verraten.

Francis bemerkte das nicht. Er war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um zu hinterfragen, woher Nevada Grauer Büffel und dessen Kinder kannte. In seiner Einfalt freute er sich sogar nicht allzu viel erklären zu müssen. "Es sind die Kinder von Grauer Büffel und jetzt wohl meine." Er lachte und Nevada auch. "Es ist am besten für dich, wenn ich wenig erzähle. Nur so viel, meinen Leuten und mir gelang es nicht sich über den Umgang mit den Kids zu einigen. So tauschte ich sie gegen meine Stiefel. Leider hatte ich nur zwei, und so konnte ich das Pony der kleinen Lady nicht auch noch erwerben. Da sie aber ohne das Tier nicht lebensfähig ist, sind wir ausgezogen einen Pferdediebstahl zu begehen."

"Und ich dachte, du machst einen Kurs in Indianerleben. Aber ich kann mir schon vorstellen, was geschah. Deine Leute hätten die Kinder am liebsten beseitigt, und du hast sie ihnen geklaut. Und jetzt willst du auch noch Little Rock überfallen, wegen eines Pferdes, ha, ha. Dir muss die Sonne zu lang auf den Kopf gebrannt haben, aber ich war schon immer ein Freund der Verrückten. Sag an, wie kann ich dir helfen? Ich werde mein damaliges Versprechen jedenfalls einhalten. Und du wirst dich schämen mich jemals gering geschätzt zu haben."

Ja Nevada, es gibt so viele Dinge für die sich Francis schämen müsste, aber jetzt muss auch er ein Versprechen einlösen. "Ich brauche deine Hilfe. Und auch wenn es ein aussichtsloses Unterfangen ist, liegt vielleicht gerade darin meine Chance. Keiner vermutet mich in der Nähe von Little Rock. Die Kleine möchte ich jedoch bei dir lassen. Kannst du sie verstecken?"

"Ich habe Verstecke genug, aber wir müssen uns auch für dich eine Strategie ausdenken. Wenn meine grauen Zellen richtig gearbeitet haben, so willst du Little Rock von Süden her erreichen und das Tier des Mädels holen. Das könnte gelingen. Seit vor einem Monat zwei Pferdediebe direkt neben der Koppel gehängt wurden, hat sich niemand mehr an die Tiere herangewagt. Die Wachen sind schon wieder sehr unvorsichtig. Ich rüste euch entsprechend aus. Ihr bekommt von mir ordentliche weiße Kleidung. Man soll die Sache nicht den Indios in die Schuhe schieben."

"Du hast doch selbst nichts anzuziehen, und ich möchte auch nicht der Pest erliegen."

"Du solltest in deinem Urteil nicht zu schnell sein. Der Mensch sieht was er sehen will, die Wahrheit liegt weit dahinter."

Kleinlaut verstummte Francis.

"Und da ich wohl für dich Spatzenhirn mitdenken muss, klaut mindestens drei Tiere. Dann bringt man euch vielleicht nicht sofort mit dem Raub in Verbindung. Kommende Nacht ist Neumond. Da muss die Aktion steigen."

Nevada Johns ging flinken Schrittes los. "Binde das Pferd an und dann kommt in meine Hütte."

Kurze Zeit später standen eine Kanne frischen Wassers, Trockenfleisch und Schiffszwieback auf dem Tisch. Nevadas Gäste ließen sich nicht lange bitten. Ihre Mägen überstimmten das Gehirn ohne Mühe. Francis hatte nicht einmal bemerkt, dass Nevada aus der Hütte gegangen war. Der öffnete jedoch völlig überraschend fast die gesamte Seitenwand seiner Behausung und führte Husky herein. "Wir wollen bei den Nachbarn keinen Neid erzeugen."

Husky folgte ihm erstaunlich ruhig. Dies erinnerte Francis an den Indianerjungen. Hatte er es mit Tiermagiern zu tun? Wie ein folgsames Kind legte sich das Pferd auf den Boden.

"Kleiner Wolf muss Weißer Feder erklären, dass sie hier auf uns warten muss. Es gibt keine andere Möglichkeit." Francis machte eine eindeutige Handbewegung.

Kleiner Wolf war wohl der gleichen Meinung, jedenfalls sprach er intensiv auf seine Schwester ein. Der sah man jedoch das wachsende Entsetzen an. Jede Faser ihres Körpers schien sich gegen den Gedanken zu sträuben, dass Tauender Schnee ohne sie befreit werden sollte. Schließlich nickte sie aber. Tränen standen in ihren Augen.

"Sie wird bleiben bei Nevada Johns. Gute Mann, sehr lieb. Ich versprochen, wir kommen mit Tauender Schnee auf jeden Fall. Wenn wir sterben, sie auch sterben."

Sie verbrachten den Tag in Nevadas Hütte. Er hatte recht gut passende Baumwollkleidung aus seinem Stollen geholt, wobei Kleiner Wolf Ärmel und Hosen mehrfach umkrempeln musste. Für Francis fanden sich auch ein Paar Lederstiefel. Bald sahen sie aus wie echte Cowboys.

"Hast du da eine Zauberhöhle?" Francis kam aus dem Staunen nicht heraus.

Nevada lachte nur und brachte auch noch einen fast neuen Sattel für Husky. "Der Tag an dem du von diesen Dingen erzählst, ist dein letzter. Und denk dran, du hast mir schon mal nicht geglaubt und lagst damit völlig daneben."

Nevada gebot Weiße Feder sich zu erheben. Offensichtlich beherrschte er ihre Sprache. Zögerlich aber ohne Widerstand folgte sie ihm in den Stollen. Nach einigen Minuten kam er zurück. "Da findet sie keiner, und für euch wird es Zeit zu gehen. Hals und Beinbruch und komm mir nicht ohne Tauender Schnee zurück, sonst wird die Kleine auf dir nach Hause reiten."

Wenn's nur das wäre, dachte Francis. Er war immer noch voll des Staunens über Nevada. Aber jetzt hieß es den Blick nach vorn zu richten. Sie mussten eine Mission erfüllen. "Komm Kleiner Wolf, wir werden deine Schwester nicht enttäuschen."

Die Nacht hüllte sie in einen Sicherheit spendenden Schleier, so dass beide auf dem Pferd saßen, um schneller voranzukommen. Sie hatten etwa drei Stunden Weg vor sich.

Als sie sich Little Rock näherten, wurde Francis doch etwas flau im Magen. Ein Mann und ein Junge versuchten eine Banditenhochburg, nichts anderes war Little Rock, auch wenn sich der Ort eine perfekte Tarnung zugelegt und die örtlichen Organe reichlich geschmiert hatte, zu überfallen um Pferde zu stehlen. Dafür wurde man üblicherweise gehängt. Aber sie kamen völlig unerwartet und waren zu allem bereit. Hier ging es nicht um schnöden Besitz sondern um das Glück zweier Kinder und die Ehre eines Mannes. Sie umgingen den Ort in weitem Bogen. Es war so dunkel, dass man keine zehn Fuß weit sehen konnte. Francis orientierte sich an der spärlichen Beleuchtung der Stadt und folgte dem Weg nach seiner Erinnerung. Husky führten sie jetzt und gingen zu Fuß. Kleiner Wolf war nicht zu hören, während Francis schwere Stiefeln in den Ohren des Jungen einen Heidenlärm erzeugten. "Ausziehen!" Kleiner Wolf deutete nach unten. Ob des Befehlstons wollte Francis schon empört widersprechen, aber dafür war jetzt wahrlich nicht die Zeit. Der Junge hatte ja auch recht. So gehorchte Francis und hing die Stiefel an den Sattel. Etwa eine Viertel Meile vor den am Südrand der Stadt gelegenen Pferdekoppeln band er Husky an jenen alten Baum, den er sich nach langer Überlegung als Startpunkt für die heiße Phase ihrer Unternehmung auserkoren hatte. "Sei ganz ruhig mein Freund."

Husky, Pferd eines Arrow Boy und Francis bester Freund seit langer Zeit, war es gewohnt in aller Stille zu warten und für eine schnelle Flucht verfügbar zu sein.

Bis auf 10 Fuß näherten sich die beiden Diebe in geduckter Haltung der äußeren Koppel, dann krochen sie auf dem Bauch weiter. Viel konnten sie nicht erkennen, waren so aber ebenfalls fast unsichtbar. Sie schlüpften durch die Umzäunung. In der Nähe stand ein kräftiger Schimmel, den Kleiner Wolf mit leisen melodischen Lauten anlockte. Ruhig näherte sich das Tier. Es roch an der Kleidung des Jungen und machte eine kaum wahrnehmbare Bewegung, so als wollte es sagen, das passt aber nicht zu dir. Dennoch ließ es die beiden Eindringlinge neben sich gehen. Im Schutze seines Körpers überquerten sie den umzäunten Bereich, während Kleiner Wolf immer wieder leise, für einen Menschen kaum wahrnehmbare Töne von sich gab. Tauender Schnee fanden sie nicht.

"Es gibt mehrere Gehege", flüsterte Francis auf die fragenden Blicke seines Begleiters.

Am nächsten Zaun angekommen, verabschiedete sich Kleiner Wolf von ihrem Schimmelfreund. Ganz ruhig zog des Tier wieder ab. Und so war es auf jeder Koppel. Kleiner Wolf lockte ein Pferd an. Im Schutz seines Körpers gingen sie bis zum nächsten Zaun. Dann verabschiedete sich der Junge auf eine auch für Francis, der durchaus etwas von Pferden verstand, unnachahmlich sanfte und liebevolle Art. Francis glaubte, dass Kleiner Wolf in dieser Nach viele neue Freunde fand.

Sie kamen schon nahe an die ersten Häusern von Little Rock. Hier lagen drei abgezäunte Areale nebeneinander. Wenn sie Tauender Schnee nicht in einem davon finden würden, so waren sie entweder an dem Pony vorbeigelaufen oder dieses nicht hier. Inzwischen glaubte Francis fest daran, dass Kleiner Wolf das Tier auch aus größerer Entfernung hätte herbeirufen können. Die Magie des Jungen verzauberte auch den Weißen, und er konnte nicht umhin dem Jungen übersinnliche Kräfte zuzugestehen.

Die mittlere Koppel kannte Francis gut. Hier standen die Pferde des Boss. Mit Sicherheit würde am gegenüberliegenden Zaun ein Mann Wache halten. Im Schutze eines weiteren Pferdefreundes näherten sie sich der Begrenzung, aber dort stand niemand. Erst als sie unmittelbar am Zaun ankamen, sahen sie einen Menschen im Gras liegen. Little Jack. Er schlief. Francis wusste nicht, welches Schicksal für den schlafenden Wächter angenehmer wäre, wenn sie ihn auf der Stelle erwürgten oder er sich morgen vor dem Boss verantworten musste. Das war ihm aber plötzlich egal, denn aus der Dunkelheit näherte sich ein mittelgroßes Pony mit weißen Flecken. So beherrscht kleiner Wolf bisher war, jetzt zeigte er doch seine Erregung und begann leicht zu zittern. Francis legte eine Hand auf die Schulter des Jungen, der sich zum Glück schnell beruhigte. Tauender Schnee folgte ihnen. Kleiner Wolf berührte es am Hals und sprach leise auf das Pferd ein. Ohne Probleme kamen sie bis zur äußeren Koppel, wo der Schimmelfreund schon wartete. Doch kurz vor dem letzten Tor wurden zwei Pferde unruhig und wieherten laut. Sie erstarrten zur Salzsäule, aber im Ort tat sich nichts. Vor ihnen stand ein edles schwarzes Tier. Francis hätte es in der dunklen Nacht fast nicht wahrgenommen, wäre da nicht ein kleiner Ring weißen Fells an seinem linken Vorderlauf gewesen. Es beachtete sie kaum. Als er aber seinen Hals streichelte und sagte "komm mit uns, ich verspreche dir ein freies Leben", ging es langsam neben ihm her. Francis freute sich wie ein kleiner König. Ein fremdes Pferd vertraute ihm. Er konnte es auch.

Kleiner Wolf lief zwischen Tauender Schnee und dem Schimmel. Sie sollten ja besser drei Tiere mitnehmen, hatte Nevada Johns geraten. Sie kamen gerade bei Husky an, als es im Ort unruhig wurde. Fackeln bewegten sich und man hörte Schreie "… schlafen… Schwein… Haut abziehen… verdammte Brut…"

Jetzt konnten sie nur noch aufsitzen und Richtung Süden fliehen, weg von Little Rock aber auch weg von Weiße Feder. Natürlich mussten sie mit der Entdeckung rechnen, aber am Ende war Francis doch überrascht. Die Lösung des Rätsels kam von Kleiner Wolf: "Keine Angst, alle Pferde frei und laufen weg von böse Mann."

Francis begriff blitzschnell. Kleiner Wolf hatte hinter ihm gehend die Tore nicht verschlossen, und einige der Tiere nutzen die neu gewonnene Freiheit, was man in Little Rock offenbar rasch bemerkte. Kind! Francis dachte dies nur, musste sich aber sogleich wieder auf die Flucht konzentrieren. Es gab nur ein Ziel, die Höhlen am Damons Peak. Hier lagen genügend Verstecke. Man konnte die engen Schluchten nur hintereinander passieren und musste immer mit feindlich gesinnten Indianern rechnen. Er kannte sich dort gut aus und Kleiner Wolf würde ihnen vielleicht zu manch rettendem Kontakt verhelfen. Weiße Feder war vorerst in Sicherheit.

In straffem Ritt und geschützt durch die Nacht erreichten sie die Ausläufer der Felsenlandschaft. Kleiner Wolf war ohne Sattel und Zaumzeug überragend geritten und verstand es auch noch, Tauender Schnee und ihren neuen Freund Black White, so hatte Francis das stolze schwarze Ross mit dem weißen Fellstreifen am Vorderbein genannt, eng bei sich zu halten. Sie wussten nicht, ob ihnen ihre Verfolger auf den Fersen waren und vertrauten vor allem darauf, dass sich ihre Spuren auf dem felsigen Untergrund verlören. Mehrfach wechselten sie die Richtung und erreichten in der Dämmerung Rosenbergs Hole. Das Loch war ein geräumiges Höhlensystem mit gegenüber der Umgebung erhöhtem Eingang. Man hatte einen guten Ausblick, war selbst aber ausreichend gedeckt. Indianer hielten den Ort für magisch und näherten sich ihm nur an wenigen Tagen im Jahr. Vielen Weißen galt die Höhle als verwunschen. Es gab Irrwege und tiefe Spalten. So mancher kehrte von einer Erkundung nicht wieder zurück. Tief im Stollen entsprang eine Quelle, und allerlei Kleingetier konnte man wenn nötig als Nahrung gebrauchen. Zusammenfassend war Rosenbergs Hole das optimale und auch für längere Zeit nutzbare Versteck. Sie saßen ab und führten ihre Tiere auf einem steilen schmalen Pfad zum Höhleneingang. Black White und Tauender Schnee folgten Husky und Francis, Kleiner Wolf und sein Schimmel bildeten den Abschluss. Tief in der Höhle war ein Lichtschein zu erkennen, ein schmaler Deckendurchbruch. Dort floss die Quelle. Dorthin wollte Francis. Vorsorglich banden sie die Pferde an Felsvorsprünge. In Ermanglung weiterer Gefäße mussten die Stiefel als Wasserbehälter dienen. Während Kleiner Wolf die Umgebung beobachtete, ging Francis zur Quelle. Gerade hatte er alle Tiere mit Wasser versorgt, als der Junge einen scharfen Pfiff abgab. So schnell es ging, eilte Francis zum Eingang der Höhle. Ein Pferd näherte sich mit unsicherem Schritt, darauf ein Mann, der sich offensichtlich nur mit Mühe im Sattel hielt. Als er nah genug war, sahen sie eine breite Bahn frischen Blutes über den Sattel rinnen, und sie erkannten den Reiter, Little Jack. Offensichtlich folgte ihm niemand. Kurz vor der Höhle brach das Tier zusammen. Jack rollte wie ein schwerer Sack zur Seite. "Francis? Ich wusste es. Wer sonst kann es wagen dem Boss ein Pferd zu stehlen. Aber du wirst das noch bereuen." Little Jack sprach mit schwacher Stimme.

"Aktuell bereust du mehr als ich", war Francis Antwort als er den Pfeil im Rücken seines ehemaligen Gefährten sah.

Little Jack stöhnte vor Schmerz. Jetzt kam auch Kleiner Wolf aus der Höhle. Sie versuchten den Sterbenden so entspannt als möglich zu lagern, um ihm die Schmerzen zu lindern. Ein Lächeln der Dankbarkeit spielte auf seinen Lippen. "Du bist doch ein guter Junge und hast dennoch so vieles zerstört. Dabei verdankst du uns deine Freiheit, vielleicht dein Leben. Aber weil du immer gut zu mir warst, Sancho und Rick suchen nördlich nach dir. Es hätte ja keiner geglaubt, dass du dich jetzt als Pferdedieb betätigst und deine eigenen Leute beraubst." Ein gequältes Lachen fuhr über sein Gesicht, dann verstummte er für immer.

"Wir beobachtet." Kleiner Wolf deutete auf eine kaum sichtbare Bewegung hinter dem gegenüberliegenden Fels.

Einige Fuß rechts von ihnen lag Little Jacks totes Pferd.

"Dorthin" sagte Francis leise. "Dort finden wir Deckung und ein Gewehr."

Langsam krochen sie hinter den Pferdekörper. Francis nahm das Gewähr aus der Scheide und zielte in Richtung des Phantoms.

"Ihr solltet euch schämen eure Retterin mit einer Waffe zu bedrohen." Eine schlanke junge Frau in der Tracht der Navajo aber mit ungewöhnlich heller Haut kam furchtlos auf sie zu. In etwa 60 Fuß Entfernung blieb sie stehen, den Bogen im Anschlag. Francis ging davon aus, dass sie Jack auf dem Gewissen hatte.

"Schießt nur, wenn ihr noch jemanden töten wollt, bevor euch die Geier fressen. Ihr Weißen habt schon so viele Gebiete erobert, müsst ihr uns jetzt auch noch die Shadow Lands nehmen?"

Demonstrativ legte Francis die Waffe zur Seite. Er war sich sicher, die geheimnisvolle Fremde würde nicht angreifen, hatte sie doch eine deutlich bessere Gelegenheit verstreichen lassen. "Ich danke unserer Retterin. Wir sind nur Flüchtlinge und fanden ein Versteck in den Shadow Lands, wie du sie nennst. Leg den Bogen ab und lass uns reden. Viel Zeit werden wir nicht haben, wenn die Arrow Boys erst merken, wo wir uns verstecken."

"Das sein Weißer Schatten, du nicht kennen?" Kleiner Wolf griff ängstlich nach Francis Hand.

"Na, willst du deine liebe Tante nicht begrüßen?" Sie sprach den Jungen auf Englisch an, so dass Francis alles verstehen konnte, dann fuhr sie in ihm unverständlichen Worten fort, senkte und entspannte den Bogen und kam langsam näher. Bei ihren Worten lockerte Kleiner Wolf seinen Griff leicht, wirkte aber weiterhin ungewohnt ängstlich. "Sie nicht richtige Tante, Mutter wie meine Mutter aber Vater sein Weißer, sie Hexe."

Jetzt verstand Francis ein wenig. In weitem Umkreis erzählte man sich die Geschichte von Weißer Schatten, dem von seinem Stamm verstoßenen hellhäutigen Mischling, die wie ein Krieger lebte, sich nahm was sie brauchte und verschwunden war, noch bevor man sie bemerkt hatte. Dies brachte ihr auch den Namen ein.

"Von so einem Tier kann man lange leben." Weißer Schatten zeigte auf das tote Pferd. "Wir sollten es in euer Versteck bringen."

Bis jetzt dachte Francis gar nicht daran gedacht, hier länger leben zu müssen. Weiße Feder wartete doch auf sie. Aber die Ereignisse hatten seine Pläne überholt, und es war sicher richtig für Proviant zu sorgen. Sie lösten den Sattel. Weißer Schatten machte sich sofort daran das Tier zu zerlegen. "Du geh auf Deinen Posten, der Junge kann mir helfen."

Ob es Francis eigener Überzeugung entsprach oder er sich lediglich ihrer natürlichen Autorität beugte, wusste er nicht. Jedenfalls bezog er den Beobachtungsposten am Eingang der Höhle. Kleiner Wolf sah ihm ängstlich nach. Francis konnte nicht verstehen, was die beiden Indianer miteinander besprachen, jedenfalls entspannte sich Kleiner Wolf mit der Zeit sichtbar. Nachdem das Pferd zerlegt war, trugen sie die Leiche von Little Jack zu einer nahen Felsenhöhle. Stiefel, Messer und Revolvergürtel hatten sie ihm bereits abgenommen. Sie schoben ihn in die Höhle und verschlossen den Eingang mit Steinen. Es dauerte eine ganze Weile, dann kamen beide mit den Habseligkeiten des ehemaligen Arrow Boy zurück. Sie gingen noch mehrfach. Schließlich waren auch Fleisch und Fell des Pferdes gesichert.

"Holz ist ja genug da. Wir werden über Nacht ein Feuer machen und das Fleisch garen. Ich sehe aktuell keine Gefahr. Vergrab alles, was noch hier liegt, dann komm zu uns." Weißer Schatten ließ keinen Widerspruch zu.

Mit bloßen Händen hob Francis eine Steingrube aus. Nachdem die Reste unter einer dicken Steinschicht verborgen waren, ging er zurück zur Höhle, das wegen der Hitze ausgezogene Hemd lässig über die Schulter geworfen.

"Na, da kommt ja doch ein ordentlicher Mann zu mir." Weißer Schatten lächelte halb prüfend, halb spöttisch, während Francis errötete. "Kleiner Wolf hat mir von dir erzählt. Mir scheint, dass Schicksal traf uns ähnlich. Vielleicht sind wir uns deshalb begegnet. Auch ich bin eine Wanderin und manchmal Getriebene zwischen den Welten."

Dann erzählte sie kurz die Geschichte, die Francis schon anekdotenhaft gehört hatte, dass ihr Vater ein weißer Amerikaner war, der als Kind zu Ihrem Stamm kam und sich zu einem großen Jäger entwickelte. Doch er ließ sich mit Goldene Taube, einer verheirateten Indianerin auf ein Verhältnis ein, aus dem ein hellhäutiges Mädchen hervorging. Der Zusammenhang war offensichtlich. Der Weiße nebst Tochter wurden aus der Gemeinschaft ausgestoßen, während ihr Halbbruder Grauer Büffel bei seinem Vater blieb und später Häuptling wurde. Ihre Mutter starb, ohne dass Weißer Schatten sie je wieder gesehen hätte. Gemeinsam mit ihrem Vater bewohnte sie einen abgelegenen Hof. Sie sprach wie eine Weiße und kleidete sich auch so, aber sie dachte wie ein Indianer. Als sie achtzehn war verließ sie ihren Vater und schloss sich einer Gruppe Gleichgesinnter an, die das freie Leben der alten Zeiten propagierten. Die Shadow Lands wurden ihr neues zu Hause. "Kommt mit mir und werdet Teil unserer Gemeinschaft. Du kannst ohnehin nicht zu Deinen Leuten zurück und was auf den Jungen wartet ist zumindest fraglich."

"Wir nicht zu dir, wir müssen holen Weiße Feder, gehen zu unsere Familie." Jetzt war Francis kleiner Freund Kind wie jedes Kind. Bisher hatten ihn wohl die Ereignisse abgelenkt, aber jetzt kam der Schmerz umso stärker über ihn. Tränen traten in seine Augen und er wendete sich ab. "Vater, Mutter tot, ich nur haben Weiße Feder, müssen gehen zu Lauter Donner, große Häuptling."

Weißer Schatten sprach ganz mild. "Die Gefahr ist zu groß. Auch hat es Lauter Donner seinem Bruder nie verziehen, eine Frau aus dem Stamm der Ute gewählt zu haben. Besser wäre es, einer meiner Brüder würde Weiße Feder hierher holen."

"Ich bin mir nicht sicher, ob das Mädchen mit ihm ginge. Ich weiß, dass es wenig rational ist, aber ich habe versprochen mit Tauender Schnee zu ihr zurückzukehren. Ich erfuhr in meinem Leben oft Hilfe durch Menschen, von denen es nicht zu erwarten war. Ich habe viel Leid über andere gebracht, jetzt kann ich davon ein wenig gutmachen, und ich tue es. Ich bringe die Kinder ihrem Stamm, ihrer Familie zurück. Was dann kommt, wird sich ergeben."

Kleiner Wolf sah Francis durch seinen Tränenschleier dankbar an.

"Du willst das Schicksal zwingen und Unmögliches erreichen. Du willst Kinder für dich gewinnen, obgleich sie durch deine Freunde die Eltern verloren haben. Der Junge meint dich zu brauchen und bindet sich aus rationalen Gründen an dich, aber sein Herz bleibt dir verschlossen. Du bist ein Weißer. Unser Wesen ist dir fremd."

"Du hast bis morgen Abend Zeit mich zu unterweisen, dann ziehen wir los."

Sie löschten das Feuer, die Sicherheit von Weißer Schatten beruhigte auch Francis, so dass er nicht auf einer Wache bestand. Er vermutete ihre Leute nicht allzu weit, denn an hellseherische Fähigkeiten glaubte er nicht, eher an eine sorgfältige Inspektion des Umlandes und daran, dass Little Jack ihnen allein gefolgt war. Kleiner Wolf schlief bereits. Weißer Schatten, die die Höhle offensichtlich sehr gut kannte, zog Francis in einen versteckten Seitengang. Was sie ihn in dieser Nacht lehrte, brachte dem ehemaligen weißen Banditen den Geist der Indianer sehr nahe. Das Feuer der Leidenschaft verzehrte am Ende beide, und sie wurden eins, im Körper und im Geist.

Der nächste Tag verging mit Reisevorbereitungen, Pferdepflege und Planungen für den gefährlichen Ritt nach Norden. Am Abend zogen sie los, Kleiner Wolf mit seinem neuen Pferd Große Wolke, Francis mit dem treuen Husky und Tauender Schnee an Huskys Sattel gebunden. Weißer Schatten umarmte beide zum Abschied, den Jungen, mit dem sie verwandt war und den Weißen, der langsam in ihre Welt wechselte. "Ich warte auf dich, und Du wirst kommen. Denk an meine Worte, wenn du nicht weißt, wohin dein Weg führen soll."

Es fiel Francis schwer beherrscht zu bleiben, aber er drängte auf den Aufbruch. Black White ließen sie zurück. Er würde in Weißer Schatten eine liebevolle Beschützerin finden. Francis Plan war Little Rock in weitem Bogen zu umgehen, nachts zu reiten und sich am Tage versteckt zu halten. Fleisch hatten sie genug, wichtig waren Wasser und Futter für die Pferde. Es sollte einem ehemaligen Arrow Boy nicht schwer fallen sich das Nötige von den lokalen Siedlern zu leihen. Francis schmunzelte bei diesem Gedanken.

Der im Zunehmen begriffene Mond erhellte die wolkenlose Nacht. Husky und Große Wolke orientierten sich in der bekannten Umgebung problemlos. Ohne auf andere Menschen zu treffen, erreichten sie noch vor Einbruch der Dämmerung ihr erstes Ziel, einen verlassenen Hof mit Wasserquelle. Die Pferde konnten gut eine Stunde grasen, bevor der neue Tag anbrach.

Am Ausgang dieser lauen Nacht saßen ein weißer Mann, ehemaliges Mitglied der Arrow Boys und ein Indianerjunge, durch eben diese Verbrecherbande seiner Eltern beraubt, am Rande einer Weide und sahen drei Pferden zu, die sich das spärliche Gras schmecken ließen.

"Warum nicht auch Menschen so miteinander leben, warum töten, warum ihr meine Eltern töten?" Erneut überkam Kleiner Wolf eine tiefe Traurigkeit.

Francis kannte keine Antwort auf diese Fragen. "Ich habe deine Eltern nicht getötet. Ich habe dich gerettet."

"Warum nicht auch Eltern retten? Ich nur haben noch Weiße Feder und nur dafür noch leben."

Wie gern hätte Francis den Jungen an sich gezogen, hätte ihm erzählt, wie seine Eltern durch die Gnadenlosigkeit anderer verzweifelten, wie sein eigener Lebensweg plötzlich wegbrach und er durch Verbrecher gerettet wurde, um schließlich einer der ihren zu werden. Aber Kleiner Wolf schien ihm viel zu stolz sich von einem Weißen trösten zu lassen. So blieb er regungslos neben dem Jungen sitzen und sprach in die Nacht hinein. "Wir werden in drei Tagen wieder bei Weißer Feder sein. Ihr werdet euch gegenseitig trösten. Und ich bringe euch zurück zu Eurem Stamm." Er versuchte so sicher wie möglich zu klingen, nicht nur zur Beruhigung des Indios sondern auch, um seine eigenen Zweifel zu besiegen. Objektiv betrachtet, lag vor ihnen ein wahres Himmelfahrtskommando.

Als der Tag nahte, riefen sie die Pferde und führten sie in das einzig verbliebene Gebäude.

"Wir müssen abwechselnd wachen. Ich beginne. Schlaf jetzt."

Kleiner Wolf folgte Francis Aufforderung und schmiegte sich an Große Wolke. Das Tier konnte ihm geben, was er von dem Weißen nicht annehmen wollte, Nähe und Liebe. Bald hörte Francis ihn ruhig atmen. Er löste seinen Blick von dem friedlich schlafenden Kind und stieg auf das Dach des Stalls, um die Umgebung besser beobachten zu können. Kleiner Wolf musste das irgendwie mitbekommen haben. Jedenfalls tauchte er drei Stunden später von allein neben Francis auf, der ihm eigentlich noch etwas Schlaf gönnen wollte. "Danke" sagte er nur und schaute den Weißen mit ernster Miene an.

Es war nur ein Wort, aber Francis Herz überschlug sich vor Freude. Könnte es sein, dass dieser Junge ihn akzeptierte? Dafür würde er alles geben. Dafür wollte er kämpfen.

"Du jetzt schlafen." Kleiner Wolf sprach mit fester Stimme.

"Wecke mich sofort, wenn du etwas Verdächtiges siehst. Ich schlafe hier oben." Mit diesen Worten drückte Francis das Gewehr dicht an seinen Körper, drehte sich zur Seite und schlief rasch ein. Die Sonne stand schon weit im Westen, als er wieder erwachte. Kleiner Wolf saß immer noch neben ihm. Er hatte offensichtlich die ganze Zeit Wache gehalten. Das Quartier zog glücklicherweise keine weiteren Besucher an. Francis schickte Kleiner Wolf wieder hinunter zu den Pferden. "Schlaf noch etwas. Ich wecke dich rechtzeitig."

Die Stunden bis zur Dämmerung hing Francis seinen Gedanken nach. Man stellt sich das Leben von Räubern oft spannend vor und meint, sie würden jeden Tag einen Menschen umbringen. In Wirklichkeit pflegten sie außerhalb ihrer Beutezüge einen eher beschaulichen Tagesablauf. Little Rock war eine ruhige Stadt. Von den Nichteingeweihten wusste keiner um ihr wirkliches Tun. Sie galten als reiche Viehzüchter, deren Herden von Angestellten betreut wurden und die hin und wieder zu wichtigen Geschäftsabschlüssen in die Ferne zogen. Überfälle verübten sie generell nur jenseits der Distriktgrenze und in Gebieten mit wenig gefestigter Staatsmacht. So waren sie bisher stets unerkannt geblieben und hatten einen hübschen Besitz angesammelt. Irgendwann wollten sie alle in ein gutes bürgerliches Leben zurückkehren, aber bis dahin hatte es noch Zeit. Sie waren jung und der Reiz des Abenteuers viel zu groß. Für Francis gehörte all das der Vergangenheit an. Wenige Tage genügten sein Leben ein zweites Mal völlig umzukrempeln. Eines stand fest, ein Zurück gab es nicht mehr. Die Zukunft jedoch lag in den Sternen. Mit Einbruch der Dämmerung weckte er Kleiner Wolf. "Bring die Pferde zur Weide, ich packe inzwischen."

Es dauerte nicht lange, bis Francis ihre wenigen Besitztümer zusammengebunden hatte. Die Sättel lagen bereit. In einer Stunde wollten sie weiterziehen. Der Abend war warm. Francis trug sein Hemd über der Schulter, als er zu Kleiner Wolf ging. Auch der saß nur im Schurz und sah zu ihren Tieren. Als er Francis bemerkte, trat ein leichtes Lächeln auf sein sonst so ernstes Gesicht. "Wir jetzt zwei Indianer."

"So soll es sein", sagte Francis, aber Kleiner Wolf sah schon wieder zu den Pferden.

Mit Einbruch der Dunkelheit sattelten sie Husky und Große Wolke, dann zogen sie ab. Ihr Ziel war eine Gruppe von Sandsteinfelsen mit Höhlen und Wasservorkommen. Natürlich konnten sie zu jeder Zeit auf Jäger oder auch zwielichtige Gestalten treffen. Da die nächste Siedlung jedoch über einen Tagesritt entfernt lag, hoffte Francis die Reise ohne Probleme fortzusetzen. Sie ritten schweigend nebeneinander, aufmerksam auf jedes Geräusch achtend, aber es blieb alles still. So sprach er schließlich zu seinem jungen Freund: "Auch wenn ich Deinen Vater nicht ersetzen kann, so will ich doch dein Freund sein. Ich will auf dich achten und dich gemeinsam mit deiner Schwester zu Eurem Stamm zurückbringen. Was aus mir wird, muss man sehen, aber es ist sicher von Vorteil, wenn ich ein bisschen was von deinem Volk lerne. Vielleicht kannst du mir ein paar Worte eurer Sprache beibringen und etwas aus eurem Leben erzählen."

Kleiner Wolf sah ihn fragend an. Offenbar verstand er die Worte nicht.

"Lehre mich die Sprache der Navajo." Mit Handbewegungen in seine und Kleiner Wolfs Richtung unterstützte Francis diese Aussage.

"Wir Diné, nicht Navajo wie ihr sagt."

So lernte Francis das erste Wort in der Sprache der Diné, genannt Diné bizaad. Es folgten in dieser Nacht noch einige. Die recht holprige Aussprache der ungewohnten Laute ließen Kleiner Wolf manchmal leise lachen, aber er gab sich viel Mühe, wunderte sich sicherlich über das seltsame Anliegen des dadurch aber nicht mehr ganz so fremden Weißen und wurde auch etwas von seinem Schmerz abgelenkt. So verging der Ritt als Schulstunde. Es dämmerte bereits, als sie ihr Ziel erreichten. Zwischen den abgerundeten Felsformationen fanden sich teils größere Ansammlungen von Regenwasser und in der Umgebung auch etwas Grasbewuchs. Den Tag über schlief einer von ihnen bei den Pferden, der andere beobachtete von einer Anhöhe die Umgebung. Sie wechselten alle zwei drei Stunden. Bei der Übergabe fragte kleiner Wolf jeweils Vokabeln ab. Von weitem hätte man die beiden gut für Vater und Sohn auf Abenteuerreise halten können, mit nacktem sonnengebräuntem Oberkörper wäre Francis vielleicht sogar als Indianer durchgegangen. Nur der inzwischen wilde Bartwuchs sprach dagegen. Am Abend stieg er hinauf zu Kleiner Wolf. Die Pferde weideten friedlich. Vorsorglich hatten sie die Tiere in eine von Felsen umgebene Senke, deren Ausgang von ihrem Beobachtungspunkt mit wenigen Schritten bergab zu erreichen war, geführt. Der nächste Zielpunkt ihrer Reise würde der schwierigste sein. Wenn sie nicht einen mehrtägigen Umweg ohne sichere Wasservorkommen in Kauf nehmen wollten, mussten sie durch Snake Valley ziehen. Die Ansiedlung bestand nur aus wenigen Gehöften, aber ein Weißer in Gesellschaft eines Indianerjungen würde sofort Misstrauen erwecken, und Francis wusste ja nicht, ob die Suche nach ihnen andauerte. Was gab es für Möglichkeiten? Sie konnten einen Hof überfallen und sich nehmen was wir brauchten. Francis erwog dies wahrlich, hatte er doch über zehn Jahre nicht anders gelebt. Er konnte aber auch Kleiner Wolf als seinen Gefangenen ausgeben. Die Versklavung von Indianern war vor allem Richtung Mexiko nicht ungewöhnlich. Dies wollte er jedoch dem Jungen, der gerade seine Freiheit wieder gewonnen hatte, nicht antun. Er konnte ihn auch zum Weißen machen und hoffen, dass dies in der Dunkelheit nicht auffiel. Voraussetzung wäre aber die langen schwarzen Haare zu opfern. Francis entschied sich für Letzteres. Er sah den Jungen innerlich lächelnd, nach außen hin aber ernst und entschieden an. "Wir reiten durch bewohntes Gebiet. Du musst wie ein Weißer aussehen."

Franzis schluckte und senkte seinen Blick. Leise sprach er weiter. "Wir müssen deine Haare abschneiden."

Er hätte auch sagen können, ich will dich lebendig rösten. Nicht nur das vor Schreck erstarrte Gesicht, der ganze bronzefarbene Körper schien Nein zu schreien. Natürlich wusste Francis, dass er eine erhebliche Verstümmelung vorhatte, aber trotz der räumlichen Nähe lebten die meisten Weißen kulturell so weit von den Ureinwohnern des Landes entfernt, dass sie keinen Schimmer von ihrem Glauben und ihren Gewohnheiten hatten. Diese Dinge waren ihnen auch völlig egal. Die Beschäftigung mit der indianischen Lebensweise galt als mindestens ebenso exotisch wie die Erforschung seltener Tiere. Der typische Weiße sah Rothäute als störendes aber vorübergehendes Problem an.

"Wir müssen in einer Siedlung von Weißen übernachten. Da kann ich keinen Diné-Jungen mitbringen ohne Verdacht zu erregen. Wir laufen sonst Gefahr Weiße Feder nie wieder zu sehen." Francis wusste nicht, ob Kleiner Wolf ihn verstand. "Haare ab sonst sehen Weiße Feder und Stamm nie wieder!"

Jetzt verstand er. Vermutlich hatte Francis allen Kredit der letzten Tage verspielt, aber er machte nicht nur von dieser Drohung gebrauch, sondern stellte auch seine körperliche Überlegenheit sichtbar zur Schau, indem er den Jungen derb an den Schultern fasste und zu sich drehte. "Du verstehen?"

"Ja mein Herr."

Francis zog das Messer aus dem Stiefel, welches sie Little Jack abgenommen hatten und fasste nach dem Schopf des Kindes.

"Ich selbst machen." Alles in dem Jungen schien sich zu sträuben, als er den Stahl nahe am Ansatz durch sein Haar führte. Das Messer war scharf, aber körperliche Schmerzen entstanden mit Sicherheit. Der Seelenschmerz allerdings überwog bei weitem. Das Ergebnis entsprach jedoch ganz den Erwartungen. Durch den Staub der Wüste hatte sich ihrer beider Hautfarbe Richtung Grau verändert. So hoffte Francis, dass ein bärtiger Weißer und ein schmutziger Junge mit kurzen Haaren nicht auffallen würden. Er vertraute auch darauf, dass es dem Boss wichtiger war unerkannt zu bleiben, als einen desertierten Arrow Boy mit Hilfe der lokalen Bevölkerung zu suchen. Francis selbst kannte in diesem Landstrich niemand. Aktuelle Steckbriefe gab es von keinem Arrow Boy, so auch nicht von ihm. Das einzige Bild stammte aus seiner kurzen Zeit in Haft. Doch den jungen Francis Blackwater brachte sicher keiner mit den aktuellen Ereignissen in Zusammenhang. Als sie losritten, saß neben Francis ein Bündel Elend im Sattel, das äußerlich und innerlich verstümmelt worden war. Erst nach einer Stunde traute er sich Kleiner Wolf anzusprechen. "Haare?"

"Atsii'." Langsam richtete sich Kleiner Wolf auf.

Sie ritten die ganze Nacht und auch den folgenden Tag über, der Weiße und sein Indianerjunge. Ihre Wasservorräte waren erschöpft. An Snake Valley führte also kein Weg vorbei. In der Nähe des Ortes trafen sie auf einen Schafhirten, der ihnen kaum Beachtung schenkte. Francis nahm dies als gutes Ohmen. Schließlich gelangten sie an ein etwas abseits gelegenes Haus mit Stallung. Eine ältere Frau versorgte gerade das Vieh. Als sie die beiden Reiter sah, nahm sie das bereitliegende Gewehr und kam ihnen langsam entgegen. Scherzhaft hob Francis die Arme. "Wollen sie zwei fast verdurstete Wanderer umbringen."

"Man kann ja nie wissen, welches Gesindel sich hier herumtreibt. Zieht am besten weiter und lasst mir meine Ruhe."

"Liebe Frau, ein Nachtlager für die Tiere und für uns werden sie doch nicht verwehren. Wir sehen zwar durch den langen Ritt und das ausstehende Jagdglück etwas mitgenommen aus, aber wir können für eure Mühe bezahlen."

Francis zog ein kleines Geldstück aus dem Gürtel, Little Jack sei es gedankt. Dies brachte deutliche Bewegung in den Ausdruck der Dame.

"Das reicht aber nur für einen, der Junge und die Pferde kosten jeweils das gleiche."

"Der Junge das gleiche und für alle Pferde noch mal so ein schönes Stück." Francis ließ die Münze durch seine Finger wandern.

"Abgemacht. Ihr schlaft im Stall, und morgen zieht ihr weiter."

"Abgemacht, das als Anzahlung", Francis reichte ihr die Münze. "Den Rest bei Abreise."

Etwas missmutig nickte sie. Es war nicht leicht in dieser Region Geld zu verdienen.

"Kann der Junge auch was sagen?"

"Nein, ist leider von Geburt an stumm."

Diese Geschichte fiel Francis auf dem Wege ein. Kleiner Wolf wiederum fiel es leicht sich daran zu halten.

"Sieht aus wie eine verdammte Rothaut." Die Dame blickte verächtlich. "Aber man müsste die Mutter dazu sehen. Ihr Männer macht ja mit jeder rum, da braucht man sich über das Ergebnis nicht zu wundern."

"Seine Mutter müssten sie erst ausgraben, doch es stimmt schon, sie war eine exotische Schönheit. Aber lassen sie jeden seine Last tragen und fragen sie nicht zu viel. Wer zu viel weiß, lebt oft kürzer. Sie bekommen Ihr Geld, und wir wollen nur eine Nacht Ihre Gastfreundschaft in Anspruch nehmen. Wir haben beide einiges hinter uns, und ein bisschen Freundlichkeit im Miteinander steht jedem Menschen gut zu Gesicht."

"Ja, ja, jeder muss sein Kreuz tragen. Auch ich habe meinen Partner verloren und schlage mich allein durch. Sie sollten mir verzeihen, wenn ich nicht allzu zutraulich bin. Aber man erlebt schon schlimme Sachen in der heutigen Zeit."

Die Farmerin führte ihre Gäste ohne weitere Worte in das Stallgebäude und wies ihnen eine Bucht mit Stroh zu, die für Mensch und Tier das Nachtlager sein sollte.

Es war weit nach Mitternacht, als Husky Francis durch leichtes Zucken weckte. Kleiner Wolf schlief friedlich. Francis nahm das Gewehr und schlich sich nach draußen. Da stand die Herrin des Hauses. Sie rechnete wohl damit bemerkt zu werden.

"Ich hätte gedacht, die kleine Rothaut wird eher wach, aber du scheinst auch über scharfe Sinne zu verfügen. Ich bin übrigens Cathrin, und ich habe so eine Ahnung, wer ihr seid."

"Ich verstehe nicht was du meinst, aber wir können uns gern unterhalten. Ben heiße ich."

"Ben, so so, dann bist du also doch nicht der reiche Viehzüchter aus Little Rock, der zwei Indianergören vor der Sklaverei gerettet hat und sie gegen viel Gold an ihren Stamm zurückgeben will."

"Hast du schon mal einen Indianer mit kurzen Haaren gesehen? Und wo ist denn das zweite Kind?" Francis blieb ruhig und beherrscht. Er war dankbar für diese Informationen. Es kursierte also schon eine Geschichte über sie. Natürlich würde der Boss nicht wegen ihm die Tarnung auffliegen lassen, aber der Weg nach Hause war für die beiden Rothäute, wie Cathrin so nett sagte, mit Hindernissen gefüllt. "Wir haben immer mal mit Vorurteilen zu kämpfen, aber meine Frau war amerikanische Staatsbürgerin mit langer Tradition. Dich scheint doch auch das Schicksal nicht gerade verwöhnt zu haben, als gib nichts auf Gerüchte. Rechne dir eine gute Tat zu und vergiss uns dann am besten."

"Ja, ja, der Herr wird mich für meine Güte belohnen, aber wenn du lügst, wird er dich bestrafen, spätestens in Gestalt der Militärmission von Bullet Nose, die bereits die Wege ins Navajo-Land bewacht. Ich diene nur dem Gesetz der Gastfreundschaft. Wenn man mich fragt, sage ich, ihr hättet mich bedroht und keine Staatsmacht war in der Nähe mich zu beschützen. Vielleicht verlegen sie dann einen Militärposten in unser Kaff. Ein paar Männer mehr zur Auswahl sind nie verkehrt. Für den Rest der Nacht will ich mich aber mit dir begnügen. Lass uns den Sternen zusehen und sonst noch tun, was schön ist."

Cathrin und Francis schliefen bis zum Morgen nicht mehr. Sie war überaus zärtlich und hatte die körperliche Liebe wohl schon länger vermisst. Francis sah darin lediglich ein Abenteuer und einen Gewinn an Sicherheit.

In der Morgendämmerung sah Kleiner Wolf aus dem Stall. Sein verwunderter Blick traf Francis, als dieser neben Cathrin über den Hof kam.

"Alles in Ordnung. Sattle die Pferde. Wir ziehen weiter."

Stumm und wohl ahnend was geschehen war, machte sich Kleiner Wolf an die Reisevorbereitungen.

"Du bist ein guter Mann, vielleicht kommst du ja eines Tages zurück. Ich werde jedenfalls nichts unternehmen, um dies zu verhindern. Macht’s gut kleiner Junge und Ben, oder Francis, oder sonst wie."

Sie wusste es und achtete dennoch das Gesetz der Gastfreundschaft. Oder sehnte sich ihr Körper einfach nach einem Mann? Francis konnte es egal sein. Vorsorglich ritten er und Kleiner Wolf zügig fort und waren froh, als sie Snake Valley verlassen und die freie Wüste erreicht hatten. Hier wären potenzielle Verfolger frühzeitig erkennbar. Sollte ihr Glück andauern, würden sie am Abend die Behausung von Nevada Johns erreichen. Francis war gespannt auf die Neuigkeiten, die Nevada hoffentlich berichten konnte, vor allem aber hoffte er Weißer Feder mit ihrem geliebten Pferd ein kleines Stück Glück zurückzubringen. Ihr Bruder hatte sich trotz aller Trauer als sehr stark erwiesen, aber wie sollte ein kleines Mädchen den Verlust der Eltern verwinden. Auch Indianerkinder sind Kinder. Sie mögen zwar emotional stärker als Weiße sein. Der Tod ihrer wichtigsten Bezugspersonen muss dennoch ein schweres Seelentrauma auslösen, war sich Francis sicher.

Sie ritten den ganzen Tag. Die Angst vor Entdeckung blieb gering, da Francis aus Cathrins Worten entnommen hatte, dass man sie eher in Richtung der Indianerreservation suchte. Schon am frühen Nachmittag erblickten sie Nevada Johns Hütte. Alles schien ruhig, aber plötzlich bewegte sich etwas auf dem Dach.

"Seid ihr wahnsinnig, eure Geschichte kennt schon der ganze Westen und Weiße wie Rote sind hinter euch her. Ab in den Stollen und betet, dass man euch nicht beobachtet hat."

Doch Francis lachte nur. "Wir werden hier nicht vermutet, deshalb konnten wir uns am Tage nähern. Auch ich habe einige Informationen erhalten. Und wie sagt man so schön, no Risk no Fun."

Nevada jedoch drängte Francis und den Jungen mitsamt ihrer Pferde in den Stollen. Als die Tür geschlossen war und nur noch schwacher Fackelschein leuchtete, pfiff er kurz. Dies musste das lang ersehnt Zeichen sein, denn ein kleines Mädchen in viel zu großen Männerkleidern stürmte hervor, Weiße Feder. Sie blickte kurz und mit entsetztem Gesicht zu ihrem Bruder, dann aber fiel sie Tauender Schnee um den Hals. Francis Schnellkurs in Navajo hatte nur zu einem geringen Sprachverständnis geführt, aber "Freund", "Glück" und "Liebe" glaubte er zu verstehen und sah lächelnd auf Mädchen und Pferd, welche fast miteinander verschmolzen. Glücklich nickte er Kleiner Wolf zu. "Wir haben unser Versprechen gehalten. Dein Bruder und ich, wir sind ein starkes Team und werden auch weiterhin zusammenhalten."

Weiße Feder ließ das Pferd los und stürzte sich auf Francis. Soweit es die Höhlendecke erlaubte, hob er sie nach oben, während sie die Arme um seinen Hals schlang.

"Du sehr gut. Du Weiße Feder glücklich. Immer bei dir. Du jetzt Vater."

Francis traute seinen Ohren nicht. War dies das verschlossene und von Trauer überwältigte kleine Mädchen, welches kein Wort Englisch sprach?

"Ruht euch erst mal aus, ich schaue derweil nach draußen. Dort findet ihr Wasser, Fleisch und Brot." Während er das sprach, zeigte Nevada auf eine Nische im Felsen.

Weiße Feder hing an Francis wie eine Klette, dann sprang sie aber doch wieder zu ihrem Pferd, herzte und liebkoste es und war so glücklich, als seien all die schlimmen Geschehnisse der letzten Zeit aus ihrem Gedächtnis verschwunden. Kleiner Wolf sah eher abfällig auf seine Schwester. Gefühlsausbrüche musste man unterdrücken, das hatte er von klein auf gelernt. "Wann wir ziehen weiter?", fragte er ohne jede erkennbare Regung.

"Lass uns erst ausruhen. Der Weg zu deinem Volk ist gefährlich. Die Gegend wird überwacht, und wir sind mindestens eine Woche unterwegs. Wie wäre es, wenn du dich um die Pferde kümmerst. Sie haben sich als echte Freunde erwiesen. Es ist nur recht und billig, sich ihnen gegenüber dankbar zu erweisen."

Kleiner Wolf verstand sicher nur einen Teil von Francis Worten, aber er wusste was zu tun war. Er befreite Husky und Große Wolke von ihren Lasten, gab beiden von dem gelagerten Heu und liebkoste seinen Schimmel. Wenigstens dieser verstand ihn.

Als Nevada Johns zurückkam, lagen Mensch und Tier beieinander, Weiße Feder glücklich, Kleiner Wolf und Francis nachdenklich.

"Das Mädel hat begriffen, dass ihre Eltern jetzt unsichtbar über sie wachen. Es fällt Kindern leichter schreckliche Dinge zu verdrängen. Du bist ab nun ihr Vater." Mit leiser Stimme fuhr Nevada fort. "Ich habe die Geschichte über dich schon von vielen Seiten gehört. Reicher Viehzüchter klaut Indianerkinder. Vielleicht will er sie ja schlachten und essen. Wahrscheinlich hat er einen Sonnenstich erlitten oder sich das Gehirn weggesoffen. Natürlich kann dein Ex-Boss nicht mit der Wahrheit rüberkommen, aber ich habe schon verstanden."

"Und ich habe den Kindern versprochen, sie zu ihrem Stamm zurückzubringen. Kannst du mir helfen?"

"Bin ich Gott? Es ist eine Wahnsinnstat, die du da vorhast. Besser würdet ihr euch nach Mexiko absetzen. Ich glaube nicht einmal, dass du bei den Navajo freundlich empfangen wirst. Auch bei ihnen sieht man dich als Kinderdieb. Und Colonel Jackson von Fort Bullet Nose wird versuchen die Sache so zu erledigen, dass es nicht zu weiteren Spannungen zwischen Siedlern und Indianern kommt. Für ihn wäre es wohl am besten, dass Problem zu begraben, im wahrsten Sinne des Wortes." Nevada lachte herzlich über seinen Scherz.

Kleiner Wolf hingegen sah die beiden Weißen ernst und fragend an. "Du versprochen bringen uns nach Hause."

"Und ich werde mein Versprechen halten." Fast beschwörend richtete Francis diese Worte an den Jungen.

Nevada Johns kicherte erneut. "Ihr habt bisher totales Schwein gehabt. Fordert das Schicksal nicht andauernd heraus. Aber ich sehe schon, ich habe es nur mit Schwachköpfen zu tun, deren Hirngewicht sich verdoppeln würde, wenn eine Kugel in ihren Schädel einschlüge." Er wandte sich an Kleiner Wolf auf Diné bizaad.

Francis verstand nur "Essen", aber das genügte die Bedürfnisse seines Körpers in Erinnerung zu rufen. Die Speisen lagen noch unberührt. Doch wie auf Kommando fielen die beiden Neuankömmlinge mit Heißhunger darüber her. Die Kost der letzten Tage war spärlich ausgefallen und Probleme kommen und gehen. Jetzt wollten sie erst einmal verschnaufen.

Die Pferde blieben vorsorglich in Nevadas Stollen. Sie sollten immer erst nachts nach draußen gehen. Nevada hatte sich als wahrer Freund erwiesen. Francis hielt ihn bisher für etwas versponnen und lebensfern, musste aber seine Meinung gründlich revidieren. Dennoch war er überrascht, als ihn Nevada in einen Seitenstollen zog und folgende Geschichte erzählte: "Du hältst mich für einen halbnackten Verrückten, der nach Gold sucht und von dem Erlös gerade so überleben kann. Am besten du bleibst bei deinem Glauben. Das schützt auch mich. Aber sei versichert, ich könnte in einem schönen Haus leben und schöne Kleider tragen. Doch der Mensch unterliegt Zwängen, und nichts ist wie es scheint. Es fiel dir sicher auf, dass ich die Sprache deiner beiden kleinen Freunde beherrsche. Ich habe lange und glücklich unter ihnen gelebt. Leider wollte es das Schicksal anders, und so bin ich zu einem Wanderer zwischen den Welten geworden. Ich vermittle zwischen Roten und Weißen und treibe Handel mit ihnen. Die Mine ist nur mein Alibi. Ich weiß auch, wie ihr drei zu den Navajo kommen könnt, aber ich muss das vorbereiten und ich glaube weiterhin, dass dies nicht der richtige Weg für euch ist. Bleibt bitte hier, bis ich mit Colonel Jackson gesprochen habe. Lass Kinder und Pferde nur im Schutze der Nacht nach draußen und sei wachsam. Auch dich sollte keiner sehen. Wenn du am Tage vor den Stollen gehst, trage Kleidung wie ich. Verschwinde, wenn jemand kommt. Ich bin für meine Menschenscheu bekannt. Man wird von weitem keinen Unterschied zwischen uns ausmachen, jedenfalls nicht wenn du dich mal wieder rasieren würdest."

Die Geschwister tuschelten miteinander, als Nevada und Francis zurück kamen. Nevada sprach sie in ihrer Muttersprache an. "Ihr kennt mich von meinen Besuchen bei eurem Stamm und ihr wisst vielleicht auch von meiner Geschichte. Ihr solltet mir daher vertrauen, wenn ich euch sage, dass ihr nicht einfach nach Hause reiten könnt. Es gibt viele Gefahren und ihr seid mit Mühe dem Tod entkommen. Eure Eltern gingen hinüber in das Reich der Schatten. Sie begleiten euch, selbst wenn ihr sie nicht seht. Ihr könnt sie aber spüren. Und ihr sollt wissen, dass sie bei euch sind. Damit ihr aber auch einen Menschen an eurer Seite sehen könnt, schickten sie euch Francis. Er ist jetzt euer Vater. Er ist ein guter Mensch, auch wenn er euch manchmal seltsam vorkommt. Aber ihr wisst, dass Menschen die Beschlüsse des großen Geistes nicht immer verstehen. Nehmt es, wie es ist. Tut, was Francis euch sagt, und wartet bis ich zurück bin."

Er musste Francis alles noch mal auf Englisch erzählen, was dessen Ehrgeiz beim Erlernen von Diné bizaad weiter anstachelte.

Den Tag über blieben sie im Stollen, wuschen Körper und Kleidung. Auch Francis Bart kam ab. Er und Kleiner Wolf begnügten sich dann mit einem Lendenschurz. Weiße Feder jedoch trug das Kleid, welches ihre Mutter genäht hatte. Sie war wirklich ein hübsches Kind. In Francis keimte ein Gefühl des Stolzes. Meine Tochter, dachte er.

Am Abend spannte Nevada die beiden Esel vor seinen Karren. "Am besten man sieht euch nicht. Wartet bis ich zurückkomme. Falls ihr flieht, zerstört die Hütte, damit ich gewarnt bin. Falls ihr kämpfen müsst, nutzt den Stollen. Dort seid ihr jedem Angreifer überlegen."

Er hatte sich mit Hemd, Hose, Hut und Stiefeln ausgestattet. In diesem Aufzug sah er gänzlich verändert aus. Kleider machen Leute. Das stimmt wahrlich, traf aber auch auf Francis zu, der nur den Schurz um seine Hüften trug. Aus der Ferne wäre er gut als Nevada Johns durchgegangen.

In Nevadas Höhle verging die Zeit mit quälendem Warten. Die Nacht wurde zum Tage. Nur in der Dunkelheit wagten sich die drei Flüchtlinge nach draußen. Dies war dann für Mensch und Tier wie eine Befreiung. Tags versuchten sie zu schlafen oder brachten sich gegenseitig Vokabel bei. Kleiner Wolf sprach davon, dass er ein großer Krieger und ebenso berühmt wie sein Onkel Lauter Donner werden wolle. Weiße Feder dachte daran, wie Francis, Kleiner Wolf und sie als glückliche Familie innerhalb ihres Stammes leben könnten. Francis würde bestimmt mit Blauer Vogel, der kleinen Schwester von Lauter Donner, Freundschaft schließen. Gemeinsam könnten sie dann im Hogan ihrer Eltern, die natürlich immer dabei waren, schließlich spürte sie die sanfte Berührung ihrer Mutter an jedem Tag, leben. Sie erzählten einander ihre Geschichten. So erfuhr Francis, dass der Überfall die Indianerfamilie auf der Reise zur Hochzeit ihrer Tante überraschte. Die Tante war vom Stamm der Ute. Das Gold sollte ein Brautgeschenk sein. Lauter Donner mochte die Verbindung seines Bruders zu einer Ute-Frau nicht, konnte aber nichts gegen die Liebe unternehmen. Allerdings bestärkte Francis dieses Wissen in seinem Zweifel, ob sie denn in der Heimat seiner kleinen Freunde wirklich willkommen waren. Auch er erzählte von seinen Eltern, die aus Deutschland stammten, einem weit weg über das Meer gelegenen Land. Da die Kinder sich unter einem Meer nichts vorstellen konnten, blieb ihm nur die Beschreibung, dass es sich um ein sehr breites Wasser handelte.

"Noch breiter als der Colorado River?"

"Viel, viel breiter, es reicht bis zum Horizont und dann noch viel weiter."

Zwei Paar dunkler Augen sahen ihn zweifelnd an.

"Wie soll man denn darüber mit einem Kanu fahren?"

"Oh, unsere Kanus sind viel größer als ihr je eines gesehen habt. Wir nehmen auf Ihnen Essen und Trinken für viele Wochen mit. Aber meine Eltern mussten für die Reise alles Geld aufwenden. Hier in Amerika, eurem Land, angekommen, arbeiteten sie sehr hart und schafften es schließlich zu einem ansehnlichen Wohlstand. So konnte ihr einziger Sohn sogar studieren."

"Studieren?"

"Ja, ich war auf einer großen Schule und lernte, wie man Straßen baut und Brücken."

"Dann bist du ein weiser Mann."

"Wenn man es so sagen will. Leider wurde ich vor Abschluss meines Studiums von bösen Menschen betrogen und war schon auf dem Weg ins Gefängnis, als mich die Bande der Arrow Boys befreite. Sie taten es nicht meinetwegen, sondern wegen dreier ihrer Kumpane, die mit mir ins Zuchthaus gebracht werden sollten. Aber so bin ich zu ihnen gekommen und habe zehn Jahre mit ihnen gelebt, als Verbrecher. Und sicher wäre ich das auch noch lange so geblieben, wenn nicht ihr dazwischen gekommen wärt. Nun aber hat sich mein Leben erneut total verändert, und jetzt gehören wir zusammen."

Weiße Feder lächelte immer, wenn Francis dies sagte, Kleiner Wolf jedoch blieb nachdenklich. Er konnte sich das Zusammenleben von Rot und Weiß nicht wirklich vorstellen. Für ihn waren Weiße der Grund allen Übels. Sie vertrieben sein Volk aus den angestammten Jagdgründen. Sie zerstörten die Natur und beleidigten den großen Geist. Und sie töteten seine Eltern.

Am zehnten Tag nach seiner Abreise kehrte Nevada Johns gegen Mittag zurück. "Keine Gefahr", rief er schon von weitem. "Ihr könnt herauskommen."

Weiße Feder bemerkte ihn zuerst. Voll Freude stürmten die Kinder aus dem Stollen. Francis ging eher langsam hinterher. Was würde Nevada berichten? Die Zukunft erschien ihm jetzt nicht mehr so einladend. Er sollte Recht behalten.

"Ich habe eine gute Nachricht und eine schlechte. Die Gute zuerst, morgen kommt Blauer Vogel zusammen mit einigen Männern und holt die Kinder ab."

Francis bekam eine dunkle Vorahnung.

"Du kannst nicht mit ihnen gehen. Colonel Jackson möchte Frieden mit den Indianern, aber er kann es nicht zulassen, dass ein Weißer bei ihnen untertaucht, noch dazu wenn er im Clinch mit einem der angesehensten Bewohner von Little Rock liegt. Er ahnt jedoch, dass ohne dich noch größeres Unheil eingetreten wäre. Daher wird er dich nicht der Gerichtsbarkeit überstellen, sondern zu einem Militärposten an die mexikanische Grenze bringen, damit du dort ein würdiges Mitglied der Armee wirst."

Francis war sprachlos. Entgeistert sah er Nevada an. Dieser kam nah an sein Ohr. "Vertrau mir. Du musst auf dieses Angebot eingehen, sonst habt ihr drei keine Chance. Ich finde einen Weg, dass du das vorgesehene Ziel nicht erreichst. Wenn die Zeit gekommen ist, wirst du meinen Plan erkennen. Mehr kann ich nicht sagen, aber ich bitte dich, vertrau mir."

Vertrauen? Das fiel Francis extrem schwer. Gab es keine andere Chance? Er wollte sich mit Nevadas Vorschlag nicht abfinden. "Wir könnten heute noch fliehen."

"Ihr werdet nicht weit kommen. Und du weißt, was geschieht, wenn man euch fasst. Man wird dich in Little Rock vor Gericht stellen. Du wirst die Peitsche kosten, die dir der Boss, oder soll ich besser sagen Jonathan Meyers, schon lange versprochen hat. Du siehst, ich bin gut informiert. Du bekämst Meyers nicht mal zu Gesicht, aber er steht sicher in der Menge, wenn man dir die Haut vom Rücken schlägt. Er würde auch dafür sorgen, dass du kurze Zeit später am Hals aufgehängt im Winde schaukelst. Der Boss braucht keine Zeugen. Das Schicksal der Kinder muss ich wohl nicht erst ausmalen."

Francis hatte keine Wahl. Er fügte sich und blieb bei Nevada. Der hätte die Kinder und ihn viel einfacher los werden können. So vertraute Francis ihm schweren Herzens.

Am nächsten Morgen sahen sie schon von weitem eine große Staubwolke. Hinter einer schwarzen Kutsche ritten zehn Soldaten und 5 Indianer. Eine schlanke junge Frau stieg vom Pferd, Kleiner Wolf und Weiße Feder rannten auf sie zu. "Blauer Vogel." Sie drückten und herzten sich. Dann ging die Frau, deren Name Nevada mit Blauer Vogel übersetzte auf Francis zu. "Ich danke dir weißer Mann, dass du mir die Kinder übergibst. Ich hoffe, der Große Geist ist dir gnädig und leitet deine Schritte künftig auf dem richtigen Weg. Ich überlasse dich jetzt Deinen Leuten. Kommt Kinder wir müssen aufbrechen", sprach sie zunächst auf Englisch dann in ihrer Muttersprache.

Nevada brachte inzwischen die Pferde, auch Husky war dabei. "Es ist nur ein Abschied auf Zeit", raunte er Francis zu.

Der stand wie ein begossener Pudel. Wie durch einen Schleier zogen die Geschehnisse an ihm vorüber. Die Kinder, seine Kinder ritten mit den Indianern und mit seinem Husky davon. Er sollte Nevada vertrauen, doch sein Vertrauen schwand zunehmend. Als die Soldaten schließlich vor ihm Aufstellung nahmen und ihr Anführer zu sprechen begann, wurde er zu einem hilflosen Etwas. Er hätte sich wehren sollen. Er hätte fliehen sollen. Er hätte kämpfen sollen. Aber wofür? Die Kinder waren weg. Seine Zukunft lag nicht mehr in seinen Händen. Nur schwach drangen die Worte des Sergeant an sein Ohr. "Sie werden alsbald nach Fort Cheroque aufbrechen, um als braver Soldat zu dienen. Dies ist eine ehrenwerte Aufgabe. Sie sollten sich dessen stets bewusst sein. Falls sie aber versuchen zu fliehen, werden sie erschossen. Damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen, tragen sie auf der Reise Handschellen. Keine Angst, gleich nach Ankunft im Fort sind sie die Dinger wieder los."

Der Sergeant grinste breit. "Johnson!"

Soldat Johnson trat auf Francis zu. "Arme ausstrecken!”

Francis Blick suchte verzweifelt nach Nevada, doch der blieb ungerührt. So folgte er zögerlich der Aufforderung. Erst nachdem die Schlösser klickten, erwachte sein Selbsterhaltungstrieb und er versuchte, sich dem Griff des Soldaten zu entziehen.

"Hey, werd nicht aufsässig. Wir können auch anders." Johnson fasste ihn fest am Oberarm und führte Francis zur Kutsche.

Vergitterte Fenster, gefesselte Hände, all dies rief in Francis schmerzliche Erinnerungen wach. Schon einmal hatte er einen solchen Wagen bestiegen, und wäre er nicht durch einen Zufall freigekommen, würde er vermutlich jetzt noch Ketten tragen.

"Danke Sir." Der Gruppenführer salutierte Richtung Nevada, dann setzte sich der Zug in Bewegung.

Nach etwa einer Meile stoppten die Soldaten.

"Aussteigen!"

Francis gehorchte verwundert.

"Zieht ihm die Stiefel aus und legt ihm Fußeisen an."

Dann drehte sich der Sergeant zu Francis. "Zur Rettung deiner Ehre haben wir gewartet, bis Nevada uns nicht mehr sieht. Du hast bei deiner Festnahme Widerstand angedeutet. Für uns ist das ein Hinweis auf späteres unbeherrschtes Verhalten. Unser Colonel Jackson möchte jedoch, dass du ohne Probleme in Fort Cheroque ankommst. Wir wollen also jeden Gedanken an Flucht im Keim ersticken. Und wie gesagt, am Ziel wirst du die Ketten los und bekommst auch deine Stiefel zurück."

Zwei Soldaten setzten die Anweisungen prompt um. Nachdem er sich von der korrekten Ausführung seines Befehls überzeugt hatte, saß der Sergeant auf. "Hier trennen sich unsere Wege. Johnson und Saddick begleiten dich. Wenn du kooperierst, geschieht dir nichts. Wir alle tun nur unsere Pflicht, und das erwarten wir auch von dir."

Bis auf zwei folgten die Soldaten ihrem Anführer. Gemeinsam ritten sie nach Norden. Nun hatte Francis nur noch Johnson und Saddick als Bewacher. Letzterer übernahm sogleich das Kommando. "Einsteigen und nicht vergessen, wenn du rumzuckst, pusten wir dein Gehirn weg."

Mit klirrenden Ketten ging Francis zur Kutsche und stieg ein. Die Tür wurde geschlossen und von außen verriegelt. Behandelt man so angehende Soldaten? Francis fühlte sich eher wie ein Verbrecher. Voller Wut zerrte er an seinen Fesseln, aber außer gehörige Schmerzen zu verursachen bewirkte das nichts. Was tat ihm Nevada Johns an? Und doch hatte Nevada gesagt, Francis solle ihm vertrauen. Mit diesem Funken Hoffnung versuchte er sich zu beruhigen. Hoffentlich wird meine Geduld nicht zu lange geprüft, dachte er. Ein gequältes Lächeln lag auf seinen Lippen, als sich die Kutsche erneut in Bewegung setzte.

Die Kutsche schwankte ständig. Der Weg war schlecht, aber Francis bemerkte das kaum. Er sah auf die in helles Sonnenlicht getauchte Wüste, dann auf die Ketten an seinen Füßen und Händen. Noch einmal spannte er die Fesseln voller Wut. Der Schmerz lenkte ab, aber wenn er es übertriebe, wäre seine Haut bald wund. So versuchte er schließlich die Gelenkte von Druck zu entlasten und wartete auf das von Nevada versprochene Wunder. Es geschah jedoch nichts, und am Nachmittag erreichten sie eine Stadt. Sie fuhren bis ins Zentrum. Vor dem Büro des Sheriffs stoppte die Kutsche.

"Wir brauchen ein schönes Zimmer für die Nacht", rief Saddick dem Herauseilenden entgegen.

"Was habt ihr denn für einen Vogel?"

Saddick reichte ein Papier und der Sheriff schien zufrieden.

"Wir haben immer eine Unterkunft für nette Gäste. Aus unseren Zellen ist noch niemand entkommen. Ihr könnt euch im Ort eine gemütlichere Bleibe suchen. Das Hotel ist nur 30 Fuß entfernt."

"Aussteigen!" Jonathan fasste seinen Gefangenen am Oberarm.

Der Lärm lockte einige Schaulustige an.

"So jung und schon so verdorben."

"Man sieht es diesen Verbrechern doch schon irgendwie im Gesicht an. Kein Wunder, dass sie geschnappt werden."

"Ich möchte ihm auch nicht begegnen, wenn er keine Ketten trägt. Bestimmt hat er schon einige Menschen auf dem Gewissen."

"Keine Angst meine Dame, er trägt die Fesseln bis zum Ende seiner Reise."

"Und das wird hoffentlich am Galgen sein."

"Dies geht auch einfacher. Wir können ihn gleich hier hängen."

"Liebe Leute, dass wäre natürlich auch für uns einfacher. Aber der Gerechtigkeit muss genüge getan werden." Saddick grinste unverschämt, verbaute er Francis im Falle einer Flucht doch gerade den Rückweg durch diese Gegend.

"Vorwärts", schrie Saddick.

Johnson führte Francis in das Zellengebäude.

"Geht ihr so mit einem zukünftigen Kameraden um?"

Die Soldaten blieben eine Antwort schuldig. "Schneller, Mann", rief Johnson nur und schob Francis unsanft Richtung Zelle.

Da verlor dieser die mühevoll errungene Beherrschung und schlug seinem Bewacher die Handschellen gegen das Kinn.

"Du Bastard."

Drei Mann stürzten sich auf Francis und rissen ihn zu Boden.

"Wir werden ihm eine Leere erteilen, Aufruhr in meinem Knast wird sofort bestraft. Zieht ihm das Hemd aus."

Johnson folgte der Aufforderung des Sheriffs bereitwillig, und fesselte Francis ans Zellengitter. Der erkannte sofort, was ihn erwartete. Vorsorglich spreizte er seine Beine, soweit es die Kette erlaubte. So hatte er festeren Stand, und der Schmerz an den Knöcheln lenkte etwas ab. Schon fauchte die Peitsche durch die Luft, nur um gleich darauf Francis Rücken zu treffen. Es brannte wie Feuer. Er keuchte. Nach dem zwanzigsten Schlag konnte er einen Schrei nicht mehr unterdrücken. Es folgten noch dreißig weitere Hiebe.

"Er bleibt bis morgen ans Gitter gekettet." Der Sheriff schien keinen Widerspruch zu dulden.

"Wir bleiben besser auch hier und wechseln uns mit der Wache ab." Johnson und Saddick nickten sich zu.

"Einverstanden", brummte der Sheriff.

Francis Rücken brannte, Blut lief herunter. Natürlich schlief er nicht in dieser Nacht. Endlich wurde es Morgen. Seine Bewacher bereiteten Kaffee und Ei.

"Er braucht nichts, er hat noch zu viel Kraft." Johnson kicherte.

Schließlich machten sie Francis vom Gitter los. Widerstandslos ließ er sich in die Kutsche bringen und sackte zusammen.

"Da, hast du vergessen."

Der Sheriff warf das zerrissene Hemd nach, dann schloss sich die Tür, und in rascher Fahrt ging es weiter. Francis schlief wohl ein, jedenfalls wurde es dunkel, als er wieder nach draußen blickte. Langsam zweifelte er an Nevadas Aufrichtigkeit. Ob der wusste, was sie mit ihm machten? Francis Gedanken schwankten zwischen Verzweiflung und Wut.

"Heute schlafen wir mal im Freien, bis zum nächsten Ort ist es noch ein ganzer Tag."

Danke für diese Info, dachte Francis.

"Bring ihn aus dem Wagen und kette ihn an ein Rad."

Genau so geschah es auch.

"Hier trink, wir wollen ja nicht, dass du verreckst. Das kannst du auf dem Feldzug in Mexiko immer noch tun."

Begierig saugte Francis das Wasser auf.

"Das reicht."

Die Flasche wurde weggenommen, dann legte sich Saddick neben den Wagen. Johnson versorgte die Pferde und band ihnen die Vorderbeine zusammen.

"Wir wollen ja morgen nicht laufen müssen." Mit diesen Worten setzte er sich neben Saddick und hielt die erste Wache. Sie wechselten sich ab bis zum Morgen, dann ging es weiter. Francis schleppte sich mühevoll in die Kutsche.

"War dir hoffentlich eine Lehre." Johnson tat es schon fast leid. Er hatte doch wirklich einen angehenden Kameraden und keinen Verbrecher vor sich. Aber warum musste der Mann auch so austicken. Beim Militär kam es auf Beherrschung an. Davon konnte das Überleben der ganzen Einheit abhängen. Vielleicht war es Prügel zur rechten Zeit, versuchte er sich in Gedanken zu rechtfertigen.

Nach etwa einer Stunde bemerkte Francis eine feine Staubwolke am Horizont. Er schien nicht zu träumen. Es waren Reiter. Und sie hielten direkt auf ihn zu. Die Kutsche beschleunigte merklich. Francis verstand nicht, was seine Bewacher sprachen. Sie schätzten die Situation offenbar als bedrohlich ein. Plötzlich ein lautes "brr". Die Bremse quietschte. Der Wagen stand.

"Wir spannen die Pferde aus, sie holen uns sonst ein. Verdammte Rothäute." Saddicks Stimme klang wirklich besorgt.

"Bist du sicher?"

"Ich hab solch einen Überfall schon mal nur knapp überlebt."

In großer Eile löste Johnson das Geschirr. Schon sprang Saddick auf das erste Pferd.

"Und er?", fragte Johnson beim Aufsitzen.

"Abknallen."

Francis duckte sich blitzschnell, da pfiff bereits die erste Kugel über seinen Kopf. Zum Glück hatten seine Bewacher wenig Zeit.

"Weg, weg", rief Saddick.

"Hast du ihn?"

"Ja, ja, nichts wie weg." Saddick schoss erneut, dann folgte er dem davon galoppierenden Johnson.

Gerettet, dachte Francis, dann spürte er einen kurzen Schmerz in der rechten Brust. Übelkeit stieg auf. Ihm wurde schwarz vor Augen.

Es war ein Gefühl der Kälte, welches Francis weckte. Gleich darauf kam auch der Schmerz zurück. Über sich gebeugt, sah Francis eine junge Frau mit langem schwarzen Haar und auffällig heller Haut.

"Weißer Schatten?" Seine Stimme war schwach, aber die Frau verstand ihn wohl.

"Ganz ruhig, du hast viel Blut verloren, aber jetzt bist du in Sicherheit."

Francis versuchte seine Arme zu heben. Sie waren frei.

"Wir haben Deinen Schmuck leider abnehmen müssen. Er ist auf dem Krankenlager nicht erlaubt."

Tatsächlich, nur die Schwellung über den Gelenken erinnerte daran, dass hier einmal Fesseln saßen.

"Wir mussten ganz schön feilen. Die Qualität eurer Schmiede ist beachtlich. Hast duDurst?"

Weißer Schatten reichte Francis einen Krug mit Wasser. Er trank begierig, fühlte aber das rasche Schwinden seiner Kräfte.

"Es wird alles gut. Du hast einen jungen Körper und einen starken Willen. Du wirst bald gesund werden."

Nebel umfing seinen Geist erneut. Bruchstückhafte Träume zeigten, wie er aus einer Kutsche gezogen wurde.

'Er lebt.'Im Traum verstand Francis die Diné-Worte. Er sieht sich auf einer Art Schlitten liegen. Ein Teil der Indianer bleibt bei der Kutsche, mit Ihnen ein Hund. 'Er gibt sein Blut für das des Weißen.' Der Hund wird in die Kusche gesperrt. Schüsse fallen. Holz splittert. Die Indianer ziehen einen blutigen leblosen Körper aus der Kutsche. Der Schlitten setzt sich in Bewegung. Was bedeutete dieser Traum? Francis konnte es nicht ergründen.

"Hey du Schlafmütze, es ist Zeit fürs Frühstück." Weißer Schatten hatte ihren Patienten wohl schon eine Weile beobachtet. "Du hast kein Fieber mehr. Jetzt musst du essen und trinken, dann werden wir Deinen Körper trainieren."

Jede Bewegung schmerzte und der Gedanke an körperliches Training war Francis unangenehm. "Wo bin ich?"

"In Sicherheit. Du bist zu mir zurückgekehrt, nicht freiwillig, o nein, man musste dir erst Ketten anlegen. Und du bist auch nicht wirklich gekommen. Ich habe dich abgeholt, aber egal, jetzt bist du da."

Francis stärkte sich mit Früchten und Brot. Es ging ihm viel besser. Welchen Anteil die Gegenwart von Weißer Schatten daran hatte, war ihm unklar. Aber sie hatte Anteil daran, das stand für ihn fest.

"Sucht man nach mir? Was wurde aus meinen Kindern?"

"Dubist tot. Nach Toten sucht man nicht. Und was heißt deine Kinder? Du hast keine Kinder. Du durftest zwei junge Diné ihrem Stamm zurückgeben." Weißer Schatten nahm die rechte Hand ihres Patienten und strich zärtlich darüber. "Dort sind sie gut aufgehoben. Dich wollte man dort nicht. Deshalb war es allen recht dich weit entfernt zum Militär zu schicken. Man machte sich auch viel Mühe dich wohlbehalten zu transportieren. Aber man rechnete nicht mit der Klugheit meines Vaters."

"Deines Vaters?"

"Nevada Johns nennt ihr ihn. Sein wahrer Name ist Der mit dem Falken fliegt. Er hat dir doch versprochen, dass du gerettet würdest."

"Gerettet? Um ein Haar wäre ich wirklich gestorben."

"Wäre, würde, hätte, es zählt doch nur was ist. No Risk, no Fun, erinnerst du dich? Wichtig ist, dass du lebst und alle deine Verfolger an deinen Tod glauben. Deine zwei ehemaligen Bewacher haben ihr Bestes dazu beigetragen. Sie schworen Stein und Bein, erst unter Beschuss geflohen zu sein. In der Kutsche fanden sich dann auch reichlich Blut und verspritztes Gewebe. Und die Lage der Einschüsse ließ keinen Zweifel aufkommen. Der angehende Soldat Francis Blackwater starb, von mehreren Kugel getroffen. Saddick und Johnson traf keine Schuld. In der Kürze der Zeit konnten sie ihn nicht retten. Die marodierenden Indianer hatten ihn auf dem Gewissen."

Weißer Schatten lachte triumphierend. "Hundeblut sieht aus wie Menschenblut."

Sie sah Francis spitzbübisch an. "Allerdings hast du davon auch Deinen Namen. Der vom Hund gerettet wurde, heißt du jetzt offiziell. Meistens nennen wird dich nur kurz Amadahy."

Francis verstand nicht wirklich, doch Weißer Schatten sprach unbeirrt weiter. "Der Name des Hundes, der dich rettete, war Amadahy. Das ist Cherokee, übersetzt Waldwasser. Klingt doch schön, oder? Eigentlich ist's ja ein Frauenname. Der Hund war ein Weibchen, aber ganz egal. Cherokee versteht hier eh keiner. Und überhaupt, es zählt nur, dass du lebst. Freu dich, du bist so frei, wie ein Mensch nur frei sein kann."

Doch Francis - Amadahys - Gedanken waren weit entfernt. "Kann ich sie sehen?"

"Sie?" Natürlich verstand Weißer Schatten sofort und hob abwehrend die Hände. "Noch mal, es sind nicht deine Kinder. Was hast du nur an ihnen gefressen? Sie erfuhren genug Leid. Vergiss sie. Sie sollen bei ihrem Stamm aufwachsen. Wenn du Indianer spielen willst, dann bleib bei uns."

"Ihr habt viel für mich getan. Ihr habt sogar einen unschuldigen Hund für mich erschossen. Ich werde euch immer dankbar sein, aber ich muss wissen, ob es den beiden gut geht. Weiße Feder nannte mich Vater und ich bin ihr verpflichtet. Du sagst, ich bin frei und eigentlich tot. Was soll mir noch passieren. Man stirbt nur einmal."

"Dann steh doch auf und geh, wenn du kannst." Sie drehte ihr hübsches Gesicht zur Seite. Francis versuchte sich aufzurichten. Es gelang nicht.

"Weißer Schatten, ich wollte dich nicht beleidigen. Du hast mich gerettet. Lass uns Freunde sein. Was die Zukunft bringt, soll die Zukunft bringen."

"So sei es." Stolz ging sie aus dem Zelt.

Die Tage zogen dahin. Es wurde Winter. Kalte Stürme tobten über die Shadow Lands. Francis Wunden waren verheilt. Nur einige Narben zeugten von den vergangenen Ereignissen. Er hatte sich in die Gemeinschaft der Indianer eingelebt, konnte ihre Sprache verstehen und einigermaßen sprechen. Weißer Schatten, die durch ihre Erziehung in zwei Welten fließend Englisch beherrschte, war ihm Lehrer, Schwester und manchmal auch mehr. Doch es gab da noch die Welt seiner Träume und darin drei Hauptakteure, Husky, Weiße Feder und Kleiner Wolf. Er konnte nur hoffen, dass es ihnen gut ging. Auf seine diesbezüglichen Fragen antwortete Weißer Schatten stets ausweichend. "Ist schon alles in Ordnung. Das ist eine andere Welt. Ihr solltet einander vergessen. Alles andere bringt nur Leid."

Sonst war sie Francis sehr zugeneigt. Natürlich blieb dies ihrem Stamm nicht verborgen.

"Du warst schon immer auch eine Weiße. Jetzt ziehst du uns den weißen Mann auch noch vor. Oder ist er nur Ersatz für Deinen Hund? Er heißt ja auch so. Aber uns wäre es recht gewesen, du hättest den Hund behalten."Schneller Adler bangte um die Zukunft ihres Stammes. Sie waren nicht viele und lebten in ständiger Gefahr. Sie, die Ausgestoßenen, geschützt allein durch die Unzugänglichkeit der Shadow Lands. Sie lebten von und mit ihren Schafen, verübten aber auch den einen oder anderen Überfall auf weiße Siedler.

"Amadahy ist einer von uns. Er ist zwar weiß, aber er denkt rot. Bis vor kurzem hat er wie wir gelebt, als Gesetzloser und in steter Unsicherheit. Er kennt die Weißen und kann uns ihre Techniken lehren. Wir müssen die Shadow Lands ausbauen. Da kommt uns seine Erfahrung als Ingenieur gelegen. Vergiss auch nicht, dass er sein Leben für Kleiner Wolf und Weiße Feder riskierte."

Schneller Adler lächelte die Stammesführerin mitleidig an. "Du liebst ihn."

Weißer Schatten sah errötend zu Boden. "Ja."

Dann fasste sie sich jedoch, blickte dem ihr gegenüber stehenden Krieger tief in die Augen, so als wollte sie ergründen, weißt du mehr? Nach wenigen Sekunden senkte sie ihren Blick erneut."Noch kenne ich seine Gefühle nicht ausreichend. Und er hängt noch zu sehr der Vergangenheit an."

Schneller Adler ließ nicht locker. Er wollte eine Entscheidung herbeiführen, hier und jetzt. "Wenn er schon bei uns bleibt, auch ich sehe darin Vorteile, dann soll er sich wenigstens völlig integrieren. Nimm ihn zum Mann und gib die Führung unseres Stammes ab."

"Ich habe daran auch schon gedacht. Gib uns noch etwas Zeit. Bis dahin lass ihn das sein, für was du ihn bisher hieltest, meinen Hund. Und sei sicher, ich liebe meinen Hund, auch wenn er im Körper eines Weißen wohnt. Damit du aber siehst, dass er keine besondere Behandlung genießt, erlaube ich dir ihn wie jeden anderen der Grauen Wölfe einzusetzen. Geht gemeinsam auf die Jagt. Nimm ihn mit Pferde zu stehlen."

"Ja, da hat er allerdings Erfahrung." Schneller Adler lachte.

"Lass mich bitte ausreden." Weißer Schatten stockte kurz. Sie wollte ihren Wolfsbruder nicht beleidigen. Doch ehe dieser aufbrausen konnte, fuhr sie mit ruhiger aber bestimmter Stimme fort."Erkunde mit ihm die verborgenen Täler und lass dich beraten, wie wir sie erschließen können. Es wird die Zeit kommen, wo wir mit den Weißen leben oder untergehen. Wir wollen aber nicht untergehen. Und wenn wir schon mit den Weißen leben müssen, dann sollten wir sie an uns anpassen und nicht anders herum."

Ja, ich liebe ihn, dachte Weißer Schatten. Für ihn würde ich alles opfern.

Indianerkinder

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